Beschluss vom 18.06.2024 -
BVerwG 4 B 3.24ECLI:DE:BVerwG:2024:180624B4B3.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.06.2024 - 4 B 3.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:180624B4B3.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 3.24

  • VG Düsseldorf - 11.11.2020 - AZ: 4 K 1275/19
  • OVG Münster - 23.11.2023 - AZ: 10 A 3502/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Seidel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. November 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Klägerin dringt mit ihrer Divergenzrüge nicht durch.

3 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dies setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, einen tragenden, abstrakten Rechtssatz dieser Entscheidung zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt hierfür nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).

4 Gemessen daran legt die Klägerin eine Divergenz nicht dar. Die Beschwerde entnimmt vier, bereits im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen des Senats (BVerwG, Urteile vom 23. März 1973 - 4 C 49.71 - BVerwGE 42, 115, vom 26. März 1976 - 4 C 7.74 - BVerwGE 50, 282 und vom 24. Oktober 1980 - 4 C 3.78 - BVerwGE 61, 128 sowie Beschluss vom 31. Juli 1992 - 4 B 140.92 - juris) die folgenden Rechtssätze:
"(1.) Ein Gericht darf einer Petentin das Rechtsschutzinteresse absprechen, sofern und soweit ein schlechthin nicht ausräumbares privatrechtliches Hindernis der Verwertung der beantragten Genehmigung entgegensteht.
(2.) Ein solches Hindernis besteht dann, wenn das zivilrechtliche Hindernis im Fehlen eines Rechts zum Besitz besteht (dort: Pachtvertrag) und der Sachverhalt dahingehend aufgeklärt ist, dass dieses Besitzrecht nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit herbeigeführt werden kann, weil die zur Besitzverschaffung befugten Personen final und zu mehreren Zeitpunkten das notwendige Einverständnis verweigert haben.
(3.) Ein privatrechtliches Hindernis besteht jedoch dann nicht, wenn eine nach den Umständen des Einzelfalls vorliegende Verweigerung entweder unerheblich ist, weil das Eigentum der verweigernden Person nicht beeinträchtigt ist, ein privatrechtliches Hindernis ausgeräumt werden kann oder ein privatrechtliches Verbot schlicht nicht besteht."

5 Das Oberverwaltungsgericht stellt zur Begründung der Unzulässigkeit der Klage auf Erteilung einer Nutzungsänderungsgenehmigung wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses darauf ab, dass der Verwertung der öffentlich-rechtlichen Genehmigung ein schlechthin nicht ausräumbares Hindernis entgegenstehe, wenn der zivilrechtlich Berechtigte seine Zustimmung verweigere. Damit setzt sich das Oberverwaltungsgericht nicht in Widerspruch zu dem hier einschlägigen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, wie er von der Beschwerde unter Nummer 1 der Sache nach zutreffend wiedergegeben wird. Eine rechtserhebliche Abweichung in Bezug auf die unter Nummer 2 und 3 formulierten Aussagen liegt hingegen schon deswegen nicht vor, weil diese jeweils auf die Umstände des Einzelfalls bezogen sind und folglich nicht die für die Divergenz erforderliche Abstraktionshöhe eines subsumtionsfähigen Obersatzes erreichen (vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 132 Rn. 35). Im Übrigen macht die Beschwerde der Sache nach Rechtsanwendungsfehler geltend, auf die eine Divergenz keinesfalls gestützt werden kann.

6 2. Auch die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führt nicht zur Zulassung der Revision.

7 Nachdem die Beteiligten im gerichtlichen Augenscheintermin am 6. Juli 2023 wirksam Verzichtserklärungen abgegeben hatten, durfte das Berufungsgericht nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die von der Beklagten vorgelegte Erklärung der Vermieterin der Klägerin, mit einer Nutzung der Wohnung zu Prostitutionszwecken nicht einverstanden zu sein (E-Mail vom 16. Oktober 2023), hat hieran nichts geändert.

8 a) Der Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO bezieht sich als grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung auf die nächste Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 2020 - 4 B 12.20 - NVwZ-RR 2021, 87 Rn. 11); er verliert seine Wirksamkeit, wenn nach den Verzichtserklärungen ein Beweisbeschluss ergeht, den Beteiligten durch einen Auflagenbeschluss eine Stellungnahme abgefordert wird oder Akten zu Beweiszwecken beigezogen oder sonst neue Erkenntnismittel in den Prozess eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2016 - 4 B 21.16 - BRS 84 Nr. 207 S. 1221 m. w. N.). Eine derartige, den Verzicht verbrauchende Zwischenentscheidung bzw. eine dem gleichstehende Maßnahme des Oberverwaltungsgerichts ist hier nicht erfolgt. Das Oberverwaltungsgericht hat kein neues, im Wege des Urkundenbeweises zu verwertendes Erkenntnismittel in das Verfahren eingeführt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 1995 - 9 B 199.95 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 21 S. 3). Vielmehr hat die Beklagte das - hinsichtlich seiner Urheberschaft und seines Inhalts nicht umstrittene - Schreiben der Wohnungseigentümerin als Teil ihres Beteiligtenvortrags vorgelegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1984 - 9 CB 149.83 - NVwZ 1984, 791).

9 b) Die hierdurch geänderte Prozesslage hat nicht die Widerruflichkeit der Verzichtserklärung zur Folge. Das Verfahren der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat in § 101 Abs. 2 VwGO für den Verwaltungsprozess eine eigenständige Regelung erfahren. Für eine Anwendung des § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO über § 173 Satz 1 VwGO, wonach bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage der Verzicht widerruflich ist, ist daher kein Raum (BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - 6 BN 3.13 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 38 Rn. 10 m. w. N.). Es steht jedoch im Ermessen des Gerichts, ob es ungeachtet des wirksamen Verzichts gleichwohl aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür Sorge zu tragen, dass durch seine Verfahrensweise das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird. Danach kann eine mündliche Verhandlung dann geboten sein, wenn ein Beteiligter geltend macht, eine wesentliche Änderung der Prozesslage erfordere unter dem Gesichtspunkt seines rechtlichen Gehörs deren Durchführung (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2006 - 7 B 90.05 - juris Rn. 14 und vom 1. September 2020 - 4 B 12.20 - NVwZ-RR 2021, 87 Rn. 11). Eine solche Lage, die im Berufungsurteil verneint wird (UA S. 7), hat die anwaltlich vertretene Klägerin, der in der Vorinstanz Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, indes nicht dargelegt. Sie hat im Berufungsverfahren nicht ausgeführt, warum es gerade einer mündlichen Verhandlung bedürfe, um auf die neue Prozesslage angemessen reagieren zu können. Sie trägt auch im Beschwerdeverfahren nichts dafür vor, dass das Berufungsgericht ohne solches Vorbringen von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hätte.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.