Beschluss vom 20.01.2025 -
BVerwG 2 B 44.24ECLI:DE:BVerwG:2025:200125B2B44.24.0
Doppelte Berücksichtigung von ruhegehaltfähigen Dienstzeiten bei Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet
Leitsatz:
Beamter oder Richter "aus dem früheren Bundesgebiet" i. S. v. § 3 Abs. 1 Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung - BeamtVÜV - kann nur sein, wer bereits zuvor im früheren Bundesgebiet verwendet worden war.
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Rechtsquellen
BeamtVÜV §§ 1 und 3 1. BesÜV § 1 2. BesÜV §§ 1 und 2 -
Instanzenzug
VG Düsseldorf - 11.12.2020 - AZ: 13 K 7993/18
OVG Münster - 26.07.2024 - AZ: 1 A 139/21
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 20.01.2025 - 2 B 44.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:200125B2B44.24.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 44.24
- VG Düsseldorf - 11.12.2020 - AZ: 13 K 7993/18
- OVG Münster - 26.07.2024 - AZ: 1 A 139/21
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 9 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Kläger ist Bundesbeamter und begehrt, seine in den Jahren 1992 bis 1995 im Beitrittsgebiet geleistete Dienstzeit bei der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge doppelt als ruhegehaltfähig zu berücksichtigen.
2 1. Der Kläger, der sich im August 1991 erfolgreich für den höheren Dienst an die Oberfinanzdirektion (OFD) A. (im Beitrittsgebiet) bewarb, war zunächst absprachegemäß bei der OFD B. als Angestellter beschäftigt. Nach der Einführungszeit in die Aufgaben des höheren Dienstes in der Bundesvermögensverwaltung beim Bundesvermögensamt (BVA) C. wurde er bis auf weiteres an das BVA D. (im Beitrittsgebiet) abgeordnet. Im April 1992 wurde er zum Beamten auf Probe bei der OFD B. ernannt, aber weiterhin im Beitrittsgebiet verwendet. In der Folgezeit wurde er an das BVA D. (im Beitrittsgebiet) und später an die OFD A. (im Beitrittsgebiet) versetzt. Mit Wirkung zum 1. November 1994 wurde er in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen und in der Folgezeit weiter im Beitrittsgebiet verwendet.
3 Im Jahr 2016 wurde der Kläger wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Bei der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge wurde ein Ruhegehaltssatz von 61,71 vom Hundert ermittelt. Eine doppelte Berücksichtigung seiner bis Dezember 1995 im Beitrittsgebiet geleisteten Dienstzeit als ruhegehaltfähig erfolgte nicht. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb erfolglos.
4 Das Verwaltungsgericht hat die sodann beklagte Bundesrepublik Deutschland antragsgemäß verpflichtet, die vom Kläger im Beitrittsgebiet zwischen April 1992 und Dezember 1995 geleistete Dienstzeit als Aufbauhilfe i. S. d. § 3 Abs. 1 BeamtVÜV bei der Berechnung des Ruhegehaltes anzurechnen. Der Kläger sei als Beamter aus dem früheren Bundesgebiet zum Zwecke der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet verwendet worden. Die Tatbestandsmerkmale "aus dem früheren Bundesgebiet" und "im Beitrittsgebiet" in § 3 Abs. 1 BeamtVÜV seien ausschließlich als geographische Angaben zu verstehen. Maßgeblich sei insoweit allein, dass die Dienststelle des Klägers bei seiner Ernennung im April 1992 im ehemaligen Bundesgebiet, nämlich bei der OFD B., gelegen gewesen sei und er im Beitrittsgebiet nur seinen Dienst verrichtet habe. Der Kläger habe im Beitrittsgebiet auch Aufbauhilfe geleistet.
5 Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BeamtVÜV lägen nicht vor. Es müsse nicht entschieden werden, ob der vom Kläger seinerzeit im Beitrittsgebiet geleistete Dienst in der Sache als Aufbauhilfe im Sinne dieser Vorschrift qualifiziert werden könne. Denn der Kläger sei kein Beamter aus dem früheren Bundesgebiet. Die Begriffe "aus dem früheren Bundesgebiet" und "im Beitrittsgebiet" seien ausschließlich geographisch zu verstehen. Danach entscheide allein der Ort, an dem der Beamte seinerzeit dienstlich tätig gewesen oder verwendet worden sei. Auf den dienstrechtlichen Bezug des Beamten zu einer Behörde - hier etwa zu der im Zeitpunkt der erstmaligen Ernennung des Klägers im früheren Bundesgebiet gelegenen Dienststelle - oder zu einem Dienstherrn mit Gebietshoheit im früheren Bundesgebiet komme es dagegen nicht an. In Rn. 13 des Urteils des BVerwG vom 10. Juni 1999 - 2 C 3.99 - (Buchholz 239.1 § 107a BeamtVG Nr. 1) werde zwar ausgeführt, der dortige Kläger sei deshalb Beamter "aus dem früheren Bundesgebiet", weil seine Dienststelle bis zum 30. Juni 1991 in Berlin-West gelegen habe. Aber auch insoweit sei in der Sache auf den Ort der dienstlichen Tätigkeit abgestellt worden, der mit der Dienststelle identisch gewesen sei. Nach dieser Rechtsprechung seien Beamte aus dem früheren Bundesgebiet nur solche Beamte, die vor ihrer Tätigkeit im Beitrittsgebiet schon als aktive Beamte im bisherigen Bundesgebiet tätig gewesen seien. Diese Voraussetzung erfüllten auch die Beamten, die in das Beitrittsgebiet versetzt worden oder nach Beendigung eines im früheren Bundesgebiet begründeten Beamtenverhältnisses und unmittelbar anschließender Neuernennung im Beitrittsgebiet verwendet worden seien. Diese Beamten seien als zuvor in den alten Bundesländern tätige Beamte zur dauernden Verwendung ins Beitrittsgebiet gewechselt. Ein solcher Wechsel scheide bei von ihrer erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet tätig gewesenen Beamten denklogisch aus. Die Personengruppen "Beamte aus dem früheren Bundesgebiet" und "Beamte, die von ihrer erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurden" könnten sich nicht überschneiden. Die vom Wortlaut eindeutig vorgegebene, an dem Ort der Tätigkeit des Beamten ausgerichtete Betrachtungsweise entspreche der Entstehungsgeschichte und der Systematik nicht nur der Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung, sondern auch der zeitlich, in der Begrifflichkeit und dem Anwendungsbereich mit dieser Verordnung untrennbar zusammenhängenden Ersten und Zweiten Besoldungs-Übergangsverordnung.
6 2. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
7 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - juris Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Dezember 2023 - 2 B 19.23 - juris Rn. 16).
8
a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
"Ist das als geografische Angabe zu verstehende Tatbestandsmerkmal 'aus dem früheren Bundesgebiet' i. S. v. § 3 Abs. 1 BeamtVÜV erfüllt, wenn zum Zwecke der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet verwendete Beamte oder Richter einer im früheren Bundesgebiet belegenen Stammdienststelle angehören? Oder ist § 3 Abs. 1 BeamtVÜV dahingehend auszulegen, dass der Beamte oder Richter (zuvor bereits) im früheren Bundesgebiet verwendet wurde, obwohl der Wortlaut des § 3 Abs. 1 BeamtVÜV den Begriff der Verwendung nur auf das Tatbestandsmerkmal 'zum Zwecke der Aufbauhilfe', nicht aber auf das Tatbestandsmerkmal 'aus dem früheren Bundesgebiet' bezieht?"
und
"Kann ein Beamter und Richter 'aus dem früheren Bundesgebiet' i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 3, § 3 Abs. 1 BeamtVÜV auch ein Beamter oder Richter sein, der gemäß § 1 Abs. 1 BeamtVÜV von seiner erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurde, wenn dieser (von seiner Ernennung an) einer im früheren Bundesgebiet belegenen Stammdienststelle angehört?"
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Sie sind auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung und mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
9 Nach § 3 Abs. 1 Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung - BeamtVÜV - wird die Zeit der Verwendung eines Beamten oder eines Richters aus dem früheren Bundesgebiet zum Zwecke der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet - in den zeitlichen Grenzen des § 3 Abs. 2 BeamtVÜV - doppelt als ruhegehaltfähig berücksichtigt, wenn diese Zeit ununterbrochen mindestens ein Jahr gedauert hat.
10 Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Merkmale "aus dem früheren Bundesgebiet" und "im Beitrittsgebiet" als ausschließlich geographische Angabe zu verstehen sind (BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1999 - 2 C 3.99 - Buchholz 239.1 § 107a BeamtVG Nr. 1 = juris Rn. 13). Hieraus allein ergibt sich zwar noch nicht die Antwort nach der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage nach dem maßgeblichen Bezugspunkt der geographischen Zuordnung, nämlich darauf, ob es auf den Sitz der Stammdienststelle oder den Ort der Dienstverrichtung ankommt. Diese Frage lässt sich aber mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden, insbesondere durch den Rückgriff auf systematische und teleologische Erwägungen ermitteln.
11 Sinn und Zweck der Regelung des § 3 BeamtVÜV war, einen "Anreiz für alle aktiven Beamten, insbesondere auch für jüngere, die in Anbetracht der sich ab 1. Januar 1992 ändernden Ruhegehaltsskala ihre Versorgungsanwartschaft verbessern wollen" (BR-Drs 216/91 S. 4), zu schaffen, Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet zu leisten. Sie stand damit im Zusammenhang mit der Verwaltungshilfe für die neuen Bundesländer, für die es des Einsatzes erfahrener motivierter öffentlicher Bediensteter bedurfte, die unter erschwerten Arbeitsbedingungen Pionierarbeit zu leisten bereit waren. Durch finanzielle Anreize sollte die Bereitschaft geweckt werden, Aufgaben in der ehemaligen DDR zu übernehmen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 3. November 1998 - 4 B 23.96 - juris Rn. 22; Warbeck, RiA 1994, S. 131 <133>). § 3 BeamtVÜV sollte dazu beitragen, erfahrene Beamte und Richter aus den alten Bundesländern zum Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung im Beitrittsgebiet zu gewinnen (vgl. etwa VG Gera, Urteil vom 2. September 2003 - 1 K 1057/02.GE - juris Rn. 23).
12 Die von § 3 BeamtVÜV vorgesehene doppelte Berücksichtigung bestimmter Dienstzeiten im Beitrittsgebiet als ruhegehaltfähig war also ein Mobilitätsanreiz. Beamter aus dem früheren Bundesgebiet i. S. d. § 3 Abs. 1 BeamtVÜV kann deshalb nur ein Beamter sein, der im früheren Bundesgebiet tätig war und mittels der - zeitlich beschränkten - doppelten versorgungsrechtlichen Berücksichtigung von Aufbauhilfe-Zeiten zur Leistung von Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet - und damit zum Wechsel des Ortes seiner Dienstverrichtung - motiviert werden sollte. Ohne eine vorherige Tätigkeit im alten Bundesgebiet bedurfte es keines Mobilitätsanreizes für den Wechsel des Orts der Tätigkeit ins Beitrittsgebiet. Leistete ein Beamter seit seiner Ernennung ausschließlich Dienst im Beitrittsgebiet, ist er deshalb kein Beamter aus dem früheren Bundesgebiet i. S. d. § 3 Abs. 1 BeamtVÜV. Nichts anderes gilt, wenn der Beamte zunächst bei einer Stammdienststelle im alten Bundesgebiet ernannt worden war, jedenfalls dann, wenn diese Ernennung nicht auf eine Verwendung an dieser Stammdienststelle angelegt war, sondern als organisatorische Unterstützung für die noch im Aufbau befindlichen Verwaltungsstrukturen im Beitrittsgebiet fungierte (wie hier in der Beschwerdeschrift S. 2 und 3 anschaulich für den Fall des Klägers geschildert).
13 Bestätigt wird die Dienstverrichtung im früheren Bundesgebiet als maßgeblich für das Tatbestandsmerkmal "aus dem früheren Bundesgebiet" in § 3 Abs. 1 BeamtVÜV - wie das Berufungsgericht angenommen hat - durch den systematischen Zusammenhang mit der Ersten und Zweiten Besoldungs-Übergangsverordnung - 1. BesÜV und 2. BesÜV. Die Beamtenversorgungs-Übergangsverordnung sowie die Erste und Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung gelten jeweils grundsätzlich für Beamte und Richter, die nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages von ihrer ersten Ernennung oder Wiederernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BeamtVÜV, § 1 Abs. 1 Satz 1 1. BesÜV, § 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 2. BesÜV). Demgegenüber gilt § 3 BeamtVÜV für Beamte und Richter aus dem früheren Bundesgebiet sowie für Beamte und Richter im Ruhestand, die im Beitrittsgebiet tätig wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BeamtVÜV). Die besondere Privilegierung der doppelten Berücksichtigung der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet als ruhegehaltfähige Dienstzeit ist auf Beamte und Richter aus dem früheren Bundesgebiet beschränkt. Sie gilt gerade nicht für Beamte und Richter, die nur im Beitrittsgebiet verwendet wurden. Diese beiden Gruppen haben - wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat - keine Schnittmengen, sondern schließen sich gegenseitig aus; wer nur im Beitrittsgebiet verwendet worden ist, kann kein Beamter oder Richter aus dem früheren Bundesgebiet sein.
14 Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen sind mithin dahingehend zu beantworten, dass das als geografische Angabe zu verstehende Tatbestandsmerkmal "aus dem früheren Bundesgebiet" i. S. v. § 3 Abs. 1 BeamtVÜV nur erfüllt ist, wenn zum Zwecke der Aufbauhilfe im Beitrittsgebiet verwendete Beamte oder Richter zuvor bereits im früheren Bundesgebiet verwendet wurden, und dass ein Beamter oder Richter, der von seiner erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurde, auch dann kein Beamter und Richter "aus dem früheren Bundesgebiet" i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 3, § 3 Abs. 1 BeamtVÜV sein kann, wenn er von seiner Ernennung an einer im früheren Bundesgebiet belegenen Stammdienststelle angehört hat.
15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.