Beschluss vom 13.02.2003 -
BVerwG 7 B 95.02ECLI:DE:BVerwG:2003:130203B7B95.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.02.2003 - 7 B 95.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:130203B7B95.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 95.02

  • VG Leipzig - 23.04.2002 - AZ: VG 7 K 1274/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 23. April 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Leipzig zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 178 952 € festgesetzt.

Die Klägerin beansprucht nach dem Vermögensgesetz die Rückübertragung eines Grundstücks, das ihre Rechtsvorgänger 1975 im Tauschwege dem Volkseigentum zum Bau einer Trafostation
überlassen hatten. Der Antrag blieb im Verwaltungsverfahren erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der allein in Betracht kommende Schädigungstatbestand unlauterer Machenschaften (§ 1 Abs. 3 VermG) nicht erfüllt sei. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die die Beschwerde ihr beimisst. Bei der von ihr für rechtsgrundsätzlich gehaltenen Frage,
ob "eine Nötigungshandlung als Tatbestandsmerkmal der unlauteren Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG vor(liegt), wenn unter dem Eindruck eines fortwirkenden rechtswidrigen Zugriffs auf einen Vermögenswert (rechtswidrige Bebauung eines Grundstücks mit einer Trafostation) dem Betroffenen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Aussicht gestellt wird, dass sein etwaiges Nichtdulden dieser rechtswidrigen Maßnahme einen strafbewehrten Tatbestand des StGB/DDR erfülle (Schädigung sozialistischen Eigentums)",
geht die Beschwerde von einem Sachverhalt aus, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Das Verwaltungsgericht hat es insbesondere nicht als erwiesen angesehen, die Bebauung des Grundstücks mit der Trafostation habe einen manipulativen Zugriff auf das Eigentum dargestellt und den Rechtsvorgängern der Klägerin sei eine strafrechtliche Verfolgung in Aussicht gestellt worden für den Fall, dass sie die Bebauung des Grundstücks nicht akzeptierten. Nach der vorinstanzlichen Beweiswürdigung hat der zuständige Stadtbaudirektor den Grundstückseigentümern gegenüber lediglich geäußert, dass es eine "Schädigung von Volkseigentum" wäre, wenn sie auf ihrem Grundstück keine Trafostation duldeten, die zur Versorgung eines ganzen Stadtteils erforderlich sei. Angesichts dessen würde sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
Auch die weiteren Fragen,
ob "die allgemeine Lebenserfahrung eine nach den Regeln des Anscheinsbeweises zu erschütternde Vermutung (rechtfertigt), dass die in einer gezielt rechtswidrigen, durch Stellung eines Ultimatums erzeugten Drucksituation erklärte sofortige Aufgabe eines Vermögenswertes ursächlich für den Vermögensverlust war", und
ob "es eine Rolle (spielt), ob über die Erzeugung der konkreten Drucksituation hinaus neben der expliziten Nennung strafrechtlicher Maßnahmen auch noch eine Strafverfolgung explizit angedroht werden muss",
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Aus der Bezugnahme der Beschwerde auf die Nötigungssituation in Fällen des ausreisebedingten Verlusts von Grundstückseigentum, für die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Anscheinsbeweis anerkannt ist (Urteil vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 - BVerwGE 100, 310 <314>), ergibt sich, dass sie bei den aufgeworfenen Fragen ebenfalls vom Vorliegen einer Nötigung oder eines Machtmissbrauchs ausgeht. Das Verwaltungsgericht hat jedoch ungeachtet dessen, "dass sich die Grundstückseigentümer damals in einer gewissen Drucksituation befunden ... haben, da ... eine Zustimmung zu dem Vertrag noch in dieser Aussprache gefordert wurde", sowohl eine Nötigung als auch einen Machtmissbrauch verneint, weil die staatlichen Stellen ihnen weder ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt noch unter bewusst rechtswidrigem Einsatz ihrer Macht auf das in Rede stehende Grundstück zugegriffen hätten. Unter solchen Umständen ist, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, für die Annahme eines Anscheinsbeweises kein Raum. Der im konkreten Fall auf den Grundstückseigentümern lastende Entscheidungsdruck und die Erklärung ihres Einverständnisses mit dem Grundstückstausch stellen keinen typischen Geschehensablauf dar, der die Vermutung rechtfertigte, dass die staatlichen Organe durch Nötigung oder Machtmissbrauch Druck ausgeübt haben und dieses Vorgehen ursächlich für den Verlust des mit der Trafostation bebauten Grundstücks war. Ob die Einwirkung der staatlichen Stellen auf den Entschluss der Grundstückseigentümer zum Grundstückstausch von einer Eigenart und Intensität war, die typischerweise den Schluss auf eine unlautere Machenschaft zulässt, lässt sich nicht im Wege des Anscheinsbeweises vermuten. Das Vorliegen einer unlauteren Machenschaft ist in einem Fall der vorliegenden Art vielmehr unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
2. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist bereits unzulässig, weil sie dem gesetzlichen Darlegungserfordernis (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht genügt. Die Beschwerde lässt nicht erkennen, dass das angegriffene Urteil auf einem abstrakten Rechtssatz der Vorinstanz beruht, der einem in den genannten Divergenzentscheidungen aufgestellten abstrakten Rechtssatz widerspricht. Davon abgesehen liegen die behaupteten Abweichungen nicht vor. Die vom Verwaltungsgericht dargelegten Voraussetzungen für unlautere Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG stehen in Einklang mit der von ihm wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27. Juli 1995 - BVerwG 7 C 12.94 - BVerwGE 99, 82 <84 f.>; Urteil vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 -, a.a.O. S. 312 f.; jeweils m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass gegebenenfalls von Amts wegen zu ermitteln ist, ob ein zur Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises führender typischer Geschehensablauf vorliegt (Urteil vom 24. August 1999 - BVerwG 8 C 24.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 305). Es hat auch keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass die Anwendung des § 1 Abs. 3 VermG ausgeschlossen sei, wenn die Überführung eines Vermögenswerts in Volkseigentum auch auf rechtmäßige Weise hätte herbeigeführt werden können, Reserveursachen also entgegen der Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen seien (vgl. Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 5.94 - BVerwGE 98, 137 <142 ff.>; Urteil vom 28. April 1998 - BVerwG 7 C 28.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 152). Was die Beschwerde zu den behaupteten Divergenzen vorbringt, erschöpft sich allenfalls in der Behauptung, dass das Verwaltungsgericht höchstrichterliche Rechtssätze fehlerhaft angewendet habe; derartige Subsumtionsfehler rechtfertigten, selbst wenn sie vorlägen, nicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.
3. Die Beschwerde macht jedoch mit Erfolg einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO); ob ihre weiteren Verfahrensrügen begründet sind, kann hiernach offen bleiben.
Das Verwaltungsgericht hat in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verhandelt und entschieden, ohne dessen vor Schluss der mündlichen Verhandlung gestellten Terminsänderungsantrag förmlich zu bescheiden. Der Prozessbevollmächtigte, der zu dem Verhandlungstermin ordnungsgemäß und unter Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens (§ 102 Abs. 2 VwGO) geladen worden war, war zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt sich, dass er auf Nachfrage der Kammer telefonisch erklärt hat, er verzichte nicht auf mündliche Verhandlung. Laut Aktenvermerk der Berichterstatterin vom selben Tag hat der Prozessbevollmächtigte vor Beginn der mündlichen Verhandlung ferner mitgeteilt, dass er wegen seines nicht mehr rechtzeitig möglichen Erscheinens im Termin gegebenenfalls eine "Entschuldigung schreiben" wolle. Beide Erklärungen konnten nur so verstanden werden, dass die mündliche Verhandlung nicht in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten stattfinden, also verlegt oder vertagt werden sollte. Das hat das Verwaltungsgericht offenbar verkannt. Der damit gestellte Antrag auf Terminsänderung hätte beschieden werden müssen. Dass eine Bescheidung des Antrags vor Beginn der mündlichen Verhandlung durch den Kammervorsitzenden oder jedenfalls im Termin durch das Gericht nicht möglich oder unzumutbar war, ist nicht ersichtlich. Da das Gericht von einer förmlichen Bescheidung abgesehen hat, kann der Senat nicht beurteilen, ob die Terminsänderung aus erheblichen Gründen geboten war (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 227 ZPO). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör lässt sich darum nicht ausschließen. Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.