Beschluss vom 20.02.2020 -
BVerwG 6 AV 1.20ECLI:DE:BVerwG:2020:200220B6AV1.20.0

Örtlich zuständiges Gericht für Klage auf Befreiung vom Rundfunkbeitrag wegen Zweitwohnung

Leitsatz:

Weder die Rundfunkbeitragspflicht noch der Anspruch auf Befreiung davon begründet ein ortsgebundenes Rechtsverhältnis im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 52 Nr. 1 und 3 Satz 2 und 5, § 53 Abs. 1 Nr. 3

  • VG Weimar - 19.12.2019 - AZ: VG 3 K 1399/19 We

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.02.2020 - 6 AV 1.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:200220B6AV1.20.0]

Beschluss

BVerwG 6 AV 1.20

  • VG Weimar - 19.12.2019 - AZ: VG 3 K 1399/19 We

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Februar 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

Gründe

I

1 Der Kläger mit Hauptwohnsitz in B. begehrt von dem beklagten Mitteldeutschen Rundfunk eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung in E. Nach Ablehnung seines Antrags erhob er am 10. September 2019 Klage beim Verwaltungsgericht Weimar.

2 Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Rundfunkbeitragsverhältnis kein ortsgebundenes Recht im Sinne des § 52 Nr. 1 VwGO sei. Da der Mitteldeutsche Rundfunk für mehrere Bundesländer zuständig sei, bestimme sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO. Maßgeblich sei danach der Wohnsitz des Beschwerten, hier des Klägers. Da dieser aber über zwei Wohnsitze in unterschiedlichen Bundesländern verfüge und es keinen Unterschied mache, ob es sich dabei um einen Haupt- oder Nebenwohnsitz handele, sei das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts anzurufen.

II

3 Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist unbegründet. Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht, denn das Prozessrecht enthält für die hier vorliegende Fallkonstellation eine widerspruchsfreie Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit.

4 Für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung ist nur Raum, wenn die in § 53 VwGO geregelten Anforderungen erfüllt sind, d.h. im vorliegenden Fall nach den Regelungen des § 52 VwGO verschiedene Gerichte in Betracht kommen (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Das ist hier nicht der Fall. Denn für die Entscheidung über die von dem Kläger gegen den Mitteldeutschen Rundfunk erhobene Verpflichtungsklage auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung in E. ist ausschließlich das Verwaltungsgericht Weimar nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO zuständig.

5 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht allerdings für den hier inmitten stehenden Streitgegenstand eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 1 VwGO abgelehnt. Danach ist in Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehören zu den ortsgebundenen Rechten im Sinne dieser Regelung vor allem die an ein bestimmtes Grundstück geknüpften Rechte, weil sie unter Voraussetzung dieser örtlichen Gebundenheit eingeräumt sind. Ferner zählen dazu die nur in der natürlichen Ausübung an Grundstücke gebundenen Rechte, weil auch in diesen Fällen die in § 52 Nr. 1 VwGO vorausgesetzte weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium besteht, auf dem es ausgeübt wird (BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2016 - 3 AV 1.16 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​180716B3AV1.16.0] - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 41 Rn. 8 m.w.N.). Zwar knüpfen sowohl die Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich gemäß § 2 Abs. 1 RBStV als auch der richterrechtlich geschaffene Befreiungsanspruch für Zweitwohnungsinhaber (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. [ECLI:​DE:​BVerfG:​2018:​rs20180718.1bvr167516] - BVerfGE 149, 222 Rn. 106 ff., 150) an das Innehaben einer (Zweit-)Wohnung an. Aber der Gesetzgeber hat im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag das Merkmal "Wohnung" nur deshalb gewählt, weil mit ihm der Inhaber der Wohnung als Beitragsschuldner unschwer festgestellt werden kann. Dahinter steht der statistisch gesicherte Befund, dass nahezu alle Inhaber einer Wohnung zugleich Besitzer von Rundfunkempfangsgeräten sind und die überwältigende Mehrheit das Programmangebot typischerweise in ihrer Wohnung nutzt, dort jedenfalls Empfangsgeräte für eine auch mobile Nutzung außerhalb der Wohnung vorhält. Der zur Verhinderung der "Flucht aus der Rundfunkgebühr" gerechtfertigte Wechsel von der am Gerätebesitz anknüpfenden Rundfunkgebühr zum Rundfunkbeitrag mit dem Anknüpfungsmerkmal der Wohnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 2016 - 6 C 6.15 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​180316U6C6.15.0] - BVerwGE 154, 275 Rn. 32) macht den Rundfunkbeitrag und den hier geltend gemachten Befreiungsanspruch indes nicht zum Realrecht.

6 Die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts ergibt sich aber aus § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO. Nach dieser Bestimmung, die gemäß Satz 5 auch bei Verpflichtungsklagen gilt, ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat, wenn der Verwaltungsakt von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen worden ist. Da die Vorschrift allein auf den Wohnsitz abstellt, macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Haupt- oder Nebenwohnsitz handelt (ebenso BVerwG, Beschluss vom 18. April 2019 - 2 AV 1.19 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2019:​180419B2AV1.19.0] - juris Rn. 14 f. zu § 52 Nr. 4 VwGO).

7 Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Mitteldeutsche Rundfunk als Anstalt des Öffentlichen Rechts zur Veranstaltung von Rundfunk in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (§ 1 Abs. 1 des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk <MDR> vom 30. Mai 1991, ThürGVBl. S. 118 in der Fassung des Gesetzes vom 1. Februar 2018, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Februar 2018, ThürGVBl. S. 81, 295) eine Behörde im Sinne des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist. Der Kläger hat seinen Nebenwohnsitz in E., das zum Sprengel des Verwaltungsgerichts Weimar gehört (Nr. 3 der Anlage zu § 1 Abs. 2 Satz 3 des Thüringer Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung <ThürAGVwGO> in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1992, ThürGVBl. S. 576, hier maßgeblich zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2018, ThürGVBl. S. 731, 793). Da er seinen Hauptwohnsitz nicht in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks hat, führt § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO nur auf die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Weimar. Diese eindeutige gesetzliche Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit wird - entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts - nicht dadurch infrage gestellt, dass der Kläger seinen Hauptwohnsitz außerhalb des Sendegebiets des Mitteldeutschen Rundfunks in Nordrhein-Westfalen unterhält. Daher ist für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 VwGO kein Raum.