Urteil vom 27.06.2024 -
BVerwG 2 C 5.23ECLI:DE:BVerwG:2024:270624U2C5.23.0
Begriff der "wissenschaftlichen Forschung" in § 7 Bundesnebentätigkeitsverordnung
Leitsätze:
1. Der Begriff der "wissenschaftlichen Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 Bundesnebentätigkeitsverordnung (BNV) ist so zu verstehen wie der Begriff der "Forschung" – als Unterfall der Wissenschaft – in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
2. Die Tätigkeit in einem Wissenschaftlichen Gremium der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kann wissenschaftliche Forschung i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV sein.
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Rechtsquellen
GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1 BBG § 100 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BfRG § 2 BNV §§ 6, 7 Nr. 3 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 Art. 22, 23, 24, 28, 29, 30, 31, 32 -
Instanzenzug
VG Berlin - 24.05.2018 - AZ: 26 K 167.15
OVG Berlin-Brandenburg - 20.12.2022 - AZ: 6 B 9/22
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 27.06.2024 - 2 C 5.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:270624U2C5.23.0]
Urteil
BVerwG 2 C 5.23
- VG Berlin - 24.05.2018 - AZ: 26 K 167.15
- OVG Berlin-Brandenburg - 20.12.2022 - AZ: 6 B 9/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
für Recht erkannt:
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur teilweisen Ablieferung einer Nebentätigkeitsvergütung.
2 Die Klägerin war im maßgeblichen Zeitraum Wissenschaftliche Oberrätin (Besoldungsgruppe A 14 BBesO) beim beklagten Bundesinstitut für Risikobewertung. Dieses genehmigte ihr für den Zeitraum von Juni 2009 bis Juni 2012 die Mitarbeit im sogenannten Biohazard Panel der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als Nebentätigkeit mit einem Umfang von 20 Tagen pro Jahr.
3 Durch Bescheid vom Oktober 2013 forderte der Beklagte die Klägerin auf, ihre Einkünfte aus der Mitarbeit in dem Panel in den Jahren 2009, 2010 und 2012 abzuliefern, soweit sie kalenderjährlich 4 900 € überstiegen und setzte einen Ablieferungsbetrag von insgesamt 8 017 € fest. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid zurück und erhöhte den von der Klägerin abzuliefernden Betrag auf 8 077 €.
4 Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Es hat zur Begründung darauf abgestellt, zu Gunsten der Klägerin greife die Ausnahme von der Ablieferungspflicht in § 7 Nr. 3 Bundesnebentätigkeitsverordnung (BNV), weil ihre Tätigkeit in dem Gremium der EFSA eine Tätigkeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung sei. Zur Bestimmung des Begriffs der wissenschaftlichen Forschung sei auf das verfassungsrechtliche Begriffsverständnis in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zurückzugreifen. Die Klägerin habe in diesem Sinne eine wissenschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Dies ergebe sich aus einer Reihe von Regelungen in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 über die Aufgabenstellung der EFSA und ihrer Wissenschaftlichen Gremien. Die Klägerin habe in dem Wissenschaftlichen Gremium auch wissenschaftliche Forschung betrieben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat habe die Klägerin überzeugend und anhand verschiedener Beispiele ausgeführt, ihre Tätigkeit in dem Wissenschaftlichen Gremium habe unter anderem statistische Analysen, epidemiologische Studien, Metaanalysen, Entwicklung von Risikomodellen, Berechnung neuer Daten, Verknüpfung vorhandener Daten und die Entwicklung neuer Methoden sowie die Neuentwicklung von Risikomodellen umfasst. Die Mitglieder des Gremiums hätten die Art und Weise, wie sie zu ihren Erkenntnissen gelangten, frei gewählt; es seien alle für eine forschende Tätigkeit kennzeichnenden wissenschaftlichen Techniken angewandt worden. Habe die Klägerin nach alledem wissenschaftliche Forschung betrieben, so sei sie erst recht im Sinne von § 7 Nr. 3 BNV "auf dem Gebiet" der wissenschaftlichen Forschung tätig geworden. Diese Formulierung lasse erkennen, dass nicht jeder einzelne Handgriff selbst wissenschaftliche Forschung darstellen müsse, sondern ausreichend sei, wenn ein hinreichend deutliches Gesamtbild wissenschaftlichen Arbeitens mit forschenden Elementen bestehe. Dies sei in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin der Fall.
5
Hiergegen richtet sich die bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Beklagten, mit der er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Dezember 2022 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Mai 2018 zurückzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Die Vertreterin des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und verteidigt die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, wonach der Begriff der wissenschaftlichen Forschung in § 7 Nr. 3 BNV dem der Forschung in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entspreche.
II
8 Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht oder sonstiges revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Auslegung, dass der Begriff der "wissenschaftlichen Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV so zu verstehen ist wie der Begriff der "Forschung" – als Unterfall der Wissenschaft - in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, ist zutreffend (1.). Auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass bei der klägerischen Nebentätigkeit von "wissenschaftlicher Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV auszugehen ist, und dementsprechend eine Verpflichtung der Klägerin zur teilweisen Ablieferung der Nebentätigkeitsvergütung verneint (2.).
9 1. Der Begriff der "wissenschaftlichen Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV ist so zu verstehen wie der Begriff der "Forschung" – als Unterfall der Wissenschaft - in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
10 a) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BNV wird für eine Nebentätigkeit im Bundesdienst grundsätzlich eine Vergütung nicht gewährt. Ausnahmen können nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BNV zugelassen werden für Gutachtertätigkeiten und schriftstellerische Tätigkeiten sowie für Tätigkeiten, deren unentgeltliche Ausübung dem Beamten nicht zugemutet werden kann. Werden hiernach Vergütungen gewährt, so dürfen sie nach § 6 Abs. 2 BNV für Beamte in der Besoldungsgruppe A 14 BBesO im Kalenderjahr insgesamt 4 900 € (Bruttobetrag) nicht übersteigen. Diesen Betrag übersteigende Vergütungen sind gemäß § 6 Abs. 4 BNV abzuliefern. Nach § 7 BNV besteht keine Ablieferungspflicht bei Vergütungen für 1. Lehr-, Unterrichts-, Vortrags- oder Prüfungstätigkeiten, 2. Tätigkeiten als gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Sachverständiger, 3. Tätigkeiten auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung, 4. Gutachtertätigkeiten von Ärzten, Zahnärzten oder Tierärzten für Versicherungsträger oder für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Verrichtungen dieser Personen, für die nach den Gebührenordnungen Gebühren zu zahlen sind, 5. Tätigkeiten, die während eines unter Wegfall der Besoldung gewährten Urlaubs ausgeübt werden.
11 b) Die Auslegung des Begriffs der "wissenschaftlichen Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV nach Wortlaut und Systematik sowie Sinn und Zweck - die Entstehungsgeschichte ist insoweit unergiebig - ergibt, dass er deckungsgleich mit dem Forschungsbegriff in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist und damit als "geistige Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen" (BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 u. a. - BVerfGE 35, 79 <113>), zu verstehen ist.
12 aa) Der Wortlaut der Norm gibt keine Hinweise auf eine vom Verständnis des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende, engere Auslegung des Begriffs der "wissenschaftlichen Forschung". Art. 5 Satz 3 Satz 1 GG reiht nur - scheinbar gleichberechtigt - Wissenschaft, Forschung und Lehre aneinander. "Wissenschaft" ist der gemeinsame Oberbegriff für Forschung und Lehre als den beiden Ausprägungen der grundrechtlich gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 u. a. - BVerfGE 35, 79 <113>; von der Decken, in Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 48; Kempen, in: Epping/Hillgruber, GG, 3. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 179). Deshalb ist Forschung in diesem Sinne stets wissenschaftliche Forschung.
13 Die Nebentätigkeitsregelungen nehmen auch ersichtlich Bezug auf den aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG folgenden Grundrechtsschutz. So sind wissenschaftliche Tätigkeiten gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 2 BBG nicht genehmigungspflichtig und gemäß § 100 Abs. 2 BBG nur anzeigepflichtig, wenn für sie ein Entgelt oder ein geldwerter Vorteil geleistet wird. Dementsprechend ist auch bei der Begrifflichkeit in § 7 Nr. 3 BNV - zunächst - davon auszugehen, dass sie an diejenige in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG anknüpft. Für eine engere Auslegung gibt es keine Anhaltspunkte im Wortlaut der Bestimmung. Das gilt sowohl für die vom Verwaltungsgericht und der Revision angenommene Verengung "für die Wissenschaft" als auch für andere denkbare Einschränkungen, etwa "in Hochschulen und Forschungseinrichtungen".
14 bb) Die systematische Auslegung legt ebenfalls kein anderes Verständnis nahe. § 7 BNV enthält Ausnahmen von der nach § 6 BNV grundsätzlich angeordneten - und verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Januar 2007 - 2 BvR 1188/05 - BVerfGK 10, 186 = juris Rn. 20 ff.) – Ablieferungspflicht bei bestimmte Grenzen übersteigenden Vergütungen für Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst. Die in § 7 Nr. 1 bis 4 BNV geregelten Ausnahmetatbestände stehen nicht in einem Rangverhältnis von Spezial- und Auffangtatbestand zueinander, sondern selbstständig nebeneinander. Dem Verwaltungsgericht und der Revision ist zwar zuzugeben, dass bei Zugrundelegung des Forschungsbegriffs des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. dazu im Einzelnen nachfolgend unter 2.) auch in § 7 Nr. 2 und 4 BNV genannte Sachverständigen- und Gutachtertätigkeiten ggf. von § 7 Nr. 3 BNV erfasst sein können. Das rechtfertigt aber keine einschränkende Auslegung des § 7 Nr. 3 BNV. Zum einen gibt es auch Sachverständigen- und Gutachtertätigkeiten, die den - weiten - Forschungsbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht erfüllen; das dürfte bei den in § 7 Nr. 2 und 4 BNV privilegierten Tätigkeiten sogar der Regelfall sein. Zum anderen liegt es auch nahe, § 7 Nr. 2 und Nr. 4 BNV als ausdrückliche Benennung von praktisch besonders wichtigen Fallgruppen zu verstehen.
15 Die Bundesnebentätigkeitsverordnung enthält auch anders als das Gesetz über die Errichtung eines Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR-Gesetz - BfRG), das in seinem § 2 zwischen der Erstellung von wissenschaftlichen Ausarbeitungen (Nr. 1), der wissenschaftlichen Beratung (Nr. 2) und der wissenschaftlichen Forschung (Nr. 3) unterscheidet, keine Differenzierung zwischen wissenschaftlicher Forschung und anderen wissenschaftlichen Tätigkeiten, die auf einen engeren Forschungsbegriff als den des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG hinweisen würde.
16 Für die Zugrundelegung des Forschungsbegriffs in § 7 Nr. 3 BNV lässt sich anführen, dass auch § 100 Abs. 1 Nr. 2 BBG den Begriff der "wissenschaftlichen Tätigkeiten" – zur Gewährleistung des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG - deckungsgleich mit dem Begriffsverständnis in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verwendet (vgl. Geis, in: GKÖD, BBG, Stand Mai 2024, § 100 Rn. 24 ff.; Plog/Wiedow, BBG, Stand Mai 2024, § 100 Rn. 9). Wenn für die gesetzlich geregelte Genehmigungsfreiheit das Begriffsverständnis des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gilt, dann liegt es nahe, dass dies auch für die verordnungsrechtlich geregelte Freistellung von der Ablieferungspflicht gilt.
17 cc) Auch aus der Auslegung nach Sinn und Zweck der Privilegierung der "wissenschaftlichen Forschung" in § 7 Nr. 3 BNV ergibt sich nichts Anderes. Zwar erfordert es die Wissenschaftsfreiheit nicht, dass dem Forschenden kommerzielle Erträge seiner Forschung ungeschmälert zugutekommen, denn die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit wissenschaftlicher Betätigung umfasst nicht den Schutz eines Gewinn- und Erwerbsstrebens (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. Januar 2007 - 2 BvR 1188/05 - BVerfGK 10, 186 = juris Rn. 26), sodass ein an Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG angelehntes Begriffsverständnis verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Der Verordnungsgeber trägt mit der Begrenzung von Ablieferungspflichten nicht etwa verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten Rechnung, sondern privilegiert Tätigkeiten, die er als besonders nützlich und förderungswürdig ansieht. Aber auch insoweit gibt es keine Anhaltspunkte für eine gewollte Einschränkung des gewählten Wortlauts.
18 c) Das Bundesverfassungsgericht sieht als Forschung i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG "die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen" an, der angesichts immer neuer Fragestellungen den Fortschritt der Wissenschaft bewirkt. Wissenschaft ist alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist. Die Freiheit der Forschung umfasst insbesondere die Fragestellung und die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung. Das in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltene Freiheitsrecht steht jedem zu, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will (BVerfG, Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 u. a. - BVerfGE 35, 79 <112 f.>; Beschluss vom 11. Januar 1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 <12>).
19 Leitbild freier Forschung i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist zwar die universitäre Forschung, erfasst ist aber auch die außeruniversitäre Forschung, sei es an staatlichen oder privaten Einrichtungen (Fehling, in: Bonner Kommentar, LS Stand April 2024, Art. 5 Abs. 3 Rn. 76 ff.). Personell geschützt ist jeder, der wissenschaftlich tätig ist oder werden will, also nicht nur der Hochschullehrer oder der an Forschungseinrichtungen Tätige (Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 207; Antoni, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 33; von der Decken, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 49; Kempen, in: Epping/Hillgruber, GG, 3. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 184; Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, LS Stand Januar 2024, Art. 5 Abs. 3 Rn. 129 ff.). Anforderungen an die formale Qualifikation stellt das Grundrecht nicht. Auch Angehörige des öffentlichen Dienstes, die in Nebentätigkeit wissenschaftlich arbeiten, sind grundrechtsberechtigt (Krüper, in: Dreier, GG, 4. Aufl. 2023, Art. 5 III <Wissenschaft> Rn. 63).
20 Vom Forschungsbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfasst ist nicht nur die Grundlagenforschung, sondern auch die anwendungsbezogene Forschung (BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1982 - 1 BvR 1467/80 - BVerfGE 61, 210 <246, 251 f.>; BAG, Beschluss vom 21. Juni 1989 - 7 ABR 58/87 - BAGE 62, 156 = juris Rn. 38). Selbst Zweck- und Auftragsforschung kann Wissenschaft sein, solange dem Beauftragten genügend Unabhängigkeit und Selbstständigkeit verbleibt (Fehling, in: Bonner Kommentar, LS Stand April 2024, Art. 5 Abs. 3 Rn. 81). Dementsprechend kann auch Ressortforschung als anwendungsbezogene Forschung innerhalb staatlicher Einrichtungen, um die Entscheidungsfindung in Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung zu unterstützen, dann von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt sein, wenn und soweit sie nicht "administrativ überdeterminiert" ist, d. h. soweit eine unabhängige Forschung möglich ist (vgl. Krüper, in: Dreier, GG, 4. Aufl. 2023, Art. 5 III <Wissenschaft> Rn. 63; ähnlich Gärditz, LMuR 2023, 291, 292).
21 Allerdings gibt es keine eindeutige und allgemein anerkannte Definition des Begriffs Forschung, die als Maßstab genutzt werden könnte, um eine Tätigkeit exakt zu qualifizieren und einzuordnen. Es bedarf deshalb jeweils im Einzelfall wertender Betrachtung, ob mit der Tätigkeit ihrem Gepräge nach Forschung betrieben wird (BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1982 - 1 BvR 1467/80 - BVerfGE 61, 210 <246>).
22 Dementsprechend ist abzugrenzen die anwendungsbezogene Forschung, mit der eigenständige wissenschaftliche Erkenntnisziele verbunden sind, von dem "wissenschaftlichen Handwerk", das zur Lösung praktischer Fragestellungen zwar wissenschaftliche Methoden nutzt, sich aber in der bloßen Anwendung bereits bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse erschöpft (vgl. BAG, Beschluss vom 21. Juni 1989 - 7 ABR 58/87 - BAGE 62, 156 = juris Rn. 38; vgl. auch Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand Juni 2024, Art. 5 Abs. 3 Rn. 71; von Coelln, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Dezember 2023, Art. 5 Rn. 33). Letzteres ist insbesondere bei einem - etwa fachärztlichen - Sachverständigengutachten anzunehmen, das unter Anwendung bereits bekannter wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse Aussagen zu einer einzelfallbezogenen Fragestellung trifft.
23 2. Eine Ablieferungspflicht der Klägerin nach § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 2 BNV besteht auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht, weil hiernach die klägerische Nebentätigkeit in dem Wissenschaftlichen Gremium der EFSA für biologische Gefahren als "wissenschaftliche Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV anzusehen ist.
24 a) Zwar ergibt sich diese Einordnung noch nicht allein aus der Aufgabenstellung der EFSA und ihrer Wissenschaftlichen Gremien.
25 Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ist gem. Art. 22 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1. Februar 2002 S. 1) – im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 178/2002 - gegründet worden. Sie ist eine Institution der Politikberatung auf wissenschaftlicher Grundlage in den Bereichen Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit und unterstützt auf diese Weise die Rechtssetzung der europäischen Organe. Ihre Wissenschaftlichen Gremien sind in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich verantwortlich für die Erstellung der wissenschaftlichen Gutachten der Behörde und können bei Bedarf öffentliche Anhörungen veranstalten; sie setzen sich aus unabhängigen Wissenschaftlern zusammen, die wissenschaftlich und unabhängig arbeiten, insbesondere Gutachten erstellen und auch Studien beauftragen (vgl. Art. 22, 23, 24, 28 - 32 Verordnung <EG> Nr. 178/2002).
26 Aus dieser Aufgabenstellung ergibt sich zwar ohne Weiteres die wissenschaftliche Arbeitsweise der Wissenschaftlichen Gremien der EFSA, aber nicht zwingend, dass es sich um wissenschaftliche Forschung und nicht lediglich um "wissenschaftliches Handwerk" handelt.
27 b) Allerdings ist nach den konkreten, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts die Tätigkeit der Klägerin in dem Wissenschaftlichen Gremium der EFSA für biologische Gefahren ihrem Gepräge nach "wissenschaftliche Forschung" i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV. Die im Berufungsurteil festgestellten statistischen Analysen, epidemiologischen Studien, Metaanalysen, Entwicklung von Risikomodellen, Berechnung neuer Daten, Verknüpfung vorhandener Daten und Entwicklung neuer Methoden sowie die Neuentwicklung von Risikomodellen sind als wissenschaftliche Forschung i. S. d. § 7 Nr. 3 BNV und nicht lediglich als "wissenschaftliches Handwerk" zu qualifizieren. Das gilt unabhängig davon, ob man die Formulierung in § 7 Nr. 3 BNV "auf dem Gebiet" (der wissenschaftlichen Forschung) als eine Erweiterung des Forschungsbegriffs sieht oder nicht; jedenfalls handelt es sich - entgegen der Annahme der Revision - nicht um eine Verengung des Forschungsbegriffs.
28 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.