Beschluss vom 19.06.2013 -
BVerwG 3 B 86.12ECLI:DE:BVerwG:2013:190613B3B86.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.06.2013 - 3 B 86.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:190613B3B86.12.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 86.12

  • VG Dresden - 09.04.2009 - AZ: VG 3 K 190/08
  • Sächsisches OVG - 05.03.2012 - AZ: OVG 1 A 966/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Buchheister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. März 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin ist ein privates Entsorgungsunternehmen. Sie führt seit dem Jahre 2008 im Gebiet der beklagten Stadt regelmäßig gewerbliche Altpapiersammlungen durch und stellt dazu den Grundstückseigentümern sogenannte Blaue Tonnen zur Verfügung, die sie turnusmäßig leert. Die Beklagte, die die städtische Altpapiersammlung seinerzeit als Bringsystem mit Abfallcontainern organisiert hatte, wies in Pressemitteilungen darauf hin, dass sie weder die dauerhafte noch die kurzfristige Aufstellung Blauer Tonnen auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen im Stadtgebiet dulden werde, weil es sich um eine nicht genehmigungsfähige Sondernutzung handele; die Tonnen müssten auf den privaten Grundstücken verbleiben und dort von dem Entsorgungsunternehmen zur Entleerung abgeholt werden. Das Verwaltungsgericht hat die auf die Feststellung gerichtete Klage,

2 dass private Haushaltungen, die sich der gewerblichen Altpapiersammlung der Klägerin angeschlossen haben, ohne Sondernutzungserlaubnis gemäß § 2 Abs. 3 der Sondernutzungssatzung der Beklagten berechtigt sind, „Blaue Altpapiertonnen“ der Klägerin zum Zwecke der turnusgemäßen Entleerung am Tag vor und bis zu einem Tag nach der Entleerung vorübergehend im öffentlichen Straßenraum aufzustellen,

3 abgewiesen. Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung über ihre Berufung ihren Feststellungsantrag um zwei Hilfsanträge ergänzt. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und auf den zweiten, als sachdienliche Klageänderung beurteilten Hilfsantrag der Klägerin festgestellt,
dass private Haushaltungen auch dann ohne Sondernutzungserlaubnis gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 des Sächsischen Straßengesetzes berechtigt sein können, Abfallbehältnisse für die Sammlung von Altpapier jeweils für einen Zeitraum, der zum Zwecke der turnusmäßigen Entleerung angemessen ist, im öffentlichen Straßenraum vor dem Grundstück aufzustellen, wenn die Entleerung im Rahmen einer gewerblichen Sammlung erfolgt,
sowie die Klage im Übrigen abgewiesen.

4 Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist nicht begründet. Es ist weder die geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erkennbar, noch liegen die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel vor.

5 1. Die Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sieht die Beklagte darin, dass das Oberverwaltungsgericht den zweiten Hilfsantrag als zulässiges Feststellungsbegehren angesehen habe, obwohl er eine abstrakte Rechtsfrage und kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zur Entscheidung stelle. Während nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO erst dann gegeben sei, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig sei, sei das Oberverwaltungsgericht der Ansicht, dass die Einzelfallbezogenheit des Anliegergebrauchs der Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens nicht entgegenstehe. Die Auslegung des Sächsischen Straßengesetzes im Hinblick auf eine nicht überschaubare Anzahl von Einzelfällen stelle jedoch nicht mehr als die Abgabe eines Rechtsgutachtens dar.

6 Eine Abweichung im Rechtssinne zeigt die Beklagte mit diesem Vorbringen nicht auf; denn sie arbeitet keine einander widersprechenden Rechtssätze heraus, die der herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und dem angegriffenen Urteil zugrunde liegen. Vielmehr beanstandet sie der Sache nach, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung des zweiten Hilfsantrages die Anforderungen an ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis erfüllt gesehen habe, obwohl der dafür notwendige Lebenssachverhalt nicht hinreichend konkretisiert gewesen sei. Solche vermeintlichen Subsumtionsmängel sind jedoch keine rügefähige Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

7 2. Der in demselben Sachzusammenhang gerügte Verfahrensmangel, den die Beklagte darin sieht, dass das Oberverwaltungsgericht bei fehlerfreier Anwendung des § 43 Abs. 1 VwGO den zweiten Hilfsantrag der Klägerin als unzulässig hätte abweisen müssen, liegt ebenfalls nicht vor. Es trifft nicht zu, dass diesem Antrag kein konkreter Sachverhalt und damit kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zugrunde liegt. Der Umstand, dass die begehrte Feststellung keine endgültige Antwort darauf gibt, ob in allen davon erfassten Einzelfällen die Grenzen der erlaubnisfreien Straßennutzung eingehalten werden, bedeutet nicht, dass lediglich eine gutachtliche Äußerung des Gerichts zu einer abstrakten Rechtsfrage eingeholt werden soll. Vielmehr soll das Gericht eine sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebende streitige Frage zwischen den Beteiligten klären, nämlich ob die von der Klägerin veranlasste Aufstellung der Blauen Tonnen im öffentlichen Straßenraum - wie die Beklagte meint - ausnahmslos erlaubnispflichtig ist, mit anderen Worten, ob die Aufstellung der Tonnen dort ohne Weiteres rechtswidrig ist. Dass sich im Einzelfall wegen besonderer örtlicher Verhältnisse ein weiterer Klärungsbedarf ergeben kann, ändert nichts daran, dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse daran hat, klären zu lassen, ob ihrem Geschäftsmodell von vornherein die von der Beklagten geltend gemachte Erlaubnispflicht nach dem Sächsischen Straßengesetz entgegensteht.

8 3. Die daran anschließende Verfahrensrüge der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe den nachträglich gestellten zweiten Hilfsantrag nicht als sachdienliche Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO zulassen dürfen, geht bereits daran vorbei, dass die Entscheidung darüber nach § 91 Abs. 3 VwGO nicht selbständig anfechtbar ist. Daraus ergibt sich zugleich, dass mit der Behauptung, das Berufungsgericht habe zu Unrecht eine Klageänderung als sachdienlich zugelassen, kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht wird (Beschluss vom 14. Mai 1999 - BVerwG 4 B 21.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 20). Abgesehen davon verkennt die Beklagte, dass die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, der Einschätzung der darüber entscheidenden Instanz unterliegt. Das Revisionsgericht darf nur prüfen, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenzen seines Einschätzungsspielraums überschritten hat (Urteil vom 22. Februar 1980 - BVerwG 4 C 61.77 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 161). Eine solche Grenzüberschreitung ist nicht feststellbar, obwohl in Einzelfällen Klärungsbedarf über den Umfang erlaubnisfreier Straßennutzung bleiben mag; denn das mit dem zweiten Hilfsantrag verbundene Interesse der Klägerin richtet sich, wie bereits ausgeführt, auf die Klärung der Frage, ob ihre Entsorgungspraxis grundsätzlich mit den Anforderungen des Sächsischen Straßenrechts vereinbar ist. In diesem begrenzten Umfang strebt sie eine endgültige Streitbeilegung an, so dass die Zulassung dieses Antrages durchaus der mit dem Begriff der Sachdienlichkeit bezweckten Prozessökonomie Rechnung trägt.

9 4. Schließlich ist auch die von der Beklagten geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG nicht feststellbar. Insoweit beruft sie sich im Wesentlichen darauf, dass das Oberverwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung auf den Kern ihres Vorbringens zu den Erschwernissen für die Nutzung des Straßenraums, die mit der Aufstellung der Blauen Tonnen verbunden sein könnten, sowie dazu, dass die jeweiligen örtlichen Verhältnisse für die Abgrenzung zwischen erlaubnispflichtiger Sondernutzung und erlaubnisfreiem Anliegergebrauch maßgeblich seien, nicht eingegangen sei; vielmehr habe das Gericht sich ohne Berücksichtigung ihrer Argumente auf den Standpunkt gestellt, dass das kurzzeitige Abstellen der Blauen Tonnen auf einem Gehweg immer erlaubnisfreier Anliegergebrauch sei.

10 Dies trifft so nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat in der maßgeblichen Passage der Urteilsbegründung (Rn. 38) - offenbar auch im Hinblick darauf, dass die Beklagte seit kurzem selbst ein Holsystem mit Blauen Tonnen eingeführt hat - klargestellt, dass der erlaubnisfreie Anliegergebrauch nicht der Durchsetzung der zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitigen abfallrechtlichen Überlassungspflichten nach § 13 KrW-/AbfG („Kampf um das Altpapier“) diene, sondern der Gewährleistung einer angemessenen, erlaubnisfreien Mitbenutzung des öffentlichen Straßenraums durch Anlieger, soweit diese Nutzung den Gemeingebrauch nicht dauernd ausschließe oder erheblich beeinträchtige. Anschließend führt das Gericht wörtlich aus:
„Innerhalb dieses Rahmens dürfen auch 'Blaue Tonnen' der Beklagten kurzzeitig zum Zweck der Entleerung im öffentlichen Verkehrsraum aufgestellt werden, soweit die jeweiligen örtlichen Verhältnisse im Bereich des Anliegergrundstücks dies zulassen (etwa auf einem Gehweg).“

11 Aus dieser Formulierung lässt sich keineswegs schließen, dass das Gericht das Aufstellen solcher Tonnen auf dem Gehweg ausnahmslos für erlaubnisfrei hält. Vielmehr sind seine Ausführungen als Hinweis auf die Tatsache zu verstehen, dass solche Tonnen auf Gehwegen regelmäßig - aber eben nicht immer - Platz finden können, ohne dass der Gemeingebrauch über Gebühr beeinträchtigt wird. Auf der anderen Seite hat das Gericht aber auch keinen Zweifel daran gelassen, dass ein solcher Anliegergebrauch den dargelegten Grenzen unterliegt. Daraus, dass es die Vereinbarkeit des vorübergehenden Aufstellens der Tonnen mit dem Gemeingebrauch an der Straße und die dafür maßgeblichen Tatsachen im Ergebnis anders einschätzt als die Beklagte, lässt sich nicht schließen, dass es deren Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen und damit ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat, zumal der maßgebliche rechtliche Ausgangspunkt des Gerichts sich von der Rechtsauffassung der Beklagten unterscheidet. Für das Gericht war - wie oben dargelegt - die grundsätzliche Vereinbarkeit des Geschäftsmodells der Klägerin mit den Anforderungen des Straßenrechts entscheidungserheblich, nicht aber in Einzelfällen auftretenden Unzuträglichkeiten. Dass es diesen Unzuträglichkeiten - auch in Ansehung dessen, dass die Beklagte inzwischen selbst solche Tonnen aufstellen lässt - nicht dasselbe Gewicht beimisst wie die Beklagte, hält sich im Rahmen der ihm obliegenden Feststellung und Würdigung des Sachverhalts und lässt den gerügten Verfahrensmangel nicht erkennen.

12 Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

13 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.