Beschluss vom 13.05.2024 -
BVerwG 4 BN 26.23ECLI:DE:BVerwG:2024:130524B4BN26.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 13.05.2024 - 4 BN 26.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:130524B4BN26.23.0]
Beschluss
BVerwG 4 BN 26.23
- OVG Greifswald - 26.04.2023 - AZ: 3 K 149/15
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Mai 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Seidel
beschlossen:
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. April 2023 wird zurückgewiesen.
- Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 40 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Antragstellerin beimisst.
3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Regelung ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2024 - 4 BN 20.23 - juris Rn. 5). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
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a) Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft,
ob im Rahmen der Sondergebietsfestsetzung nach § 11 Abs. 2 BauNVO ein Grundstück eines (Seehafen-)Tanklagers in einem Hafengebiet unter Berücksichtigung der Grundsätze der Bauleitplanung nach § 1 BauGB (Wirtschaftlichkeit) dauerhaft mit der textlichen Festsetzung "Anlagen für den Umschlag und die Lagerung von flüssigen Mineralölen" beschränkt werden kann,
und diese Fragestellung in einer Variante wie folgt ergänzt,
wenn es zusätzlich mit einem Lärmkontingent belegt ist,
wird ein fallübergreifender Klärungsbedarf nicht dargelegt.
5 In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine nutzungsbeschränkende Festsetzung in einem Bebauungsplan aufgrund der Betroffenheit wirtschaftlicher Belange abwägungsfehlerhaft sein und sogar an einem Mangel im Abwägungsergebnis leiden kann, wenn nach Lage der Dinge eine Rentabilität der verbleibenden zulässigen Nutzung auf Dauer nicht erwartet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1978 - 4 C 30.76 - BVerwGE 56, 283 <289 f.>). Ob ein Bebauungsplan im Ergebnis an einem Abwägungsfehler leidet, weil private Belange − hier: Wirtschaftsinteressen eines Planunterworfenen − auch angesichts der Unwägbarkeiten einer zukunftsgerichteten Betrachtung nicht angemessen berücksichtigt worden sind, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und deshalb einer verallgemeinerungsfähigen, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
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b) Die weitere als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob im Rahmen einer gebietsübergreifenden Gliederung im Sinne von § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO mit planerischem Willen der Gemeinde ein Ergänzungsgebiet herangezogen werden kann, ohne dass dabei standortrelevante Eigenschaften (Hafengebiet) berücksichtigt werden, die im neu überplanten Gebiet innerhalb der Gemeinde einzigartig und (bau-)gebietsprägend sind, und ohne dass überhaupt sichergestellt ist, dass Ansiedlungsflächen im Ergänzungsgebiet noch vorhanden sind,
führt ebenfalls nicht zur Revisionszulassung. Sie beruht zum Teil auf unzutreffenden Prämissen und ist insoweit nicht entscheidungserheblich; im Übrigen kann sie auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Norminterpretation beantwortet werden, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 2023 - 4 B 28.22 - NVwZ-RR 2023, 1017 Rn. 4).
7 § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BauNVO enthält eine Ermächtigungsgrundlage, um Nutzungen und deren Unterarten innerhalb eines Baugebiets oder zwischen zwei oder mehreren Baugebieten zu verteilen. Der Senat hat klargestellt, dass es in einem − zur Bewältigung der Auswirkungen "besonderer Eigenschaften" von Betrieben und Anlagen − intern durch Lärmemissionskontingente gegliederten Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) ein hinreichend großes Teilgebiet ohne Emissionsbeschränkung oder mit solchen Emissionskontingenten geben muss, die bei typisierender Betrachtung ausreichend hoch sind, um die nach § 8 Abs. 2 BauNVO zulässigen und nicht nach § 1 Abs. 5 BauNVO wirksam ausgeschlossenen Nutzungen zu verwirklichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2021 - 4 CN 8.19 - BVerwGE 173, 75 Rn. 12). Im Fall einer gebietsübergreifenden Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO gelten dieselben Maßstäbe (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 2017 - 4 CN 7.16 - BVerwGE 161, 53 Rn. 15 und vom 18. Februar 2021 - 4 CN 5.19 - UPR 2021, 345 Rn. 14). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für Gliederungen zu anderen Zwecken.
8 Soweit die Beschwerde vor diesem Hintergrund unter Verweis auf den im Gebiet des angegriffenen Bebauungsplans gegebenen Hafenzugang zunächst die Frage aufwirft, ob ein Ergänzungsgebiet nur dann für eine gebietsübergreifende Gliederung tauglich ist, wenn es ebenfalls über diese besonderen standortrelevanten Eigenschaften verfügt, geht sie an den maßgeblichen Umständen des Falles vorbei. Die im Plangebiet "Hafen L." festgesetzten Gewerbegebiete sind rechtlich nach ihren Festsetzungen nicht auf "hafenaffine" Nutzungen beschränkt. Einem insoweit gegebenen Bedarf hat der Plangeber in den Sondergebieten SO 5 und SO 6 mit einer entsprechenden Festsetzung Rechnung getragen. Auf Sondergebiete nach § 11 BauNVO findet gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 BauNVO die Vorschrift über die vertikale Gliederung von Baugebieten nach § 1 Abs. 4 BauNVO indessen keine Anwendung. Fehlt es im Gewerbegebiet insoweit an einer auf die "besonderen Bedürfnisse" der Betriebe bezogenen Festsetzung auf der Grundlage des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, bedurfte es in dieser Hinsicht auch keines Ergänzungsgebiets nach § 1 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO.
9 Die weitere Fragestellung ist demgegenüber zwar entscheidungserheblich. Denn sie bezieht sich auf die angesichts der auch für die Gewerbegebiete festgesetzten Lärmemissionskontingente insoweit erforderlichen Ergänzungsgebiete. Ein Klärungsbedarf wird aber nicht aufgezeigt. Die Frage ist vielmehr ohne Weiteres im Sinne des vom Oberverwaltungsgericht eingenommenen Rechtsstandpunktes zu beantworten.
10 Die nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung gebotene Ausgestaltung von Emissionskontingenten soll die begrifflichen Voraussetzungen eines "Gliederns" im Sinne von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BauNVO als normative Festsetzungsermächtigung sichern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 4 BN 13.23 - ZfBR 2023, 796 juris Rn. 6). Ob im Fall einer gebietsübergreifenden Gliederung noch freie Ansiedlungsflächen in den Geltungsbereichen der in Bezug genommenen anderen Bebauungspläne vorhanden sind, ist ohne Bedeutung. Denn die Regelungs- und Steuerungswirkung eines Bebauungsplans ist nicht im Sinne einer bloßen "Momentaufnahme" auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung beschränkt. Ein wirksam erlassener Bebauungsplan als Satzung (§ 10 Abs. 1 BauGB) bildet auch bei vollständig ausgenutztem Geltungsbereich nach § 30 BauGB fortdauernd die bauplanungsrechtliche Grundlage sowohl für die aktuellen Nutzungen als auch für mögliche künftige bauliche Änderungen und Nutzungsänderungen (§ 29 Abs. 1 BauGB). Eine Gebietsfestsetzung "erledigt" sich nicht durch die vollständige Belegung mit festsetzungsgerechten Nutzungen, sondern behält kraft ihres normativen Charakters ihre Wirksamkeit.
11 2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
12 Die Revision ist hiernach zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).
13 Eine in diesem Sinne beachtliche Abweichung zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Sie nimmt Bezug auf den Rechtssatz des Senats, wonach Zweifel an der Wirtschaftlichkeit einer in einem Bebauungsplan festgesetzten Nutzung als Fehler im Abwägungsergebnis dieser Festsetzung entgegenstehen können, wenn nach Lage der Dinge eine Rentabilität der Nutzung auf Dauer nicht erwartet werden kann (Urteil vom 29. September 1978 - 4 C 30.76 - BVerwGE 56, 283 <289 f.>). Dem setzt die Beschwerde die Aussage des angegriffenen Normenkontrollurteils (UA S. 26) entgegen, wonach in schwierigen Abwägungssituationen nur konkrete Nutzungsänderungsabsichten berücksichtigt werden können und müssen, weil nur diese eine Folgenabschätzung ermöglichten und unverbindliche Absichtserklärungen demgegenüber ohne Belang seien. Eine Rechtssatzdivergenz wird damit nicht bezeichnet. Denn die benannten Rechtssätze beziehen sich auf unterschiedliche Fragestellungen. Das Bundesverwaltungsgericht verhält sich zu den Folgen einer fehlenden wirtschaftlichen Realisierungsmöglichkeit einer bestimmten festgesetzten Nutzung. Das Oberverwaltungsgericht erörtert hingegen die dem vorausliegende Frage, welche Nutzung der weiteren Betrachtung zugrunde zu legen ist.
14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.