Beschluss vom 25.09.2024 -
BVerwG 9 B 25.24ECLI:DE:BVerwG:2024:250924B9B25.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.09.2024 - 9 B 25.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:250924B9B25.24.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 25.24

  • VGH München - 22.01.2024 - AZ: 8 A 22.40039

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. September 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung der Oberpfalz vom 31. Januar 2014 in der Fassung des Planfeststellungsänderungs- und -ergänzungsbeschlusses vom 5. April 2022 für die Bundesstraßen 15/16 - Ausbau der Nordgaustraße mit Neubau der Sallerner Regenbrücke und Umbau des Lappersdorfer Kreisels. Er ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er eine Gärtnerei mit Anbau- und Verkaufsflächen betreibt. Dieses Grundstück soll vorhabenbedingt mit einer Fläche von 3 030 m2 dauerhaft und mit einer Fläche von 2 750 m2 vorübergehend in Anspruch genommen werden.

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage mit Urteil vom 22. Januar 2024 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II

3 1. Die allein auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Revision ist nicht zuzulassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht dadurch gegen seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, dass er keine weiteren Sachverständigengutachten mehr eingeholt hat.

4 Die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens kann nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 412 ZPO (analog) oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde unterbleiben, wenn bereits Gutachten vorliegen, die zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ausreichen. Dabei kann sich das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auch auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt hat. Eine Pflicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht nur dann, wenn sich aufdrängt, dass die vorliegenden Erkenntnismittel als Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung nicht geeignet sind. Dies ist der Fall, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel aufweisen, nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen, unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bieten (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - UPR 2023, 20 Rn. 25 m. w. N.).

5 Hiervon ausgehend durfte der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz von der Einholung weiterer Sachverständigengutachten absehen.

6 a) Der Verwaltungsgerichtshof musste kein weiteres Verkehrsgutachten einholen, um die Notwendigkeit des Vorhabens (Planrechtfertigung) hinsichtlich des Verkehrsaufkommens zu überprüfen, wie es der Kläger vorsorglich (bedingt) in der mündlichen Verhandlung beantragt hatte (vgl. Protokoll S. 6).

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Nichteinholung eines weiteren Verkehrsgutachtens wie folgt begründet (VGH Rn. 31 ff.): Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterlägen Verkehrsprognosen nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Sie seien lediglich daraufhin zu überprüfen, ob sie methodisch einwandfrei erarbeitet worden seien, nicht auf unrealistischen Annahmen beruhten und ob das Prognoseergebnis einleuchtend begründet worden sei. Hiervon ausgehend habe er keine Bedenken an der Verwertbarkeit der Verkehrsuntersuchung vom 16. Dezember 2019. Die u. a. verwendeten Zahlen aus der amtlichen Verkehrszählung 2015 seien im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsänderungs- und -ergänzungsbeschlusses (5. April 2022) nicht überholt gewesen. Die Straßenverkehrszählung finde alle fünf Jahre statt. Die für 2020 angesetzte Zählung sei pandemiebedingt auf das Jahr 2021 verschoben worden; allerdings hätten die Ergebnisse erst später vorgelegen. Dass die Daten aus der Verkehrszählung 2015 nicht mehr hinreichend aktuell gewesen seien, habe der Kläger nicht aufgezeigt; insoweit fehlten konkrete Anhaltspunkte oder Indizien. Im Übrigen habe der Verkehrsgutachter die Aktualität seiner Verkehrsuntersuchung in der mündlichen Verhandlung bekräftigt. Insbesondere habe er die vom Kläger aufgestellte Behauptung, der Rückgang sei wegen neuerer Mobilitätsentwicklungen (Carsharing, Homeoffice, Wohnen abseits der Städte) nicht nur ein vorübergehender, zurückgewiesen; neuere örtliche Untersuchungen in Bayern hätten innerorts fast wieder das Niveau von 2019 ergeben. Der Kläger habe die fehlende Eignung der Verkehrsuntersuchung nicht aufgezeigt; eine weitere Beweisaufnahme dränge sich nicht auf.

8 Diesen plausiblen Erwägungen setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen. Soweit sie angibt, man habe den Prognosehorizont einfach von 2020 auf das Jahr 2035 verschoben, ohne hierbei die pandemiebedingten Rückgänge sowie Neuentwicklungen hinsichtlich Carsharing und Home-Office und das Wohnen auf dem Land zu berücksichtigen, deshalb könne es ebenso gut sein, dass die vorhandenen Verkehrstrassen ausreichend seien und das Vorhaben nicht gerechtfertigt sei, wiederholt sie lediglich ihre frühere Kritik, mit der sich der Verwaltungsgerichtshof − wie aufgezeigt − bereits ausführlich auseinander gesetzt hat.

9 b) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass der Verwaltungsgerichtshof kein Sachverständigengutachten zur Realisierbarkeit der Verschiebung der Trassenführung nach Norden eingeholt hat.

10 Der − ebenfalls bedingt gestellte − Beweisantrag war laut Protokoll der mündlichen Verhandlung (S. 13) auf die Feststellung gerichtet, "dass es technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist, die planfestzustellende Trasse vor dem Grundstück des Einwendungsführers weiter nach Norden zu verschieben, so dass wesentlich weniger Fläche des Einwendungsführers in Anspruch genommen werden muss (sowohl dauerhaft als auch vorübergehend) und wesentlich weniger schädliche Umwelteinwirkungen in Richtung seines Wohnanwesens und seines Betriebs emittiert werden." Der Kläger bestritt in diesem Zusammenhang die Behauptung von Planfeststellungsbehörde und Vorhabenträger, dass für eine Verschiebung unverhältnismäßige Aufwendungen anfielen.

11 Der Verwaltungsgerichtshof (VGH Rn. 44 ff.) ist der angeregten Beweiserhebung unter Bezugnahme auf die Grobanalyse der Planfeststellungsbehörde nicht nachgekommen. Diese hatte eine nördliche Trassenvariante verworfen, weil sich u. a. durch das Unterführungsbauwerk im Zuge der A 93 ein Zwangspunkt für die Linienführung ergäbe. Der Bau einer neuen Unterführung weiter nördlich wäre technisch sehr aufwendig und finanziell teuer, die Baudurchführung unter Aufrechterhaltung des Verkehrs auf der A 93 schwierig. Zudem wäre das städtische Ortsstraßennetz an eine neue Trassierung im Norden in größerem Umfang anzupassen als bei der gewählten Lösung. Im Norden müsste der Regen schrägwinklig gequert werden; das entsprechend längere und teurere Brückenbauwerk griffe stärker in das FFH-Gebiet Nr. DE 6741-371 "Chamb, Regentalaue und Regen zwischen Roding und Donaumündung" ein. Mit diesen plausiblen Erwägungen habe sich der Kläger nicht hinreichend auseinandergesetzt. Der Vorhalt, ein Mehraufwand für die Trassenverschiebung nach Norden sei nicht nachvollziehbar ermittelt und begründet worden, verkenne, dass die Planfeststellungsbehörde den Sachverhalt nur so weit klären müsse, wie dies für eine sachgerechte Entscheidung und eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrens erforderlich sei. Dies habe sie vorliegend abwägungsfehlerfrei getan; der Verwaltungsgerichtshof belegt dies mit näheren Angaben im Planfeststellungsbeschluss (S. 168 f., 539 f., 544). Der Grobanalyse liege auch eine ausreichende Ermittlungstiefe zugrunde. Dass die Einbindung des bestehenden Unterführungsbauwerks der A 93 bautechnisch und finanziell vorteilhaft sei, liege auf der Hand; einer detaillierten Kostenschätzung habe es nicht bedurft. Die Behauptung des Klägers, eine Verlegung des "nördlichen Brückenkopfes" um nur wenige Dutzend Meter sei technisch und finanziell ohne großen Mehraufwand möglich und verbessere den Verkehrsfluss, sei durch nichts belegt. Im Übrigen verkenne der Kläger mit seinem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Möglichkeit der Trassenverschiebung den rechtlichen Maßstab: Es sei nicht entscheidungserheblich, ob eine nördliche Trassierung "technisch möglich" wäre. Vielmehr liege ein Abwägungsfehler erst dann vor, wenn sich die im Rahmen einer Grobanalyse verworfene, nicht näher untersuchte Lösung hätte aufdrängen müssen. Dies sei nicht der Fall.

12 Auch hier setzt die Beschwerde der ausführlichen und nachvollziehbaren Urteilsbegründung nichts Durchgreifendes entgegen. Vielmehr führt sie lediglich an, die Erwägungen des Ausgangsgerichts zur Verschiebung der Trasse nach Norden seien "technisch und finanziell nicht hinreichend belegt."

13 c) Schließlich bleibt auch die Verfahrensrüge einer mangelhaften Beweiserhebung hinsichtlich einer Gesamtbetrachtung der Umweltauswirkungen des Vorhabens ohne Erfolg.

14 Auch insoweit ist der Verwaltungsgerichtshof bereits ausführlich im Urteil auf die klägerische Kritik eingegangen. Er hat hierzu − unter Angabe der jeweiligen Fundstellen im Planfeststellungsänderungs- und -ergänzungsbeschluss sowie in den Planunterlagen − ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Klägers seien nicht nur einzelne Vorhabenteile isoliert betrachtet worden, sondern man habe die gesamte Straßenbaumaßnahme in den Blick genommen. Dass die vom Vorhabenträger vorgelegte Unterlage zur Umweltverträglichkeitsprüfung die artenschutzrechtliche Beurteilung gegliedert nach den Bauabschnitten "Regenbrücke" und "Lappersdorfer Kreisel" dargestellt habe, ändere daran nichts. Auch hinsichtlich der einzelnen Schutzgüter fehle es nicht an einer Gesamtbewertung. Diese habe ergeben, dass nur lokal bedeutsame, vertretbare Umweltauswirkungen zu erwarten seien, die dem Vorhaben nicht entgegenstünden. Soweit der Kläger die Bewertung hinsichtlich der Schutzgüter Stadtklima und Lufthygiene angreife, könne er nicht durchdringen. Die vom Vorhabenträger eingeholten Gutachten stützten die Aussage, dass es sich insoweit nur um lokal bedeutsame, vertretbare Umweltauswirkungen handele. Das Stadtklima - vor allem die Kalt- und Frischluftzufuhr der Innenstadt Regensburgs - werde durch das Vorhaben nur unwesentlich beeinträchtigt. In lufthygienischer Hinsicht sei eine Überschreitung der Grenzwerte der 39. BImSchV nicht zu besorgen. Wechselwirkungen oder Summationseffekte zwischen diesen beiden Schutzgütern sind weder aufgezeigt noch sonst erkennbar.

15 Auch hier fehlt in der Beschwerdebegründung jede nähere Auseinandersetzung mit der vorstehenden Argumentation des Gerichts.

16 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 34.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.