Beschluss vom 21.08.2024 -
BVerwG 4 B 10.24ECLI:DE:BVerwG:2024:210824B4B10.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.08.2024 - 4 B 10.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:210824B4B10.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 10.24

  • VG Gelsenkirchen - 23.02.2021 - AZ: 9 K 4961/16
  • OVG Münster - 30.01.2024 - AZ: 10 A 875/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. August 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seidel und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

3 Die Klägerin begehrt ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine vom Beigeladenen in Verlängerung seiner im unbeplanten Innenbereich gelegenen Doppelhaushälfte grenzständig errichteten Hochterrasse. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nach Maßgabe der "Doppelhausrechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts sowie gegen das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht verneint. Die Hochterrasse müsse nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW 2018 keine Abstandsfläche einhalten, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden dürfe und gesichert sei, dass auf dem Nachbargrundstück der Klägerin ohne Grenzabstand gebaut werde. Der Begriff der Außenwand im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW 2018 sei nicht auf Gebäude beschränkt. Es reiche aus, dass die Hochterrasse mit der grenzständigen Außenwand des Unterbaus die Verlängerung der Außenwand der Haushälfte des Beigeladenen darstelle (UA S. 18).

4 Die von der Beschwerde vor diesem Hintergrund als grundsätzlich klärungsbedürftig formulierte Frage,
ob bei der Betrachtung von Hausobjekten als Doppelhaus wegen des Vorrangs des Planungsrechts ohne Grenzabstand gebaut werden kann,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Die Regelung zur Abstandsfläche in § 6 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW 2018 ist revisibel, soweit die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Doppelhausbebauung in Rede steht, weil die landesrechtliche Norm (insoweit) an die bundesrechtliche Regelung lediglich anknüpft (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 218 Rn. 22 m. w. N.). In der vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegten (UA S. 10 f.) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aber bereits geklärt, welche bundesrechtlichen Anforderungen an die Qualifizierung zweier Gebäude als Doppelhaus zu stellen sind und unter welchen Voraussetzungen sich ein grenzständiges Vorhaben bei einer Doppelhausbebauung nach § 34 Abs. 1 BauGB einfügt und der Nachbar sich auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Dezember 2013 - 4 C 5.12 - BVerwGE 148, 290 Rn. 16 f., 20 ff. und vom 19. März 2015 a. a. O. Rn. 11 f., 15 ff.). Hierzu zeigt die Beschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf nicht auf. Wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, möchte sie der Sache nach geklärt wissen, ob der Begriff der Außenwand in § 6 Abs. 1 Satz 4 BauO NRW 2018 sich nur auf Gebäude bezieht oder darunter - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat - auch die Verlängerung der Außenwand eines Gebäudes durch den Unterbau einer Hochterrasse fällt. Die Beschwerde legt aber nicht dar, inwieweit die Auslegung des bauordnungsrechtlichen Begriffs "Außenwand" Fragen des revisiblen Rechts aufwirft.

5 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

6 Die Beschwerde rügt als Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO, dass das Berufungsgericht die Höhe der Hochterrasse nicht durch Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens ermittelt habe. Damit legt sie einen Aufklärungsmangel nicht dar. Nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom 13. Mai 2014 - 4 B 38.13 - NVwZ 2014, 1246 Rn. 27) löst die Hochterrasse nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW 2018 keine Abstandsfläche aus. Auf die Frage, ob die Terrasse nicht höher als 1 m über der Geländeoberfläche liegt und deshalb (auch) nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauO NRW 2018 keine Abstandsflächen erforderlich sind, kam es damit nicht an. Auch die insoweit erhobene Gehörsrüge hat daher keinen Erfolg.

7 Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Oberverwaltungsgericht im Zulassungsbeschluss vom 18. Oktober 2022 noch von einer möglichen Abstandsflächenpflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 ausgegangen war. Das Oberverwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Berufung nicht an die Gründe gebunden, die für die Zulassung der Berufung maßgeblich waren. Es musste im Berufungsverfahren den Streitstoff in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht umfassend aufbereiten (vgl. § 128 VwGO), so dass sich andere Fragen stellen konnten als die im Zulassungsbeschluss aufgeworfenen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Oktober 2003 - 6 B 57.03 - Buchholz 430.4 Berufsständisches Versorgungsrecht Nr. 46 S. 30 und vom 13. Mai 2024 - 2 B 4.24 - juris Rn. 17 f. m. w. N.).

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.