Beschluss vom 26.06.2007 -
BVerwG 1 WB 40.06ECLI:DE:BVerwG:2007:260607B1WB40.06.0

Leitsätze:

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Erklärungen, Handlungen oder Unterlassungen des Dienstherrn in einem Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten stellen keine Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 3 WBO dar und können deshalb nicht gerichtlich angegriffen werden.

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    BVerwG, Beschluss vom 26.06.2007 - 1 WB 40.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:260607B1WB40.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 40.06

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
sowie
Oberst i.G. Orth und
Major Engelmann
als ehrenamtliche Richter
am 26. Juni 2007 beschlossen:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt die gerichtliche Überprüfung von Angaben, die der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - in einem früheren Wehrbeschwerdeverfahren des Antragstellers vor dem Bundesverwaltungsgericht gemacht hat.

2 Der 1967 geborene Antragsteller ist Berufssoldat mit der verwendungsbezogenen besonderen Altersgrenze der Vollendung des 41. Lebensjahres. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit Ablauf des 31. Juli 2008 enden. Zum Major wurde er am 26. Mai 2004 ernannt. Seit dem 1. Oktober 2003 wird er auf dem Dienstposten eines Waffensystemstabsoffiziers in der ... Fliegenden Staffel des Jagdgeschwaders ... in N. verwendet.

3 Im Jahre 2004 hatte der Antragsteller die Freistellung vom militärischen Dienst beantragt, um im Rahmen der vorgezogenen Berufsausbildung ein Studium der Psychologie aufnehmen zu können. Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 lehnte das Personalamt der Bundeswehr den Antrag aus Bedarfsgründen ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers vom 4. März 2005 blieb ebenso erfolglos wie sein anschließender Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 17. Juni 2005 (Beschluss vom 28. März 2006 - BVerwG 1 WB 33.05 -).

4 Mit Schreiben vom 3. Mai 2006 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die „falschen Angaben“ des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 -, die dieser in dem genannten Wehrbeschwerdeverfahren gemacht habe und die die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu seinen, des Antragstellers, Ungunsten beeinflusst hätten. Im Einzelnen führt der Antragsteller neun Punkte an.

5 Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - wies mit Schreiben vom 12. Juni 2006 den Antragsteller darauf hin, dass sein Schreiben auslegungsfähig sei; insbesondere käme eine Bearbeitung als Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht. Mit Schreiben vom 21. Juni 2006 erklärte der Antragsteller, dass er seine Beschwerde auf § 1 Abs. 1 WBO sowie den im Schreiben vom 3. Mai 2006 aufgeführten Sachverhalt gründe.

6 Der Bundesminister der Verteidigung bewertete daraufhin die Beschwerde vom 3. Mai 2006 als Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht - Wehrdienstsenate - und legte sie mit seiner Stellungnahme vom 1. August 2006 dem Senat vor.

7 Mit Schreiben vom 18. Juli 2006 erhob der Antragsteller eine „weitere Untätigkeitsbeschwerde“ gemäß § 16 Abs. 2 WBO, weil über seine Beschwerde vom 3. Mai 2006 noch nicht entschieden worden sei. Auch diese Beschwerde, die er als ergänzenden Vortrag des Antragstellers zu seinem bisherigen Vorbringen wertete, legte der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Schreiben vom 2. August 2006 dem Senat vor.

8 Zur Begründung seines Antrags verweist der Antragsteller im Wesentlichen auf sein Beschwerdeschreiben vom 3. Mai 2006. Mit Schreiben vom 13. September 2006 reichte der Antragsteller außerdem ein Dokument (STAN-Nr.: 5215274 vom 1. Februar 2005) nach, aus dem sich ebenfalls die Unrichtigkeit einzelner Aussagen des Bundesministers der Verteidigung in dem Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 33.05 ergebe. Der Antragsteller bittet das Gericht, die von ihm angeführten Aussagen des Bundesministers der Verteidigung in dem Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 33.05 zu überprüfen.

9 Der Bundesminister der Verteidigung regt an,
den Antrag zurückzuweisen.

10 Die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu bewertende Beschwerde vom 3. Mai 2006 sei unzulässig, weil der Antrag keine truppendienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 WBO zum Gegenstand habe. Im gerichtlichen Verfahren stünden sich die Beteiligten nicht in einem Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, sondern einander gleichberechtigt gegenüber. Die vom Bundesminister der Verteidigung in dem Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 33.05 gemachten Angaben könnten daher nicht verselbständigt und zum Gegenstand eines neuen Beschwerdeverfahrens gemacht werden. Im Übrigen seien die gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht abgegebenen Stellungnahmen inhaltlich zutreffend gewesen. Eine Behandlung des Begehrens des Antragstellers als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens BVerwG 1 WB 33.05 komme nicht in Betracht, da der Antragsteller ausdrücklich um eine Bearbeitung als Beschwerde gebeten habe; auch liege ein Wiederaufnahmegrund im Sinne der §§ 578 ff. ZPO nicht vor.

11 Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - 506/06 -, die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A und C, sowie die Gerichtsakte BVerwG 1 WB 33.05 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

12 Der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller hat keinen förmlichen (Sach-)Antrag gestellt. Bei sach- und interessengerechter Auslegung seines Vorbringens beantragt er sinngemäß, festzustellen, dass die - von ihm im Einzelnen angeführten - Erklärungen des Bundesministers der Verteidigung in dem Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 33.05 unrichtig sind. Der mit Schreiben vom 18. Juli 2006 erhobenen „weiteren Untätigkeitsbeschwerde“, weil über die Beschwerde vom 3. Mai 2006 noch nicht entschieden worden sei, kommt keine darüber hinausgehende eigenständige Bedeutung zu; sie ist mit der Vorlage der Beschwerde vom 3. Mai 2006 an den Senat (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 3 WBO) erledigt. Die Beschwerde vom 3. Mai 2006 ist schließlich auch zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung behandelt worden, weil für die Überprüfung von Entscheidungen oder Maßnahmen des Bundesministers der Verteidigung unmittelbar das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist (§ 21 Abs. 1 WBO).

13 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil die von dem Antragsteller beanstandeten Erklärungen des Bundesministers der Verteidigung gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht in dem Wehrbeschwerdeverfahren BVerwG 1 WB 33.05 keine Maßnahmen sind, die zum Gegenstand eines selbständigen Antragsverfahrens gemacht werden können.

14 Der Begriff der Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 (i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1) WBO bzw. hier des § 21 Abs. 1 WBO setzt eine dem öffentlichen Recht zugehörige Handlung eines Vorgesetzten (oder einer Dienststelle der Bundeswehr) voraus, die im Verhältnis der Über- und Unterordnung getroffen oder erbeten wird; dabei kommt es nicht darauf an, ob sie auch auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen abzielt (stRspr, grundlegend: Beschlüsse vom 25. März 1976 - BVerwG 1 WB 105.75 - BVerwGE 53, 160 <161> und vom 12. November 1986 - BVerwG 1 WB 127.83 , 97.84 - BVerwGE 83, 242 <246>). Erklärungen, die der Dienstherr als Prozessbeteiligter im Rahmen eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens abgibt, sind keine derartigen Maßnahmen aufgrund eines Über- und Unterordnungsverhältnisses.

15 Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits früh entschieden, dass Handlungen oder Unterlassungen des Dienstherrn in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Maßnahmen im Sinne der Beschwerdeordnung darstellen und nicht zum Gegenstand eines Verfahrens vor den Wehrdienstgerichten gemacht werden können (Beschluss vom 28. Juli 1965 - BVerwG 1 WB 19.65 - BDHE 7, 163). Der Dienstherr handelt insoweit nicht aufgrund eines Vorgesetztenverhältnisses. Im verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren stehen sich die Beteiligten vielmehr gleichberechtigt gegenüber.

16 Diese Grundsätze gelten auch für Handlungen oder Unterlassungen von Beteiligten im Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten nach den §§ 17, 21 WBO (vgl. - auch zum Folgenden - Beschlüsse vom 17. November 1969 - BVerwG 1 WB 70.69 - BVerwGE 43, 28 und vom 25. März 1976 - BVerwG 1 WB 105.75 - BVerwGE 53, 160; Böttcher/Dau, WBO, 4. Aufl., § 1 Rn. 103 m.w.N.). Auch wenn es sich dabei nicht um einen Parteienprozess im eigentlichen Sinne handelt, so begegnen sich doch auch im Antragsverfahren, jedenfalls vom Zeitpunkt der Gerichtshängigkeit an, die bisher im Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis zueinander stehenden Personen nunmehr in einer der Beteiligung im Verwaltungsstreitverfahren ähnlichen Stellung. Ihre Erklärungen sind nicht mehr vom Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis bestimmt. Sie unterliegen wie im Verwaltungsprozess dem Untersuchungsgrundsatz. Der Hoheitsträger hat damit auch hier nicht mehr Rechte als der der Hoheitsgewalt Unterworfene, dieser aber alle Möglichkeiten, das Gericht auf den etwa unzutreffenden Sachvortrag des Gegners hinzuweisen. Dessen im Laufe des Verfahrens abgegebene Erklärungen zur Sache haben mithin, soweit sie der Erfüllung der durch die Prozessordnung auferlegten Verpflichtungen dienen, grundsätzlich nicht den Charakter einer Maßnahme im Sinne der Wehrbeschwerdeordnung. Erklärungen eines Beteiligten im gerichtlichen Verfahren können deshalb auch hier nicht verselbständigt und isoliert zum Gegenstand eines neben der Hauptsache herlaufenden neuen Antragsverfahrens gemacht werden.

17 Nach diesen Maßstäben liegt dem Klagebegehren des Antragstellers keine (truppendienstliche) Maßnahme des Bundesministers der Verteidigung und damit kein tauglicher Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Überprüfung zugrunde. Bei den vom Antragsteller zur Überprüfung gestellten Aussagen des Bundesministers der Verteidigung handelt es sich durchgängig um Erklärungen, die dieser im Rahmen eines anhängigen (und mit Beschluss vom 28. März 2006 abgeschlossenen) Antragsverfahrens vor dem Senat (BVerwG 1 WB 33.05 ) abgegeben hat. Dementsprechend stellt auch die vom Antragsteller gegebene Begründung seines Antrags im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit der - in den Gründen des Beschlusses vom 28. März 2006 zusammengefasst wiedergegebenen - Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung in diesem Verfahren dar. Der Antragsteller greift einzelne Erklärungen des Bundesministers und deren Beurteilung durch das Gericht auf und stellt diesen die von ihm, dem Antragsteller, für richtig gehaltene Sachverhaltsdarstellung und -beurteilung gegenüber. Eine derartige Verselbständigung von Erklärungen, die ein Prozessbeteiligter in einem Antragsverfahren gegeben hat, und deren „Verlagerung“ als Beschwerdegegenstand in ein neues Antragsverfahren ist nach dem Gesagten nicht zulässig.

18 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre im Übrigen auch dann nicht zulässig, wenn man das Vorbringen des Antragstellers - was es der Sache nach darstellt - als Fortführung des Wehrbeschwerdeverfahrens BVerwG 1 WB 33.05 auffassen würde. In diesem Falle steht einer nochmaligen Sachprüfung die Rechtskraft des Beschlusses vom 28. März 2006 entgegen (zur formellen und materiellen Rechtskraftfähigkeit wehrdienstgerichtlicher Entscheidungen vgl. Beschlüsse vom 5. Dezember 1968 - BVerwG 1 WB 81.68 - BVerwGE 33, 228 und vom 18. Februar 1982 - BVerwG 1 WB 41.81  BVerwGE 73, 348).

19 Eine Fortführung des Wehrbeschwerdeverfahrens BVerwG 1 WB 33.05 kommt schließlich nicht unter dem Gesichtspunkt einer - auch in Wehrbeschwerdesachen grundsätzlich statthaften (vgl. Beschluss vom 9. September 1976 - BVerwG 2 WBW 1.75 - BVerwGE 53, 188) - Wiederaufnahme des Verfahrens (entsprechend § 153 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO) in Betracht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das vom Antragsteller ausdrücklich als Beschwerde nach § 1 WBO bezeichnete Schreiben vom 3. Mai 2006 als (prozessualer) Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ausgelegt werden könnte. Jedenfalls aber sind Wiederaufnahmegründe im Sinne der §§ 579 ff. ZPO weder vom Antragsteller vorgetragen noch sonst ersichtlich.

20 Dem Antragsteller waren keine Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht vorliegen.