Verfahrensinformation

Die Kläger sind irakische Staatsangehörige, die wegen drohender Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins zwischen 2000 und 2004 als Flüchtlinge anerkannt wurden. Im Jahr 2005 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen der geänderten Verhältnisse im Irak die Flüchtlingsanerkennungen. Die Verwaltungsgerichte gaben den Klagen gegen die Widerrufe statt, während die Berufungsgerichte (die Oberverwaltungsgerichte Münster und Schleswig sowie der Verwaltungsgerichtshof München) die Klagen abwiesen. Auf die Revisionen der Kläger hat das Bundesverwaltungsgericht die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zur Auslegung von Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG (Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Nachdem der EuGH im vergangenen Jahr über die Vorabentscheidungsersuchen entschieden hat (Urteil vom 2. März 2010), ist in den fünf noch anhängigen Verfahren zu entscheiden, ob bei den Klägern auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der jeweiligen Berufungsgerichte die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH erfüllt sind.


Pressemitteilung Nr. 12/2011 vom 24.02.2011

Widerruf der Anerkennung irakischer Flüchtlinge

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Urteilen vom heutigen Tag in Fällen irakischer Staatsangehöriger entschieden, ob die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland nach den Vorgaben der hierzu ergangenen Grundsatzentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vorliegen.


Die Kläger der fünf Ausgangsverfahren sind zwischen 1997 und 2002 nach Deutschland eingereiste irakische Staatsangehörige. Sie wurden als Flüchtlinge anerkannt, weil sie seinerzeit mit Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins rechnen mussten. Nach dessen Sturz widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2005 die Anerkennungen wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak. Die Klagen hatten in erster Instanz Erfolg. Im Berufungsverfahren wurden die Widerrufsbescheide hingegen als rechtmäßig angesehen. Dies wurde damit begründet, dass die Verfolgungsgefahr im Irak nach der Entmachtung Saddam Husseins und der Zerschlagung seines Regimes endgültig weggefallen sei und den Klägern auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung drohe.


Auf die Revisionen der Kläger legte der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts dem EuGH im Jahr 2008 mehrere Fragen zu den unionsrechtlichen Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft vor (Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG). Diese Fragen hat der EuGH inzwischen mit Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a.) beantwortet. Dem ist zu entnehmen, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die der Flüchtlingsanerkennung zugrundeliegenden Umstände in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung weggefallen sind und der Betroffene auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor Verfolgung haben muss. Der in der Erlöschensvorschrift angesprochene Schutz des Landes bezieht sich daher nur auf den Schutz vor Verfolgung im Sinne der Richtlinie. Unerheblich ist deshalb, ob im Herkunftsland sonstige Gefahren drohen. Die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft ist damit grundsätzlich das Spiegelbild der Anerkennung. Allerdings muss die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Dafür muss feststehen, dass die Ursachen, die zu der Anerkennung als Flüchtling geführt haben, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern.


In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesverwaltungsgericht den Widerruf in zwei Fällen bestätigt. Hier beruhte die Flüchtlingsanerkennung allein auf der Asylantragstellung und der daraus abgeleiteten Gegnerschaft gegen das Regime Saddam Husseins. Die sich hieraus ergebende Furcht vor Verfolgung ist nach den Feststellungen der Berufungsgerichte inzwischen dauerhaft weggefallen, ohne dass andere Umstände geltend gemacht worden sind, die eine Verfolgungsfurcht begründen könnten. In den drei anderen Fällen fehlte es hingegen an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen, ob die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände tatsächlich dauerhaft weggefallen sind und den Klägern auch nicht wegen anderer Umstände Verfolgung droht. Diese Verfahren mussten deshalb zur weiteren Aufklärung an die Berufungsgerichte zurückverwiesen werden.


Fußnote:

Auszug aus Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG:


(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist nicht mehr Flüchtling, wenn er



e) nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.


(2) Bei der Prüfung von Absatz 1 Buchstaben e) und f) haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann.


BVerwG 10 C 3.10 - Urteil vom 24.02.2011

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, OVG 1 LB 33/05 - Urteil vom 09.08.2006 -

VG Schleswig, VG 6 A 41/05 - Urteil vom 05.08.2005 -

BVerwG 10 C 5.10 - Urteil vom 24.02.2011

Vorinstanzen:

OVG Münster, OVG 16 A 4354/05.A - Urteil vom 27.07.2006 -

VG Köln, VG 18 K 5073/05.A - Urteil vom 19.10.2005 -

BVerwG 10 C 6.10 - Urteil vom 24.02.2011

Vorinstanzen:

VGH München, VGH 05.30858 - Urteil vom 06.03.2006 -

VG München, VG M 8 K 05.50193 - Urteil vom 28.07.2005 -

BVerwG 10 C 7.10 - Urteil vom 24.02.2011

Vorinstanzen:

OVG Münster, OVG 16 A 4045/05.A - Urteil vom 10.07.2006 -

VG Köln, VG 18 K 4138/05.A - Urteil vom 28.09.2005 -

BVerwG 10 C 9.10 - Urteil vom 24.02.2011

Vorinstanzen:

OVG Münster, OVG 16 A 4598/05.A - Urteil vom 18.08.2006 -

VG Köln, VG 18 K 5797/05.A - Urteil vom 02.11.2005 -


Urteil vom 24.02.2011 -
BVerwG 10 C 3.10ECLI:DE:BVerwG:2011:240211U10C3.10.0

Leitsätze:

1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG i.V.m Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188).

2. Die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände ist nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend, wenn feststeht, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern.

3. Macht der Flüchtling im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 60 Abs. 1
    AsylVfG §§ 26, 73
    VwVfG § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4
    GFK Art. 1 C Nr. 5 und 6
    Richtlinie 2004/83/EG Art. 2 Buchst. c und e, Art. 4 Abs. 4, Art. 8, 11 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 2

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 09.08.2006 - AZ: OVG 1 LB 33/05
    VG Schleswig - 05.08.2005 - AZ: VG 6 A 41/05 

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 24.02.2011 - 10 C 3.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:240211U10C3.10.0]

Urteil

BVerwG 10 C 3.10

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 09.08.2006 - AZ: OVG 1 LB 33/05
  • VG Schleswig - 05.08.2005 - AZ: VG 6 A 41/05 

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2011
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revisionen der Kläger wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. August 2006 aufgehoben.
  2. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen den Widerruf ihrer Flüchtlingsanerkennungen.

2 Der 1975 geborene Kläger zu 1 und seine 1981 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2, sind irakische Staatsangehörige aus dem Zentralirak. Sie sind arabischer (Kläger) bzw. kurdischer (Klägerin) Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Im Januar 2002 reisten die Kläger nach Deutschland ein und beantragten Asyl. Zur Begründung gaben sie an, der Kläger werde als aktives Mitglied der „Demokratischen Volkspartei“ vom Geheimdienst gesucht; die Klägerin sei deshalb misshandelt worden. Mit bestandskräftigem Bescheid lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - im Februar 2002 die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, weil die Kläger im Irak schon wegen ihrer Asylantragstellung, die von den irakischen Behörden als politische Gegnerschaft bewertet werde, Verfolgung zu befürchten hätten.

3 Nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins leitete das Bundesamt im September 2004 wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung der Kläger widerrief es mit Bescheid vom 20. Januar 2005 die Flüchtlingsanerkennungen der Kläger. Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. August 2005 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren haben die Kläger vorgetragen, der Führer der „Demokratischen Volkspartei“ sei seit einigen Monaten untergetaucht. Nach schweren Vorwürfen gegen die Schiiten sei er ernstlich bedroht worden. Als Aktivist der Partei wäre auch der Kläger bei Rückkehr gefährdet. Außerdem hätte er Schwierigkeiten mit einer sunnitischen Gruppe namens „Bedr“, die mit dem Staat zusammenarbeite, und mit der Familie der Klägerin, die er ohne deren Einverständnis geheiratet habe.

4 Mit Beschluss vom 9. August 2006 hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Irak sei eine einschneidende und dauerhafte Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Die früheren Verfolgungsgefahren seien weggefallen. Das Regime Saddam Husseins sei endgültig beseitigt worden. Von Seiten des irakischen Staates oder staatsähnlicher Herrschaftsstrukturen drohten keine Verfolgungsgefahren mehr, die an die Stellung eines Asylantrags anknüpften. Allgemeine Gefahren würden weder vom Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG noch von Art. 1 C Nr. 5 GFK erfasst. Es drohe auch keine Verfolgung aus anderen Gründen. Aus dem Vorbringen der Kläger ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger als einfaches, nicht profiliertes oder in besonderen Funktionen hervorgetretenes Mitglied der „Demokratischen Volkspartei“, deren Führer nach den Wahlen vom 30. Januar 2005 im Irak Mitglied des Parlaments gewesen sei, oder die Klägerin, die an den Parteiaktivitäten ihres Ehemanns weder beteiligt gewesen sei noch davon gewusst habe, bei Rückkehr landesweit gefährdet wären. Eine solche Gefährdung gehe weder vom irakischen Staat noch von den multinationalen Streitkräften aus. Für eine schutzrelevante Gefährdung durch nichtstaatliche Akteure - etwa die befürchteten Schwierigkeiten mit einer „Bedr“-Gruppe - fehlten greifbare Anhaltspunkte. Die angedeuteten Schwierigkeiten mit der Familie der Klägerin knüpften nicht an die in § 60 Abs. 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter an. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG stehe der Widerrufsentscheidung nicht entgegen. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe, die eine Rückkehr in den Irak unzumutbar erscheinen ließen, seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die Beklagte habe den Widerrufsbescheid unverzüglich im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen. Dieses Gebot diene im Übrigen ausschließlich öffentlichen Interessen. Dahinstehen könne, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bei Widerrufsentscheidungen zu beachten sei, da sie eingehalten wäre. Einer Ermessensentscheidung habe es nicht bedurft.

5 Die Kläger erstreben mit ihren Revisionen die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Mit Beschluss vom 31. März 2008 - BVerwG 10 C 32.07  - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Klärung der Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG eingeholt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 2. März 2010 beantwortet.

II

6 Die Revisionen der Kläger sind zulässig und begründet. Der die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Widerrufsentscheidungen bestätigende Beschluss des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe nicht an einem formellen Mangel leiden (1.) und der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - kein Ermessen ausgeübt hat (2.). Die Berufungsentscheidung verstößt aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG, der seinerseits im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist (3.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufe ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 <257 f.> Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31).

8 Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

9 Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl- und Asylrecht Nr. 19).

10 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe nicht an einem formellen Mangel leiden. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG in der zum Zeitpunkt ihres Erlasses und im Übrigen auch jetzt noch unverändert geltenden Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 13 m.w.N.). Der Senat hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N.). Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

11 2. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Die für die Zulassung der Revisionen ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG geklärt. Danach hat in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für Altanerkennungen getroffen, die vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden sind, und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 a.a.O. m.w.N.).

12 3. Die Berufungsentscheidung ist hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der inzwischen umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG).

13 a) Die diesen Bestimmungen zu entnehmenden Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in der im vorliegenden Verfahren eingeholten Vorabentscheidung mit Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) konkretisiert.

14 Danach erlischt die Flüchtlingseigenschaft, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 76 1. Spiegelstrich).

15 In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG angesprochene „Schutz des Landes“ sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67). Gleiches gilt mithin für den in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erwähnten „Schutz des Staates“. Unerheblich ist, ob dem Betroffenen im Herkunftsland sonstige Gefahren drohen. Das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft hängt insbesondere nicht davon ab, dass auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG nicht erfüllt sind. Die Richtlinie verfolgt insoweit zwei unterschiedliche Schutzregelungen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 78 ff.).

16 Dem Urteil des Gerichtshofs ist weiter zu entnehmen, dass die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich das Spiegelbild zur Anerkennung ist. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht ebenso wie Art. 1 Abschnitt C Ziff. 5 GFK vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr begründet, kann der Staatsangehörige es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

17 Der Gerichtshof hebt aber zugleich hervor, dass für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73). Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 70 f.).

18 Sind die Umstände, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling erfolgte, weggefallen, ist vor der Feststellung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft weiter zu prüfen, ob nicht andere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung haben kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 82). Dabei ist zu differenzieren, je nachdem, auf welchen der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten (Verfolgungs-)Gründe sich der Flüchtling beruft. Macht er im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98). In diesem Fall hat die Behörde die geltend gemachte Verfolgungsgefahr also in der Regel schon bei der Frage mit zu berücksichtigen, ob überhaupt eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände vorliegt, aufgrund derer die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Beruft sich der Flüchtling hingegen auf einen anderen Verfolgungsgrund als den bei der Anerkennung festgestellten, fehlt es an einem Bezug zu den seiner Anerkennung zugrunde liegenden Umständen. Dieses Vorbringen stellt daher nicht den Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände in Frage. In diesem Fall findet aber die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG Anwendung, wenn frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung eine Verknüpfung mit dem nunmehr geltend gemachten Verfolgungsgrund aufweisen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 96).

19 b) Mit dieser Grundsatzentscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union die im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Vorgaben geklärt. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten haben, das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft setze stets - unabhängig von einer konkreten Verfolgungsgefahr - die Möglichkeit der Inanspruchnahme effektiven staatlichen Schutzes voraus, ist dies der Entscheidung des Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Der Gerichtshof differenziert vielmehr zwischen den der Anerkennung zugrunde liegenden und anderen Verfolgungsgründen. Nur hinsichtlich der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgründe findet Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG in der Regel Anwendung. Hinsichtlich anderer Verfolgungsgründe verbleibt es hingegen bei der gleichen Prüfung wie im Anerkennungsverfahren (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 83 und 88). Damit hängt das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nicht davon ab, dass im Herkunftsland umfassender Schutz vor jeglicher Art von Verfolgung gewährt wird.

20 c) In Anwendung der sich aus Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Vorgaben ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht von einem Wegfall der den Flüchtlingsanerkennungen der Kläger zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr ausgegangen. Die Kläger wurden vom Bundesamt mit Bescheid vom 26. Februar 2002 als Flüchtlinge anerkannt, weil das Bundesamt seinerzeit davon ausging, dass die irakischen Behörden schon die Asylantragstellung im Ausland als politische Gegnerschaft werten. Diese die Furcht der Kläger vor einer staatlichen Verfolgung begründende Tatsache ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dauerhaft beseitigt worden. Die Entmachtung des Diktators Saddam Hussein und seines Regimes ist nach diesen Feststellungen unumkehrbar. Eine Rückkehr des Baath-Regimes wird als ausgeschlossen angesehen. Weder die neue irakische Regierung noch sonstige Akteure knüpfen an die Asylantragstellung im Ausland Verfolgungsmaßnahmen (BA S. 7 f.). Steht damit fest, dass die Kläger wegen der Asylantragstellung von keiner Seite im Irak mehr Verfolgung zu befürchten haben, umfasst dies zugleich die Feststellung, dass mit der neuen irakischen Regierung ein staatlicher Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der die bisherigen staatlichen Sanktionen und Übergriffe aufgrund der Asylantragstellung abgeschafft hat und damit ausreichende geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern.

21 Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr aber weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Insoweit hat der Kläger im Berufungsverfahren schriftsätzlich geltend gemacht, dass ihm unabhängig von der seiner Anerkennung zugrunde gelegten Verfolgungsgefahr bei Rückkehr Verfolgung drohe. In diesem Zusammenhang hat er sich insbesondere auf seine aktive Mitgliedschaft in der „Demokratischen Volkspartei“ berufen. Deren Führer habe inzwischen aus Furcht vor Verfolgung untertauchen müssen. Außerdem befürchtet der Kläger, dass er Schwierigkeiten mit einer mit dem Staat zusammenarbeitenden sunnitischen Gruppe namens „Bedr“ hätte. Zu diesen anderen Umständen hat das Berufungsgericht den Kläger nicht angehört, sondern ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege festgestellt, dass sich aus diesem Vorbringen keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung ergäben (BA S. 11).

22 Diese Feststellung beruht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und wird den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht gerecht. Nachdem sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf berufen hat, er habe im Irak inzwischen wegen anderer Umstände Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG zu befürchten, hätte das Berufungsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, hierzu - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - persönlich Stellung zu nehmen, und die Befürchtungen des Klägers sodann anhand der Erkenntnisquellen auf ihre Glaubhaftigkeit und Entscheidungserheblichkeit überprüfen müssen. Erst auf der Grundlage einer dergestalt aufgearbeiteten Tatsachengrundlage hätte zuverlässig beurteilt werden können, ob insoweit tatsächlich keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung bestehen.

23 Darin liegt hinsichtlich des Klägers eine Verletzung materiellen Rechts, da das Berufungsgericht die Anforderungen an einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insoweit verkannt hat. Dieser Rechtsfehler wirkt sich auch gegenüber der Klägerin aus. Diese hat im Widerrufsverfahren zwar keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Sollte ihrem Ehemann jedoch weiterhin Verfolgung drohen und der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung daher keinen Bestand haben, hätte sie nach § 26 Abs. 4 AsylVfG einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. In diesem Fall dürfte aber auch ihre Flüchtlingsanerkennung nicht widerrufen werden.

24 4. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht insbesondere zu klären hat, ob dem Kläger nach Wegfall der seiner Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr im Irak wegen anderer Tatsachen oder Umstände Verfolgung droht. Hierzu hat es den Kläger zu den von ihm geltend gemachten anderen Verfolgungsgefahren anzuhören und festzustellen, inwieweit diese auf dem gleichen Verfolgungsgrund im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beruhen wie seine Anerkennung. Hiervon dürfte vor allem bei einer an die Mitgliedschaft in der „Demokratischen Volkspartei“ anknüpfenden Verfolgungsgefahr auszugehen sein. Denn der Kläger hat im Anerkennungsverfahren geltend gemacht, dass er sich schon vor seiner Ausreise für diese - damals in Opposition zum Regime Saddam Husseins stehende - Partei engagiert habe. Seine Anerkennung beruhte zwar nicht auf diesem Vorbringen, knüpfte aber an die wegen der Asylantragstellung von den irakischen Behörden vermutete Gegnerschaft gegen das damalige Regime und damit an den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung an. Sollte dem Kläger mit Blick auf sein Engagement für die „Demokratische Volkspartei“ Verfolgung drohen, wäre dies daher schon im Rahmen der Prüfung nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG bei der Frage zu berücksichtigen, ob die festgestellte Veränderung der Umstände, nämlich die Beseitigung der Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins und die Etablierung einer neuen Regierung als Schutzakteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG hinreichend erheblich ist, um die Furcht des Klägers vor Verfolgung als nicht mehr begründet ansehen zu können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98 f.). Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass dem Kläger zumindest in Teilen des Irak Verfolgung droht, müsste es schließlich auch die Voraussetzungen für eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG prüfen.

25 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.