Beschluss vom 18.06.2003 -
BVerwG 6 B 38.03ECLI:DE:BVerwG:2003:180603B6B38.03.0

Leitsatz:

Hat ein Wehrpflichtiger seine Zurückstellung vom Wehrdienst im Hinblick auf eine berufliche Tätigkeit beantragt, muss er die Entscheidung darüber abwarten, bevor er sich in neue betriebswesentliche Zusammenhänge einbinden lässt, welche die Rechtsfolge einer besonderen Härte auslösen können.

Beschluss

BVerwG 6 B 38.03

  • VG Köln - 10.03.2003 - AZ: VG 8 K 3738/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. März 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

1. Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
a) Das Verwaltungsgericht hat nicht dadurch den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, dass es auf die Vernehmung des Herrn H. von der Zentralen Fachvermittlung für Berufe des Reit- und Fahrwesens und der Pferdezucht sowie der Eltern und des Bruders des Klägers als Zeugen verzichtet hat.
Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger begehrte weitergehende Zurückstellung vom Wehrdienst abgelehnt, weil es ihn nicht i.S. des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 WPflG als unentbehrlich für den väterlichen Pferdebetrieb angesehen hat. Dies setze nämlich voraus, dass der durch den Wehrdienst bedingte vorübergehende Ausfall der Arbeitskraft weder durch innerbetriebliche Maßnahmen aufgefangen noch durch die Einstellung einer auf dem Arbeitsmarkt greifbaren und wirtschaftlich tragbaren Arbeitskraft ausgeglichen werden könne und deshalb über einen - hinzunehmenden - wirtschaftlichen Rückgang hinaus die akute Gefahr einer Vernichtung der Existenz des Betriebes bestehen würde. Eine derartige Gefahr der Existenzvernichtung des Betriebes lasse sich nicht feststellen.
Die vom anwaltlich vertretenen Kläger im Termin nicht beantragte, jedoch von der Beschwerde für erforderlich gehaltene Vernehmung von Herrn H. als Zeugen musste sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. In das Wissen des Zeugen wird es offensichtlich gestellt, dass anstelle des Klägers "eine Ersatzkraft auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung" stehe. Darauf kommt es nach dem Begründungsgang des Urteils aber nicht an. Denn das Verwaltungsgericht hat bei Verwendung des Begriffes "Ersatzkraft" nicht die Ersetzung des Klägers hinsichtlich sämtlicher ihm zugeschriebener Leistungsmerkmale während der Ableistung des Wehrdienstes zwecks Existenzsicherung des Betriebes für erforderlich gehalten, sondern auch eine Person mit geringerer beruflicher Qualifizierung als derjenigen eines gelernten Pferdewirtes für ausreichend angesehen. Der Kläger habe nämlich selbst den Betrieb drei Jahre lang geführt, ohne über eine solche Ausbildung zu verfügen (Urteil S. 4).
Aus den entsprechenden Gründen musste sich dem Verwaltungsgericht nicht die zeugenschaftliche Vernehmung der Eltern und des Bruders des Klägers aufdrängen. In deren Wissen wird jeweils gestellt, dass es ihnen nicht möglich sei, während der Abwesenheit des Klägers den Betrieb fortzuführen. Darauf kommt es nach den Ausführungen im Urteil ebenfalls nicht an, weil darin nicht etwa davon ausgegangen wird, eine dieser Personen könne oder solle den Kläger vollständig ersetzen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht lediglich in Bezug auf den Vater des Klägers, welcher den Betrieb gegründet und weiterhin nicht auf diesen überschrieben habe, in Betracht gezogen, dass dieser ihn während der Dauer des Wehrdienstes "hinsichtlich einzelner Leitungsaufgaben, etwa im kaufmännischen Bereich, ersetzen könnte" (Urteil S. 4).
b) Ein Verfahrensverstoß lässt sich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen des Klägers herleiten. Das Urteil verstößt auch nicht dadurch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO), dass "die Besonderheiten landwirtschaftlicher und branchenähnlicher Betriebe" nicht ermittelt worden seien. Aufgrund der unregelmäßigen Arbeitszeiten und der Befristung sei es nämlich "fast unmöglich" eine vorübergehende geeignete Ersatzkraft zu finden. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31. März 2003 zahlreiche Unterlagen zu seinen Bemühungen um eine Ersatzperson vorgelegt. Die Ausführungen auf Seite 4 des angefochtenen Urteils belegen, dass das Verwaltungsgericht diese Unterlagen vollständig zur Kenntnis genommen und ausgewertet hat. Welche weiteren Ermittlungen es in Bezug auf die vorbezeichnete allgemeine Fragestellung hätte vornehmen sollen, wird in der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
c) Die Verfahrensrüge bleibt auch ohne Erfolg, soweit ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) wegen unterbliebener Einholung eines Sachverständigengutachtens geltend gemacht wird. Die Beschwerde ist insoweit der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe mangels eigener Sachkunde verkannt, dass lediglich ein Pferdewirt oder eine Pferdewirtin als Ersatz für den Kläger in Betracht gekommen wäre, weil in dem väterlichen Betrieb Turnierpferde der Klasse S untergestellt seien.
Das Verwaltungsgericht musste sich zu einer entsprechenden Beweiserhebung nicht veranlasst sehen, weil es nicht die bestmöglichen beruflichen Voraussetzungen für den Leiter eines Pferdebetriebes, also etwa die Notwendigkeit einer Ausbildung zum Pferdewirt, zu untersuchen hatte, sondern die Anforderungen an eine die betriebliche Existenz sichernde Aushilfskraft während der Abwesenheit des Klägers. Insofern durfte sich das Gericht ohne weiteres an denjenigen Voraussetzungen orientieren, welche der Kläger selbst während des größten Teils seiner Leitungstätigkeit im väterlichen Betrieb mitbrachte, und diese lagen zumindest in den Jahren 1997 bis 2000 darunter. Denn über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Pferdewirt verfügt der Kläger - wenn überhaupt - erst seit August 2000 (vgl. den Berufsausbildungsvertrag mit Herrn M. S. vom 17. Juli 1997 sowie die Auskunft der Landwirtschaftskammer R. vom 22. März 2002).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Klägers auf den gewachsenen Anteil von Turnierpferden unter den Tieren im väterlichen Betrieb. Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil nämlich mit dem Umstand des gewachsenen Anteils eigener Zucht- und Sportpferde auseinander gesetzt. Dabei hat es die Auskunft der Landwirtschaftskammer vom 23. Oktober 2001 zu Grunde gelegt, wonach seinerzeit vier eigene Pferde untergestellt gewesen seien, während es nunmehr siebzehn seien. Somit sei der Betrieb trotz zu erwartender Einberufung umstrukturiert und erst dadurch die Schwierigkeit erzeugt worden, für den Kläger eine Ersatzkraft zu finden. Mit dieser Erwägung wollte das Verwaltungsgericht offensichtlich an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu betrieblichen Neugründungen (Urteil vom 22. Juni 1984 - BVerwG 8 C 115.82 - Buchholz 448.0 § 24 WPflG Nr. 6) anknüpfen. Nach der für die Aufklärungspflicht maßgeblichen materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kam es somit nicht darauf an, ob nach der Betriebserweiterung die Anstellung einer vollwertig qualifizierten Ersatzkraft erforderlich war, weil die Problemlage selbstverschuldet und daher wehrpflichtrechtlich unbeachtlich ist.
d) Ohne Erfolg bleibt die Aufklärungsrüge auch, soweit vorgebracht wird, in den Urteilsgründen sei nicht dargetan worden, dass die Einstellung einer Ersatzkraft aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei. Der Amtsermittlungsgrundsatz entbindet den Kläger nicht von vorrangigen eigenen Mitwirkungspflichten. Zu Recht ist dazu im Urteil ausgeführt, dass es an einem substantiierten Vorbringen zur wirtschaftlichen Situation des Betriebs fehle (Urteil S. 5). Einer derartigen Substantiierung hätte es umso mehr bedurft, als die nachgewiesenen, unter Einschaltung des Arbeitsamts vorgenommenen Bemühungen um Anstellung einer Ersatzkraft nur dann ernst gemeint gewesen sein können, wenn es grundsätzlich möglich war, eine geeignete Ersatzkraft zu bezahlen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.