Beschluss vom 23.08.2023 -
BVerwG 4 BN 6.23ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B4BN6.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.08.2023 - 4 BN 6.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:230823B4BN6.23.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 6.23

  • OVG Koblenz - 07.12.2022 - AZ: 8 C 10074/22.OVG

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. August 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2022 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Soweit sie den Darlegungsanforderungen genügt, ist sie unbegründet.

2 I. Die Beschwerde bezeichnet keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

3 1. Sie beanstandet, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Prüfung der Antragsbefugnis der Antragsteller zu 1 und 2 Vorbringen der Antragsgegnerin zum Einwirkungsbereich nach Nr. 2.2 der TA Lärm übergangen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verletzt. Das Vorbringen genügt § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.

4 Ein Verfahrensmangel ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Rügt ein Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls bei der Entscheidung nicht erwogen, muss die Beschwerde darlegen, welches Vorbringen das Gericht (angeblich) nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt dieses Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können. Allein das Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Beteiligtenvortrags lässt aber nicht den Schluss zu, das Gericht habe Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen. Ein Gehörsverstoß kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42 und Beschluss vom 2. März 2023 - 4 B 16.22 - juris Rn. 44).

5 Die Beschwerde benennt schlagwortartig Vorbringen zum Einwirkungsbereich nach Nr. 2.2 TA Lärm. Sie gibt indes weder an, wo und in welchem Zusammenhang sie zu diesem Einwirkungsbereich vorgetragen hat, noch legt sie substantiiert dar, warum die fehlende Erwähnung dieses Vorbringens auf eine Verletzung des prozessrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör schließen lassen könnte. Damit verfehlt sie die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

6 Hiervon unabhängig geht die Beschwerde an der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts vorbei. Es hat die Antragsbefugnis der Antragsteller zu 1 und 2 nicht "einzig und allein" auf Lärmimmissionen gestützt, sondern - darüber hinaus - angenommen, schon das Interesse der Antragsteller zu 1 und 2 an der Beibehaltung der ursprünglichen Festsetzungen gehöre zum Abwägungsmaterial (UA S. 12 f. unter Berufung auf BVerwG, Beschlüsse vom 20. August 1992 - 4 NB 3.92 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 69 und vom 15. Juni 2020 - 4 BN 51.19 - NVwZ 2020, 1533). Auf Einzelfragen zur Lärmbelastung kam es nach dieser, für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht an.

7 2. Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO vor, weil seine Annahme eines fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses eine unzulässige Überraschungsentscheidung sei. Dies bleibt erfolglos.

8 Eine Entscheidung ist eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 2001 - 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. und vom 15. Juli 2022 - 4 B 32.21 - juris Rn. 24). Nach dem Vorbringen der Beschwerde war die sachliche Reichweite der Baugenehmigung vom 4. Oktober 2022 mit der Bezeichnung "Neubau Hotel mit Tiefgarage" Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Beteiligten mussten schon deshalb damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht der sachlichen Reichweite anderer, im Verfahren vorgelegter Genehmigungen, etwa der Ausschachtgenehmigung vom 21. Juni 2022, Bedeutung zumessen würde. Hiervon unabhängig setzt sich die Beschwerde nicht damit auseinander, dass die Ausschachtgenehmigung den Antragstellern nach ihrem Vortrag noch nicht bekannt gegeben worden war, so dass sie - die Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt - ihnen gegenüber noch nicht bestandskräftig werden konnte (vgl. UA S. 14).

9 II. Nach Auffassung der Beschwerde werfen die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Abwägung von Lärmimmissionen grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf und weichen von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ab. Dies führt nicht zur Zulassung der Revision.

10 Ist ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so setzt die Zulassung der Revision voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3 und vom 14. Juli 2022 - 4 BN 45.21 - juris Rn. 13). Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, der angegriffene Bebauungsplan sei wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 BauNVO a. F. insgesamt unwirksam (UA S. 18 ff.). Diese Begründung trägt die Erklärung des Bebauungsplans als insgesamt unwirksam. Revisionszulassungsgründe insoweit hat die Beschwerde nicht vorgebracht. Dass sie die Überlegungen der Vorinstanz in anderem Zusammenhang als fehlerhaft kritisiert, führt nicht auf einen Zulassungsgrund.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG.