Beschluss vom 20.01.2025 -
BVerwG 6 B 20.24ECLI:DE:BVerwG:2025:200125B6B20.24.0
Beweiswürdigung zum Vorliegen einer Täuschungshandlung bei einer Prüfung
Leitsätze:
1. Der Tatrichter hat in freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises für eine Täuschungshandlung bei einer Prüfung (hier: Kenntnis der Klausuren und Lösungshinweise) erfüllt sind.
2. Der Tatrichter verlässt den ihm durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen, wenn er Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblich ankommt, ohne Rückführbarkeit auf den Prozessstoff ungeprüft behauptet oder offenbar gewordene entscheidungserhebliche Umstände oder Erkenntnisquellen nicht oder nur teilweise heranzieht. Ferner liegt ein Verfahrensmangel in einer Verfehlung des Regelbeweismaßes richterlicher Überzeugungsgewissheit, einer Nichtbeachtung der Denkgesetze (Logik), gesetzlicher Beweisregeln sowie allgemeiner Erfahrungssätze oder in einer objektiv willkürlichen oder aktenwidrigen Sachverhaltswürdigung (Zusammenfassung der Rechtsprechung).
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Rechtsquellen
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 -
Instanzenzug
VG Lüneburg - 08.12.2016 - AZ: 6 A 173/15
OVG Lüneburg - 30.04.2024 - AZ: 2 LB 69/18
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.01.2025 - 6 B 20.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:200125B6B20.24.0]
Beschluss
BVerwG 6 B 20.24
- VG Lüneburg - 08.12.2016 - AZ: 6 A 173/15
- OVG Lüneburg - 30.04.2024 - AZ: 2 LB 69/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. April 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Klägerin wendet sich dagegen, dass ihre Zweite Juristische Staatsprüfung infolge eines angenommenen Täuschungsversuchs nachträglich für nicht bestanden erklärt wird.
2 Nach der im zweiten Versuch mit der Note "ausreichend" abgelegten Ersten Juristische Staatsprüfung nahm die Klägerin während des Referendariats Einzelunterricht bei einem Repetitor (Zeuge C.). Ihre im Januar 2013 geschriebenen Examensklausuren wurden mit 14, 11, 6, 9, 12, 11, 12 und 12 Punkten bewertet. In der mündlichen Prüfung erhielt sie für den Kurzvortrag 9 Punkte und für die weiteren Teile 10, 12, 12 und 13 Punkte. Sie bestand die Zweite Juristische Staatsprüfung mit der Gesamtnote "vollbefriedigend" (10,89 Punkte).
3 Nach Anhörung der Klägerin erklärte der Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2015 die von ihr abgelegte Zweite Juristische Staatsprüfung für nicht bestanden. Nach dem Beweis des ersten Anscheins habe sie einen schweren Täuschungsversuch begangen. Es bestehe der dringende Verdacht, dass ein an das Landesjustizprüfungsamt abgeordneter Richter u. a. dem Zeugen C. vor der jeweiligen Staatsprüfung Aufgabentexte von Klausuren sowie Vortragsakten mit den Prüfvermerken zur Verfügung gestellt habe und die Klägerin auf diesem Wege von mindestens vier Klausuren mit Hinweisen für die Lösung Kenntnis erlangt habe.
4 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat nach Einvernahme des Zeugen C. mit Urteil vom 30. April 2024 die angefochtene Entscheidung abgeändert und den Bescheid vom 21. April 2015 aufgehoben (NVwZ 2024, 1518). Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin vier schwere Täuschungsversuche begangen habe. Es verblieben durchgreifende Zweifel, dass ihr die Klausuren oder Lösungsskizzen vor Ablegung der Prüfung bekannt gewesen seien und sie die Klausuren auf dieser Grundlage angefertigt habe. Weder nach den Regeln des Anscheins- noch des Vollbeweises sei eine Täuschungshandlung der Klägerin erwiesen. Die verbleibenden Zweifel gingen nach Beweislastgrundsätzen zu Lasten des Beklagten.
5 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, der die Klägerin entgegentritt.
II
6 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten bleibt ohne Erfolg.
7 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn eine konkrete fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Die Beschwerde muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die erstrebte Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 Rn. 2 und vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 31 Rn. 7).
8 Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, welche Anforderungen an das Vorliegen eines Anscheinsbeweises in den Klausuren der Zweiten Juristischen Staatsprüfung gestellt werden können. Sie führt dazu aus, die vom Berufungsgericht in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruhe auf einem Verfahren mit wesentlichen Unterschieden zu einer im Rahmen der Ersten Juristischen Staatsprüfung oder der Zweiten Juristischen Staatsprüfung zu erbringenden Prüfungsleistung. Diese Frage rechtfertigt keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
9 Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung des Beweises des ersten Anscheins zum erleichterten Nachweis bestimmter Tatsachen im Verwaltungsprozess sind geklärt. Dafür müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die nachzuweisende Tatsache auf einen typischen Sachverhalt gestützt werden können, der aufgrund allgemeinen Erfahrungswissens zu dem Schluss berechtigt, dass die Tatsache vorliegt. Zum anderen dürfen keine tatsächlichen Umstände gegeben sein, die ein atypisches Geschehen im Einzelfall ernsthaft als möglich erscheinen lassen. Die Verwaltungsgerichte haben nach § 86 Abs. 1 VwGO von Amts wegen zu ermitteln, ob ein die Schlussfolgerung tragender Sachverhalt und, wenn sie davon überzeugt sind, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine vom Regelfall abweichende Erklärung vorliegen (BVerwG, Urteil vom 24. August 1999 - 8 C 24.98 - NVwZ-RR 2000, 256 und Beschluss vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 - NJW 2018, 1896 Rn. 6).
10 Auch für den Beweis des ersten Anscheins gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach ist es Aufgabe der Tatsachengerichte, aufgrund einer Sachverhalts- und Beweiswürdigung des gesamten Prozessstoffes darüber zu entscheiden, ob eine Tatsache nach den Regeln des Anscheinsbeweises erwiesen ist. Hierfür müssen sie zu der Überzeugung gelangen, dass ein Sachverhalt feststeht, der typischerweise auf das Vorliegen der nachzuweisenden Tatsache schließen lässt. Ist dies der Fall, müssen sie sich darüber klarwerden, ob im Einzelfall ein atypisches Geschehen ernsthaft möglich erscheint (BVerwG, Urteil vom 24. August 1999 - 8 C 24.98 - NVwZ-RR 2000, 256 und Beschluss vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 - NJW 2018, 1896 Rn. 8).
11 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann nach den Regeln des Anscheinsbeweises nachgewiesen werden, dass ein Prüfungsteilnehmer über die Eigenständigkeit seiner schriftlichen Prüfungsleistung getäuscht hat. Stimmt seine Bearbeitung nach Formulierungen, Aufbau und Gedankenführung weitgehend mit den nur für die Prüfer bestimmten Lösungshinweisen überein, berechtigt dieser Sachverhalt typischerweise zu dem Schluss, der Prüfling habe die Lösungshinweise gekannt und seiner Bearbeitung zugrunde gelegt. Für die Aufklärung, ob eine andere Ursache für die weitgehende Übereinstimmung in Betracht kommt, bedarf es der Mitwirkung des Prüfungsteilnehmers. Nur er kann eine plausible andere Erklärung für die Übereinstimmung beibringen. Ergibt die Sachaufklärung keine Anhaltspunkte, die eine andere Ursache als die Kenntnis der Lösungshinweise nachvollziehbar erscheinen lassen, steht fest, dass der Prüfling keine eigenständige Prüfungsleistung erbracht, sondern dies vorgespiegelt hat. Eine solche Bearbeitung ist von vornherein ungeeignet, eine Aussage über die Kenntnisse und Fähigkeiten zu treffen, deren Nachweis die Prüfung dient (BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 - NJW 2018, 1896 Rn. 7 m. w. N.).
12 Mit Blick auf die der Verwaltungsgerichtsordnung zugrundeliegende Kompetenzverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz, derzufolge dem Tatrichter gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Tatsachenfeststellung im Wege freier Beweiswürdigung obliegt, entziehen sich die abstrakten prozessrechtlichen Vorgaben für den Anscheinsbeweis im Prüfungsrecht weiterer rechtssatzförmiger Konkretisierung. Die von der Beschwerde angeführten Unterschiede der in den jeweiligen Prüfungen zu erbringenden Prüfungsleistungen liegen im Tatsächlichen. Sie sind vom Tatrichter bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, ab welcher Indizienmenge und -dichte angesichts der Art der zu erbringenden Prüfungsleistungen der Schluss im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt erscheint, der Prüfling habe seiner Bearbeitung von Prüfungsaufgaben ihm bekannte Lösungshinweise zugrunde gelegt.
13 2. Die Beschwerde lässt keinen Verfahrensmangel des Oberverwaltungsgerichts erkennen, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könnte. Ihr Vorbringen führt weder auf einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), noch auf einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) oder eine Gehörsverletzung (§ 108 Abs. 2 VwGO).
14 a) Nach der bereits erwähnten prozessrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Tatsachengericht und Revisionsinstanz ist es Sache des Tatrichters, sich im Wege der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO niedergelegte Grundsatz der freien Beweiswürdigung (bzw. Überzeugungsgrundsatz) eröffnet dem Tatrichter dafür einen Wertungsrahmen. Er muss sich seine Überzeugung auf der Grundlage des vollständigen Prozessstoffes bilden. Weder darf er seine Überzeugung gänzlich ohne Grundlage bilden oder Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblich ankommt, ungeprüft behaupten (BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2011 - 8 B 74.10 - NVwZ-RR 2011, 749 Rn. 5), noch darf er einzelne Umstände und Elemente, sofern sie für die zu treffende Entscheidung von rechtlicher Relevanz sind, vollkommen außer Acht lassen (Selektionsverbot; vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 81). Der Überzeugungsgrundsatz verlangt die volle Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit - und nicht nur der Wahrscheinlichkeit - der festgestellten Tatsache. Das Gericht darf aber keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 <181>, Beschlüsse vom 16. Juni 2003 - 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135> und vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 - NVwZ-RR 2011, 382 Rn. 8). Im Übrigen ist die Beweiswürdigung des Tatrichters vom Bundesverwaltungsgericht nicht daraufhin nachzuprüfen, ob die Gewichtung einzelner Umstände und deren Gesamtwürdigung überzeugend erscheint. Sie wird dementsprechend nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht.
15 Ein nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtlicher Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn der gerügte Fehler sich hinreichend deutlich von der materiell-rechtlichen Subsumtion, das heißt der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Das ist der Fall, wenn die Vorinstanz Umstände, auf deren Vorliegen es nach ihrer Rechtsauffassung entscheidungserheblich ankommt, ohne Rückführbarkeit auf den Prozessstoff ungeprüft behauptet oder gegen das in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltene Selektionsverbot verstößt, indem sie offenbar gewordene entscheidungserhebliche Umstände oder Erkenntnisquellen gar nicht oder nur teilweise heranzieht (BVerwG, Beschlüsse vom 16. Mai 2013 - 8 B 70.12 - ZOV 2013, 131 Rn. 9 und vom 12. Juni 2017 - 8 B 18.16 - juris Rn. 9). Ferner wird der Überzeugungsgrundsatz verletzt, wenn der Tatrichter das Regelbeweismaß richterlicher Überzeugungsgewissheit gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verfehlt hat (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171 Rn. 23 ff., Beschlüsse vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - NVwZ 2011, 55 Rn. 7 f. und vom 21. Juni 2016 - 9 B 65.15 - NVwZ 2016, 1257 Rn. 20). Schließlich liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO in einer Nichtbeachtung der Denkgesetze (Logik), gesetzlicher Beweisregeln oder allgemeiner Erfahrungssätze oder in einer objektiv willkürlichen oder aktenwidrigen Sachverhaltswürdigung (BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 - 6 C 11.18 - BVerwGE 171, 59 Rn. 40 und vom 2. März 2022 - 6 C 7.20 - BVerwGE 175, 76 Rn. 40, Beschluss vom 11. Juni 2024 - 6 B 1.24 - juris Rn. 25, jeweils m. w. N.). Derartige Mängel des Berufungsurteils lässt das Beschwerdevorbringen nicht erkennen.
16 Die Beschwerde rügt, die Vorinstanz habe das Beweismaß überspannt. Dafür bleibt sie jedoch einen schlüssigen Beleg schuldig, denn das Berufungsgericht hat seinen Tatsachenfeststellungen ausweislich der Entscheidungsgründe den Maßstab der Überzeugungsgewissheit zugrunde gelegt. Der Vorwurf, das Berufungsgericht sei "mit dem Vortrag des Beklagten überzogen streng, im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin dagegen in schon fast groteskem Ausmaß leichtgläubig" gewesen, belegt keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Vortrag der Klägerin gerade nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1991 - 3 C 32.90 - NJW 1992, 1251). Vielmehr hat es weder eine Täuschungshandlung noch deren Nichtvorliegen positiv feststellen können und deshalb eine Beweislastentscheidung getroffen.
17 Die weiteren Behauptungen der Beschwerde, die Vorinstanz habe die Beweiswürdigung im Aufbau systematisch fehlerhaft durchgeführt, der inneren Überzeugungsbildung ungeprüfte Annahmen zugrunde gelegt und nicht sachgemäß bzw. widersprüchlich argumentiert, erweisen sich als haltlos. Vielmehr ist das Oberverwaltungsgericht den Ähnlichkeiten der vier von der Klägerin gefertigten Prüfungsarbeiten mit den Lösungshinweisen ausführlich im Einzelnen nachgegangen. Es hat diese aber im Ergebnis als nicht hinreichend intensiv angesehen, um daraus den Schluss ziehen zu können, die Klägerin habe die Klausuren bzw. Lösungshinweise bereits zuvor gekannt. Auch lässt die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts keine methodischen Mängel erkennen, wenn es Übereinstimmungen zwischen den Prüfungsarbeiten und der Lösungsskizze als nicht hinreichend für den Anscheinsbeweis angesehen hat. Im Übrigen entspricht es generellem - und nicht anhand der vorliegenden Klausuren im Einzelnen zu belegendem - Erfahrungswissen, dass in juristischen Falllösungen angesichts der rechtswissenschaftlichen Aufbauregeln für die Prüfung der Rechtslage zwangsläufig gewisse Ähnlichkeiten zwischen Prüfungsarbeiten und Lösungsskizze vorliegen, die nicht per se den Schluss auf eine Täuschung rechtfertigen. Schließlich ist die Gegenüberstellung der für und gegen eine Täuschungshandlung sprechenden Indizien in den Gründen der angefochtenen Entscheidung Ausweis einer sorgfältigen Vorgehensweise des Berufungsgerichts und belegt mitnichten eine Widersprüchlichkeit des Berufungsurteils. Die darin enthaltene gerichtliche Gesamtwürdigung der gegenläufigen Indizien bedurfte - entgegen der Annahme des Beklagten - keiner weiteren Darstellung. In Wirklichkeit setzt die Beschwerde der Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts nur ihre eigene entgegen, ohne nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Überschreitung des der Vorinstanz durch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmens liefern zu können.
18 b) Die von der Beschwerde angebrachte Aufklärungsrüge verfehlt die an die Darlegung eines gerichtlichen Aufklärungsmangels zu stellenden Anforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO.
19 Zwar verletzt ein Tatsachengericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung aus § 86 Abs. 1 VwGO, wenn es versäumt, hinreichend konkreten Einwänden eines Beteiligten nachzugehen und den Sachverhalt weiter aufzuklären, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39.16 - BVerwGE 161, 1 Rn. 22 m. w. N. und Beschluss vom 8. Januar 2021 - 6 B 48.20 - NWVBl. 2021, 239 Rn. 16). Das Absehen von einer gebotenen Sachaufklärung mit der Begründung, etwa in Betracht kommende Beweismittel würden voraussichtlich nicht den gewünschten Aufschluss erbringen, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und damit eine Verletzung der in § 86 Abs. 1 VwGO geregelten Verpflichtung des Gerichts dar, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (BVerwG, Urteil vom 19. März 1998 - 2 C 5.97 - BVerwGE 106, 263 <265 f.> und Beschluss vom 8. Januar 2021 - 6 B 48.20 - NWVBl. 2021, 239 Rn. 16).
20 Im vorliegenden Fall hat die Beschwerde aber nicht dargelegt, dass die Beklagtenvertreterinnen in der Berufungsverhandlung Beweisanträge gestellt hätten. Damit genügt der Beklagte nicht den Darlegungsanforderungen an einen Aufklärungsmangel. Denn die Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 VwGO verlangt nicht nur die schlüssige Darlegung, welche Aufklärungsmaßnahmen das Gericht hätte ergreifen müssen, welche Feststellungen es dabei voraussichtlich getroffen hätte und inwiefern dies zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Vielmehr muss der Beschwerdeführer zudem darlegen, dass er in der Berufungsverhandlung durch Stellung eines Beweisantrags auf eine bestimmte Sachaufklärung hingewirkt hat oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen aufgrund von dessen materiell-rechtlicher Rechtsauffassung auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn der Beschwerdeführer es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 2018 - 6 B 124.18 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 92 Rn. 9, vom 9. Oktober 2020 - 6 B 51.20 - juris Rn. 16, vom 14. November 2022 - 6 B 14.22 - juris Rn. 19 und vom 13. Dezember 2023 - 6 B 13.23 - juris Rn. 9).
21 Demnach hätten die Vertreterinnen des Beklagten in der Berufungsverhandlung entsprechende Beweisanträge stellen müssen. Das haben sie ausweislich des Protokolls der Berufungsverhandlung aber nicht getan. Zudem lässt sich der Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 30. April 2024 entnehmen, dass die Aussagen des Herrn L. im Straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingehend mit den Beteiligten erörtert worden sind. Anhaltspunkte, aufgrund derer sich dem Oberverwaltungsgericht weitere Ermittlungen auch ohne die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags hätten aufdrängen müssen, sind nicht ersichtlich. Auch mit Blick auf die angebrachte Gehörsrüge hätte es dem Beklagten zur Abwendung einer Gehörsverletzung oblegen, in der Berufungsverhandlung auf eine entsprechende Beweisaufnahme hinzuwirken.
22 c) Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht hätte den Beklagten in der Berufungsverhandlung auf seine Absicht hinweisen müssen, den neuen Vortrag der Klägerin zur Verwendung des abgehobenen Geldes ohne weitere Nachforschungen seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Dieses Vorbringen führt nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO).
23 Vielmehr belegt das Beklagtenvorbringen, eine seiner Vertreterinnen habe bereits in der Berufungsverhandlung auf den Widerspruch zwischen den in der Personalakte vermerkten Urlaubszeiten und dem nunmehrigen Vortrag der Klägerin zur Verwendung des Geldes hingewiesen, dass der Beklagte Gelegenheit hatte, sich zu diesem Tatsachenvortrag der Klägerseite zu äußern. Der Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 30. April 2024 ist zudem zu entnehmen, dass die Beteiligten Gelegenheit hatten, zu der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Mit Blick auf gerichtliche Hinweispflichten ist zudem zu berücksichtigen, dass ein Gericht nicht verpflichtet ist, seine endgültig erst aufgrund der Schlussberatung zu treffende Beweiswürdigung den Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung zu offenbaren. Die von der eigenen Würdigung des Beklagten abweichende Bewertung des tatsächlichen Prozessstoffes durch das Berufungsgericht begründet keine Gehörsverletzung.
24 d) Der von der Beschwerde gegenüber dem Berufungsgericht erhobene Vorwurf einer willkürlichen Beweiswürdigung entbehrt jedes greifbaren Anhaltspunkts.
25 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.