Beschluss vom 27.03.2025 -
BVerwG 6 AV 1.25ECLI:DE:BVerwG:2025:270325B6AV1.25.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.03.2025 - 6 AV 1.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:270325B6AV1.25.0]

Beschluss

BVerwG 6 AV 1.25

  • VG Gera - 04.03.2025 - AZ: 2 K 150/25 Ge

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. März 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Steiner und Dr. Gamp
beschlossen:

Als zuständiges Gericht für die Entscheidung über die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs und weitere damit zusammenhängende Ansprüche wird das Amtsgericht Gera bestimmt.

Gründe

I

1 Der Kläger erhob beim Verwaltungsgericht Gera Klage auf Herausgabe seines Kraftfahrzeugs gegen den "Trachtenträgerverein POLIZEI Schleiz e.V." und forderte später zudem Schadensersatz. Der Pkw war im September 2023 von der Polizei zum Zweck der Gefahrenabwehr sichergestellt worden, da der Kläger damit am Straßenverkehr teilnahm, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Nachdem das Fahrzeug aus der Verwahrung entwendet worden war, wurde es durch die Staatsanwaltschaft zur Fahndung ausgeschrieben und am 17. April 2024 beschlagnahmt.

2 Mit Beschluss vom 30. August 2024 erklärte das Verwaltungsgericht Gera nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Gera. Die Polizeibeamten seien als Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft zum Zweck der Strafverfolgung tätig geworden. Deshalb seien die ordentlichen Gerichte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG zuständig. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat die gegen die Verweisung erhobene Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 15. Oktober 2024 verworfen.

3 Das Amtsgericht Gera lehnte mit Beschluss vom 21. Januar 2025 (Az. 1 C 54/25) die Übernahme des Verfahrens ab. Die Verweisung sei willkürlich und deshalb nicht bindend. Der Kläger begehre wohl wahlweise Schadensersatz von dem Vorsitzenden oder dem "Trachtenträgerverein Polizei Schleiz e.V." aufgrund der Sicherstellung eines Fahrzeugs, die nicht im Sprengel des Amtsgerichts Gera vollzogen worden sei. Sollte das Verwaltungsgericht den Freistaat Thüringen als Beklagten ansehen, wäre die Sicherstellung hoheitlich erfolgt, so dass eine amtsgerichtliche Zuständigkeit ausgeschlossen sei. Im Übrigen sei die Sache mangels Zustellungsverfügung nicht rechtshängig geworden.

4 Das Verwaltungsgericht Gera hat mit Beschluss vom 4. März 2025 das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen.

II

5 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Gera und dem Amtsgericht Gera berufen.

6 Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben.

7 2. Für die Entscheidung über das von dem Kläger zuerst geltend gemachte und als solches zutreffend vom Verwaltungsgericht verstandene Begehren, den Freistaat Thüringen zur Herausgabe seines Fahrzeugs zu verurteilen, ist das Amtsgericht Gera als Strafgericht durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 30. August 2024 zuständig geworden. Soweit der Ausspruch des Verweisungsbeschlusses von Gesetzes wegen Bindungswirkung beansprucht, liegt kein Grund für eine Durchbrechung vor.

8 a) Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 30. August 2024 ist unanfechtbar geworden, nachdem das Thüringer Oberverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers verworfen hat. Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung träte auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4).

9 b) Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich der bindende Ausspruch der Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass er schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <48 f.>, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4, vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10 und vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1 und 2.21 - juris Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10 - ‌MDR 2011, 253 und vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497).

10 c) Im vorliegenden Fall beansprucht der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 30. August 2024 Bindungswirkung insoweit, als der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten unzulässig und das Amtsgericht Gera in seiner Funktion als Strafgericht zuständig ist. Diese Annahme begegnet keinen Bedenken und erscheint schon gar nicht willkürlich.

11 d) Demgegenüber äußert der Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 21. Januar 2025, mit dem dieses die Übernahme der Rechtssache abgelehnt und damit den Rechtsstreit der Sache nach an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen hat, keine Bindungswirkung. Der Amtsrichter hat verkannt, dass er an die Verweisung gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Variante der Strafgerichtsbarkeit gebunden ist. Seine schon in der Vergabe des Aktenzeichens zum Ausdruck kommende Annahme, er habe als Zivilgericht zu entscheiden, missachtet die Bindungswirkung der Verweisung an ein ordentliches Gericht in dessen Funktion als Strafgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2020 - 1 ARs 3/20 - NStZ-RR 2021, 52 Rn. 19; BVerwG, Beschluss vom 6. Januar 2025 - 6 AV 3.24 - NVwZ 2025, 433 Rn. 11).

12 Dahinstehen kann, ob Rückverweisungen generell wegen ihrer greifbaren Gesetzwidrigkeit infolge der offensichtlichen Missachtung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG überhaupt eine Bindungswirkung auszulösen vermögen (wohl für möglich erachtet von BGH, Beschluss vom 24. Februar 2000 - III ZB 33/99 - ‌NJW 2000, 1343 <1344>). Denn eine solche Annahme lädt zu Weiter- oder Rückverweisungen ein und konterkariert somit das Anliegen des Gesetzes, die Zuständigkeitsfrage im Prozess alsbald für alle Gerichte abschließend und verbindlich zu klären. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber eine Verweisung im Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsrechtlichen Verfahrens (Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung - 4. VwGOÄndG) vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809) nicht nur mit einer ab-, sondern auch mit einer aufdrängenden Wirkung versehen (BT-Drs. 11/7030 S. 36 f.). Das legt es nahe, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass Rückverweisungen grundsätzlich keine Bindungswirkung auslösen und die gerichtliche Zuständigkeit nicht konstitutiv zu verändern vermögen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2020 - 6 AV 3.20 - NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 18 f.).

13 Jedenfalls erweist sich der Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 21. Januar 2025 auch aus inhaltlichen Gründen als willkürlich und vermag schon deshalb keine Bindungswirkung zu äußern. Die Annahme des Amtsrichters, der sich selbst als "Bürger des Staates - Deutsches Reich" bezeichnende Kläger wolle zivilrechtliche Ansprüche gegen den "Trachtenträgerverein Polizei Schleiz e.V." oder dessen "Vorsitzenden" geltend machen, erweist sich bei verständiger Würdigung des Beteiligtenvorbringens als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar. Willkürlich erscheint auch die rechtliche Annahme, bei einer hoheitlichen Sicherstellung (richtig: Beschlagnahme) sei eine amtsgerichtliche Zuständigkeit ausdrücklich ausgeschlossen. Damit verkennt der Amtsrichter die Regelungen des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sowie des § 23 Abs. 1 und 3 EGGVG, ohne sich damit auseinanderzusetzen, obwohl der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ausdrücklich auf diese Vorschriften gestützt war. Schließlich geht sein Hinweis auf eine mangelnde Rechtshängigkeit der Streitsache angesichts der - freilich vom Zivilprozessrecht (§ 261 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 1 ZPO) abweichenden - Regelung des § 90 Satz 1 VwGO offensichtlich fehl.