Beschluss vom 11.03.2008 -
BVerwG 2 B 8.08ECLI:DE:BVerwG:2008:110308B2B8.08.0
Beschluss
BVerwG 2 B 8.08
- OVG Berlin-Brandenburg - 15.11.2007 - AZ: OVG 80 D 5.06
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. März 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Groepper
beschlossen:
- Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. November 2007 wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, § 69 BDG, § 41 Berliner Disziplinargesetz (DiszG) gestützte Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.
2 1. Die wegen eines Dienstvergehens - Bestechlichkeit - aus dem Beamtenverhältnis entfernte Beklagte hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der durch schweres Fehlverhalten herbeigeführte endgültige Verlust der Vertrauenswürdigkeit durch Überwindung einer früheren negativen Lebensphase rückgängig gemacht werden könne.
3 Diese Frage bedarf schon deswegen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts die Lebensphase, in der die Beklagte die ihr zur Last gelegten Dienstvergehen begangen hat, nicht überwunden ist. Dem Berufungsurteil zufolge, dessen Ausführungen die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung selbst zitiert, ist nicht ersichtlich, dass die von dem Gutachter geschilderte Lebenssituation inzwischen abgeschlossen und eine Wiederholung der Taten in einer vergleichbaren Situation nicht zu erwarten ist (UA S. 18/19).
4 Ebenso wenig bedarf es grundsätzlicher Klärung in einem Revisionsverfahren, ob es das Schuldprinzip verletzt, wenn das Berufungsgericht die zweite Zahlung, die die Beklagte nicht entgegengenommen hat, weil sie vorher abgefangen wurde, in die Zumessungsgründe einbezieht. Aufgrund der gesetzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil gemäß § 65 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG, § 41 DiszG ist es vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Beklagte der Bestechlichkeit in zwei Fällen schuldig gemacht hat. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hatte die Beklagte bereits alle Vorbereitungen getroffen, um dem Gefangenen erneut zwei mit Alkohol gefüllte Flaschen zu übergeben und dafür „erneut die vereinbarten 40 Euro als Gegenleistung für ihre Dienste“ entgegenzunehmen. Hierzu ist es nur deswegen nicht gekommen, weil die Beklagte bereits beim Betreten der Justizvollzugsanstalt, in der sie tätig war, abgefangen wurde. Dem Beschwerdevorbringen ist kein rechtlicher Hinweis dafür zu entnehmen, dass und gegebenenfalls weshalb dieser zweite Vorfall der Bestechlichkeit nicht als schuldhafte Pflichtverletzung bemessungsrechtlich gewertet und so in die Bemessung eingestellt werden durfte.
5 Selbst wenn das Strafgericht im zweiten Fall nur einen Versuch (§ 23 StGB) angenommen hätte, hätte eine „vollendete Dienstpflichtverletzung“ vorgelegen. Disziplinarrechtlich entscheidend ist allein, ob der Beamte durch ein bestimmtes Verhalten schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hat. Für die im Disziplinarbemessungsrecht gebotene Persönlichkeitsbeurteilung des Beamten (vgl. dazu § 13 Abs. 1 Satz 3 DiszG) kommt es vor allem auf den gezeigten Handlungswillen an. Dass der Erfolg der Tat nicht eingetreten ist, ist nur dann - auch für die Bemessung - von Bedeutung, wenn der Nichteintritt auf zurechenbarem Verhalten des Beamten beruht (vgl. dazu die Urteile des 1. Disziplinarsenats vom 7. Dezember 1993 - BVerwG 1 D 32.92 - BVerwGE 103, 54 <56 f.> und vom 18. März 1998 - BVerwG 1 D 88.97 - BVerwGE 113, 208 <212>, jeweils m.w.N.). Das wäre hier nicht der Fall gewesen.
6 2. Das angegriffene Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 69 BDG, § 41 DiszG) ist nur gegeben, wenn das Berufungsgericht sich bei der Auslegung einer bestimmten Norm mit einem abstrakten Rechtssatz in Widerspruch zu einem anderen abstrakten Rechtssatz gesetzt hat, den das Bundesverwaltungsgericht in Auslegung derselben Norm aufgestellt hat. Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang geltend, mit dem Rechtssatz, der für Zugriffsdelikte entwickelte Milderungsgrund der Geringfügigkeit sei auf das Dienstvergehen der Bestechlichkeit nicht übertragbar, habe sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - (Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12) gestellt; in jenem Urteil habe das Bundesverwaltungsgericht nämlich ausgeführt, ein Beamter in hervorgehobener Vertrauensposition, der für die Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben höhere Geldzuwendungen (im dortigen Fall 60 000 DM) angenommen habe, sei regelmäßig auch dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn er nicht pflichtwidrig gehandelt habe.
7 Zu Unrecht entnimmt die Beschwerde diesen Ausführungen, das Bundesverwaltungsgericht habe damit den Satz aufgestellt, der für Zugriffsdelikte entwickelte Milderungsgrund der Geringfügigkeit sei auch auf Korruptionsdelikte zu übertragen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte angesichts der Höhe des entgegengenommenen Geldbetrages in dem zitierten Fall keinen Anlass, zu der Frage der Geringfügigkeit Stellung zu nehmen; dementsprechend enthält das angezogene Urteil hierzu auch keine Aussagen. Mit dem zitierten Satz hat das Bundesverwaltungsgericht vielmehr zu der Frage Stellung genommen, ob die Entfernung aus dem Dienst bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts auch dann rechtmäßig ist, wenn der Beamte nicht pflichtwidrig gehandelt hat. Ob das Bundesverwaltungsgericht diese Frage in der Form eines abstrakten Rechtssatzes verneint hätte, wenn der entgegengenommene Betrag geringfügig gewesen wäre, ist der Entscheidung schlechterdings nicht zu entnehmen.
8 Hiervon abgesehen greift die Divergenzrüge auch deshalb nicht durch, weil die Berufungsentscheidung insoweit noch auf eine zweite selbstständig tragende Begründung gestützt ist; das Berufungsgericht hat im konkreten Fall die Geringfügigkeitsgrenze von rund 50 € für überschritten angesehen (UA S. 14 oben). Wird wie hier ein Urteil auf zwei selbstständig tragende Gründe gestützt, so kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur Erfolg haben, wenn hinsichtlich jedes der beiden Gründe ein Zulassungsgrund in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise geltend gemacht wird und vorliegt. Beides ist nicht der Fall.
9 3. Ohne Erfolg macht die Beklagte als Verfahrensfehler geltend, das Berufungsgericht habe eine unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt, dann jedoch nicht als wahr behandelt.
10 Es ist schon zweifelhaft, ob ein hierin zu erblickender Mangel in der Würdigung des festgestellten Sachverhalts einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 69 BDG, § 41 DiszG darstellt oder dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Jedenfalls lässt sich der behauptete Mangel nicht feststellen.
11 Die Beklagte rügt, das Berufungsgericht habe den Antrag, Beweis über das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zu erheben, mit der Begründung abgelehnt, es unterstelle, dass die Beklagte im Tatzeitraum an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB gelitten habe. Bei der Würdigung der einzelnen (typisierten) Milderungsgründe habe es die Feststellungen des nervenärztlichen Gutachtens vom 30. September 2004 jedoch nicht zugrunde gelegt.
12 Im Einzelnen kritisiert die Beklagte, das Berufungsgericht habe - im Zusammenhang mit der Erörterung des entsprechenden Milderungsgrundes - eine psychische Ausnahmesituation zwar bejaht, einen adäquaten Zusammenhang mit dem Fehlverhalten der Beklagten jedoch verneint und sich damit in Widerspruch zu den Feststellungen des Gutachters gesetzt, der ausgeführt hatte, die Beklagte habe sich zum Tatzeitpunkt unter einer psychischen Ausnahmesituation befunden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre ansonsten ausreichend ausgeprägten Fähigkeiten zur angemessenen Abgrenzung gegenüber dem Inhaftierten erheblich gemindert habe.
13 Die Rüge greift nicht durch. Mit seinen Überlegungen zur Kausalität hat sich das Berufungsgericht nicht von den Feststellungen des Gutachters zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit entfernt, sondern diese gerade und ausdrücklich zugrunde gelegt. Anders als die Beschwerde annimmt ist die Frage der Kausalität keine Frage der „Schuldminderung zum Zeitpunkt der Tat“, sondern eine anhand festgestellter Tatsachen zu entscheidende Rechtsfrage, die von der Frage der Schuld völlig losgelöst ist. Der Gutachter hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Beklagte im Tatzeitpunkt für ihr Handeln voll verantwortlich war. Das Berufungsgericht hat sich demgegenüber mit der Frage befasst, ob die von der Beklagten geschilderte und vom Gericht als wahr unterstellte Lebenssituation, in der sich die Beklagte damals befand, ursächlich für ihr Fehlverhalten sein konnte. Beide Fragen betreffen zwei verschiedene Komplexe und sind weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht deckungsgleich. Mit seinen Ausführungen zur Kausalität hat das Berufungsgericht deshalb auch nicht das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
14 4. Soweit die Beschwerde, ohne dies einem bestimmten Zulassungsgrund konkret zuzuordnen, geltend macht, das Berufungsgericht habe sich mit der Beschränkung auf die Prüfung typisierter Milderungsgründe an der bisherigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts orientiert, ohne die neuere Rechtsprechung des beschließenden Senats ausreichend zu berücksichtigen, rechtfertigt dies die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Das Berufungsgericht hat die zu § 13 BDG vom beschließenden Senat entwickelten Maßstäbe (vgl. z.B. Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3) nicht nur formal zitiert und ausdrücklich zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, sondern auch inhaltlich auf den Fall der Beklagten angewandt.
15 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG, § 41 DiszG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.