Beschluss vom 10.09.2002 -
BVerwG 1 B 26.02ECLI:DE:BVerwG:2002:100902B1B26.02.0
Beschluss
BVerwG 1 B 26.02
- VGH Baden-Württemberg - 20.09.2001 - AZ: VGH A 14 S 236/01
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. September 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. September 2001 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ein Erlass eines Landes-Innenministeriums, der u.a. den Volkszugehörigen der Ashkali/Roma aus dem Kosovo ein befristetes Bleiberecht im Bundesgebiet vermittelt, eine Sperrwirkung gegenüber dem Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auszuüben vermag. Sie hält die Frage nach dem Umfang der vom Berufungsgericht angenommenen Sperrwirkung auch deshalb für klärungsbedürftig, weil der vom Berufungsgericht herangezogene Erlass nicht die Voraussetzungen des § 54 AuslG erfülle. Es sei von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, ob die vom Gericht angenommene Sperrwirkung mit Bundesrecht, mit Grundrechten sowie mit dem Schutzgebot des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sei.
Das Beschwerdevorbringen wirft eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache führen könnte, nicht auf. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits rechtsgrundsätzlich geklärt, dass bei allgemeinen Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, die dem einzelnen Ausländer nicht nur persönlich, sondern als Teil einer bestimmten Bevölkerungsgruppe - hier: der Ashkali/Roma im Kosovo - drohen, Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt wird. Liegt eine derartige Regelung vor, scheidet ein Anspruch auf Feststellung eines individuellen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wegen dieser Gefahren aus (Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324; Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77; Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379).
Auch die in der Beschwerde aufgeworfene Frage der Verfassungskonformität der Regelung ist höchstrichterlich bereits geklärt. Eine verfassungskonforme Einschränkung der von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausgehenden Sperrwirkung ist nach der Rechtsprechung nur dann geboten, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, keinen generellen Abschiebestopp verfügt haben (Urteil vom 17. Oktober 1995 a.a.O. S. 328). Soweit sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch dagegen wendet, dass das Berufungsgericht eine verfassungswidrige Schutzlücke durch das Fehlen einer Regelung nach § 54 AuslG verneint hat, weil die Klägerin durch den Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 19. September 2001 vor einer Abschiebung tatsächlich geschützt sei, legt sie keinen weiteren oder neuen Klärungsbedarf dar. Ob ein behördlicher Abschiebestopp, der nicht die Kriterien des § 54 AuslG erfüllt, die Sperrwirkung im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auszuüben vermag, ist höchstrichterlich geklärt. Der Senat hat durch Urteil vom 12. Juli 2001 (- BVerwG 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 379) entschieden, dass die Sperrwirkung nicht nur zu beachten ist, wenn ein Abschiebestopp-Erlass nach § 54 AuslG besteht, sondern auch dann, wenn eine andere ausländerrechtliche Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermitteln. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die Klägerin durch die in Baden-Württemberg geltende Erlasslage gleich wirksam vor Abschiebung geschützt ist wie durch eine Anordnung nach § 54 AuslG. Die tatrichterliche Würdigung der Erlasslage ist insoweit einer revisionsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen. Gegen die Gleichwertigkeit des gewährten Schutzes spricht zwar, dass der zitierte Erlass im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mehr volle drei Monate Geltung hatte (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 384). Das hat der Verwaltungsgerichtshof auch erörtert; nach seiner tatrichterlichen - und insoweit mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Auffassung war aber mit einer Verlängerung der Geltungsdauer zu rechnen (UA S. 13). Außerdem hat das Berufungsgericht der Sache nach zutreffend darauf hingewiesen, die Klägerin könne im Falle der Nichtverlängerung des Abschiebestopps jederzeit beim Bundesamt geltend machen, dass eine neue Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG entstanden und deshalb erneut über ihren Antrag im Wege des Wiederaufgreifens zu entscheiden ist (vgl. auch Urteil vom 12. Juli 2001 a.a.O. S. 388).
Auch die Frage der Vereinbarkeit der Sperrwirkung mit Art. 3 EMRK war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Überprüfung. Wie der Senat in dem dem Klägervertreter bekannten Beschluss vom 12. April 2001 (BVerwG 1 B 21.01 ) bereits klargestellt hat, käme eine Verletzung von Art. 3 EMRK unter den hier maßgeblichen Umständen allenfalls in Betracht, wenn der Klägerin der Vollzug einer Abschiebung tatsächlich drohen würde. Hiervor wird die Bevölkerungsgruppe der Ashkali/Roma in Fällen wie dem vorliegenden aber durch den behördlichen Abschiebestopp geschützt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.