Beschluss vom 18.07.2024 -
BVerwG 7 B 28.23ECLI:DE:BVerwG:2024:180724B7B28.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.07.2024 - 7 B 28.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:180724B7B28.23.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 28.23

  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.06.2023 - AZ: 3a A 57/23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juli 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage, die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen unter Reduzierung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächentiefe erteilt wurde. Ihr Grundstück, das sie für das Repowering einer Windenergieanlage nutzen möchte, grenzt unmittelbar an das Vorhabengrundstück.

2 Die Klägerin macht unter anderem geltend, dass für das Vorhaben der Beigeladenen eine UVP-Pflicht bestehe. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass das Tötungsrisiko für Fledermäuse signifikant erhöht sei. Der Beklagte sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Standortverschiebung der genehmigten Windenergieanlage nicht möglich sei. Durch die Verringerung der Abstandsflächen werde ihr Repoweringvorhaben unmöglich.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die naturschutzfachliche Einschätzung des Beklagten, dass die in der Nebenbestimmung zur Genehmigung verfügten Abschaltzeiten der Windkraftanlage das Kollisions- und Tötungsrisiko für Fledermäuse in ihrem Flugkorridor hinreichend reduzieren, sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin sei durch die Verkürzung der Abstandsflächen nicht in ihren Rechten verletzt. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

4 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

5 1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann.

6 a) Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine willkürliche Sachverhaltswürdigung - in Gestalt der Aktenwidrigkeit oder einer Verletzung von Denkgesetzen - liegt schon deswegen nicht vor, weil das Oberverwaltungsgericht die von der Klägerin behauptete Feststellung, "dass Fledermausflugrouten nicht zu Fledermauslebensräumen gehören und somit von ... fehlenden erheblichen Umweltauswirkungen" ausgehe, nicht getroffen hat. Ob die Vorinstanz Seite 8 des "Prüfvermerks UVP-VP" des Beklagten, der dem Senat nicht vorliegt, zutreffend dahin interpretiert hat, dass dort zwischen Fledermauslebensräumen und Flugkorridoren differenziert werde, ist nicht maßgebend. Entscheidend ist, dass sowohl der Beklagte als auch das Oberverwaltungsgericht tragend auf die Abschaltvorgaben in der Nebenbestimmung zur Genehmigung abgestellt haben. Aufgrund dieser Vermeidungsmaßnahme durfte der Beklagte nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts davon ausgehen, dass ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko für Fledermäuse verneint werden kann (UA S. 7). Darauf, ob Fledermausrouten zu den Lebensräumen dieser Tiere gehören, kam es mithin nicht entscheidungserheblich an.

7 b) Angesichts dessen, dass die vorgegebenen Abschaltzeiten der Anlage 3 zum Windkrafterlass des Ministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg vom 1. Januar 2011 entsprechen, musste sich dem Oberverwaltungsgericht jedenfalls bei der hier nur vorzunehmenden Plausibilitätsprüfung auch eine weitere Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht aufdrängen. Eine generelle Aussage, wonach der im Brandenburger Windkrafterlass genannte Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte September zu kurz greife, lässt sich dem von der Klägerin angeführten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. September 2020 - 11 N 39/17 - (juris Rn. 35 ff.) nicht entnehmen. Vielmehr wurde dort die vom Verwaltungsgericht Berlin angenommene Einschätzungsprärogative der Behörde nicht beanstandet. Substantiierte Bedenken gegen die im Genehmigungsbescheid verfügten Abschaltzeiten hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgetragen.

8 c) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) vor. Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit dem Vortrag der Klägerin zur Verschiebbarkeit der Windkraftanlage gar nicht befasst. Die Klägerin habe in der Vorinstanz substantiiert zu den Möglichkeiten hierzu vorgetragen. Dieses Vorbringen führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Aus der Begründung des angegriffenen Urteils ist vielmehr ersichtlich, dass sich das Oberverwaltungsgericht mit dem Vorbringen der Klägerin zu Standortalternativen befasst hat (UA S. 8 f., 12 f.). Die Vorinstanz ist lediglich der Auffassung der Klägerin nicht gefolgt, wonach es auf die "Verschiebbarkeit" der Windenergieanlage der Beigeladenen ankomme. Gleiches gilt für die Einschätzung des Beklagten, nach der bereits durch die Einhaltung der Abschaltzeiten eine signifikante Erhöhung des Kollisionsrisikos von Fledermäusen vermieden werde. Dies hat das Oberverwaltungsgericht für plausibel gehalten. Die Voraussetzungen für die Abweichungsentscheidung hat die Vorinstanz im Hinblick auf die nachbarlichen Interessen der Klägerin als erfüllt angesehen, und sodann ein intendiertes Ermessen angenommen. Ein Gehörsverstoß folgt daraus gerade nicht.

9 2. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

10 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 7).

11 a) Soweit die Klägerin grundsätzlich geklärt wissen möchte,
"wem die Darlegungslast für einen Nutzungs- und Strukturwandel oder wesentliche Veränderungen von Standortbedingungen obliegt, wenn die Daten ökologischer Bestandserfassungen veraltet sind",
ist die Zulassung der Revision nicht gerechtfertigt. Diese Frage ist aus mehreren Gründen nicht entscheidungserheblich.

12 aa) Das Oberverwaltungsgericht hat im Rahmen der Plausibilitätskontrolle der UVP-Vorprüfung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG, bei der die von der Behörde für ihr Prüfergebnis gegebene Begründung zugrunde zu legen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 - BVerwGE 141, 282 Rn. 29), nicht angenommen, dass die Erfassungen des Fledermausvorkommens vom 4. Mai bis zum 13. Oktober 2015 in dem zugrunde gelegten Fachbeitrag vom 7. Januar 2016 veraltet seien. Vielmehr verweist die Vorinstanz auf obergerichtliche Rechtsprechung, wonach auch bei einem Alter der Erfassungsdaten von sechs bis sieben Jahren noch von deren Gültigkeit ausgegangen werden kann, wenn kein Nutzungs- und Strukturwandel stattgefunden hat und auch sonst keine wesentliche Veränderung der Standortbedingungen eingetreten ist (UA S. 8; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2022 - 7 C 4.21 - BVerwGE 176, 313 Rn. 20 zur Bestandserfassung für die artenschutzrechtliche Prüfung). Auf die Darlegungslast kommt es vorliegend nicht an, weil das Oberverwaltungsgericht hierzu ausgeführt hat, dass für eine wesentliche Veränderung der Standortbedingungen nichts dargetan oder ersichtlich sei, und damit offensichtlich auch insoweit von dem im Verwaltungsprozess grundsätzlich herrschenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ausgeht.

13 bb) Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht selbständig tragend die Feststellung des Beklagten herangezogen, wonach das Vorhaben wegen der Nebenbestimmung Nr. 6.4 zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 6. April 2021 keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG) auf Fledermäuse haben könne. Nach dieser Nebenbestimmung ist die genehmigte Windkraftanlage der Beigeladenen im Zeitraum vom 15. Juli bis 15. September bei Windgeschwindigkeiten in Gondelhöhe unterhalb von 5,0 m/s und bei einer Lufttemperatur von 10°C im Windpark ohne Niederschlag eine Stunde vor Sonnenuntergang bis eine Stunde vor Sonnenaufgang abzuschalten. Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Annahme des Beklagten, dem Schutz der Fledermäuse werde durch die vorgegebene Abschaltung der Anlage hinreichend Rechnung getragen, auch dann plausibel sei, wenn das Gutachten vom 7. Januar 2016 als veraltet zu bewerten wäre (UA S. 8).

14 b) Die von der Klägerin der Sache nach aufgeworfene Frage,
ob bei Abweichungsentscheidungen zum Abstandsflächenrecht, insbesondere aufgrund der gesetzlichen Wertung des § 2 EEG, Alternativstandorte geprüft werden müssen, um eine effiziente Flächenausnutzung zu gewährleisten,
führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Eine Abweichung von den Abstandsflächen kann gemäß § 6 Abs. 11 i. V. m. § 67 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO) zugelassen werden. Hierbei handelt es sich um Landesrecht, das grundsätzlich nicht revisibel ist. Allerdings ist die Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts daraufhin zu überprüfen, ob die Vorinstanz die für die Entscheidung maßgeblichen bundesrechtlichen Maßstäbe zutreffend erkannt und zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <351>). Auch dies führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Frage.

15 Nach § 2 Satz 1 EEG liegen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden (§ 2 Satz 2 EEG). Diese bundesrechtliche Regelung hat das Oberverwaltungsgericht bei der Abweichungsentscheidung nach der Landesbauordnung ausgelegt und angewendet. Auf dieser Grundlage hat die Vorinstanz angenommen, dass unter anderem das öffentliche Interesse an der Nutzung von Windenergie für das Vorhaben der Beigeladenen spricht, und die Interessen der Klägerin, deren Grundstücksgrenzen durch die reduzierten Abstandsflächen nicht überschritten werden, hinter die Interessen der Beigeladenen zurücktreten. Schwierigkeiten, ebenfalls eine entsprechende Anlage im Wege des Repowering auf dem Grundstück der Klägerin zu errichten, resultierten erkennbar allein aus dem Umstand, dass es bei Ausnutzung des Grundstückes der Klägerin für ein Repowering-Vorhaben wegen eines zu geringen Abstandes zu anderen Windenergieanlagen zu Turbulenzen kommen könne, die das Maß des zulässigen überstiegen (UA S. 12 f.). Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden und zeigen keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.

16 Ob dies gleichermaßen auch für die weitere Annahme des Oberverwaltungsgerichts gilt (UA S. 13), dass es nach der Neufassung des § 6 BbgBO bei der Entscheidung über eine Abstandsflächenverkürzung auf etwaige Standort- und Planungsalternativen nicht ankomme, da insoweit allein die Schutzziele des Abstandsflächenrechts maßgeblich seien, ist nicht frei von Zweifeln. Würde ein rechtlich zulässiger und zumutbarer Alternativstandort auf dem Grundstück der Beigeladenen existieren und durch die Wahl dieses Standortes der Klägerin die Realisierung eines Repowering-Vorhabens auf ihrem Grundstück ermöglicht werden können, wäre es mit dem in § 2 Satz 1 EEG vorgegebenen überragenden öffentlichen Interesse nicht vereinbar, diese Standortalternative von vornherein außer Acht zu lassen.

17 Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision gleichwohl nicht, weil das Oberverwaltungsgericht weder festgestellt hat, dass das Grundstück der Klägerin gerade wegen der gewährten Abweichung nicht in der von ihr beabsichtigten Weise bebaubar wäre, noch hat es Feststellungen dahingehend getroffen, dass Standortalternativen auf dem Grundstück der Beigeladenen, entgegen deren ausdrücklichen Vortrag, der Standort sei "alternativlos", existieren. Damit bleibt offen, ob sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt stellen würde. Ziel der Grundsatzrevision ist es indes, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 ‌- 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Dem würde es widersprechen, die Revision in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 - 4 BN 36.15 - juris Rn. 12). Fehlende tatrichterliche Feststellungen können einer Beschwerde lediglich dann nicht entgegengehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht hinsichtlich einer rechtsgrundsätzlich bedeutsamen Frage die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62>, vom 19. August 2013 - 9 BN 1.13 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7, vom 21. April 2015 - 4 B 8.15 - juris Rn. 3 und vom 21. Januar 2016 - 4 BN 36.15 -‌ juris Rn. 13). Ein solcher Fall liegt indes nicht vor. Die Klägerin hat Anträge zur Sachaufklärung nicht gestellt und es ist auch nichts ersichtlich dafür, dass auf dieses Erfordernis ausnahmsweise verzichtet werden konnte (BVerwG, Beschluss vom 28. April 2020 - 4 B 49.18 - juris Rn. 8 f.).

18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.