Beschluss vom 13.01.2021 -
BVerwG 4 B 23.20ECLI:DE:BVerwG:2021:130121B4B23.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.01.2021 - 4 B 23.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:130121B4B23.20.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 23.20

  • VG Hannover - 15.02.2018 - AZ: VG 12 A 7782/17
  • OVG Lüneburg - 11.02.2020 - AZ: OVG 1 LC 63/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Januar 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

3 Die Fragen,
Umfasst der Stand der Technik i.S. der § 3 Abs. 6 und § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG im Falle von Außenklimaställen die räumliche Ausrichtung des Stallgebäudes und der Firstachse an einem bestimmten Standort?
Oder ist die Firstrichtung eines Außenklimastalles dem Aspekt des Anlagenstandortes zuzuordnen, der nach herrschender Meinung nicht vom Begriff des "Standes der Technik" i.S. des § 3 Abs. 6 BImSchG erfasst wird?
Lässt sich die räumliche Ausrichtung der Firstachse eines Außenklimastalles und das direkte Angeströmtwerdenkönnen der Lüftungsöffnungen unter den Begriff der "Betriebsweise" i.S. des § 3 Abs. 6 BImSchG fassen?
bedürfen, soweit entscheidungserheblich, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Vielmehr sind sie - ausgehend von den nicht ordnungsgemäß mit Verfahrensrügen angegriffenen und folglich bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts - auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres in dem im Sinne des vom Oberverwaltungsgericht angenommenen Rechtsstandpunkts zu beantworten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>).

4 Der Stand der Technik, an dem sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG die Errichtung und der Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen messen lassen müssen, ist gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der zur optimalen Vermeidung oder Verminderung von Umweltauswirkungen, insbesondere zur Begrenzung von Immissionen in Luft, Wasser und Boden, praktisch geeignet ist.

5 Die Bezugnahme auf "Anlagen einer bestimmten Art" in der Anlage zu § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG weist den Stand der Technik als einen generellen Maßstab aus, für den die Umstände des jeweiligen Einzelfalles keine Rolle spielen (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2015 - 7 C 10.13 - BVerwGE 152, 319 Rn. 18). Differenzierungen etwa nach der Leistungsfähigkeit des Betreibers oder nach den Gegebenheiten am Standort und in der Nachbarschaft seiner Anlage sind demnach ausgeschlossen (vgl. etwa Laubinger/Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, Stand November 2020, § 3 Rn. G 41).

6 § 3 Abs. 6 BImSchG dient der Umsetzung des unionsrechtlichen Begriffs der "besten verfügbaren Techniken" im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (- IE-Richtlinie - ABl. L 334 S. 17; zuvor wortgleich Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Verminderung und Vermeidung der Umweltverschmutzung - IVU-Richtlinie - ABl. L 257 S. 26; s. BT-Drs. 14/4599 S. 125 f.). Techniken sind danach sowohl die angewandte Technologie als auch die Art und Weise, wie die Anlage geplant, gebaut, gewartet, betrieben und stillgelegt wird. Vor diesem Hintergrund sind die in § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG verwendeten Begrifflichkeiten in dem Sinne weit zu verstehen, als sie alle Umstände erfassen, denen eine emissionsmindernde Wirkung zukommt bzw. zukommen kann. Dazu zählen die Verfahren als die Gestaltung und Steuerung der Produktionsprozesse, die Einrichtungen als alle Anlagenteile, die der Emissionsbegrenzung zu dienen bestimmt sind und schließlich die Betriebsweisen; diese bezeichnen anlagenbezogene Vorgänge, die nicht bereits dem Verfahren zuzuordnen sind (vgl. Laubinger/Storost, a.a.O. § 3 Rn. G 32; Führ, GK-BImSchG, 2. Aufl. 2019, § 3 Rn. 266).

7 Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der Außenklimastall eine zur Tiergesundheit und zum Tierschutz beitragende Produktionsweise. Die hierfür maßgeblichen hohen Luftwechselraten werden bei optimaler Anströmung erreicht, was wiederum voraussetzt, dass der Stall mit der Firstrichtung quer zur Hauptwindrichtung positioniert wird und die Lüftungsöffnungen in den Wänden und/oder dem Dach direkt vom Wind angeströmt werden können. Eine abweichende Ausrichtung fördert einerseits die Geruchsentstehung, weil der Stallinnenbereich nicht optimal im Wege der Durchlüftung ausgetrocknet wird, und andererseits ist auch die Abluftfahne immissionsstärker.

8 Die hiernach emissionsmindernde Ausrichtung der Firstachse des Stalles hat folglich zwar einen Bezug zum Verfahren, geht aber darüber hinaus und ist mit dem Oberverwaltungsgericht dem Auffangtatbestand der Betriebsweise zuzuordnen. Der Umstand, dass die Verhältnisse am Anlagenstandort insbesondere aufgrund des vorhandenen Baubestandes eine Errichtung des Stalles nach diesen Vorgaben nicht zulassen, gibt wegen des generellen Maßstabs keinen Anlass, hiervon abzuweichen.

9 Die Fragen,
Wie verhält sich der Befund, dass sich in Fällen einer sog. Verbesserungsgenehmigung das Maß dessen, was an Immissionen hinzunehmen ist, bevor von schädlichen Umwelteinwirkungen ausgegangen werden kann, zu Lasten der Nachbarn verschiebt, zu den Anforderungen an die Immissionsvermeidung nach dem Stand der Technik i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG?
Kann § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG auf ein zu Verbesserungen führendes Vorhaben überhaupt Anwendung finden? Wenn ja, in welchen Fällen? Oder ist allein § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG angesprochen, wenn das BVerwG in seiner Rechtsprechung zu sog. Verbesserungsgenehmigungen auf die Einhaltung des § 22 Abs. 1 BImSchG verweist?
rechtfertigen ebenso wenig die Zulassung der Revision. Durch die Entscheidung des beschließenden Senats vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 - (BVerwGE 159, 187 Rn. 13) ist bereits geklärt, dass in einem durch eine Vorbelastung geprägten Gebiet die (nachbarschützende) Zumutbarkeitsschwelle für störende Immissionen bei einer sogenannten Verbesserungsgenehmigung nur dann zu Lasten des betroffenen Nachbarn heraufgesetzt werden kann, wenn bei Errichtung und Betrieb der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Es bedarf nicht eines weiteren Revisionsverfahrens, um klarzustellen, dass die Bezugnahme auf die Anforderungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG auch dessen Nr. 1 erfasst; das versteht sich angesichts der Schutzrichtung der Zumutbarkeitsschwelle von selbst.

10 Schließlich wird auch mit der Frage,
ob das Urteil des BVerwG vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 - so zu verstehen ist, dass sich der Nachbar auch dann darauf berufen kann, dass von einem Vorhaben nach dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen, wenn das geplante Vorhaben die Immissionssituation im Vergleich zur bestehenden Situation verbessert oder zumindest nicht verschlechtert,
ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dienen die Pflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG auch dem Schutz des Nachbarn (s. etwa BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 1985 - 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300 <331> und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 17). Auch bei einer sogenannten Verbesserungsgenehmigung geht dieser Schutzzweck nicht ins Leere. Denn der betroffene Nachbar kann ein Interesse daran haben, dass eine - wenn auch geringere - Überschreitung der ansonsten heranzuziehenden Zumutbarkeitsschwelle nicht im Wege einer neu erteilten Genehmigung auf unabsehbare Zeit festgeschrieben wird.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.