Beschluss vom 15.04.2009 -
BVerwG 2 B 1.09ECLI:DE:BVerwG:2009:150409B2B1.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.04.2009 - 2 B 1.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:150409B2B1.09.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 1.09

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 23.10.2008 - AZ: OVG 14 LB 3/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. April 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die allein auf einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2 Der Beklagte rügt, das angegriffene Urteil sei nicht mit Gründen versehen, und macht in diesem Zusammenhang geltend, das Urteil enthalte keine Ausführungen zum Persönlichkeitsbild des Beklagten. Damit fehle ein für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme (hier: der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis) notwendiges Begründungselement.

3 1. Der gerügte Mangel liegt nicht vor.

4 Im Urteil müssen die Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das ist verfahrensrechtlich geboten, um die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und um dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Sind Entscheidungsgründe derart mangelhaft, dass sie diese doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können, ist die Entscheidung im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Entscheidungsformel überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (vgl. Urteil vom 28. November 2002 - BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228 <230> = Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 41, Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 m.w.N.). Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. Beschluss vom 13. Juli 1999 - BVerwG 9 B 419.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 35 S. 2).

5 Speziell im Disziplinarrecht hat der beschließende Senat die für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien verdeutlicht (zum Folgenden vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 S. 3 f.). Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Den Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat in dem Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1) näher bestimmt. Danach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens.

6 Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht.

7 Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist. Wiegt das Dienstvergehen schwer, kann das Persönlichkeitsbild des Beamten nur ausnahmsweise die Disziplinarmaßnahme noch im Sinne einer Milderung beeinflussen.

8 An diesen auf das Schleswig-Holsteinische Disziplinarrecht übertragbaren Maßstäben gemessen ergibt sich, dass der behauptete Verfahrensfehler nicht vorliegt.

9 Das Berufungsurteil enthält, wenn auch in äußerst knapper Form, die maßgeblichen Zumessungserwägungen. Diese sind nach Auffassung des Berufungsgerichts diejenigen, die bereits das Verwaltungsgericht festgestellt hat. Das Berufungsgericht übernimmt dessen Würdigung mit dem Satz: „In Ausfüllung dieser Grundsätze ist das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagte habe durch das von ihm begangene Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Zur Begründung wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen gemäß §§ 4 LDG i.V.m. § 130b Satz 2 VwGO insoweit auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen“. Das Verwaltungsgericht selbst hat das dem Beklagten zur Last gelegte Dienstvergehen als schwer bezeichnet und dies im Einzelnen auf den Seiten 9 bis 11 seines Urteils vom 28. Mai 2008 ausgeführt.

10 Unter diesen Umständen ist das angegriffene Urteil im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen. Wie bereits ausgeführt, liegt der Mangel fehlender Begründung nicht bereits dann vor, wenn sich die Entscheidungsgründe nicht mit allen aus materiellen Gründen zu beachtenden Aspekten befassen, solange nachzuvollziehen ist, welche Gründe für das Gericht maßgebend waren. Fehlen in dem Urteil Gesichtspunkte, die aus materiellen Gründen bei der Entscheidung hätten Berücksichtigung finden müssen, und lässt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe erschließen, dass diese Gesichtspunkte nicht nur unerwähnt, sondern auch unberücksichtigt geblieben sind, so leidet das Urteil an einem materiellen Fehler, der mit der Verfahrensrüge nicht angegriffen werden kann.

11 2. Gleichwohl merkt der Senat an, dass auch ein solcher materieller Fehler nicht vorliegt.

12 Die Entscheidungsgründe des angegriffenen Berufungsurteils befassen sich schwerpunktmäßig mit dem Berufungsvorbringen des Beklagten, der - wie bereits in der ersten Instanz - geltend gemacht hatte, das Verwaltungsgericht hätte sich von den unzutreffenden tatsächlichen Feststellungen der vorangegangenen Strafurteile lösen und den Sachverhalt selbstständig ermitteln müssen. Die pauschale Bezugnahme bezieht sich nur auf die eigentlichen Bemessungsgründe. Eine solche Bezugnahme auf die für zutreffend gehaltenen Erwägungen des Verwaltungsgerichts gemäß § 130b VwGO ist im Disziplinarverfahren zwar nicht generell unzulässig, erfordert jedoch eine genaue Bezeichnung der in Bezug genommenen Gründe. Nur unter dieser Voraussetzung werden sie Bestandteil der Begründung des Berufungsurteils (Beschlüsse vom 25. Februar 1992 - BVerwG 1 B 29.92 - Buchholz 310 § 130b VwGO Nr. 2 und vom 4. August 2005 - BVerwG 2 B 5.05 - Buchholz 235.1 § 66 BDG Nr. 1). Eine Bezugnahme nach § 130b VwGO kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn ein Beteiligter die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts, auf die dessen Entscheidung gestützt ist, substantiiert in Frage stellt. In einem solchen Fall muss das Berufungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung darauf inhaltlich eingehen (Beschluss vom 4. August 2005 a.a.O. S. 2).

13 Soweit sich das Berufungsurteil zur Schwere des Dienstvergehens verhält, ist die pauschale Bezugnahme auf die nicht näher gekennzeichneten Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht frei von Bedenken. Zu den in der Berufung primär angesprochenen Fragen (Lösung vom Strafurteil und Verhältnismäßigkeit) bestehen diese Bedenken dagegen nicht. Zur Frage der Lösung von den Strafurteilen hat sich das Berufungsgericht selbst geäußert. Was der Beklagte im Berufungsverfahren zur Verhältnismäßigkeit ausgeführt hat, betrifft im Wesentlichen sein Persönlichkeitsbild und nicht die Umstände der strafrechtlichen Taten, die er in allen Stadien des Verfahrens bestritten hat. Zum Persönlichkeitsbild des Beklagten hatte der Kläger in seiner Klageschrift vom 20. September 2007 umfangreich vorgetragen und dabei darauf aufmerksam gemacht, der Beklagte sei auch in der Vergangenheit durch wiederholte Vorfälle und Übergriffe gegenüber zahlreichen Kolleginnen und Schülerinnen in Erscheinung getreten, so dass das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen (sexuelle Übergriffe) nicht als persönlichkeitsfremde Augenblickstat gewertet werden könne. Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, er habe sich im dienstlichen Bereich bisher nichts zuschulden kommen lassen. Insbesondere sei er bisher nicht disziplinarisch bestraft, sondern stets mit Beurteilungen im oberen Bereich beurteilt worden. Er habe sich intensiv für die Belange der Schule und der Schüler eingesetzt und das Vertrauen der Schüler und seiner Kollegen besessen.

14 Auf diese die Persönlichkeit des Beklagten betreffenden Gesichtspunkte ist das Berufungsgericht nicht im Wege einer unzulänglichen Bezugnahme, sondern selbst eingegangen (UA S. 15 f.). Es hat - wenn auch nur mit einem einzigen Satz - dargelegt, die vom Beklagten angeführten, vom Berufungsgericht stichwortartig wiedergegebenen entlastenden Gesichtspunkte seien nicht derart gewichtig, dass sie angesichts der besonderen Schwere des Dienstvergehens das Abwägungsergebnis des Verwaltungsgerichts in Frage stellen könnten. Damit ist es seiner Verpflichtung, bei der materiellen Würdigung des Dienstvergehens die Persönlichkeit des Beamten einzubeziehen, in einer gerade noch genügenden Weise nachgekommen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei einem schweren Dienstvergehen, von dem das Berufungsgericht hier ausgeht, das Persönlichkeitsbild des Beamten sich nur ausnahmsweise mildernd auf die Disziplinarmaßnahme auswirken kann.

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 41 Abs. 1 LDG, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 41 Abs. 1 LDG, § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben. Die am 12. Februar 2009 in Kraft getretenen Änderungen der §§ 77 und 78 BDG (Art. 12b Nr. 17 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes <DNeuG> vom 5. Februar 2009 <BGBl I S. 160, 225>) sind auf dieses Verfahren nicht anwendbar, weil die Nichtzulassungsbeschwerde vor Inkrafttreten der Änderungen erhoben wurde.