Verfahrensinformation

Die Klägerin wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine Höchstspannungsleitung.


Sie betreibt Kiesabbau und hat die Erlaubnis, ihr Abbaugebiet auf eine Fläche zu erweitern, die von der geplanten Trasse für die Höchstspannungsleitung gequert wird. Auf der Fläche der dort geplanten Leitungstrasse ist im Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen ein Vorranggebiet sowohl für die Leitungstrasse als auch für Rohstoffgewinnung festgesetzt. Der erstinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht anzufechtende Planfeststellungsbeschluss genehmigt die Errichtung einer Höchstspannungsleitung im Abschnitt zwischen Steyerberg und Landesbergen. Das insgesamt sieben Abschnitte umfassende Gesamtvorhaben eines Leitungsbaus zwischen Stade und Landesbergen ist im Bedarfsplan zum Bundesbedarfsplangesetz enthalten.


Die Klägerin macht insbesondere geltend, die Festsetzung eines Leitungsmastes in ihrer geplanten Kiesabbaufläche verletze Raumordnungsrecht und sei abwägungsfehlerhaft. Ein Standort mehr am Rand ihrer Abbaufläche sei technisch realisierbar und hätte der raumordnungsrechtlichen Festlegung des Vorranggebiets Rohstoffgewinnung besser Rechnung getragen.


Urteil vom 13.03.2024 -
BVerwG 11 A 6.23ECLI:DE:BVerwG:2024:130324U11A6.23.0

Konflikt zwischen Kiesabbau und Standort eines Leitungsmasts

Leitsatz:

Die Platzierung einzelner Masten einer Höchstspannungsfreileitung unterliegt grundsätzlich den Maßstäben für die gerichtliche Überprüfung der Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten. Angesichts der Vielzahl bei einem Leitungsvorhaben festzulegender Maststandorte und der davon jeweils betroffenen Belange bedarf es einer näheren Darlegung der Abwägungsentscheidung für einen einzelnen Maststandort jedoch nur im Falle dazu substantiiert erhobener Kritik.

  • Rechtsquellen
    ROG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
    EnWG § 43 Abs. 3

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 13.03.2024 - 11 A 6.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:130324U11A6.23.0]

Urteil

BVerwG 11 A 6.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Külpmann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Dieterich, Dr. Hammer und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger und Dr. Wiedmann
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine Höchstspannungsleitung. Sie sieht sich durch einen Maststandort auf einem zur Kiesgewinnung genutzten Grundstück beeinträchtigt.

2 Der Beschluss der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr vom 22. Dezember 2022 stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Leitung Stade - Landesbergen im Abschnitt 7: Steyerberg - Landesbergen durch die beigeladene Übertragungsnetzbetreiberin fest. Das Gesamtvorhaben zwischen Stade und Landesbergen ist als Nr. 7 im Bedarfsplan zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) enthalten und soll ganz überwiegend als Freileitung in der Trasse einer bestehenden 220-kV-Höchstspannungsleitung errichtet werden.

3 Die Klägerin betreibt östlich von A. auf der Grundlage von wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschlüssen vom 3. Mai 1995 und 2. November 2010 Kiesabbau. Das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen stellt dort ein Vorranggebiet Rohstoffgewinnung dar. Im Oktober 2018 beantragte die Klägerin, die Abbauflächen in nördlicher und westlicher Richtung im Umfang von rund 127 ha zu erweitern. Der Plan für diese Erweiterung des Kiesabbauvorhabens wurde unter dem 5. Juni 2023 festgestellt.

4 Nach dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss soll im Bereich des Abbauvorhabens ein Leitungsmast errichtet werden. Das Raumordnungsverfahren zum Abschnitt Dollern-Landesbergen des Leitungsvorhabens wurde mit der Landesplanerischen Feststellung der Raumverträglichkeit vom 4. Juni 2018 abgeschlossen. Am 31. März 2020 beantragte die Beigeladene die Planfeststellung. Die Klägerin erhob Einwendungen. Durch Verordnung vom 7. September 2022 wurde für den Trassenverlauf im Landes-Raumordnungsprogramm ein Vorranggebiet Leitungstrasse als Ziel der Raumordnung dargestellt. Der Planfeststellungsbeschluss vom 22. Dezember 2022 sieht vor, Grundstücke der Klägerin mit Leitungen zu überspannen, unter anderem auf ihrem Grundstück Flur ..., Flurstück ... der Gemarkung A. den Mast 3227 zu errichten sowie weitere Grundstücke für Zuwegungen in Anspruch zu nehmen.

5 Im gerichtlichen Verfahren macht die Klägerin geltend, der Standort des Mastes 3227 verletze Raumordnungsrecht und sei abwägungsfehlerhaft. Die in der Landesplanerischen Feststellung enthaltenen Maßgaben zu Gunsten der Rohstoffgewinnung seien nicht beachtet worden. Die Planfeststellungsbehörde habe nicht ermittelt, ob die Platzierung des Mastes 3227 an den von der Klägerin vorgeschlagenen Alternativstandorten an Sicherheitsanforderungen hätte scheitern müssen und welche Mehrkosten dabei entstanden wären. Eine Realisierung des Mastes an den Alternativstandorten sei technisch möglich. Die Mehrkosten stünden nicht außer Verhältnis zur Beeinträchtigung ihrer Belange, da im Hinblick auf das Vorranggebiet Rohstoffgewinnung, die Maßgaben der Landesplanerischen Feststellung und ihrer bereits verfestigten Planung stärker zu gewichten seien.

6 Die Klägerin beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 22. Dezember 2022 für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Leitung Stade - Landesbergen, Abschnitt 7: Steyerberg - Landesbergen aufzuheben.

7 Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.

8 Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss. Die vorgeschlagenen Alternativstandorte wären mit einem erheblich höheren Kostenaufwand verbunden und wegen der Sicherheitsanforderungen nur mit der Entwicklung einer Sonderkonstruktion für den Mast zu verwirklichen.

II

9 Die Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 6 Satz 1 BBPlG i. V. m. Nr. 7 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG im ersten und letzten Rechtszug entscheidet, ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie kann folglich dessen Aufhebung nicht verlangen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

10 A. Die Klägerin, deren Grundstücke vom Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 EnWG) für einen Maststandort nebst Schutzstreifen und Zuwegung in Anspruch genommen werden, hat einen aus Art. 14 Abs. 3 GG abgeleiteten Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit der Planungsentscheidung (sog. Vollüberprüfungsanspruch), soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke kausal ist (stRspr, BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 ‌- 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 24 und vom 31. März 2023 - 4 A 10.21 -‌ UPR 2023, 495 Rn. 12). Bei seiner Prüfung ist der Senat allerdings auf den Prozessstoff beschränkt, den die Klägerin durch die binnen der Frist nach § 6 Satz 1 UmwRG eingegangene Klagebegründung vom 2. Mai 2023 bestimmt hat (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2022 - 4 A 13.20 - BVerwGE 176, 39 Rn. 12).

11 B. Die Klägerin zeigt keinen Rechtsfehler des Planfeststellungsbeschlusses auf.

12 1. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen Vorschriften des Raumordnungsrechts.

13 a) Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist die Rechtslage bei dessen Erlass (BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 -‌ BVerwGE 120, 276 <283>), soweit nicht spätere Rechtsänderungen einen vormaligen Rechtsverstoß entfallen lassen (BVerwG, Urteil vom 12. August 2009 ‌- 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 52). Da der Planfeststellungsbeschluss am 22. Dezember 2022 erlassen wurde, ist er auf seine Vereinbarkeit mit den Zielen und Grundsätzen des Landes-Raumordnungsprogramms Niedersachsen in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen vom 7. September 2022 (Nds. GVBl. S. 521 ‌- LROP -) zu überprüfen.

14 b) Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG liegt nicht vor. Danach sind Ziele der Raumordnung zu beachten bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Maßnahmen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung bedürfen.

15 Ziele der Raumordnung sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen (§ 7 Abs. 2 ROG) textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG). Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG sind sie bei den dort genannten Planungen und Entscheidungen zu beachten und damit für die planende Stelle verbindlich. Grundsätze der Raumordnung sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG demgegenüber Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. Bei Planungen und Entscheidungen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG sind sie in Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen. Im Unterschied zu den Zielen der Raumordnung stellen Grundsätze damit keine landesplanerische Letztentscheidung dar. Vielmehr haben sie den Rang eines Abwägungsbelangs. Grundsätze und Ziele der Raumordnung liegen deshalb nicht auf einem Kontinuum des mehr oder weniger Verbindlichen. Sie sind nach dem Typensystem der Raumordnung vielmehr kategorial unterschiedlich (BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 103).

16 aa) Die Planfeststellung verstößt nicht gegen die zielförmige Festlegung eines Vorranggebiets für die Rohstoffgewinnung im LROP östlich von A. und westlich der Weser (zeichnerische Darstellung als Gebiet 138.1). Gemäß der textlichen Festlegung in Abschnitt 3.2.2 Ziffer 01 Satz 5 LROP sind Rohstoffvorkommen möglichst vollständig auszubeuten. Diese textliche Festlegung ist durch Fettdruck (vgl. Präambel zum LROP 2017) als Ziel der Raumordnung gekennzeichnet (§ 7 Abs. 1 Satz 4 ROG). Vorranggebiete sind nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ROG Gebiete, in denen die mit dem Vorrang belegte Funktion oder Nutzung andere raumbedeutsame Planungen ausschließt, soweit diese mit den vorrangigen Funktionen oder Nutzungen nicht vereinbar sind.

17 Die Errichtung eines Mastes der planfestgestellten Freileitung im Vorranggebiet Rohstoffgewinnung schließt zwar die Gewinnung am Maststandort und den notwendigen Böschungsflächen aus. Dennoch beachtet der Planfeststellungsbeschluss das genannte Ziel der Raumordnung. Dies folgt aus einer systematischen Auslegung des Landes-Raumordnungsprogramms. Nach Abschnitt 4.2.2. (Energieinfrastruktur) Ziffer 07 Satz 1 LROP sind gleichfalls die als Vorranggebiete Leitungstrasse festgelegten Trassen als Ziel der Raumordnung für die Energieübertragung im Höchstspannungsnetz gesichert. Zielförmig festgelegt ist in Abschnitt 4.2.2 Ziffer 08 Satz 1 LROP, dass die dort aufgezählten 380 kV-Höchstspannungswechselstromleitungen als Ergebnis raumordnerischer Prüfung raumverträglich sind. Darunter fällt auch die Leitung Stade - Landesbergen, deren 7. Abschnitt den Gegenstand des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses bildet.

18 Damit sind textlich und zeichnerisch für denselben Raum zwei Ziele der Raumordnung sich überlagernd festgelegt. Eine systematische Auslegung der Regelungen ergibt, dass die Raumordnung den Konflikt bewusst zugunsten der Leitungstrassen entschieden hat, soweit es um die Frage geht, ob im Vorranggebiet Rohstoffgewinnung Maststandorte zulässig sind. Angesichts der zu überspannenden Strecken und der Größe des Vorranggebiets (750 ha) kommt eine Errichtung der Leitung ohne Maststandort im Vorranggebiet nicht in Betracht. Das raumordnerische Ziel der Errichtung einer Höchstspannungsleitung auf der festgelegten Strecke würde ohne Maststandorte vollständig scheitern. Deshalb muss der Plangeber davon ausgehen, dass Maststandorte bei der Querung des Vorranggebiets Rohstoffgewinnung notwendig und zulässig sind. Die Frage, wo ein konkreter Maststandort angesiedelt wird, bestimmt das Landes-Raumordnungsprogramm nicht. Zu einer solchen Regelung wäre die Raumordnung schon deswegen nicht berufen, weil ihr nur die übergeordnete Planung obliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2023 - 4 CN 10.21 - NVwZ 2023, 1766 Rn. 19).

19 Hinsichtlich der bloßen Überspannung des Vorranggebiets mit Leiterseilen besteht raumordnungsrechtlich kein erheblicher Konflikt, weil die Nutzung für die Rohstoffgewinnung auf dem größten Teil des ausgewiesenen Vorranggebiets möglich bleibt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 2020 ‌- 12 LA 150/19 - juris Rn. 34; OVG Magdeburg, Beschluss vom 29. August 2001 ‌- 2 M 130/01 - juris Rn. 6). Die Landesplanerische Feststellung zur Raumverträglichkeit der Leitungstrasse ist mit der Maßgabe erfolgt, dass im Bereich des Rohstoffabbaus ein Mindestabstand der Leiterseile zum Boden von 15 m besteht, sodass der Rohstoffabbau unterhalb der Leiterseile bis zu einer Arbeitshöhe von 10 m dauerhaft gewährleistet ist (vgl. PFB S. 132).

20 bb) Die Zielfestlegung in Abschnitt 3.2.2 Ziffer 07 LROP betrifft Vorranggebiete zur Rohstoffsicherung und ist nicht einschlägig. Im Bereich zwischen Steyerberg und Landesbergen ist in der zeichnerischen Darstellung kein Vorranggebiet Rohstoffsicherung, sondern ein Vorranggebiet Rohstoffgewinnung ausgewiesen. Vorranggebiete Rohstoffsicherung dienen der Freihaltung für einen erst langfristig erforderlich werdenden Abbau (vgl. Abschnitt 3.2.2 Ziffer 07 Sätze 2 und 3 LROP).

21 cc) Die Festlegung in Abschnitt 3.2.2 Ziffer 01 Satz 7 LROP, wonach abbauwürdige Lagerstätten planungsrechtlich von entgegenstehenden Nutzungen freigehalten werden sollen, stellt kein Ziel, sondern einen Grundsatz der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG) dar. Ein Verstoß des Planfeststellungsbeschlusses gegen zwingendes Raumordnungsrecht kommt insoweit nicht in Betracht.

22 Entsprechendes gilt für die Maßgaben M-01 und MT-18-I-02 der Landesplanerischen Feststellung vom 4. Juni 2018. Nach diesen Maßgaben sind in den Leitungsabschnitten, in denen die geplante Leitung Vorranggebiete Rohstoffgewinnung quert, Maststandorte und -bauweisen so zu wählen, dass Rohstoffverluste und Einschränkungen für die Gewinnung oberflächennaher Rohstoffe auf ein Mindestmaß reduziert werden, sodass eine Vereinbarkeit mit der vorrangigen Funktion Rohstoffgewinnung gewährleistet bleibt. Maßgaben einer Landesplanerischen Feststellung gehören gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG zu den sonstigen Erfordernissen der Raumordnung, die von den Trägern der Fachplanung als gutachterliche Äußerung zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 137 sowie Beschluss vom 4. Juni 2008 - 4 BN 12.08 - ZfBR 2008, 592 Rn. 2).

23 2. Der Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an den geltend gemachten Mängeln der Abwägung.

24 Nach § 43 Abs. 3 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass − erstens − eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass − zweitens − in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass − drittens − weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (stRspr, BVerwG, Urteile vom 14. Februar 1975 - 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 73).

25 a) Die Entscheidung für die Leitungstrasse und den Maststandort erweist sich nicht deswegen als rechtsfehlerhaft, weil den Planungen zur Erweiterung der Abbaufläche unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Priorität der Vorrang gebührte.

26 Im Falle konkurrierender Planungsvorstellungen hat grundsätzlich diejenige Planung Rücksicht auf die andere zu nehmen, die einen zeitlichen Vorsprung hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Mai 1987 - 4 C 33-35.83 - BVerwGE 77, 285 <292 f.> und vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 <394>). Eine zeitlich spätere Planung muss planerische Erschwernisse und planerischen Anpassungsbedarf hinnehmen, wenn sie auf eine schon vorher konkretisierte und verfestigte Fachplanung trifft. Dabei markiert bei einem Fachplanungsvorhaben in der Regel erst die Auslegung der Planunterlagen den Zeitpunkt einer hinreichenden Verfestigung. Abweichendes gilt aber im Falle eines gestuften Planungsvorgangs mit verbindlichen Vorgaben. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann dann schon vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens eine Verfestigung bestimmter fachplanerischer Ziele eintreten (BVerwG, Beschluss vom 5. November 2002 - 9 VR 14.02 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 171 S. 133 f.).

27 Von derart gestuften Planungsvorgängen der Beigeladenen und der Klägerin ist hier auszugehen. Die Planungen zur Erweiterung der Abbaufläche und zur Errichtung der Leitung sind nahezu parallel verlaufen, sodass abwechselnd das eine und das andere Vorhaben einen (geringen) zeitlichen Vorsprung zu haben schien. Im Regionalen Raumordnungsplan für den Landkreis Nienburg ist spätestens seit 2003 für die Erweiterungsfläche der Klägerin ein Vorranggebiet Rohstoffgewinnung ausgewiesen. Mit der Aufnahme des Leitungsvorhabens in den Bedarfsplan zum Bundesbedarfsplangesetz im Jahre 2013 stand die Querung der Erweiterungsfläche der Klägerin noch nicht konkret in Rede. Jedoch wird in der Landesplanerischen Entscheidung vom 4. Juni 2018 die Vereinbarkeit der Leitungstrasse mit dem Vorranggebiet Rohstoffgewinnung östlich A. festgestellt. Im Oktober 2018 ist der Planfeststellungsantrag der Klägerin für die Erweiterung ihres Kiesabbauvorhabens gestellt worden, derjenige der Beigeladenen für die Leitungstrasse im März 2020. Deshalb kommt unter dem Gesichtspunkt des Prioritätsgrundsatzes keinem der beiden Vorhaben ein Vorrang zugute.

28 b) Die Wahl des konkreten Maststandortes ist nicht zu beanstanden.

29 Die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten ist abgesehen von rechtlich zwingenden Vorgaben eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Bei der Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten ist die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit erst überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen, oder wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (stRspr, BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <11> und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 -‌ BVerwGE 161, 263 Rn. 82). Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch für die Platzierung einzelner Masten einer Höchstspannungsfreileitung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 2023 - 4 VR 6.22 - juris Rn. 23). Angesichts der Vielzahl bei einem Leitungsvorhaben festzulegender Maststandorte und der davon jeweils betroffenen Belange bedarf es in der Abwägungsentscheidung einer näheren Darlegung für einen einzelnen Maststandort jedoch nur im Falle dazu substantiiert erhobener Kritik.

30 Der Planfeststellungsbeschluss genügt diesen Anforderungen hinsichtlich der Festlegung des Standortes für den Mast 3227.

31 aa) Der Planfeststellungsbehörde kann kein Abwägungsausfall vorgeworfen werden. Unberechtigt ist die Rüge, es sei nicht ermittelt worden, ob die Platzierung des Mastes an den von der Klägerin vorgeschlagenen anderen Standorten an Sicherheitsanforderungen hätte scheitern müssen und welche Mehrkosten dabei entstanden wären. Die Planfeststellung (PFB S. 329) nimmt ausdrücklich Bezug auf den Einzelerörterungstermin mit der Klägerin am 18. Februar 2021 und macht sich die dort eingehend dargestellten Erwägungen der Beigeladenen zu eigen. Diese betreffen die sicherheitstechnischen Voraussetzungen bei Verwirklichung der vorgeschlagenen Alternativstandorte sowie die hierfür aufzuwendenden Mehrkosten.

32 bb) Die Planfeststellung durfte dem optimierten Standortvorschlag der Beigeladenen für den Mast 3227 folgen. Den Nachteilen der Alternativstandorte für die Beigeladene und für den öffentlichen Belang der Energieversorgung durfte größeres Gewicht gegenüber den Vorteilen für die Klägerin und dem öffentlichen Belang der Rohstoffgewinnung zugemessen werden. Die Klägerin hat zuletzt noch die Verschiebung des Mastes 3227 in die nordöstliche Ecke ihres Grundstücks Flur ... Flurstück ... (Vorschlag A) oder die Verschiebung in der Trasse an den Rand des Flurstücks (Vorschlag B) gefordert. Beide Vorschläge tragen dem Interesse am Erhalt eines größeren Rohstoffabbauvolumens besser Rechnung als der planfestgestellte Standort. Der Mast stände jeweils am Rande der Abbaufläche. Zudem gingen neben der Grundfläche des Mastes weniger zusätzlich anzulegende Böschungsflächen für den Kiesabbau verloren.

33 Die Planfeststellung durfte jedoch den gegenläufigen Belangen den Vorzug geben. Die Beigeladene hat im Einzelerörterungstermin dargestellt, dass bei den Alternativstandorten die Wind- und Phasenspannweiten zwischen benachbarten Masten überschritten würden; dies bedeutet einen Verlust an Sicherheit. Für die Alternative A müssten zudem die Masten 3225, 3227, 3228 und 3229 deutlich höher und in stärkerer Bauweise ausgeführt werden. Die Mehrkosten betrügen beim Vorschlag A mindestens 360 000 € und beim Vorschlag B mindestens 460 000 €. Diese von der Planfeststellung übernommenen Abwägungsgesichtspunkte sind im gerichtlichen Verfahren überzeugend bestätigt worden.

34 Die Beigeladene hat dargestellt, dass die für die Alternativstandorte notwendigen Masten zur Gewährleistung hinreichender Sicherheit die Entwicklung einer Sonderkonstruktion erforderten und nicht mit den Standardkonstruktionen des Gestängekatalogs ausgeführt werden können. Solche Sonderkonstruktionen führen zu Verzögerungen bei Planung und Herstellung und bedeuten Mehrkosten sowie einen größeren Aufwand beim Unterhalt und im Reparaturfall. Im Hinblick auf den gesetzlichen Auftrag zum beschleunigten Netzausbau und einer preisgünstigen Energieversorgung (§ 1 Abs. 1 EnWG) dürfen Sonderkonstruktionen nach Auffassung des Senats deshalb grundsätzlich auf technische Ausnahmefälle wie topographisch bedingte Herausforderungen, etwa bei Flussquerungen beschränkt werden. Im vorliegenden Fall durften die geforderten Alternativstandorte aber unabhängig davon abgelehnt werden. Bereits den im Verwaltungsverfahren erörterten Sicherheitseinbußen und den erheblichen Mehrkosten durfte höheres Gewicht gegenüber dem Interesse an der Auskiesung der durch die Alternativlösungen gewinnbaren Rohstoffabbauflächen zugemessen werden.

35 c) Die raumordnerischen Erfordernisse (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG) sind hinreichend berücksichtigt. Gemäß Abschnitt 3.2.2 Ziffer 01 Satz 7 LROP sollen abbauwürdige Lagerstätten planungsrechtlich von entgegenstehenden Nutzungen freigehalten werden. Dies ist beanstandungsfrei abgewogen worden. Aufgrund der großen räumlichen Ausdehnung der Kiesabbaugebiete ist es nach Auffassung der Planfeststellung (PFB S. 131 f.) nicht möglich, die Leitungstrasse in vertretbarer Weise aus Richtung Westen kommend ohne Querung zum Umspannwerk Landesbergen zu führen. Durch die geplanten Mast- und Leiterseilhöhen bleibt der Rohstoffabbau unterhalb der Leiterseile möglich. Geringe punktuelle Abbauverluste an den Maststandorten sind hinzunehmen.

36 Ferner ist berücksichtigt (PFB S. 99), dass die Leitung nach den Vorgaben der Landesplanerischen Feststellung zunächst östlich der Ortslage A./‌S. in Nord-Süd-Richtung geführt wird, um dann bei Mast 3231 in Richtung Osten umzuschwenken. Durch diese Vermeidung einer diagonalen Querung werden die Auswirkungen auf die Abbautätigkeit im Vorranggebiet weitgehend minimiert.

37 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.