Urteil vom 13.02.2025 -
BVerwG 2 WD 16.24ECLI:DE:BVerwG:2025:130225U2WD16.24.0

Mehrstufige Degradierung eines Ruhestandssoldaten wegen Kindesmissbrauchs

Leitsatz:

Wird ein Kindesmissbrauch erst nach Eintritt eines Soldaten in den Ruhestand bekannt, können die geringeren Auswirkungen des außerdienstlichen Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen.

  • Rechtsquellen
    EMRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
    GG Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
    SG § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2, §§ 10, 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2, § 23 Abs. 1
    StGB 1998 § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
    StPO § 170 Abs. 2, § 244 Abs. 2, § 257c Abs. 2 Satz 1 und 2, §§ 261, 267, § 302 Abs. 1 Satz 2
    VorgV § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
    WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 7, §§ 62, 83 Abs. 1 Satz 1, § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 123 Satz 3

  • TDG Süd 8. Kammer - 22.02.2024 - AZ: S 8 VL 12/23

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 13.02.2025 - 2 WD 16.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:130225U2WD16.24.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 16.24

  • TDG Süd 8. Kammer - 22.02.2024 - AZ: S 8 VL 12/23

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 13. Februar 2025, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberst i.G. Blank und
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Federmann,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ... und Professor ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der 8. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 22. Februar 2024 aufgehoben.
  2. Der frühere Soldat wird in den Dienstgrad eines Oberleutnants a.D. herabgesetzt.
  3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  4. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der frühere Soldat, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
  5. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen der frühere Soldat und der Bund jeweils zur Hälfte.

Gründe

I

1 Das Verfahren betrifft den Vorwurf des sexuellen Kindesmissbrauchs.

2 1. Der ... geborene frühere Soldat ist geschieden, hat zwei Kinder und ein Stiefkind. Er trat ... in die Bundeswehr ein, wurde 1979 Zeit- und 1988 Berufssoldat. Zuletzt wurde er 1998 zum Oberstleutnant befördert und 2006 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen. Ende September ... wurde er in den Ruhestand versetzt.

3 2. Im sachgleichen Strafverfahren verhängte das Amtsgericht F. gegen ihn mit Urteil vom 18. Dezember 2015 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. In der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht H. erfolgte eine Verständigung, im Zuge derer der frühere Soldat seine Berufung auf das Strafmaß beschränkte. Daraufhin änderte das Landgericht H. mit Urteil vom 19. Januar 2018 das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahin, dass der frühere Soldat wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem minder schweren Fall zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Als Bewährungsauflage zahlte er 7 000 € an die Nebenklägerin. Da er keine Revision einlegte, wurde das Urteil am 27. Januar 2018 rechtskräftig.

4 Ein vorheriges staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen den früheren Soldaten wegen sexuellen Missbrauchs eines Zwölfjährigen in der Tschechischen Republik im Jahr 1999 war im Oktober 2000 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

5 3. In dem am 16. Oktober 2018 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat am 4. Juni 2019 wie folgt angeschuldigt:
"An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Juli 1998 gegen 14:00 Uhr in dem von dem früheren Soldaten bewohnten Zimmer des Hotels ...,... in J. legte[n] sich dieser neben die auf dem Bett sitzende damals elfjährige G. und entkleidete zunächst den Unterleib der G. und dann sich selbst. Der frühere Soldat fasste die G. im Genitalbereich an und drang mit einem Finger vaginal in sie ein, wodurch er dieser erhebliche Schmerzen zufügte."

6 4. Das Truppendienstgericht hat den angeschuldigten Sachverhalt als erwiesen angesehen und dem früheren Soldaten mit Urteil vom 22. Februar 2024 das Ruhegehalt aberkannt. Zwar habe dieser die Vorwürfe bestritten. Dem stünden aber folgende, C. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil entgegen:
"Die Geschädigte G. lernte den Angeklagten im Jahre 1997 kennen, als dieser mit seinen beiden Kindern, B. und C., und seiner Ehefrau Urlaub im Feriendorf in A. machte. Die damals zehnjährige Geschädigte, die mit ihren Eltern in A. wohnte, freundete sich mit den Kindern des Angeklagten an. Auch zwischen den Eltern der G. und dem Angeklagten entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Hierbei kam es mit Zustimmung der Eltern der G., D. und E., zu mehreren Treffen der G. mit dem Angeklagten, wobei sie verschiedene Ausflüge, wie gemeinsame Schwimmbad- oder McDonald's-Besuche unternahmen. An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Juli 1998 holte der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt elfjährige Geschädigte um 12:00 Uhr von der Schule ab, da sie gemeinsam das ...-Schwimmbad in I. besuchen wollten. Zuerst fuhren der Angeklagte und G. zu McDonald's. Dann begaben sie sich in das Hotel ..., ... in J. Der Angeklagte bewohnte dort ein Zimmer. Der Angeklagte wollte sich dort umziehen und seine Badesachen holen. G. setzte sich auf das Bett, um im Fernsehen gegen 14:00 Uhr Hanni und Nanni zu schauen. Der Angeklagte legte sich zu der Geschädigten auf das Bett und entkleidete zunächst den Unterleib der Geschädigten und dann sich selbst. Der Angeklagte fasste die Geschädigte im Genitalbereich an und drang mit einem Finger vaginal in sie ein. Hierdurch erlitt die Geschädigte erhebliche Schmerzen. Ohne weiter über das Vorgefallene zu sprechen, zogen sich beide wieder an und besuchten das Schwimmbad. Als der Angeklagte wieder Kontakt aufnehmen wollte, teilte G. ihren Eltern mit, dass sie keinen Kontakt mehr zum Angeklagten haben wollte. Daraufhin kam es zu keinen weiteren Zusammentreffen der G. mit dem Angeklagten.
G. ist auch heute noch durch diesen Vorfall erheblich geschädigt. Nachdem das Erlebte bei ihr beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann K. wieder hochkam, hatte sie Probleme beim Vaginalverkehr. Dies stellt eine erhebliche und andauernde Belastung für die Ehe der Geschädigten dar."

7 Die Voraussetzungen für einen Lösungsbeschluss seien nicht gegeben. Die Verständigung sei erst vor dem Landgericht erfolgt, nachdem das Amtsgericht den Sachverhalt festgestellt habe. Die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Verständigung seien gewahrt worden. Neue Beweismittel lägen nicht vor. Das vom früheren Soldaten in Bezug genommene Privatgutachten der Diplom-Psychologin Dr. L., in dem die polizeilichen Aussagen der Zeugin G. und ihrer Eltern als unglaubhaft bewertet würden, habe sowohl dem Amts- als auch dem Landgericht vorgelegen. Die allein durch einen Bericht der Therapeutin der Zeugin G., Diplom-Psychologin M., belegten psychischen Probleme der Zeugin G. hätten die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens nicht erforderlich gemacht.

8 Der frühere Soldat habe durch sein Verhalten vorsätzlich die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt.

9 Bei einem sexuellen Kindesmissbrauch sei auch bei einer weniger gravierenden Fallkonstellation von der Höchstmaßnahme auszugehen. Gründe, um davon abzuweichen, lägen nicht vor. Zwar habe der frühere Soldat in über 36 Dienstjahren herausragende dienstliche Leistungen erbracht und die außerdienstlichen Belastungen (spätes Ermittlungsverfahren, Krebserkrankung seiner Tochter, Scheidung) nicht auf den dienstlichen Bereich ausstrahlen lassen. Zudem hätten seine gesundheitlichen Einschränkungen bei der Berufungsbeschränkung möglicherweise eine Rolle gespielt. Ferner habe er bereits eine strafrechtliche Sanktion erfahren. Dem stünden aber seine fehlende Einsicht und Reue gegenüber. Daher habe auch seine Berufungsbeschränkung im Strafverfahren, die zumindest prozessual mit der Akzeptanz des Schuldspruchs einem Geständnis nahekommen möge, nur eine geringe mildernde Wirkung. Seinen Äußerungen sei zu entnehmen, dass es ihm nicht primär darum gegangen sei, der Zeugin G. und ihren Eltern eine erneute Aussage zu ersparen, sondern um ein Strafmaß, das nicht kraft Gesetzes bereits zum sofortigen Statusverlust führe. Zu seinen Lasten gingen ferner die negativen Folgen für die Zeugin G. Diese habe eine Unfähigkeit zum Geschlechtsverkehr entwickelt und sich in Therapie begeben. Schließlich falle seine Vorgesetztenstellung nachteilig ins Gewicht. Da danach die Höchstmaßnahme zu verhängen sei, könne auch eine überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkung entfalten.

10 5. Mit seiner unbeschränkten Berufung verfolgt der frühere Soldat das Ziel eines Freispruchs, hilfsweise einer milderen Disziplinarmaßnahme. Es lägen die Voraussetzungen für eine Lösung von den amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen vor. Diese seien nur rechtskräftig geworden, weil er die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts wegen seines Gesundheitszustands auf die Rechtsfolgen beschränkt habe. Zudem sei die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht nachvollziehbar. Die Hauptbelastungszeugin G. sei unglaubwürdig. Das Amtsgericht hätte ein aussagepsychologisches Gutachten einholen müssen, weil sich aus dem Privatgutachten, der amtsgerichtlichen Aussage der Zeugin M. und deren Aufzeichnungen über den Therapieverlauf ausreichende Verdachtsmomente für eine Borderline-Störung der Zeugin G. und für eine Verschiebung von Aggressionen wegen Problemen beim Geschlechtsverkehr auf ein konstruiertes Ereignis ergäben. Alle weiteren Zeugen hätten zum angeschuldigten Vorfall als solchem keine Angaben machen können. In dem Privatgutachten sei aufgezeigt worden, weshalb die polizeilichen Aussagen der Zeugin G. und ihrer Eltern unglaubhaft seien. Deren amtsgerichtlichen Aussagen widersprächen sich ebenfalls teilweise. Das Amtsgericht habe zudem die Zeugenaussage seines Sohnes nicht gewürdigt. Aus ihr ergebe sich in Verbindung mit neuen Beweismitteln - Tagebuchaufzeichnungen seiner (des früheren Soldaten) Mutter, einer Geburtstagskarte an seine Schwester und deren Erinnerungen –, dass er mit seinen Kindern die Sommerferien 1998 in A. verbracht und in dieser Zeit Kontakt zur Zeugin G. und deren Familie bestanden habe. Dies stehe den Feststellungen des Amtsgerichts entgegen, dass nach der Tat, die vor den Sommerferien 1998 stattgefunden haben solle, kein Kontakt mehr bestanden habe. Jedenfalls sei eine Aberkennung des Ruhegehalts wegen seiner ausgezeichneten Dienstführung, der bereits erlittenen strafrechtlichen Sanktionen, seiner durch die Vorwürfe eingetretenen psychischen Erkrankung, des langen Zurückliegens der Tat und der Verfahrensdauer unangemessen.

11 6. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft sieht für einen Lösungsbeschluss keine Grundlage und hält eine Aberkennung des Ruhegehalts insbesondere aus generalpräventiven Gründen für erforderlich.

12 7. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses und auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen, auf das auch für die im Berufungsverfahren eingeführten Dokumente Bezug genommen wird.

II

13 Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Da sie in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach ist eine Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Oberleutnants a.D. angemessen.

14 1. In tatsächlicher Hinsicht ist der angeschuldigte Sachverhalt erwiesen. Dies folgt aus den gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen, die das Amtsgericht F. im sachgleichen Strafurteil vom 18. Dezember 2015 getroffen hat. Für einen Lösungsbeschluss nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO hat der Senat ebenso wenig Anlass gesehen wie das Truppendienstgericht.

15 a) Ein Lösungsbeschluss ist als Ausnahme von der in § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO normierten Prozessregel der Bindung an rechtskräftige strafgerichtliche Feststellungen nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Aus dem Sinn und Zweck des § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO, im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unterschiedliche Feststellungen zu einem historischen Geschehensablauf in verschiedenen rechtskräftigen Entscheidungen zu verhindern, ergibt sich, dass die Wehrdienstgerichte an die Beweiswürdigung in einem sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil grundsätzlich auch dann gebunden sein sollen, wenn sie aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Denn die Wehrdienstgerichte sind nach ihrer Zuständigkeit und Funktion keine Überprüfungsinstanz für Strafurteile (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 2021 - 2 WD 14.20 - juris Rn. 19 m. w. N.).

16 Rügt ein Soldat Mängel des strafgerichtlichen Verfahrens, die weder offensichtlich noch in einem strafgerichtlichen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden sind, besteht für die Wehrdienstgerichte regelmäßig kein Anlass, sich von den strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ausnahmsweise zu lösen (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 bis 812 Rn. 37 ff., Beschluss vom 31. März 2021 - 2 WDB 13.20 - juris Rn. 21).

17 Die Ausnahmevoraussetzungen für einen Lösungsbeschluss liegen nur vor, wenn das Strafurteil in sich oder in Verbindung mit dem Protokoll der strafgerichtlichen Hauptverhandlung geeignet ist, erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts zu begründen. Die bloße Möglichkeit, dass das Geschehen objektiv oder subjektiv anders gewesen sein könnte, genügt dafür nicht. Erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen bestehen, wenn diese in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen vergleichbar gewichtigen Gründen offenkundig unzureichend sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. November 2007 ‌- 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 Rn. 21 m. w. N.). Letzteres ist der Fall, wenn sie entscheidungserheblich unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind oder wenn entscheidungserhebliche neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht noch nicht zur Verfügung standen, oder wenn die im Strafurteil vorgenommene Beweiswürdigung ausweislich der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. November 2007 - 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 Rn. 21 m. w. N.). Die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen können ferner dann offenkundig unzureichend sein, wenn dem Strafurteil ein "Deal" zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zugrunde liegt, der den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2014 - 2 WD 31.12 - ‌NZWehrr 2015, 31 <32> m. w. N.).

18 b) Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen hier nicht vor.

19 aa) Sie ergeben sich nicht daraus, dass im Strafprozess eine Verständigung nach § 257c StPO getroffen wurde. Die amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen beruhen nicht auf der Verständigung, weil diese erst vor dem Landgericht erfolgte. Zwar wurden die amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen infolge der Verständigung rechtskräftig, weil eine Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß erfolgte. Die Verständigung genügte aber den rechtsstaatlichen Anforderungen (dazu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2883/10, 2155/11 - BVerfGE 133, 168 Rn. 64 ff.). Insbesondere war der Schuldspruch nicht Gegenstand der Verständigung. Dass die Rechtsmittelbeschränkung Teil der Absprache war, stellt keine Einigung über den Schuldspruch dar. Es handelt sich um eine nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO mögliche Zusage eines bestimmten Prozessverhaltens (vgl. BayObL, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - 205 StRR 1148/19 - juris LS 1 und Rn. 13 ff. m. w. N.). Die Verständigung wurde auch nicht in unzulässiger Weise von einem Verzicht auf Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts abhängig gemacht (vgl. § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). Zwar "soll" nach § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein, das hier nicht vorlag. Zwingend ist dies aber nicht.

20 bb) Weshalb der frühere Soldat der Verständigung zustimmte und warum er gegen das Urteil des Landgerichts keine Revision einlegte, ist für die Entscheidung über eine Lösung von den Tatsachenfeststellungen unerheblich. Im Übrigen ergeben sich weder aus dem Urteil des Amtsgerichts selbst noch in Verbindung mit den Protokollen über die amtsgerichtliche Hauptverhandlung erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen.

21 (1) Diese sind weder in sich widersprüchlich noch sonst unschlüssig. Sie widersprechen auch nicht Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen. Dass der frühere Soldat im Tatmonat Kommandant des Hauptgerätedepots in N. war und sich um die Gesundheit seiner zwei Jahre zuvor an Krebs erkrankten Tochter sorgte, schließt eine Tatbegehung im mehr als 400 km von N. entfernten J. nicht nach jeder Betrachtungsweise aus, zumal der frühere Soldat, wie er in der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, im Folgejahr parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit in N. und seinem Familienleben eine sexuelle Beziehung mit einem jungen Mann in der ebenfalls weit von N. entfernten Stadt O. in der Tschechischen Republik unterhielt.

22 (2) Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist auch nachvollziehbar.

23 Nach § 244 Abs. 2 StPO hat das Strafgericht die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet es gemäß § 261 StPO nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Es hat alle zur Verfügung stehenden Beweismittel in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen, soweit er daraus Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zieht. Diese erschöpfende Würdigung ist gemäß § 267 StPO in den Urteilsgründen darzulegen. Diese müssen eine Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen enthalten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in den Urteilsgründen in allen Einzelheiten darzulegen ist, auf welche Weise das Strafgericht zu bestimmten Feststellungen gelangt ist. Um eine Beweiswürdigung nachvollziehbar zu machen, muss jedoch dargetan werden, warum das Strafgericht den Belastungszeugen und nicht den Angeklagten oder Entlastungszeugen für glaubwürdig gehalten hat oder warum es bestimmte Zeugenaussagen für glaubhaft oder unglaubhaft gehalten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. November 2007 - 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 Rn. 21 m. w. N.).

24 Diesen Anforderungen hält das Urteil des Amtsgerichts stand. Insbesondere ist ihm zu entnehmen, dass das Amtsgericht von der sog. Nullhypothese ausgegangen ist, weshalb es die Einlassung des früheren Soldaten durch die Beweisaufnahme, insbesondere die Vernehmungen der Zeugin G., ihrer Eltern, ihrer Therapeutin und ihres Ehemanns, als widerlegt angesehen hat und warum es davon überzeugt ist, dass die Tat wie von der Zeugin G. geschildert stattfand. Dabei hat sich das Amtsgericht nicht auf eine bloße Wiedergabe der betreffenden Zeugenaussagen beschränkt, sondern plausibel erläutert, aus welchen Gründen es diese für glaubhaft und aufgrund welchen Aussageverhaltens es die jeweiligen Zeugen für glaubwürdig gehalten hat. Die Einwände des früheren Soldaten gegen die Beweiswürdigung greifen nicht durch:

25 (a) Die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Zeugin G. war nicht erforderlich.

26 Die Beurteilung der Aussagetüchtigkeit eines Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage ist die ureigene Aufgabe des Tatgerichts, das diese grundsätzlich aufgrund eigener Sachkunde bewältigen kann und muss (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 3 StR 302/21 - NStZ 2022, 372 <373> Rn. 25 m. w. N.). Die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen ist nur geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 - 1 StR 408/16 - juris Rn. 16 m. w. N.). Ein solcher Ausnahmefall kann bei deutlichen Anhaltspunkten für eine Persönlichkeitsstörung des betreffenden Zeugen vorliegen. Denn die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung und die Beurteilung von deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordern spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 3 StR 302/21 - NStZ 2022, 372 <373> Rn. 25 m. w. N.). Das Tatgericht ist aber im Regelfall aus eigener Sachkunde in der Lage zu beurteilen, ob überhaupt Anknüpfungstatsachen vorliegen, die auf das Bestehen einer psychotischen Erkrankung hindeuten (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2024 - 2 StR 44/24 - juris Rn. 18).

27 Aus dem Privatgutachten, der amtsgerichtlichen Aussage der Zeugin M. sowie deren Aufzeichnungen über den Therapieverlauf ergeben sich keine konkreten und erheblichen Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsstörung der Zeugin G. mit Relevanz für ihre Aussagetüchtigkeit und die Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen.

28 Das Privatgutachten verhält sich nicht zur Frage eines Borderline-Syndroms bei der Zeugin G. Es wurde vor der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung nach Aktenlage gefertigt und beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Bewertung der polizeilichen Aussagen der Zeugin G. und ihrer Eltern sowie der schriftlichen Stellungnahme der Zeugin M. Nicht Gegenstand des Privatgutachtens sind die Zeugenaussagen in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung, auf die das amtsgerichtliche Urteil gestützt wurde. Die Erstellerin des Privatgutachtens hat die Zeugin G. auch nicht untersucht. Da sie im Privatgutachten die Körpersprache samt Stimmlage als wichtigen Indikator der Glaubwürdigkeit bezeichnet und explizit darauf hingewiesen hat, diese nicht beurteilen zu können, ist das Privatgutachten nicht geeignet, die auf dem unmittelbaren Eindruck des Tatgerichts beruhende Einschätzung von der Glaubwürdigkeit der Zeugin G. zu erschüttern.

29 Die Aufzeichnungen der Zeugin M. über den Therapieverlauf verhalten sich ebenfalls nicht zur Frage einer Borderline-Störung bei der Zeugin G. Ebenso wenig ergeben sich aus ihrer Aussage in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung erhebliche Anhaltspunkte für eine solche Störung. Die Zeugin M. hat erklärt, sie habe bei der Zeugin G. keinen Test gemacht, so etwas mache sie nur, wenn der Verdacht einer Psychose bestehe. Wenn das Empfinden bei ihr nicht da sei, d. h. sie keine Symptome einer Psychose sehe, mache sie es nicht; sie habe bei der Zeugin G. keine Veranlassung gesehen, weitergehende Fragen zu stellen. Daraus folgt, dass die Zeugin M. während der Therapie gerade keine Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsstörung der Zeugin G. sah. Auf die Frage in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung, ob sie Veranlassung sehe, ihre Diagnose zu ändern, dass ein Borderline vorliege, erklärte die Zeugin M., dass sie dann einen Test durchführen müsste. Auf die weitere Frage, ob sie dies tun würde, wenn die Zeugin G. jetzt noch in Behandlung bei ihr wäre, antwortete die Zeugin M. zwar "Wenn ich es mir jetzt ansehe, würde ich ja sagen. Ich war früher ganz neu in diesem Beruf." Diesen Äußerungen ist aber keine Diagnose einer Borderline-Störung zu entnehmen.

30 (b) Zwar verhalten sich die Urteilsgründe des Amtsgerichts nicht ausdrücklich zur amtsgerichtlichen Zeugenaussage des Sohnes des früheren Soldaten. Das Amtsgericht hat aber durch die Formulierung im Urteil, die Einlassung des Soldaten sei "durch die durchgeführte Beweisaufnahme, insbesondere die Vernehmungen der Zeugen G., D. und E., M. und K." widerlegt, zum Ausdruck gebracht, die gesamte durchgeführte Beweisaufnahme einschließlich der Aussage des Sohnes des früheren Soldaten gewürdigt zu haben.

31 Dessen Aussage erschüttert die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts auch weder für sich genommen noch in Verbindung mit den vom früheren Soldaten angeführten "neuen Beweismitteln".

32 Selbst wenn aus der amtsgerichtlichen Aussage des Sohnes des früheren Soldaten - der sich an zwei Urlaube (entweder beide 1998 oder einmal 1997 und einmal 1998) sowie an Kontakte mit der Zeugin G. und deren Familie in beiden Urlauben erinnert hat - in Verbindung mit den vom früheren Soldaten ins Feld geführten "neuen Beweismitteln" – den Tagebuchaufzeichnungen seiner Mutter vom 11. September 1998, die am 12. September 1998 von der Schwester des früheren Soldaten aus A. erhaltene Geburtstagskarte sowie deren Erinnerungen an ein Telefonat an ihrem Geburtstag, als der frühere Soldat gerade aus A. zurückgekommen sei - gefolgert würde, dass der frühere Soldat nach der Tat noch die am 12. September 1998 endenden Sommerferien 1998 mit seinen Kindern in A. verbrachte und in dieser Zeit Kontakte mit der Zeugin G. und deren Familie bestanden, würde dies die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht erschüttern. Denn das Amtsgericht hat lediglich festgestellt: "Ohne weiter über das Vorgefallene zu sprechen, zogen sich beide wieder an und besuchten das Schwimmbad. Als der Angeklagte wieder Kontakt aufnehmen wollte, teilte G. ihren Eltern mit, dass sie keinen Kontakt mehr zum Angeklagten haben wolle." Es hat damit nicht festgestellt, dass der Kontakt beider Familien sofort nach der Tat abbrach und dass der frühere Soldat mit seinen Kindern nach der Tat nicht mehr in A. war, sondern dass, nachdem der frühere Soldat (zu einem nicht präzisierten Zeitpunkt) nach der Tat wieder Kontakt habe aufnehmen wollen, die Zeugin G. ihren Eltern mitgeteilt habe, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihm wolle, woraufhin es zu keinen weiteren Zusammentreffen beider gekommen sei. Dazu, wann genau der Kontaktversuch des früheren Soldaten mit der Zeugin G. nach der Tat stattfand - ob noch in den Sommerferien 1998 oder später –, verhalten sich die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht.

33 2. Der frühere Soldat hat damit ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG). Er hat vorsätzlich die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG a. F., nunmehr § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG) verletzt, wonach sich ein Soldat außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten hat, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.

34 Eine ernsthafte Beeinträchtigung ist regelmäßig anzunehmen, wenn - wie hier - eine Straftat begangen wird, die mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 ‌- 2 WD 20.19 - juris Rn. 21 m. w. N.). Der frühere Soldat hat sich des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der maßgeblichen Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) strafbar gemacht. Denn er hat vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren - der Zeugin G. – vorgenommen, die mit einem Eindringen in ihren Körper verbunden waren. Es handelte sich nach den Gesamtumständen um einen minder schweren Fall im Sinne des § 176a Abs. 3 StGB a. F., der mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht ist.

35 3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu gewährleisten sowie die Integrität, das Ansehen und die Disziplin der Bundeswehr aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2021 - 2 WD 21.20 - BVerwGE 173, 29 Rn. 19 und vom 25. Juni 2024 - 2 WD 15.23 - NVwZ-RR 2024, 966 Rn. 34 m. w. N.). Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, das zur Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Oberleutnants a.D. führt.

36 a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist in Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes durch einen Soldaten die Höchstmaßnahme, weil der Soldat dadurch im Grundsatz für die Bundeswehr untragbar wird. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Der Täter greift damit in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein. Er gefährdet die harmonische Entwicklung von dessen Gesamtpersönlichkeit und Einordnung in die Gemeinschaft, weil ein Kind wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zugleich benutzt der Täter das Kind als "Mittel" zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und verletzt dadurch dessen grundgesetzlich geschützte unantastbare Menschenwürde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2019 - 2 WD 15.18 - juris Rn. 21 m. w. N.). Da ein Soldat als Teil der staatlichen Gewalt die Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) und gerade Schwächere schützen und verteidigen soll, erschüttert er durch den sexuellen Missbrauch eines Kindes zutiefst das Vertrauen, das der Dienstherr in die Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit und moralische Integrität eines Soldaten setzt. Dies führt in der Regel zu einem endgültigen Vertrauensverlust seines Dienstherrn, so dass diesem bei objektiver Betrachtung eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2021 - 2 WD 18.20 - juris Rn. 16 m. w. N.). Dies gilt bereits beim einmaligen sexuellen Missbrauch eines Kindes (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 52 m. w. N.), erst Recht bei einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, auch wenn insoweit eine weniger gravierende Fallkonstellation im Sinne des § 176a Abs. 3 StGB a. F. vorliegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Mai 2019 - 2 WD 15.18 - juris Rn. 20 ff. m. w. N. und vom 25. Juni 2024 - 2 WD 15.23 - NVwZ-RR 2024, 966 Rn. 35).

37 b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecke des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet. Schließlich kann eine ungerechtfertigte Verfahrensüberlänge mildernd ins Gewicht fallen. Danach ist eine Degradierung zum Oberleutnant a.D. angemessen.

38 aa) Der Übergang von der Höchstmaßnahme zu der nach § 58 Abs. 2 Nr. 3 WDO nächstmilderen Maßnahmeart der Dienstgradherabsetzung (§ 62 WDO) ist deshalb geboten, weil die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens des früheren Soldaten, welches der Wehrdisziplinaranwaltschaft erst rund ein halbes Jahr nach seinem Eintritt in den Ruhestand bekannt wurde, im Vergleich zu Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs, die während der aktiven Dienstzeit eines Soldaten bekannt werden (dazu BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 58), für den Dienstherrn wesentlich geringer wiegen. So ist das Bekanntwerden einer solchen Tat im Fall eines noch aktiven Soldaten in hohem Maße geeignet, das innerdienstliche Achtungs- und Vertrauensverhältnis zu zerstören und damit den Dienstbetrieb und die Disziplin der Bundeswehr zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Januar 1991 ‌- 2 WD 18.90 - BVerwGE 93, 30 <32> und vom 18. Juli 2001 - 2 WD 51.00 - juris Rn. 63 f.). Demgegenüber beschränken sich die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens für den Dienstherrn bei Bekanntwerden des Dienstvergehens nach Eintritt des Soldaten in den Ruhestand - so auch hier - darauf, dass er bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres nicht mehr zu Reservediensten herangezogen werden kann und dass das Ansehen der Bundeswehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Angesichts dessen wäre die Verhängung der Höchstmaßnahme wegen der geringen Auswirkungen auf die Schutzgüter des Wehrdisziplinarrechts im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. Die Verhängung der Höchstmaßnahme ist auch nicht aus generalpräventiven Gründen erforderlich, weil auch eine empfindliche Dienstgradherabsetzung abschreckende Wirkung entfaltet.

39 bb) Innerhalb des bei einer Dienstgradherabsetzung durch § 62 WDO eröffneten Rahmens ist eine Degradierung zum Oberleutnant a.D. angemessen.

40 (1) Ausgangspunkt bildet der obere Rand des für diese Maßnahmeart gesetzlich Zulässigen, weil nur der auf der zweiten Bemessungsstufe vorliegende Milderungsgrund eines minderschweren Falls dazu führt, von der Regelmaßnahme abzuweichen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - juris Rn. 37 m. w. N. und vom 3. Juni 2021 - 2 WD 18.20 - Rn. 22 m. w. N.). Dies wäre nach § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Leutnants a.D.

41 (2) Ausgehend davon sind zwar zugunsten des früheren Soldaten seine sehr guten dienstlichen Leistungen zu berücksichtigen, die er in über drei Jahrzehnten für die Bundeswehr erbracht hat und die an sich eine Herabsetzung um einen Dienstgrad weniger rechtfertigen würden. Davon zeugen das Dienstzeugnis vom 20. Oktober 2014 und das in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 22. Februar 2024 überreichte Leumundszeugnis von Generalmajor P., die beiden förmlichen Anerkennungen, die beiden Leistungsprämien, das Ehrenkreuz der Bundeswehr und das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst jeweils in Gold. Auch hat sich der frühere Soldat im Auslandseinsatz ... sowie im Stab des ... in ... und beim ... verdient gemacht.

42 Nicht hingegen ist zusätzlich mildernd zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Damit hat er keine besondere Leistung erbracht, die ihn aus dem Kameradenkreis heraushebt, sondern nur die Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt. Ebenso wenig entlastet ihn disziplinarisch, dass er an das Opfer als Bewährungsauflage 7 000 € gezahlt hat. Diesem Umstand wurde bereits im Strafverfahren ausweislich des Urteils des Landgerichts strafmildernde Bedeutung beigemessen und er war mitursächlich dafür, dass dort keine bereits kraft Gesetzes zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führende Freiheitsstrafe verhängt wurde (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 53 m. w. N. und vom 9. Dezember 2021 - 2 WD 29.20 - juris Rn. 34).

43 (3) Den sehr guten dienstlichen Leistungen stehen aber mehrere erschwerende Umstände gegenüber, die sich damit in etwa die Waage halten: Zum einen handelte es nicht nur um einen einfachen sexuellen Kindesmissbrauch, der bereits für sich genommen im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme gerechtfertigt hätte, sondern um einen schweren sexuellen Kindesmissbrauch, wenngleich in einem minder schweren Fall. Des Weiteren hatte der frühere Soldat zur Tatzeit wegen seines Dienstgrads als Major eine Vorgesetztenstellung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht. Dies gilt auch bei einem schwerwiegenden außerdienstlichen Fehlverhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 27 m. w. N.). Schließlich sind zum Nachteil des früheren Soldaten die Auswirkungen des Dienstvergehens für das Opfer zu berücksichtigen, das sich etwa ein halbes Jahr lang in psychotherapeutische Behandlung begab.

44 (4) Allerdings gebietet es die ungerechtfertigte Überlänge des Disziplinarverfahrens um etwa vier Jahre, die Maßnahme abzumildern und den früheren Soldaten lediglich zum Oberleutnant a.D. herabzusetzen. Denn in Fällen, in denen eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2020 ‌- 2 WD 18.19 - juris Rn. 75 m. w. N.), wobei der für die Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum ein behördliches Vorschaltverfahren umfassen kann (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 44). Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist die Gesamtverfahrensdauer. Daher ist zu prüfen, ob Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2022 ‌- 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 83).

45 (a) Ausgehend davon war zum einen das bei der Verfahrensdauer zu berücksichtigende disziplinarische Vorermittlungsverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 41) um etwa fünfeinhalb Monate überlang. Bei der Bewertung der Überlänge des Einleitungsverfahrens ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Wehrdisziplinaranwaltschaft für die erforderlichen Beteiligungen und die Anhörung des Betroffenen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 WDO) ein angemessener Bearbeitungszeitraum von drei Monaten einzuräumen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 - 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 44). Andererseits muss eingestellt werden, dass sie bei früherer Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens berechtigt gewesen wäre, es im Hinblick auf die laufenden strafprozessualen Verfahren nach § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO auszusetzen (Dau/​Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 83 Rn. 9). Das sachgleiche Strafurteil wurde am 27. Januar 2018 rechtskräftig. Das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde erst rund achteinhalb Monate später am 16. Oktober 2018 eingeleitet. Die verzögerte Übersendung des rechtskräftigen Strafurteils seitens der Staatsanwaltschaft fällt in die staatliche Sphäre und ist dem früheren Soldaten nicht anzulasten.

46 (b) Zum anderen weist das etwa vier Jahre und achteinhalb Monate lange erstinstanzliche Verfahren eine Überlänge von etwa drei Jahren und achteinhalb Monaten auf. Angesichts der bei Eingang der Anschuldigungsschrift am 4. Juni 2019 bereits vorliegenden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung und der Überschaubarkeit der Einwände hatte das Verfahren keinen überdurchschnittlichen Schweregrad. Da es wegen der im Raum stehenden Höchstmaßnahme für den früheren Soldaten von erheblicher Bedeutung war, hätte eine Erledigung bei einem normalen Geschäftsgang binnen eines Jahres, d. h. bis Anfang Juni 2020, erwartet werden können. Zwar kam es ab März 2020 zu Einschränkungen im Gerichtsbetrieb infolge des ersten Lockdowns in der COVID-19-Pandemie, die weder dem Staat noch dem früheren Soldaten zuzurechnen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2022 - 2 WD 1.21 - NVwZ-RR 2022, 633 Rn. 49 m. w. N.). Gleichwohl sind deshalb von der Gesamtverfahrensdauer keine Zeiträume abzuziehen. Denn wäre das Vorermittlungsverfahren nicht fünfeinhalb Monate überlang gewesen und nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens die Anschuldigungsschrift entsprechend eher beim Truppendienstgericht eingereicht worden, hätte das erstinstanzliche Verfahren binnen eines Jahres noch vor dem ersten Lockdown abgeschlossen werden können.

47 Weitere besondere Umstände, welche die Verzögerung des erstinstanzlichen Verfahrens erklären könnten, sind den Akten nicht zu entnehmen. Die gerichtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte hat der frühere Soldat als strukturellen Mangel nicht zu verantworten.

48 (c) Demgegenüber kann sich der frühere Soldat nicht darauf berufen, dass der Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an ihn und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht unangemessen lang war. Denn er hat in diesem Verfahrensstadium keinen Antrag beim Truppendienstgericht nach § 101 Abs. 1 Satz 1 WDO gestellt, um auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 ‌- 8453/04, Bayer/​Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 51; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42).

49 (d) Das gut zehn Monate lange Berufungsverfahren weist keine Überlänge auf. Es war aus den zum erstinstanzlichen Verfahren aufgezeigten Gründen binnen eines Jahres zu erledigen. Die um knapp zwei Monate unterdurchschnittlich lange Bearbeitungsdauer ist kompensatorisch zu berücksichtigen.

50 4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren auf § 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 WDO; es ist nicht nach § 140 Abs. 2 Satz 1 WDO unbillig, den früheren Soldaten mit den ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu belasten. Die Teilung der Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens folgt aus § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1 WDO.