Beschluss vom 16.12.2022 -
BVerwG 10 C 6.22ECLI:DE:BVerwG:2022:161222B10C6.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.12.2022 - 10 C 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:161222B10C6.22.0]

Beschluss

BVerwG 10 C 6.22

  • VG Berlin - 20.12.2018 - AZ: 2 K 178.17
  • OVG Berlin-Brandenburg - 07.05.2020 - AZ: 12 B 4.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Dezember 2022
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2022 - 10 C 3.21 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens trägt die Klägerin.

Gründe

1 Die zulässige Anhörungsrüge der Klägerin ist unbegründet. Das Rügevorbringen lässt nicht erkennen, dass der Senat ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

2 Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich deren Rechtsauffassung anzuschließen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. November 2017 - 10 B 4.17 - ZOV 2018, 48 Rn. 10 m. w. N.). Danach liegt hier ein Gehörsverstoß nicht vor.

3 1. Die Klägerin beanstandet, dass sie mit der Revisionsbegründung vorgetragen habe, § 4 SÜG sei keine Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung, die den Geheimnisschutz bereichsspezifisch ausgestalte. Hierauf sei der Senat aber nicht eingegangen und habe die Auffassung vertreten, dass die Regelung den Geheimnisschutz bereichsspezifisch ausgestalte. Damit zeigt die Klägerin selbst auf, dass der Senat sich mit ihrer Argumentation auseinandergesetzt hat, ihrer Meinung aber nicht gefolgt ist. Im Übrigen ist der Senat auf § 30 AO und § 2 Abs. 4 BArchG a. F. eingegangen (UA Rn. 23 a. E.).

4 Des Weiteren moniert die Klägerin, dass der Senat ihren umfassenden Vortrag zur verfassungskonformen Auslegung in keiner Weise berücksichtigt habe. Auf eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 3 BArchG kam es nach der Rechtsauffassung des Senats aber nicht an, weil § 4 SÜG eine Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG ist.

5 Entsprechendes gilt für die Rüge, der Senat habe das Vorbringen zur Unbestimmtheit von § 4 SÜG und zur Unverhältnismäßigkeit der Rechtsfolge im Hinblick auf die unterlagenbezogene Schutzfrist nicht berücksichtigt. Der Senat hat § 4 SÜG nur insoweit als Geheimhaltungsvorschrift angesehen, als keine Einstufung als "VS - Nur für den Dienstgebrauch" vorgenommen worden ist (UA Rn. 24). Damit hat der Senat die Bestimmtheitsbedenken der Klägerin im Hinblick auf den Geheimhaltungsgrad "VS - Nur für den Dienstgebrauch" aufgegriffen und sich im Übrigen der Auffassung der Klägerin angeschlossen. Weiteres zu Geheimhaltungsgraden hatte die Klägerin nicht vorgebracht. Auf die von der Klägerin geltend gemachte Unverhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen bei einer Nutzungseinschränkung nach § 13 BArchG als milderes Mittel kam es nicht an, weil der Senat die Einstufung der Dokumente insgesamt für rechtmäßig erachtet hat. Soweit die Klägerin die Nichtberücksichtigung einer verfassungskonformen Schutzfristverkürzung nach § 12 Abs. 3 BArchG rügt, hat sich der Senat damit auseinandergesetzt, indem er ein öffentliches Interesse daran verneint hat (UA Rn. 34). Die Rüge zielt daher bloß auf eine hier unbeachtliche fehlerhafte Rechtsanwendung.

6 2. Soweit die Anhörungsrüge im Zusammenhang mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand geltend macht, der Senat habe ihr Vorbringen zur Kompensationsfunktion und zum Grundsatz von Treu und Glauben gänzlich unbeachtet gelassen, ist der Senat der von der Klägerin für richtig erachteten Gesetzesauslegung nicht gefolgt. Vielmehr hat er sich der Auffassung des Berufungsgerichts angeschlossen, das Bundeskanzleramt müsse sich, wenn es seiner gesetzlichen Andienungspflicht an das Bundesarchiv nicht nachkomme, im Hinblick auf seine Suchpflichten nicht so behandeln lassen, wie das Bundesarchiv selbst (UA Rn. 39). Der Senat hat sich zur fehlenden Sanktionsfunktion der Vorschrift geäußert (UA Rn. 40 f.). Damit hat er die von der Klägerin angeführte Kompensationsfunktion und eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben verneint.

7 Soweit die Klägerin geltend macht, der Senat sei nicht auf ihr weiteres zentrales Argument eingegangen, die Beklagte habe ihre Obliegenheit verletzt, die Unterlagen so zu organisieren, dass sie Nutzungsanträgen nachkommen könne, ist ihr der Senat nicht gefolgt. Mithin macht die Klägerin keinen Gehörsverstoß, sondern eine unrichtige Rechtsanwendung geltend.

8 Des Weiteren rügt die Klägerin, der Senat sei auf ihr Vorbringen, der Zugang zu Find- und Recherchemitteln sei zur Effektuierung ihres archivrechtlichen Nutzungsanspruchs erforderlich, nicht eingegangen. Dieses Vorbringen hat der Senat indes berücksichtigt, allerdings die Ablehnung der Argumentation der Klägerin damit begründet, Find- und Recherchemittel seien kein Archivgut, sondern dienten vielmehr der Auffindung solcher Unterlagen. Das Argument der Effektuierung des Nutzungsanspruchs hat er zudem zurückgewiesen (UA Rn. 44).

9 Eine unrichtige Rechtsanwendung führt die Klägerin auch im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Informationszugangsanspruch an. Auf die Argumente der Klägerin kam es aber nicht an, weil nach Auffassung des Senats das Informationsfreiheitsgesetz nur den Zugang zu Informationen ermöglicht, aber nicht die Nutzung von behördlichen Mitteln der Schriftgutverwaltung zum Zwecke der Recherche in dem vorhandenen Schriftgut.

10 Soweit die Klägerin rügt, der Senat habe die tatrichterliche Würdigung der von der Beklagten vorgetragenen Inhalte der Unterlagen durch das Berufungsgericht nicht beanstandet (UA Rn. 33), bezweifelt sie die Einschätzung des Senats. Dieser Umstand begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

11 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor. Es konnte für die Klägerin nicht überraschend sein, dass der Senat die Geltung der 60-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG auf Verschlusssachen mit mindestens dem Geheimhaltungsgrad "VS - Vertraulich" beschränkt. Diese Frage war Gegenstand des schriftsätzlichen Revisionsvortrags der Beteiligten. Dass für die Auslegung des § 4 SÜG auch die Regelungen in der Verschlusssachenanweisung in Betracht kommen konnten, musste sich der Klägerin zudem aufdrängen.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.