Beschluss vom 21.06.2023 -
BVerwG 5 B 24.22ECLI:DE:BVerwG:2023:210623B5B24.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.06.2023 - 5 B 24.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:210623B5B24.22.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 24.22

  • VG Halle - 03.03.2021 - AZ: 3 A 26/20 HAL
  • OVG Magdeburg - 20.09.2022 - AZ: 4 L 136/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juni 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. September 2022 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 1. Die allein auf die Rüge von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt.

2 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln, nicht jedoch Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt (BVerwG, Beschlüsse vom 4. Februar 2015 - 5 B 28.14 - juris Rn. 8 m. w. N. und vom 17. November 2015 - 5 B 17.15 - juris Rn. 3). Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 12 m. w. N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

3 Die Beschwerde rügt der Sache nach sowohl eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wie auch eine Missachtung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

4 a) Nach dem Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich nicht auf die Auslegung des anzuwendenden Rechts, sondern auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände (BVerwG, Urteil vom 29. April 2022 - 5 CN 2.21 - NVwZ 2023, 268 Rn. 11). Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist dabei der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts als Revisionsgericht nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Würdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Ein Verfahrensfehler in Form der Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann vorliegen, wenn die angegriffene Entscheidung der Vorinstanz von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Im Übrigen ist das Ergebnis der gerichtlichen Tatsachenwürdigung vom Revisionsgericht diesbezüglich nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 2020 - 5 BN 2.19 - juris Rn. 31 und vom 15. Dezember 2020 - 3 B 34.19 - juris Rn. 21 m. w. N.). Deshalb ist die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Denn damit wird ein - angeblicher - Mangel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der die Annahme eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht rechtfertigen kann (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2020 - 5 BN 2.19 - juris Rn. 31). Gemessen daran zeigt die Beschwerde einen die Annahme eines Verfahrensfehlers begründenden Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ansatzweise auf.

5 Zum einen trägt sie vor, es verstoße gegen denklogische Gesetze, wenn das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen sei, dass der Kläger seine Personensorgeberechtigung nicht nachgewiesen habe. Denn die Beklagte habe ihrer Amtsermittlungspflicht nicht genüge getan, weil aus den Ausweispapieren seiner Kinder seine Vaterschaft hervorgehe und eine Rückfrage beim Einwohnermeldeamt ergeben hätte, dass die Kindeseltern miteinander verheiratet seien. Der Kläger sei von der Beklagten auch nicht zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden. Damit stellt die Beschwerde aber die Wertung des Oberverwaltungsgerichts nicht infrage, aus der deutschen Übersetzung der Ausweispapiere der Kinder habe sich kein Hinweis auf eine rechtliche Vaterschaft des Klägers im Sinne des § 1592 BGB oder eine solche nach seinem Heimatrecht ergeben. Warum dies unvertretbar - oder auch nur (vermeintlich) unrichtig - gewesen sein soll, erläutert sie nicht. Die Beschwerde setzt sich insoweit zudem nicht mit der Erwägung des Oberverwaltungsgerichts auseinander, weitere Ermittlungen durch die Beklagte seien auch deshalb nicht veranlasst gewesen, weil der Kläger trotz mehrfacher Aufforderungen über Jahre hinweg dem Jugendamt W. keine Nachweise über seine Sorgeberechtigung vorgelegt habe.

6 Zum anderen rügt die Beschwerde eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Amtsermittlungspflicht, indem sie vorbringt, "dass die Amtsermittlungspflicht de[r] Beklagten aus § 20 SGB X durch das Berufungsgericht weder geprüft noch eine Amtsermittlungspflicht de[r] Beklagten angenommen" worden sei. Damit macht sie jedoch keinen im Rahmen des Revisionszulassungsgrundes des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO allein beachtlichen Mangel des gerichtlichen Verfahrens geltend, sondern beanstandet insoweit eine (im Hinblick auf den für Behörden und nicht für Gerichte geltenden Amtsermittlungsgrundsatz des § 20 Abs. 1 SGB X) fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht. Sie legt insoweit im Übrigen auch nicht dar, dass dem zuständigen Einwohnermeldeamt die diesbezüglichen spezifischen Informationen (insbesondere zum Eheschließungszeitpunkt) vorgelegen haben und der Beklagten daher auf diesem Wege ohne Weiteres hätten zugänglich sein können.

7 b) Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist ebenfalls nicht dargetan. Die Beschwerde sieht zwar eine solche darin, dass das Oberverwaltungsgericht die Amtsermittlungspflicht der Beklagten vollkommen außer Acht gelassen habe. Damit ist jedoch nicht dargelegt, dass ein bestimmtes, konkret bezeichnetes tatsächliches Vorbringen des Klägers in der Vorinstanz unberücksichtigt geblieben wäre. Im Übrigen verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juli 2014 - 1 B 10.14 - juris Rn. 9 und vom 15. August 2019 - 5 B 11.19 (5 B 25.18 ) - juris Rn. 1, jeweils m. w. N.).

8 2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen. Über einen Prozesskostenhilfeantrag musste der Senat nicht entscheiden, da dieser ausdrücklich nur für den Fall der Zulassung der Revision angekündigt ist.

9 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.