Beschluss vom 25.06.2009 -
BVerwG 9 B 20.09ECLI:DE:BVerwG:2009:250609B9B20.09.0
Beschluss
BVerwG 9 B 20.09
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Prof. Dr. Korbmacher
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25 963,25 € festgesetzt.
Gründe
1 Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
2 Die mit der Beschwerde erhobene Rüge einer Verletzung des § 88 VwGO durch den Verwaltungsgerichtshof greift nicht durch. Nach dieser Vorschrift darf das Gericht zwar über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden, hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln (vgl. Urteil vom 30. Juli 1976 - BVerwG 4 C 15.76 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 5; Beschluss vom 5. Februar 1998 - BVerwG 2 B 56.97 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 72.90 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 19).
3 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Umfang des Klagebegehrens nicht verkannt. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger die Neuberechnung des mit bestandskräftigem Beitragsbescheid vom 30. Oktober 2007 festgesetzten fiktiven Geschossflächenbeitrags nach § 5 Abs. 6 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten begehrt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesem Begehren den Erfolg versagt und dies mit dem Fehlen einer wirksamen satzungsrechtlichen Grundlage für die begehrte Neuberechnung begründet. Der gesamte Beitragsteil der Satzung sei wegen einer mangelhaften Regelung des Beitragsmaßstabs unwirksam, weswegen es auch keine satzungsrechtliche Grundlage für eine Neuberechnung der beitragspflichtigen Geschossfläche gebe. Das Berufungsgericht hat dann weiter geprüft, ob eine „Umdeutung oder Auslegung des Klagebegehrens auch auf eine (isolierte) teilweise Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Beitragsbescheids vom 30. Oktober 2007“ in Betracht kommt. Dies hat es verneint, da Streitgegenstand der Klage eine gebundene Entscheidung der Beklagten wegen der nach Erlass des Beitragsbescheides erfolgten Bebauung des Grundstücks mit einem Geräteschuppen sei. Die ausdrücklich beantragte Rechtsentscheidung enthalte auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung des Klägers nicht zugleich einen Antrag auf Rücknahme der mit Bescheid vom 30. Oktober 2007 erfolgten Beitragsveranlagung. Denn die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts erfordere gemäß Art. 48 BayVwVfG eine Ermessensentscheidung, zu der die Beklagte mangels entsprechender Antragstellung durch den Kläger keinen Anlass gehabt habe.
4 Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Verlangen nach Rücknahme des Beitragsbescheides werde von dem ursprünglichen Streitgegenstand nicht umfasst, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch (Klagebegehren) sowie den zugrunde liegenden Sachverhalt (Klagegrund) bestimmt (Beschluss vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 47.06 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 1 S. 4 m.w.N.). Hiernach lag ein neuer Streitgegenstand in dem in der mündlichen Verhandlung als Reaktion auf den rechtlichen Hinweis des Berufungsgerichts erfolgten Vortrag des Klägers, Ziel seiner Klage sei es letztlich auch, den bestandskräftigen Beitragsbescheid vom 30. Oktober 2007 wegen fehlender satzungsrechtlicher Grundlage im Wege einer Ermessensentscheidung aufzuheben zu lassen.
5 Dieser zusätzliche Streitgegenstand hätte nur im Wege einer zulässigen Klageänderung gemäß § 91 VwGO in das Verfahren einbezogen werden können (vgl. Urteil vom 18. August 2005 - BVerwG 4 C 13.04 - BVerwGE 124, 132 <135>). Eine solche lag jedoch nicht vor. Weder hat die Beklagte in die Klageänderung eingewilligt, noch hat das Berufungsgericht die Sachdienlichkeit der Klageänderung bejaht. In der Stellung des Klageabweisungsantrags kann keine schlüssige Einwilligung im Sinne des § 91 Abs. 2 VwGO gesehen werden. Der Begriff der Einlassung in § 91 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass sich der Beklagte mit Sachvortrag inhaltlich zur geänderten Klage äußert (Urteil vom 7. Februar 1974 - BVerwG 5 C 14.73 - juris; ebenso Ortloff/Riese, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 91 Rn. 67; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 91 Rn. 28; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 91 Rn. 17). Daran fehlt es hier.
6 Das Berufungsgericht hat die Sachdienlichkeit der Klageänderung mit seinen Ausführungen zur fehlenden Umdeutungsmöglichkeit des Klagebegehrens konkludent verneint. Auch insoweit ist ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensfehler nicht erkennbar. Offen bleiben kann daher, ob eine zu Unrecht verneinte Sachdienlichkeit überhaupt einen selbständigen Beschwerdegrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellen kann (verneinend Ortloff/Riese a.a.O. Rn. 76 f.; bejahend Wolff, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 91 Rn. 31). Die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, liegt im Ermessen der darüber entscheidenden Instanz. Das Revisionsgericht darf nur prüfen, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenze seines Ermessens überschritten hat (Urteil vom 18. August 2005 a.a.O. S. 136). Eine Klageänderung ist in der Regel als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (Urteile vom 27. Februar 1970 - BVerwG 4 C 28.67 - Buchholz 310 § 91 VwGO Nr. 6; vom 22. Februar 1980 - BVerwG 4 C 61.77 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 161 und vom 18. August 2005 a.a.O.). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat darauf abgestellt, dass eine Änderung (Umdeutung) der Klage nicht sachdienlich sei, weil der Streitstoff im Wesentlichen nicht derselbe sei. In dieser Begründung ist eine Verletzung des § 91 VwGO nicht erkennbar.
7 Die Entscheidung des Berufungsgerichts begegnet entgegen der Auffassung des Klägers auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bedenken. Effektiver Rechtsschutz wird durch die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erschwert. Hinsichtlich der ablehnenden Entscheidung des Beklagten auf Neuberechnung ist dem Kläger in dem vorliegenden Verfahren vollumfänglich Rechtsschutz gewährt worden. Hinsichtlich des Verlangens nach Rücknahme des bestandskräftigen Ausgangsbescheides fehlt es an einer behördlichen Entscheidung, die Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle hätte sein können. Es ist auch nicht erkennbar und nicht dargetan, dass der Kläger gehindert wäre, die Rücknahme des Bescheides vom 30. Oktober 2007 nunmehr bei dem Beklagten zu beantragen und im Falle der Ablehnung dieses Antrags insoweit um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 2 GKG.