Beschluss vom 24.04.2024 -
BVerwG 1 WB 66.22ECLI:DE:BVerwG:2024:240424B1WB66.22.0

Wechsel der Rechtsgrundlage erfordert neue Anhörung des Personalrats

Leitsatz:

Eine Anhörung des Personalrats zu der beabsichtigten Entlassung eines Soldaten auf Zeit nach § 55 Abs. 5 SG (schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten) genügt nicht den soldatenbeteiligungsrechtlichen Anforderungen, wenn die Entlassung anschließend auf § 55 Abs. 4 Satz 1 SG (mangelnde Eignung für die Laufbahn) gestützt wird.

  • Rechtsquellen
    SG § 55 Abs. 4 und 5
    SBG §§ 17, 21, 24 Abs. 1 Nr. 6, § 63

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.04.2024 - 1 WB 66.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:240424B1WB66.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 66.22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Trares und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Wetzel
am 24. April 2024 beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Recht des Antragstellers, zu der Entlassung des Unteroffiziers F. (Verfügung vom 19. April 2021 - Az. ...) angehört zu werden, verletzt wurde. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, der Örtliche Personalrat beim ..., macht eine Verletzung seiner Beteiligungsrechte bei einer Personalmaßnahme geltend.

2 Der Stabszugführer des ... beantragte als Disziplinarvorgesetzter am 17. Dezember 2020 beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die fristlose Entlassung des Unteroffiziers F. gemäß § 55 Abs. 5 SG wegen eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht. Grundlage war ein bei einer privaten Geburtstagsfeier angefertigtes Foto, das den Soldaten in einem Pullover mit dem Cover des indizierten Albums "Deutsche Wut" der Band "Landser" zeigte und das von dem Bruder des Soldaten in dessen WhatsApp-Status eingestellt und dadurch bekannt wurde. Der Kommandeur des ... stimmte dem Antrag als nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter zunächst zu.

3 Nachdem der Soldat einer Anhörung des Personalrats nicht widersprochen hatte, wurden dem Antragsteller Unterlagen aus dem Entlassungsvorgang zur Verfügung gestellt. In der Sitzung am 10. Februar 2021 fasste die Gruppe der Soldaten den Beschluss, der beabsichtigten fristlosen Entlassung des Unteroffiziers F. nach § 55 Abs. 5 SG nicht zuzustimmen, und forderte die Vorlage weiterer Informationen und Unterlagen an. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass nach Aktenlage und einem persönlichen Gespräch mit dem Soldaten eine verfassungsfeindliche Gesinnung nicht angenommen werden könne. Ein Disziplinarverfahren sei ohne die Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt worden. Auch sei eine Ansehensschädigung durch ein Verbleiben im Dienst nicht gegeben, da die Tat weder in einer militärischen Liegenschaft stattgefunden habe noch einen anderweitigen dienstlichen Bezug aufweise.

4 Auf Grund der Ausführungen des Antragstellers gab der Kommandeur des ... unter dem 4. März 2021 eine weitere Stellungnahme ab, derzufolge er nach einem Gespräch mit dem Soldaten den Sachverhalt als einmaligen Vorfall bewerte und eine Entlassung nicht für gerechtfertigt halte. Mit Schreiben vom 5. März 2021 untermauerte der Stabszugführer seine gegenteilige Position und übermittelte die erbetenen Informationen und Unterlagen. In der Sitzung vom 10. März 2021 schloss sich der Antragsteller der Stellungnahme des Kommandeurs an und lehnte erneut eine Entlassung des Soldaten ab.

5 Unter dem 19. April 2021 verfügte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Entlassung des Soldaten gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG mit Ablauf des 31. Mai 2021. Zwar sei eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG eingeleitet, nach ganzheitlicher Betrachtung jedoch entschieden worden, die Entlassung auf § 55 Abs. 4 Satz 1 SG zu stützen, weil der Soldat den Anforderungen in der Laufbahn der Unteroffiziere nicht gerecht werde. Durch das Tragen des Pullovers habe sich der Soldat als charakterlich ungeeignet für die Funktion eines Vorgesetzten erwiesen. Eine erneute Anhörung hierzu sei nicht erforderlich.

6 Mit Schreiben vom 28. April 2021 erhob der Antragsteller Beschwerde wegen unterbliebener bzw. fehlerhafter Beteiligung in dem Entlassungsverfahren. Zur Begründung führte er aus, seine Stellungnahme vom 10. März 2021 beziehe sich ausschließlich auf eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG. Zu der nunmehr verfügten Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG hätte er erneut angehört werden müssen. Sein Beteiligungsrecht beinhalte nach § 21 Satz 1 SBG eine umfassende Unterrichtung, wozu für eine fallbezogene Stellungnahme auch die Angabe des Entlassungsgrundes gehöre. Soweit an der Entlassung festgehalten werde, sei zudem eine Erörterung nach § 21 Satz 3 SBG erforderlich.

7 Mit Schreiben vom 5. Mai 2021 erhob auch der Soldat Beschwerde gegen seine Entlassung.

8 Mit E-Mail an das Bundesministerium der Verteidigung vom 4. Mai 2021 erklärte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, dass zunächst eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG geprüft, diese jedoch verworfen worden sei. Es sei dann entschieden worden, den Soldaten nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG zu entlassen. Nach ständiger Verwaltungspraxis werde in einem solchen Fall keine erneute Anhörung des Beteiligungsorgans durchgeführt, weil die Rechtsfolge die gleiche sei und die Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG nicht fristlos erfolge und damit eine mildere Maßnahme darstelle. Mit E-Mail vom 11. Mai 2021 forderte das Bundesministerium der Verteidigung das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr auf, das Anhörungsverfahren nachzuholen.

9 Am 23. Juni 2021 erhob der Antragsteller weitere (Untätigkeits-)Beschwerde, weil über seine Beschwerde vom 28. April 2021 nicht innerhalb eines Monats entschieden worden sei.

10 Am 31. August 2021 erörterten der Kommandeur des ... und der Antragsteller das Entlassungsverfahren des Soldaten. Der Kommandeur teilte mit, dass das Erörterungsverfahren noch andauere und weiterer Informationsbedarf bestehe.

11 Der Antragsteller beschloss in seiner Sitzung vom 8. September 2021, der Entlassung des Soldaten nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG nicht zuzustimmen. Der Beschluss sei lediglich vorläufig, weil die am 3. September 2021 zur Verfügung gestellten Verfahrensakten unvollständig seien. Es fehlten Unterlagen des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr und des Bundesamts für den Militärischen Abschirmdienst. Auch sei nicht erkennbar, wer die Entlassung beantragt habe. Die Anhörung hätte vor der Entlassung erfolgen müssen. Die Personalmaßnahme sei nunmehr unheilbar beschädigt und deshalb aufzuheben. Mit einer nachträglichen Heilung bestehe kein Einverständnis, weil das Beteiligungsverfahren nicht mehr ergebnisoffen geführt werde. In der Sache sei die Entlassung unverhältnismäßig, weil es sich um eine einmalige Verfehlung im privaten Umfeld handele und keine weiteren Hinweise auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung des Soldaten vorlägen.

12 Mit Bescheid vom 1. April 2022 wies das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Beschwerde des Soldaten gegen seine Entlassung zurück. Insbesondere seien die Beteiligungsrechte des Antragstellers nicht verletzt worden. Bei der Änderung des Entlassungstatbestands sei keine erneute Anhörung erforderlich gewesen, weil der Sachverhalt unverändert geblieben sei. Bereits durch die erste Anhörung am 10. Februar 2021 seien deshalb die Beteiligungsrechte gewahrt. Darüber hinaus könne die Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden, so dass diese jedenfalls mit der Stellungnahme vom 8. September 2021 und deren Einbeziehung in die Beschwerdeentscheidung nachgeholt worden sei. Dieser Bescheid wurde vom Soldaten nicht angefochten und ist seit dem 17. Mai 2022 bestandskräftig.

13 Die am 23. Juni 2021 eingelegte weitere (Untätigkeits-)Beschwerde des Antragstellers hat das Bundesministerium der Verteidigung als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und dem Senat mit einer Stellungnahme vom 16. September 2022 vorgelegt.

14 Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, § 55 Abs. 4 Satz 1 SG stelle eine von der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG abweichende Rechtsgrundlage dar, die sich im Anwendungsbereich und in der Rechtsfolge unterscheide, so dass eine erneute Anhörung erforderlich gewesen sei. Auch sei die Anhörung nicht ordnungsgemäß nachgeholt worden, da dem Informationsanspruch nicht Genüge getan worden sei und die Stellungnahme lediglich vorläufigen Charakter gehabt habe.

15 Der Antragsteller beantragt,
1. festzustellen, dass die vorzeitige Entlassung des Unteroffiziers F. gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG auf Grund der Verletzung der Beteiligtenrechte des Antragstellers nach § 24 SGB rechtswidrig ist, sowie
2. festzustellen, dass die zuständige Stelle verpflichtet ist, das Anhörungsverfahren für eine Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG nachzuholen.

16 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

17 Der Antrag sei mit Bestandskraft der Personalmaßnahme zwar als Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig, aber unbegründet. Es sei unerheblich, dass die Anhörung zu einer fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG erfolgt sei, während der Soldat dann tatsächlich nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG entlassen worden sei, weil sich der Antragsteller in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2021 bereits mit der Frage der charakterlichen Eignung des Soldaten auseinandergesetzt habe. Jedenfalls sei die Anhörung spätestens am 8. September 2021 nachgeholt worden. Dem Informationsanspruch sei genügt, weil der Sachverhalt auserforscht gewesen sei. Die Frage, wer die Entlassung beantragt habe, sei für die Stellungnahme irrelevant. Gleiches gelte für die angeforderten Unterlagen des Bundesamts für den Militärischen Abschirmdienst, weil diese auf Grund des feststehenden Sachverhalts entbehrlich gewesen seien. Der Erörterungsanspruch sei auch nicht verletzt worden, weil der Antragsteller mit dem Dienststellenleiter in der Angelegenheit in regelmäßigem Austausch gestanden habe.

18 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten verwiesen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

19 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat teilweise Erfolg.

20 1. Der Antrag ist nur hinsichtlich des Sachantrags zu 1 zulässig, hinsichtlich des Sachantrags zu 2 jedoch unzulässig.

21 a) Beruft sich der bei einer Dienststelle der Bundeswehr gebildete Personalrat auf eine Behinderung in seinen Beteiligungsrechten in Angelegenheiten, die nur die Soldaten betreffen, so ist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 17 SBG, § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO - abweichend von § 59 Satz 1 SBG, § 108 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG - der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten gegeben (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 1 WB 25.17 - juris Rn. 25). Dies ist hier der Fall, weil der Antragsteller geltend macht, in seinen Beteiligungsrechten aus §§ 21 und 24 SBG verletzt zu sein. Sachlich zuständig ist gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO das Bundesverwaltungsgericht, nachdem das Bundesministerium der Verteidigung über die Beschwerde des Antragstellers nicht innerhalb eines Monats entschieden hat (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO).

22 b) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Der Personalrat als Gesamtgremium kann in Angelegenheiten, die ausschließlich Soldaten betreffen, deren Rechte im gerichtlichen Antragsverfahren geltend machen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Juni 2014 - 1 WB 29.13 - juris Rn. 20). Angelegenheiten, die allein die Gruppe der Soldaten betreffen, werden zwar materiell nach dem Soldatenbeteiligungsgesetz, formell aber nach § 40 Abs. 2, § 35 Abs. 2 BPersVG behandelt. Dementsprechend macht der Antragsteller auch dann eine Verletzung eigener Beteiligungsrechte geltend, wenn es um Gruppenangelegenheiten der Soldaten geht, über die nach vorheriger gemeinsamer Beratung im Personalrat nur die Angehörigen der Gruppe abstimmen (§ 60 Abs. 3 Satz 3 SBG i. V. m. § 40 Abs. 2 BPersVG). Hieran hat auch die Neufassung von § 63 Abs. 3 SBG nichts geändert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 WB 17.18 - juris Rn. 18).

23 c) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch nur teilweise zulässig.

24 aa) Unzulässig und damit zurückzuweisen ist der auf die Nachholung des Anhörungsverfahrens gerichtete Sachantrag zu 2.

25 Das hier strittige Anhörungsrecht des Antragstellers (§§ 21, 24 SBG) bezieht sich auf die Entlassung von Unteroffizier F. aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 SG. Diese Entlassung ist am 17. Mai 2022 bestandskräftig geworden, nachdem die hiergegen erhobene Beschwerde des Soldaten zurückgewiesen und der Beschwerdebescheid von dem Soldaten nicht angefochten wurde. Damit hat sich zugleich das Beteiligungsverfahren erledigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - NVwZ-RR 2020, 169 Rn. 21). Eine Fortsetzung oder Nachholung - wie sie der Antragsteller mit dem Sachantrag zu 2 begehrt - kommt nicht mehr in Betracht, weil der Zweck der Anhörung nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 18). Denn mit Eintritt der Bestandskraft der Entlassung ist dem Antragsteller die Chance genommen, mit argumentativen Mitteln noch auf die Ermessensentscheidung über die Entlassung Einfluss zu nehmen (zu diesem Zweck der Anhörung vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - NVwZ-RR 2020, 169 Rn. 39 und vom 20. März 2024 - 1 WB 42.22 - juris Rn. 25).

26 bb) Zulässig ist hingegen der Sachantrag zu 1.

27 Allerdings kann der Antragsteller nicht die Feststellung verlangen, dass die Entlassung des Unteroffiziers F. rechtswidrig war. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht die (bestandskräftig gewordene) Entlassungsverfügung vom 19. April 2021, sondern sind nur die Beteiligungsrechte des Antragstellers im Verfahren zum Erlass dieser Verfügung. Nach dem gesamten Vortrag des Antragstellers ist deshalb der Sachantrag zu 1 sachgerecht dahingehend auszulegen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 3 VwGO), dass er die Feststellung begehrt, dass sein Recht, zu der Entlassung des Unteroffiziers F. angehört zu werden, verletzt wurde.

28 Dieser Antrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO). Insbesondere hat der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Überprüfung und der begehrten Feststellung (vgl. zum Folgenden BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 1 WB 25.17 - juris Rn. 28). Es ergibt sich einerseits daraus, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten des Personalrats nicht dadurch verkürzt werden dürfen, dass die personalbearbeitende Stelle mit dem Erlass und Vollzug einer Personalmaßnahme vollendete Tatsachen schafft oder dass die Durchsetzbarkeit von Beteiligungsrechten letztlich davon abhängt, dass der von der Personalmaßnahme betroffene Soldat durch eigene Rechtsbehelfe das Verfahren offenhält. Zum anderen ist Zweck des Beschwerdeverfahrens nach § 17 SBG gerade auch die Klärung von vertretungsrechtlichen Zuständigkeiten, Befugnissen und Pflichten (vgl. zu § 16 SBG a. F. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 1 WB 60.10 - juris Rn. 26 m. w. N. und zu § 17 SBG BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - 1 WB 25.17 - juris Rn. 28). Daher ist ein auf die Voraussetzungen einer Vorschrift, ihre Auslegung und Anwendung gerichteter Feststellungsantrag in einem gerichtlichen Antragsverfahren über Soldatenbeteiligungsrechte regelmäßig dann die gegebene Antragsart, wenn - wie hier - ein konkretes, bereits anhängiges Beteiligungsverfahren den Anlass setzt bzw. im Falle eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gesetzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - NVwZ-RR 2020, 169 Rn. 22 m. w. N.).

29 2. Soweit der Antrag danach zulässig ist, ist er auch begründet. Das Recht des Antragstellers, zu der Entlassung des Unteroffiziers F. (Verfügung vom 19. April 2021) angehört zu werden, wurde verletzt.

30 a) Der Antragsteller war gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 24 Abs. 1 Nr. 6 SBG zu der beabsichtigten Entlassung des Unteroffiziers F. anzuhören.

31 Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 6 SBG soll der nächste Disziplinarvorgesetzte bzw. hier: der Dienststellenleiter (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SBG i. V. m. § 8 BPersVG) bei der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses eines Soldaten, sofern dabei ein Ermessensspielraum besteht, die Vertrauensperson bzw. hier: den Personalrat (§ 63 Abs. 1 Satz 1 SBG) anhören. Sowohl bei der Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG (mangelnde Eignung für die Laufbahn) als auch bei der fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG (schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten) handelt es sich um Ermessensvorschriften in diesem Sinne. Der betroffene Soldat hat die Anhörung des Antragstellers nicht ausdrücklich abgelehnt (§ 24 Abs. 1 vor Nr. 1 SBG). Schließlich ist auch ein atypischer Fall (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 2003 - 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 <31 f.>), bei dem eine Ausnahme von der Soll-Vorschrift in Betracht käme, weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

32 b) Der Antragsteller wurde vor Erlass der Entlassungsverfügung vom 19. April 2021 nicht ordnungsgemäß angehört. Eine Anhörung zu einer beabsichtigten Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG stellt keine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats dar, wenn die verfügte Entlassung anschließend auf § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gestützt wird.

33 aa) Der Gegenstand der Anhörung wird durch den Begriff der "beabsichtigten Maßnahme" bestimmt (siehe § 21 Satz 1 und 2, § 24 Abs. 3 Satz 1 SBG). Aus der "beabsichtigten Maßnahme" leitet sich ab, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang die Vertrauensperson oder der Personalrat rechtzeitig und umfassend zu unterrichten ist (§ 21 Satz 1 SBG); sie bildet den Gegenstand seiner Stellungnahme und deren Erörterung (§ 21 Satz 2 und 3 SBG). Damit eine sachgerechte Beteiligung der Vertrauensperson oder des Personalrats möglich ist, müssen die personalbearbeitende Stelle und der die Anhörung durchführende Disziplinarvorgesetzte bzw. Dienststellenleiter die "beabsichtigte Maßnahme" deshalb hinreichend konkretisieren.

34 Schon aus dem Umstand, dass die Anhörung vor Erlass der "beabsichtigten" Maßnahme (§ 21 Satz 1 SBG) ergehen muss, folgt allerdings, dass der Gegenstand der Anhörung nicht die am Ende des Entscheidungsprozesses stehende Verfügung sein kann. Daher hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zu § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB a. F. entschieden, dass die beabsichtigte Personalmaßnahme nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sein müsse mit den einzelnen Entscheidungen, die später zu ihrer Verwirklichung ergehen. Gerade weil zu Personalmaßnahmen häufig noch Korrekturen erfolgen, die - ohne den wesentlichen Inhalt der Entscheidung zu verändern - zum Beispiel behebbare Rechtsfehler beseitigen oder der "Feinabstimmung" der Maßnahme dienen, löst nicht jede Veränderung die Pflicht zu einer erneuten Anhörung aus. Maßgeblich ist, ob die beabsichtigte Personalmaßnahme - für den betroffenen Soldaten erkennbar - nach Anlass, Ziel und Gegenstand im Kern identisch bleibt und ob auch ein zeitlicher Zusammenhang gewahrt wird (BVerwG, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 - 1 WB 49.07 - BVerwGE 132, 234 Rn. 44 und vom 8. November 2018 ‌- 2 WRB 1.18 - BVerwGE 163, 345 Rn. 16). Dies ist etwa angenommen worden, wenn nach der Anhörung zu einem Disziplinararrest weniger Arresttage als ursprünglich beabsichtigt verhängt werden (BVerwG, Beschluss vom 8. November 2018 - 2 WRB 1.18 - BVerwGE 163, 345 Rn. 19). Etwas anderes gilt allerdings, wenn die später verhängte Maßnahme nicht lediglich ein "minus" zur ursprünglich beabsichtigten Maßnahme darstellt, sondern ein "aluid".

35 bb) Ein solcher Fall ist hier gegeben. Für die vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses des Unteroffiziers F. kam sowohl eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG als auch eine Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG in Betracht. Beide Vorschriften unterscheiden sich in den tatbestandlichen Voraussetzungen: Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde; § 55 Abs. 4 Satz 1 SG hingegen ermöglicht die Entlassung eines Soldaten auf Zeit in den ersten vier Dienstjahren, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen sind, nicht mehr erfüllt. Beide Vorschriften weisen Unterschiede auch auf der Rechtsfolgenseite auf: So eröffnet nur § 55 Abs. 4 SG unter bestimmten Voraussetzungen als milderes Mittel im Verhältnis zur Entlassung die Rückführung in die frühere (niedrigere) Laufbahn (§ 55 Abs. 4 Satz 3 SG); auch bei den Nebenfolgen der Entlassung steht der Soldat bei § 55 Abs. 4 SG günstiger als bei § 55 Abs. 5 SG, weil er im ersteren Fall bei einer nur leicht fahrlässigen Herbeiführung seiner Entlassung eventuelle Ausbildungskosten nicht zu erstatten hat (siehe § 56 Abs. 4 Nr. 2 und 3 SG).

36 cc) Im vorliegenden Fall wurde der Antragsteller vor Erlass der Entlassungsverfügung nur zu einer Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG, nicht aber zu der tatsächlich unter dem 19. April 2021 verfügten Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG angehört.

37 Die Anhörung des Antragstellers wurde ausschließlich unter Bezugnahme auf eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG eingeleitet. Entsprechend sind die Stellungnahmen des Antragstellers vom 10. Februar 2021 und vom 5. März 2021 von dem Entlassungsgrund des § 55 Abs. 5 SG und der dort im Zentrum stehenden Voraussetzung der schuldhaften Dienstpflichtverletzung geprägt; sie heben insbesondere hervor, dass ein gegen den Unteroffizier F. nach § 32 Abs. 1 WDO geführtes disziplinares Ermittlungsverfahren am 3. November 2020 eingestellt worden sei. Auch das Gespräch, das der Kommandeur des ... auf Ersuchen des Antragstellers mit Unteroffizier F. führte, stand ebenso wie die anschließende Stellungnahme des Kommandeurs vom 4. März 2021, mit der er von seiner ursprünglichen Zustimmung zu der Entlassung des Soldaten abrückte, allein unter den Vorzeichen einer Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG.

38 Bis zu der Entlassungsverfügung vom 19. April 2021 wurde der Wechsel der Rechtsgrundlage für die Entlassung von § 55 Abs. 5 SG zu § 55 Abs. 4 Satz 1 SG nicht in das Beteiligungsverfahren eingeführt. Die Anhörung war damit schon diesem Grund nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

39 c) Die Anhörung wurde aber auch nicht im laufenden Beschwerdeverfahren mit heilender Wirkung nachgeholt.

40 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Nachholung einer Anhörung des Personalrats rechtlich möglich, solange die zuständige Stelle bei der Entscheidung über die Personalmaßnahme ihr Ermessen noch ausüben und dabei das Ergebnis einer nachgeholten ordnungsgemäßen Anhörung noch in diese Entscheidung einbeziehen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. April 2023 ‌- 1 WB 47.21 - juris Rn. 51 m. w. N.). Eine Nachholung der Anhörung kommt insbesondere auch in einem offenen Beschwerdeverfahren und bei Berücksichtigung ihrer Ergebnisse in der Beschwerdeentscheidung in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2021 - 1 WDS-VR 16.20 u. a. - juris Rn. 35 m. w. N.). Das Bundesministerium der Verteidigung konnte deshalb auf die Beschwerde des Antragstellers mit E-Mail vom 11. Mai 2021 die beteiligten Stellen anweisen, die Anhörung nachzuholen.

41 Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass die Möglichkeit einer Nachholung mit heilender Wirkung mit dem Zeitpunkt der Erledigung, hier also mit der Bestandskraft der Entlassung des Soldaten am 17. Mai 2022, endet. Ist der von der Personalmaßnahme betroffene Soldat wirksam entlassen, so dass allenfalls eine Neu- bzw. Wiedereinstellung in Betracht käme, so kann eine bis dahin nicht abgeschlossene Nachholung der Anhörung keinen Einfluss mehr auf die hier gegenständliche Entscheidung der personalbearbeitenden Stelle oder auf die Beschwerdeentscheidung ausüben. Eine Anhörung ist deshalb nur dann ordnungsgemäß nachgeholt, wenn sie bis zum Zeitpunkt der Erledigung in allen Schritten vollständig durchgeführt wurde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2024 ‌- 1 WB 42.22 - juris Rn. 32).

42 bb) Nach diesen Maßstäben fehlt es hier im Ergebnis an einer ordnungsgemäßen Nachholung der Anhörung.

43 (1) Ohne Erfolg macht der Antragsteller allerdings geltend, dass er nicht hinreichend unterrichtet worden sei, so dass auch sein nachträglich zu der Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG gefasster Beschluss vom 8. September 2021 nur als vorläufig zu betrachten sei und noch keine (abschließende) Stellungnahme im Sinne von § 21 Satz 2 SBG darstelle.

44 Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Juni 2014 - 1 WB 29.13 - juris Rn. 34 und vom 27. August 2015 - 1 WB 37.14 - juris Rn. 36 m. w. N.) sind gemäß § 21 Satz 1 SBG sämtliche Informationen zu übermitteln, die im Hinblick auf die Aufgaben und Befugnisse der anzuhörenden Stelle innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs für eine sachgerechte Beurteilung der beteiligungspflichtigen Maßnahme und des dieser zugrunde liegenden Sachverhalts von Bedeutung sind. Der genaue Gegenstand und Umfang der mitzuteilenden Informationen richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich sind neben den Aufgaben und Befugnissen der anzuhörenden Stelle die rechtlichen Voraussetzungen sowie diejenigen Kriterien der beteiligungspflichtigen Maßnahme, die voraussichtlich für die spätere Entscheidung maßgeblich sind. Nicht von der Pflicht zur rechtzeitigen und umfassenden Information erfasst sind Umstände, die sich nicht auf die konkret zu treffende Maßnahme beziehen, dafür ohne jede Relevanz sind oder lediglich die (vorbereitende) interne Entscheidungsfindung auf Seiten des Dienstherrn betreffen. Maßgebend ist dabei ein objektiver Maßstab. Außerdem stehen der Vertrauensperson bzw. dem Personalrat keine Informationsrechte über personenbezogene Daten zu, die datenschutzrechtlich für Dritte geschützt sind.

45 Der Antragsteller hat, wie sich aus seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2021 zu der zunächst beabsichtigten Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG ergibt, zahlreiche Unterlagen aus dem disziplinaren Ermittlungsverfahren des Unteroffiziers F. sowie im Nachgang eine Stellungnahme des Disziplinarvorgesetzten zu einem von ihm beschlossenen Fragenkatalog erhalten. Im nachträglichen Beteiligungsverfahren zur Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG wurde dem Antragsteller ausweislich der Stellungnahme vom 8. September 2021 zusätzlich die, nach seinen Worten, umfangreiche Verfahrensakte der Dienststelle übersandt. Soweit der Antragsteller vor diesem Hintergrund pauschal moniert, es fehlten "jedoch die Unterlagen des BAPersBw und ggf. BMAD sowie weitere an dem Verfahren beteiligten Dienststellen und Behörden, die zu einer Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG geführt haben", verkennt er die Reichweite seines Unterrichtungsanspruchs. Dieser beinhaltet keinen umfassenden Anspruch auf Akteneinsicht, weder in die Akten der personalbearbeitenden Stelle noch und erst recht nicht in die Akten weiterer Dienststellen und Behörden. Ausgenommen ist nach dem Gesagten auch der Bereich der (vorbereitenden) internen Entscheidungsfindung auf Seiten des Dienstherrn. Da die Entlassung insoweit keinen Antrag voraussetzt, fehlt zudem dem Einwand des Antragstellers, es sei nicht eindeutig erkennbar, wer die Entlassung nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG beantragt habe, die Relevanz.

46 Wenn sich der Antragsteller daher bei dem vorliegenden fortgeschrittenen Stand der Unterrichtung für nicht hinreichend informiert hält, so wäre er gehalten gewesen, konkrete für seine Beurteilung relevante Unterlagen oder aber konkrete Themen oder Gesichtspunkte, über die er weitere Auskunft begehrt, zu bezeichnen. Belässt er es bei der pauschalen Aktenanforderung, so hat er keinen substantiierten Unterrichtungsmangel, dem die Dienststelle nachgehen müsste, geltend gemacht. Er muss dann auch sein Schreiben vom 8. September 2021 mit dem dort mitgeteilten und ausführlich begründeten Beschluss, der Entlassung des Unteroffiziers F. nicht zuzustimmen, als Stellungnahme im Sinne von § 21 Satz 2 SBG gegen sich gelten lassen.

47 (2) Allerdings fehlt es an einer Erörterung dieser Stellungnahme (§ 21 Satz 3 SBG), die der Antragsteller in seinem Beschwerdeschreiben vom 28. April 2021 ausdrücklich gefordert hatte.

48 Die in der E-Mail vom 31. August 2021 genannte Erörterung hat zeitlich vor der Stellungnahme vom 8. September 2021 stattgefunden und kann schon deshalb keine Erörterung dieser Stellungnahme darstellen. Für den darauffolgenden Zeitraum findet sich lediglich in einem Vorlagebericht des Bundesamts für das Personalmanagement an das Bundesministerium der Verteidigung vom 22. September 2021 (Seite 7) die Erklärung, dass "die nachzuholende Anhörung bis dato noch nicht abgeschlossen" sei. Dass eine Erörterung der Stellungnahme vom 8. September 2021 zwischen dem Kommandeur des ... und dem Antragsteller später stattgefunden hat, ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Damit war die Anhörung bis zum Zeitpunkt der Erledigung (17. Mai 2022) nicht ordnungsgemäß nachgeholt.

49 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO. Dem Bund wurden die Kosten insgesamt auferlegt, weil das prozessuale Unterliegen des Antragstellers im Sachantrag zu 2 nicht wesentlich ins Gewicht fällt (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).