Beschluss vom 15.12.2004 -
BVerwG 1 B 150.04ECLI:DE:BVerwG:2004:151204B1B150.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 150.04

  • Niedersächsisches OVG - 02.08.2004 - AZ: OVG 13 LB 256/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., ... beigeordnet.
  2. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 2. August 2004 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung wird die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Beschwerde rügt im Ergebnis zu Recht einen Verfahrensmangel durch Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 27. Juli 2004 - am selben Tag per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen - vorgetragen, die 1992 geborene Klägerin befinde sich - wie bereits mit Schriftsatz vom 15. Juli 2004 angekündigt - wegen ihres Diabetes in stationärer Behandlung; eine ärztliche Expertise sei angefordert. Telefonisch sei ihm vorab mitgeteilt worden, dass es sich um einen eher kompliziert zu behandelnden Diabeteskrankheitsfall handle. Weiteres werde schriftlich mitgeteilt. Im Hinblick hierauf bitte er um Verlängerung der mit Verfügung vom 19. Juli 2004 (auf eine Woche) festgesetzten Äußerungsfrist. Das Berufungsgericht hat, ohne diesen Antrag zu bescheiden, am 2. August 2004 durch den angegriffenen Beschluss im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden. Diese Verfahrensweise verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Sucht ein Beteiligter im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO begründet um ein Zuwarten mit der Entscheidung nach, weil er weiteren Vortrag beabsichtigt, den schon jetzt vorzubringen er sich nicht in der Lage sieht, so gebietet der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, dass das Gericht jedenfalls vorab über dieses Ersuchen entscheidet und dem Beteiligten so Gelegenheit gibt, ggf. noch darauf zu reagieren, wenn der Antrag abschlägig beschieden wird und er deshalb unmittelbar mit einer Entscheidung in der Sache rechnen muss. Dasselbe gilt nach der ständigen auf § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 224, 225 ZPO gestützten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen, in denen ein Beteiligter - wie hier - mit entsprechender Begründung um Verlängerung einer vom Gericht gewährten Äußerungsfrist bittet (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 30. Oktober 2000 - BVerwG 9 B 393.00 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 52 m.w.N.). Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen. Entgegen seiner Auffassung kommt es insoweit nicht darauf an, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Fristverlängerungsantrag keine Einzelheiten zu dem Ergebnis der ärztlichen Behandlung vorbringen konnte. Selbst wenn das Berufungsgericht der Ansicht war, die "Art der Erkrankung" der Klägerin sei "ausreichend aktenkundig" (BA S. 4), hätte es gleichwohl den innerhalb der Frist gestellten Verlängerungsantrag bescheiden müssen. Im Übrigen ging es dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ersichtlich nicht um eine weitere Aufklärung der Art der Erkrankung, sondern um deren Behandelbarkeit. Die beiläufig geäußerte Auffassung des Berufungsgerichts, dass die angekündigte Vorlage des Arztberichts "nach der Fristsetzung vom 17. Juni 2004 verspätet wäre und auch ein Warten darauf das Verfahren unnötig verzögern würde" (BA S. 4), könnte eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann auch auf dem festgestellten Gehörsverstoß beruhen (§ 138 Nr. 3 VwGO). Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass es auf der Grundlage der mit der Beschwerde vorgelegten Arztberichte zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).