Beschluss vom 16.12.2011 -
BVerwG 9 B 76.11ECLI:DE:BVerwG:2011:161211B9B76.11.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 16.12.2011 - 9 B 76.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:161211B9B76.11.0]
Beschluss
BVerwG 9 B 76.11
- OVG Rheinland-Pfalz - 22.06.2011 - AZ: OVG 6 A 10722/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:
- Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger je zur Hälfte.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17 733,32 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
2 1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und auf ein faires Verfahren liegt nicht vor. Die Beschwerde sieht diese beiden Verfahrensrechte als verletzt an, weil das Berufungsgericht den geltend gemachten Klageanspruch unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) bzw. eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs mit der Begründung abgelehnt hat, dass den Klägern ein solcher Anspruch jedenfalls nicht gegenüber der beklagten Ortsgemeinde, sondern allenfalls gegenüber dem von dieser mit der Erschließung des Baugebiets beauftragten Erschließungsträger zustehe. Dieser Gesichtspunkt der fehlenden Anspruchsgegnerschaft (Passivlegitimation) der Beklagten sei zuvor im gesamten gerichtlichen Verfahren weder von einem Beteiligten noch vom Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht thematisiert worden und die Zurückweisung der Berufung mit dieser Begründung für die Kläger daher überraschend gewesen.
3 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 und § 104 Abs. 1 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl. Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2 m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>).
4 Hiernach erscheint zweifelhaft, ob die Rüge einer unzulässigen Überraschungsentscheidung überhaupt schlüssig erhoben ist. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beschwerde zum Ablauf der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren, den die Beteiligten im Übrigen unterschiedlich darstellen, hat das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Erörterung der Rechtssache verschiedene Fragen aufgeworfen, darunter „die nach dem richtigen Anspruchsgegner“, also den Gesichtspunkt der Passivlegitimation. Das Berufungsgericht habe ferner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es noch „überhaupt nicht wisse“, in welche Richtung die aufgeworfenen Fragen, geschweige denn der Rechtsstreit zu entscheiden sei. Hiernach dürfte bereits das eigene Vorbringen der Beschwerde die Rüge einer Gehörsverletzung nicht tragen. Auch spricht Vieles dafür, dass in einer Fallkonstellation wie der des vorliegenden Rechtsstreits, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Kläger aufgrund einer entsprechenden Klausel in dem zwischen ihnen und der beklagten Gemeinde geschlossenen städtebaulichen Vertrag eine Geldleistung unmittelbar an einen Dritten (einen Erschließungsträger) erbracht haben, auch ohne entsprechenden Hinweis des Gerichts die durchaus naheliegende Rechtsfrage im Raum stand, gegenüber welchem Beteiligten dieses sog. bereicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnisses (gegenüber dem „Anweisenden“ oder gegenüber dem Leistungsempfänger) die bewirkte Leistung zurückgefordert werden kann (vgl. hierzu Beschluss vom 16. November 2007 - BVerwG 9 B 36.07 - Buchholz 316 § 62 VwVfG Nr. 17 Rn. 13 f. m.w.N.).
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All dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn ausweislich des Tatbestandes des angefochtenen Urteils haben die Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen (UA S. 6, dritter Absatz):
„Da sie die städtebaulichen Verträge mit der Beklagten und nicht mit der DSK geschlossen habe (richtig: hätten), könne ihr (richtig: ihnen) auch ein Rückzahlungsanspruch nur gegenüber der Beklagten zustehen.“
6 Hiernach hat der Senat davon auszugehen, dass die Kläger selber zur Frage der Passivlegitimation (der Beklagten oder des Erschließungsträgers) im vorstehend wiedergegebenen Sinne im Berufungsverfahren vorgetragen haben; dies schließt es aus, die insoweit entscheidungstragende Begründung des Oberverwaltungsgerichts, das diese Frage anders als die Kläger beurteilt hat, als überraschende Gehörsverletzung zu beanstanden. Da sich entsprechender Vortrag nicht aus den zu den vorinstanzlichen Akten gereichten klägerischen Schriftsätzen ergibt, kann es sich bei der oben wiedergegebenen Passage nur um Vortrag aus der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht handeln. Zwar gehört die Wiedergabe von Vortrag der Beteiligten nicht zu den gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 160 ZPO für die mündliche Verhandlung zwingend vorgeschriebenen Förmlichkeiten, deren Beachtung gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 165 Satz 1 ZPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Der äußere Ablauf der mündlichen Verhandlung und der maßgebliche Verhandlungsstoff ergeben sich vielmehr (auch) aus dem Tatbestand des Urteils, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert und als öffentliche Urkunde gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die darin bezeugten eigenen Wahrnehmungen und Handlungen des Gerichts erbringt. Hiernach ist das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden und ist ein Beteiligter gehalten, auf eine Berichtigung von ihm für falsch gehaltener tatsächlicher Feststellungen gemäß § 119 Abs. 1 VwGO zu dringen. Diese Bindung des Revisionsgerichts gilt im Beschwerdeverfahren wegen der Nichtzulassung der Revision entsprechend (vgl. hierzu Beschluss vom 1. September 2010 - BVerwG 9 B 80.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 41 Rn. 7 m.w.N.).
7 2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 22 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde wirft die Frage auf:
„Werden in einem städtebaulichen Vertrag zwischen Grundstückseigentümer und die Erschließungslast tragender Gemeinde, in welchem der Eigentümer als Gegenleistung für dort vereinbarte Zahlungen von der Erschließungsbeitragspflicht befreit wird, direkte Ansprüche eines Dritten gegen den Eigentümer begründet, wenn im Vertrag zwischen Gemeinde und Eigentümer eine Klausel enthalten ist, nach der der Eigentümer die vereinbarten Zahlungen direkt an den Dritten zu leisten hat, obwohl
- im städtebaulichen Vertrag zwischen der Gemeinde und dem Eigentümer - jedenfalls ausdrücklich - kein direkter Anspruch des Dritten gegen den Eigentümer begründet wird,
- auch ansonsten keine vertraglichen Beziehungen zwischen dem Eigentümer und dem Dritten bestehen, insbesondere der Eigentümer nicht in einen zwischen der Gemeinde und dem Dritten - als Erschließungsträger - geschlossenen ‚Erschließungsträgervertrag’ eingetreten ist,
- in diesem ‚Erschließungsträgervertrag’ zwischen der Gemeinde und dem Dritten eine Herausgabepflicht des Dritten an die Gemeinde vereinbart ist, wenn und soweit die von den Eigentümern bezahlten Beträge die tatsächlichen Aufwendungen des Erschließungsträgers für die Erschließung übersteigen?“
9 Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie an der tragenden Begründung des angefochtenen Urteils vorbeigeht und daher auch in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Während die vorstehende Frage nämlich davon ausgeht, dass in dem städtebaulichen Vertrag „jedenfalls ausdrücklich“ kein direkter Anspruch des Dritten gegen den Eigentümer begründet werde, hat das Oberverwaltungsgericht unter eingehender Würdigung des Vertrages, der Interessenlage der Beteiligten und der Gesetzeslage diesen dahin ausgelegt, dass die Zahlungsklausel in § 4 des Vertrages darauf abziele, dem Erschließungsträger „entsprechend § 328 Abs. 1 BGB (...) einen eigenen Zahlungsanspruch gegen die Kläger zu verschaffen“ (UA S. 8, zweiter Absatz a.E.). Das Oberverwaltungsgericht hat dem Vertrag mithin zwar keinen ausdrücklichen, wohl aber einen konkludenten (durch Auslegung ermittelten) Zahlungsanspruch des Dritten gegen die Kläger entnommen („Verträge zugunsten Dritter“, vgl. UA S. 9, zweiter Absatz). Mit ihrer Grundsatzrüge zielt die Beschwerde in Wahrheit auf die tatsächliche und rechtliche Würdigung der vertraglichen Beziehungen der Beteiligten durch das Oberverwaltungsgericht im konkreten Einzelfall. Damit ist eine fallübergreifende Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der vorbezeichneten Anforderungen nicht dargetan. Eine solche ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Angaben der Beschwerde beim Verwaltungsgericht Mainz noch weitere Parallelverfahren betreffend Verträge gleichen Inhalts zwischen der Beklagten und anderen Grundeigentümern desselben Baugebiets (in nicht genannter Zahl) anhängig sind. Die Beklagte hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Vertrag um ein nur für das streitgegenständliche Baugebiet der Beklagten geschaffenes Vertragswerk handele, das darüber hinaus keine weitere Verwendung finden werde.
10 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.