Beschluss vom 19.08.2024 -
BVerwG 4 B 9.24ECLI:DE:BVerwG:2024:190824B4B9.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.08.2024 - 4 B 9.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:190824B4B9.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 9.24

  • VG Freiburg - 23.07.2020 - AZ: 4 K 468/20
  • VGH Mannheim - 16.01.2024 - AZ: 3 S 184/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2024 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, zu deren Begründung der Kläger allein den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Anspruch nimmt, hat keinen Erfolg.

2 Nach der genannten Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - ‌Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Divergenzgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Eine entscheidungserhebliche Divergenz legt die Beschwerde hiernach nicht dar.

3 1. Der Kläger rügt zunächst, der Verwaltungsgerichtshof weiche ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, indem er - im Anschluss an seine Rechtsprechung zum Verhältnis von Bebauungsplan und örtlichen Bauvorschriften - eine uneingeschränkte Geltung der Grundsätze über die Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans für einen - wie hier gegeben - übergeleiteten, ursprünglich aus verschiedenen Rechtsvorschriften, nämlich den Bebauungsvorschriften und dem Straßen- und Baufluchtenplan, bestehenden Bebauungsplan ablehne. Die Beschwerde zeigt aber nicht auf, in welcher Hinsicht entscheidungserhebliche Auffassungsunterschiede vorliegen. Soweit der Verwaltungsgerichtshof feststellt, dass die Unwirksamkeit der einen Satzung "nicht automatisch" zur Unwirksamkeit der anderen führe, und dies ("mithin") der Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstehe, ist nicht dargetan, dass das Bundesverwaltungsgericht von einem zur Gesamtunwirksamkeit führenden "Automatismus" ausgeht. Vielmehr liegt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Rechtssatz selbst des Inhalts, dass die Teilunwirksamkeit immer die Ausnahme sei, nicht zugrunde (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2022 - 4 CN 1.22 - BVerwGE 177, 249 Rn. 33 m. w. N.). Soweit der Verwaltungsgerichtshof zur Feststellung, ob der Baufluchtenplan trotz des Umstands, dass die Bebauungsvorschriften wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten sind, weiterhin wirksam ist, auf den hypothetischen Willen des Satzungsgebers abstellt, ist ebenfalls nicht ersichtlich, inwieweit darin eine Distanzierung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegen sollte. Diese erste Rüge bedarf jedoch keiner weiteren und abschließenden Erörterung.

4 2. Denn mit der zweiten Rüge, die jedenfalls nach dem Begründungsgang des Verwaltungsgerichtshofs selbständig tragend sein soll, dringt die Beschwerde keinesfalls durch. Der Verwaltungsgerichtshof führt aus, dass die Annahme einer Teilunwirksamkeit des übergeleiteten Bebauungsplanes auch dann gerechtfertigt sei, wenn die Grundsätze der Teil-/Gesamtnichtigkeit von Bebauungsplänen uneingeschränkt angewendet werden. Zu Unrecht beanstandet die Beschwerde, dass der Verwaltungsgerichtshof diesem Ansatz nicht gerecht geworden sei, sondern abweichende Rechtssätze zugrundegelegt habe.

5 Die Beschwerde verweist auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs, wonach darauf abzustellen ist, ob die Festsetzungen auch ohne die fehlerhaften Regelungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und ob die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte; maßgeblich sei, welche Entscheidung mutmaßlich getroffen worden wäre, wenn die Gemeinde den Fehler, der dem Bebauungsplan anhaftet, erkannt hätte. Dem stellt die Beschwerde den Rechtssatz aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2019 - 4 B 37.18 - (juris Rn. 6) gegenüber, wonach die Unwirksamkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge habe, wenn die Rechtsbestimmung auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibe (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen sei, dass sie auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers).

6 Zu Unrecht meint der Kläger, der Verwaltungsgerichtshof habe bereits insoweit einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt, als er einen hypothetischen Willen des Plangebers ausreichen lasse, während das Bundesverwaltungsgericht eine gesicherte Annahme voraussetze. Ein rechtssatzmäßiger Gegensatz ist damit schon deswegen nicht dargetan, weil das Bundesverwaltungsgericht auch in dem genannten Beschluss die zweite Voraussetzung mit dem Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers umschreibt (so auch schon BVerwG, Beschluss vom 8. August 1989 - 4 NB 2.89 - Buchholz 406.11 § 10 BBauG/BauGB Nr. 17 S. 12).

7 Eine Abweichung liegt entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht insoweit vor, als der Verwaltungsgerichtshof es genügen lasse, wenn die verbleibende Satzung "im Zweifel" beschlossen worden wäre, während die vom Bundesverwaltungsgericht verwendete Formulierung "Sicherheit" verlange. Wenn in der Rechtsprechung des Senats im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Willen des Normgebers zum einen von Sicherheit (siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 8. August 1989 - 4 NB 2.89 - Buchholz 406.11 § 10 BBauG/BauGB Nr. 17 S. 12; Urteile vom 26. März 2009 - 4 C 21.07 - BVerwGE 133, 310 Rn. 30 und vom 17. Oktober 2019 - 4 CN 8.18 - BVerwGE 166, 378 Rn. 37), zum anderen von Zweifeln (siehe etwa BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juli 1989 - 4 N 3.87 - ‌BVerwGE 82, 225 <230> und vom 25. Februar 1997 - 4 NB 30.96 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 116 S. 77; Urteile vom 19. September 2002 - 4 CN 1.02 -‌ BVerwGE 117, 58 <61>, vom 5. Mai 2015 - 4 CN 4.14 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 19, vom 25. Januar 2022 - 4 CN 5.20 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 43 Rn. 16 und vom 14. Dezember 2022 - 4 CN 1.22 - BVerwGE 177, 249 Rn. 32) die Rede ist, werden damit keine divergierenden Maßstäbe bezeichnet. Vielmehr ist der Bezugspunkt jeweils ein anderer. Die Worte "im Zweifel" weisen auf den hypothetischen Charakter der Untersuchung des gemeindlichen Willens für den Fall der Kenntnis der Nichtigkeit einzelner Festsetzungen bzw. der einen Rechtsvorschrift hin. Demgegenüber betrifft der Maßstab "mit Sicherheit anzunehmen ist" die volle richterliche Überzeugungsgewissheit im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 1998 ‌- 4 NB 3.97 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 24 S. 18; siehe auch Urteile vom 23. April 2009 - 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377 Rn. 30 und vom 11. Juli 2013 ‌- 4 CN 7.12 - Buchholz 406.12 § 10 BauNVO Nr. 4 Rn. 22).

8 Schließlich ist auch in Bezug auf den Grundsatz der Teilbarkeit der Regelungen eine Divergenz nicht dargetan. Nach dem Verwaltungsgerichtshof liegt diese Voraussetzung dann vor, wenn die verbleibenden Regelungen auch ohne die fehlerhaften Regelungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im genannten Beschluss gewählte Umschreibung eines untrennbaren Zusammenhangs inhaltlich Abweichendes zum Ausdruck bringen will. Ein seines Kerngehalts beraubtes Planungskonzept, von dem nur noch ein Planungstorso übrigbleibt, kann offensichtlich zu einer sinnvollen städtebaulichen Ordnung nichts mehr beitragen. Ob der Verwaltungsgerichtshof die maßgeblichen Rechtssätze im Einzelfall, auch unter Würdigung des Umstands, dass Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung entfallen sind, richtig angewandt hat, ist für den geltend gemachten Revisionszulassungsgrund ohne Bedeutung.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.