Beschluss vom 27.09.2023 -
BVerwG 1 WB 11.22ECLI:DE:BVerwG:2023:270923B1WB11.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.09.2023 - 1 WB 11.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:270923B1WB11.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 11.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Flottenarzt Sander und
die ehrenamtliche Richterin Hauptbootsmann Arpe
am 27. September 2023 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Das Verfahren betrifft die Regelungen zur Duldung einer Covid-19-Impfung.

2 Die ... geborene Antragstellerin war am 26. November ... zur Berufssoldatin im Dienstgrad eines Hauptbootsmanns ernannt worden.

3 Mit Wirkung vom 24. November 2021 war zuvor im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses, des Hauptpersonalrates und der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Änderung der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil" in Kraft getreten. Dadurch wurde die Impfung gegen den Covid-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 aufgenommen.

4 In einem Schreiben an ihren damaligen Disziplinarvorgesetzten vom 15. Dezember 2021 bat die Antragstellerin um Entlassung aus dem Dienstverhältnis. Zur Begründung führte sie aus, die Aufnahme der Covid-19-Impfstoffe in das Basisimpfschema und die daraus resultierende Duldungspflicht hätten zu einem Vertrauensverlust in die Bundeswehr geführt. Aufgrund dieses Antrages wurde die Antragstellerin mit Ablauf des 28. Februar 2022 aus dem Dienstverhältnis einer Berufssoldatin entlassen.

5 Mit einem weiteren Schreiben vom 15. Dezember 2021 beschwerte sich die Antragstellerin gegen die Aufnahme der Covid-19-Impfstoffe in das Basisimpfschema mit der daraus folgenden Duldungspflicht und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

6 Am 12. Januar 2022 wurde gegen die Antragstellerin eine Disziplinarbuße wegen des Nichtbefolgens des Befehls, sich immunisieren zu lassen, verhängt. Hiergegen hat diese weitere Beschwerde beim Truppendienstgericht ..., ..., erhoben. Mit Beschluss vom 5. April 2022 hat die ... Kammer des Truppendienstgerichts ... die aufschiebende Wirkung der weiteren Beschwerde bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache angeordnet.

7 Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde der Antragstellerin vom 15. Dezember 2021 als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und ihn zusammen mit seiner Stellungnahme vom 9. März 2022 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

8 Nach Ausscheiden der Antragstellerin aus der Bundeswehr hat diese mit Schreiben vom 13. Mai 2022 den Antrag im Eilverfahren zurückgenommen.

9 Die Antragstellerin macht geltend, dass sie in der Hauptsache weiterhin Klärungsbedarf habe, da die Duldungspflicht zur Grundlage der Disziplinarbuße gemacht worden und ihre weitere Beschwerde gegen diese Disziplinarbuße vor dem Truppendienstgericht anhängig sei. Auf Nachfrage des Gerichts zu ihrem Rechtsschutzbedürfnis erklärte die Antragstellerin, an Wehrübungen teilnehmen und im Fall der Landesverteidigung eingezogen werden zu wollen. Insofern halte sie eine Prüfung der Rechtmäßigkeit um die Entscheidung der Duldungspflicht zum damaligen Zeitpunkt weiter für geboten.

10 Die Antragstellerin hat keinen Sachantrag gestellt.

11 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

12 Der Antrag sei bereits unzulässig, da der Antragstellerin mit Ausscheiden aus dem aktiven Dienstverhältnis das Rechtsschutzinteresse für ihr Begehren fehle. Mit ihrer Entlassung unterliege sie derzeit keiner Dienstpflicht und sie sei hinsichtlich etwaiger Impfungen nicht duldungspflichtig. Die Antragstellerin sei nach ihrem Ausscheiden nicht grundbeordert worden. Es liege auch kein Antrag eines anderen Truppenteils auf Beorderung vor. Eine Heranziehung zu Dienstpflichten sei derzeit nicht beabsichtigt. Als Reservistin, die nicht zu Dienstleistungen herangezogen sei, unterliege sie keiner Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 SG. Erst im Vorfeld einer Heranziehung sei eine Erklärung des Reservedienstleistenden im Hinblick auf die Duldungspflicht für Impfungen des Basisimpfschemas erforderlich. Fehle es an dieser Erklärung, unterbleibe die Heranziehung. Ferner ändere auch die ausstehende Entscheidung des Truppendienstgerichts am fehlenden Rechtsschutzinteresse nichts, da die Rechts- und Weisungslage inzident in diesem Verfahren zu überprüfen sei.

13 Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Bundesministeriums der Verteidigung, die Personalakte der Antragstellerin sowie die Gerichtsakte im Verfahren BVerwG 1 W-VR 6.22 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

14 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

15 Er ist bereits unzulässig.

16 1. Das ursprüngliche - bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung auf eine Aufhebung der Anweisung der Bundesverteidigungsministerin vom 24. November 2021 zur Aufnahme der Covid-19-Impfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A 1-840/8-4000" gerichtete - Anfechtungsbegehren hat sich - ungeachtet der in § 15 WBO enthaltenen Regelung - erledigt, weil die Antragstellerin mit ihrer Entlassung aus dem Soldatenverhältnis nicht mehr der angefochtenen Anweisung unterliegt.

17 Die Antragstellerin gehört nicht zum impfpflichtigen Personenkreis. Die in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG geregelte Pflicht, ärztliche Maßnahmen, die zur Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen, dulden zu müssen, trifft nur Soldaten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SG ist Soldat, wer aufgrund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht. Mit ihrer Entlassung endete das mit der Antragstellerin bestehende Wehrdienstverhältnis, das zuletzt als Dienstverhältnis eines Berufssoldaten bestand (vgl. § 49 Abs. 1 SG). Auch nach der Regelungstechnik des Erlasses A 1-840/8-4000 richtet sich die Pflicht zur Duldung der Covid-19-Impfung nach deren Aufnahme in das Basisimpfschema der Bundeswehr lediglich an aktive Soldaten. Die Basisimpfungen sind danach für alle militärischen Kräfte vorgeschrieben, die im Inland im Rahmen der Hilfs- und Katastrophenschutzaufgaben der Bundeswehr (Art. 35 GG) zum Einsatz kommen (Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000). Zum "Hilfs- und Katastrophenschutz Inland" zählen nach Nr. 406 Satz 3 der Zentralen Dienstvorschrift A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" alle aktiven Soldatinnen und Soldaten (s. dazu BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 26).

18 Als Reservistin unterliegt sie der Pflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG ebenfalls nicht, weil sie in keinem Wehrdienstverhältnis steht. Ein solches Dienstverhältnis setzt eine Heranziehung zur Dienstleistung voraus (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 59 Abs. 2 SG), die hier nicht erfolgt ist.

19 2. Der im Falle der Erledigung grundsätzlich statthafte Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO) ist hier unzulässig, weil der Antragstellerin kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Seite steht.

20 a) Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die - wie hier die Verpflichtung aus der Dienstvorschrift - keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Das Interesse, das Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist, kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den auch in der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Beschluss vom 25. November 2021 - 1 WB 28.20 - juris Rn. 17 m. w. N.) anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben, kann aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (s. dazu BVerwG, Urteil vom 29. März 2017 - 6 C 1.16 - BVerwGE 158, 301 Rn. 29 m. w. N.).

21 b) Dem Antragsvorbringen der Antragstellerin lässt sich kein Anhaltspunkt für ein mögliches Feststellungsinteresse entnehmen, das hier ohnehin allenfalls im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr oder eine präjudizielle Wirkung des hiesigen Prozesses für das gegen die Antragstellerin geführte wehrdisziplinargerichtliche Verfahren in Betracht gezogen werden könnte.

22 aa) Eine Wiederholungsgefahr lässt sich nicht feststellen. Dies würde voraussetzen, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige dienstliche Maßnahme ergehen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 - 6 B 22.22 - NVwZ-RR 2023, 342 Rn. 13 m. w. N.). Die lediglich theoretische Möglichkeit einer Wiederholung des maßgeblichen Verwaltungshandelns genügt hingegen nicht, um ein entsprechendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen (BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 - 1 WB 56.98 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 31 S. 2 f. m. w. N.).

23 Nach Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung ist nicht beabsichtigt, die Antragstellerin als Reservistin zu einer Dienstleistung bei der Bundeswehr heranzuziehen. Es liegt auch keine Grundbeorderung für die Antragstellerin vor. Vor diesem Hintergrund ist nicht damit zu rechnen, dass die Antragstellerin wieder in den Kreis der nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG pflichtigen Soldaten gelangen wird.

24 bb) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Antragstellerin ist auch nicht zu bejahen, soweit in dem hier anhängigen gerichtlichen Verfahren mit präjudizieller Wirkung die Frage geklärt werden könnte, ob die Anweisung der Bundesverteidigungsministerin vom 24. November 2021 zur Aufnahme der Covid-19-Impfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A 1-840/8-4000" rechtmäßig ist. Diese Frage kann die Antragstellerin in dem derzeit beim Truppendienstgericht Nord anhängigen Verfahren über ihre Beschwerde gegen die verhängte Disziplinarbuße wegen des Nichtbefolgens des Befehls, sich immunisieren zu lassen, inzident prüfen und beantworten lassen.

25 Auf das truppendienstgerichtliche Verfahren kann sie deshalb verwiesen werden, weil ihr in dem hiesigen Verfahren nicht der Verlust von "Früchten des Prozesses" droht, die mit einer Fortsetzung des Verfahrens gesichert werden müssten. Dem bisherigen Vortrag der Antragstellerin lassen sich keinerlei Erwägungen entnehmen, die dem Senat Anlass gäben, seine bereits geäußerte Rechtsauffassung zu der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. Juli 2022 - 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 und ‌- 1 WB 5.22 - juris) zu überdenken. Es liegt auch sonst kein Prozessstoff vor, wie beispielsweise Ergebnisse gerichtlicher Ermittlungen, der verloren gehen könnte, wenn das Verfahren vor dem Senat nicht fortgesetzt werden würde.

26 c) Nach alledem muss die Antragstellerin keine Nachteile für sich befürchten. Die Zurückweisung ihres Antrages durch den Senat beruht allein auf prozessrechtlichen und nicht auf sachlich-rechtlichen Gründen. Eine Rechtskraftwirkung von Erwägungen des Senats in der Sache zu Lasten der Antragstellerin kann von dem hiesigen Beschluss also nicht ausgehen (zur Verschiedenheit der Rechtskraftwirkung einer Prozess- und einer Sachabweisung s. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 21 m. w. N.). Da die Beschlüsse des Senats vom 7. Juli 2022 (a. a. O.) zudem nicht zugunsten oder Ungunsten von jedermann ("inter omnes") wirken, bleibt es der Antragstellerin unbenommen, ihre Kritik an der Impfpflicht für Soldaten in Auseinandersetzung mit der besagten Senatsrechtsprechung vor dem Truppendienstgericht vorzutragen.