Beschluss vom 10.03.2023 -
BVerwG 2 WDB 2.23ECLI:DE:BVerwG:2023:100323B2WDB2.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 10.03.2023 - 2 WDB 2.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:100323B2WDB2.23.0]
Beschluss
BVerwG 2 WDB 2.23
- TDG Süd 5. Kammer - 26.10.2022 - AZ: TDG S 5 GL 11/22
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 10. März 2023 beschlossen:
Die Beschwerde des früheren Soldaten gegen den Beschluss der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 26. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Gründe
I
1 Die Beschwerde betrifft die Einbehaltung eines Teils des Ruhegehalts.
2
Der ... geborene frühere Soldat war von April 2011 bis Ende September 2021 Zeitsoldat. Der Kommandeur Ausbildungskommando leitete gegen ihn mit Verfügung vom 16. Oktober 2020 ein gerichtliches Disziplinarverfahren wegen folgender Vorwürfe ein:
"1.
Sie übersandten am 1. September 2020 um 20:50 Uhr über den Messengerdienst 'WhatsApp' eine Nachricht an den Oberstabsgefreiten ..., der ein Gutachten mit dem Titel 'Deutschland im Deutschen Reich; Neuorganisation des existenten Volks- und Heimatstaates Deutschland im Deutschen Reich. Herstellung der Souveränität des gesamtdeutschen Volkes und der gesamtdeutschen Staatsgewalt, durch die Verfassungsorgane' angehängt war, womit Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen und somit wussten, dass sie hierdurch gegen Ihre Pflicht zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstießen.
2.
Sie versandten am 1. September 2020 um 21:00 Uhr über den Messengerdienst 'WhatsApp' eine Nachricht an den Oberstabsgefreiten ... und antworteten auf die Frage, wann Sie wieder zum Dienst erscheinen: 'Solange die BRD am Werk ist gar nicht', womit Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass Sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen und somit wussten, dass sie hierdurch gegen Ihre Pflicht zur Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstießen.
3.
Sie bewahrten seit einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, mindestens aber am 13. August 2020 in Ihrer Wohnung in der ... Straße ... in ... die folgende Munition auf:
- 290 Schuss gegurtet, Manövermunition, Kaliber 7,62 mm,
- 160 Schuss gegurtet, Manövermunition, Kaliber 5,56 mm,
- 1 Schuss Gefechtsmunition, Kaliber 5,56 mm,
um diese für sich zu behalten."
3 Zugleich ordnete er die vorläufige Dienstenthebung, ein Uniformtrageverbot und die hälftige Einbehaltung der Dienstbezüge ab dem 1. November 2020 an.
4 Der frühere Soldat beantragte beim Kommandeur ... die Aufhebung aller Nebenentscheidungen. Dieser hob mit Bescheid vom 14. April 2021 die Einbehaltensanordnung für den Zeitraum 1. bis 10. November 2020 auf und hielt sie ab dem 11. November 2020 in Höhe von 40 % aufrecht. Im Übrigen wies er den Antrag zurück.
5 Der frühere Soldat stellte am 14. Mai 2021 beim Truppendienstgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Im September 2021 endete seine Dienstverpflichtung als Soldat auf Zeit.
6 Mit "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 hob der Kommandeur ... die Einbehaltensanordnung vom 14. April 2021 zum Ablauf des 30. September 2021 auf und ordnete an, dass 25 % der jeweiligen Versorgungsbezüge ab dem 1. Januar 2022 einbehalten werden.
7 Der frühere Soldat beantragte mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 bei der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Aufhebung der teilweisen Einbehaltung der Versorgungsbezüge.
8 Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2022 stellte er beim Truppendienstgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Bescheid, mit dem die Auszahlung der Übergangsbeihilfe für unzulässig erklärt wurde. Zugleich übermittelte er die "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 ohne diesbezüglichen Antrag. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft teilte auf diesen Schriftsatz hin dem Truppendienstgericht mit Schriftsatz vom 21. Februar 2022 mit, es bestehe keine Veranlassung, der Einleitungsbehörde vorzuschlagen, die "Anordnung, die zusammen mit der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens erfolgte", abzuändern. Zur Begründung werde auf die "Anordnungsverfügung" und die "Änderungsverfügung" verwiesen. Bezüglich des Vorwurfs 3. sei gegen den früheren Soldaten mit rechtskräftigem Strafurteil vom 15. Juli 2021 wegen des vorsätzlichen Besitzes einer Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition eine Geldstrafe verhängt worden. Es sei beabsichtigt, den Sachverhalt aus dem Strafurteil zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
9 Mit Schreiben vom 5. September 2022 rügte der frühere Soldat gegenüber der Wehrdisziplinaranwaltschaft, dass sein Antrag vom 9. Dezember 2021 noch nicht beschieden sei.
10 Mit E-Mail vom 28. September 2022 übersandte der Verteidiger des früheren Soldaten dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer die "Verfügung, mit der auch die Versorgungsbezüge meines Mandanten gekürzt werden". Dieser antwortete mit E-Mail vom 12. Oktober 2022, dass das unter dem Aktenzeichen S 5 GL 03/21 geführte Verfahren nur die mit der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 aufgehobene (modifizierte) Anordnung vom 24. April 2021 betreffe. Hinsichtlich der neuen Anordnung in der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 liege kein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor. Gleichwohl werde bei wohlwollender Auslegung der Schriftsatz vom 11. Januar 2022 als ein auch darauf gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung betrachtet und die diesbezügliche Äußerung der Wehrdisziplinaranwaltschaft als ablehnende Vorentscheidung gewertet. Das Aktenzeichen für dieses Verfahren laute S 5 GL 11/22. Der Verteidiger des früheren Soldaten erklärte mit E-Mail vom 13. Oktober 2022 sein Einverständnis mit dieser Vorgehensweise.
11 Das Truppendienstgericht hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 14. Mai 2021 zurückgewiesen, soweit er den Zeitraum ab dem 1. Oktober 2021 betrifft; eine Entscheidung für den Zeitraum zuvor ergehe im Verfahren S 5 GL 03/21. Antragsgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei die Anordnung vom 2. Dezember 2021 über die teilweise Einbehaltung der Versorgungsbezüge ab dem 1. Januar 2022 (im Tenor sei die Angabe ab "1. Oktober 2021" nicht korrekt). Der diesbezügliche, trotz fehlender ausdrücklicher Ablehnung der Einleitungsbehörde i. S. d. § 126 Abs. 5 Satz 1 und 3 WDO ("Quasi-Ablehnung" durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft in deren Schreiben vom 21. Februar 2022) zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei unbegründet. Die Einbehaltensanordnung sei nach § 126 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 WDO rechtmäßig. Bei summarischer Prüfung erscheine es zumindest wahrscheinlich, dass dem früheren Soldaten im gerichtlichen Disziplinarverfahren das Ruhegehalt aberkannt werde. Die Anzeichen für eine psychische Erkrankung änderten vermutlich an seiner Verantwortlichkeit nichts. Etwas anderes könne sich nur aus einem Sachverständigengutachten ergeben, das im Hinblick auf eine spätere Hauptverhandlung zu initiieren wäre. Im vorliegenden Verfahren könne mangels eindeutiger und gewichtiger Hinweise auf eine Schuldunfähigkeit eine derart weitgehende Wirkung nicht zu Gunsten des früheren Soldaten angenommen werden.
12 Der frühere Soldat hat gegen den Beschluss Beschwerde erhoben. Die Prüfung der Erwartung der Höchstmaßnahme dürfe nicht mit einem für ihn nachteiligen Ergebnis abgeschlossen werden, ohne sich gutachterlich-sachverständig mit seiner gesundheitlichen Situation auseinanderzusetzen.
13 Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 2. Februar 2023 nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
14 Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet.
15 Im Verfahren S 5 GL 03/21 hat das Truppendienstgericht mit einem ebenfalls vom 26. Oktober 2022 datierenden Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, soweit er den Zeitraum bis zum 30. September 2021 betrifft. Gegen diesen Beschluss führt der frühere Soldat das auf die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge beschränkte Beschwerdeverfahren BVerwG 2 WDB 3.23 .
II
16 Die nach § 114 WDO zulässige Beschwerde des früheren Soldaten ist unbegründet.
17 1. Beschwerdegegenstand ist allein die mit der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 angeordnete Einbehaltung von 25 % der jeweiligen Versorgungsbezüge des früheren Soldaten seit dem 1. Januar 2022.
18 Nicht verfahrensgegenständlich sind die mit der Einleitungsverfügung angeordnete vorläufige Dienstenthebung und das Uniformtrageverbot sowie die mit der Einleitungsverfügung in Gestalt des Bescheids vom 14. April 2021 und der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 angeordnete teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge bis zum Ablauf des 30. September 2021. Über diese Nebenentscheidungen hat das Truppendienstgericht im Verfahren S 5 GL 03/21 mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 entschieden, gegen den der frühere Soldat das auf die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge beschränkte Beschwerdeverfahren BVerwG 2 WDB 3.23 führt.
19 Unerheblich ist, dass mit dem hier angefochtenen Beschluss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch zurückgewiesen worden ist, soweit er den Zeitraum bereits ab dem 1. Oktober 2021 betrifft. Denn für den Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2021 gelten wegen des Dienstzeitendes des früheren Soldaten zum Ablauf des 30. September 2021 und der mit Wirkung zu diesem Zeitpunkt erfolgten Aufhebung der teilweisen Einbehaltung der Dienstbezüge keine der angeordneten Nebenentscheidungen. Der Tenor des angefochtenen Beschlusses geht insoweit "ins Leere".
20 2. Das Truppendienstgericht hat den Antrag des früheren Soldaten auf gerichtliche Entscheidung, der von dessen Verteidiger auf die seit dem 1. Januar 2022 geltende Einbehaltensanordnung erweitert worden ist, insoweit zu Recht abgelehnt.
21 Es kann dahinstehen, ob der Antrag insoweit nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO zulässig ist. Jedenfalls ist er insoweit unbegründet. Denn die in der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 angeordnete Einbehaltung von 25 % der jeweiligen Versorgungsbezüge des früheren Soldaten seit dem 1. Januar 2022 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 WDB 9.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 13 Rn. 11) bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO nur summarisch möglichen Prüfung der Sachlage rechtmäßig.
22 a) Dies gilt zunächst in formeller Hinsicht. Die Anordnung beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 3 WDO und wurde unter Berücksichtigung der in der "Anordnungsverfügung" vom 2. Dezember 2021 in Bezug genommenen Ausführungen in der Einleitungsverfügung und den auch für dieses Verfahren geltenden Ergänzungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Schriftsatz vom 21. Februar 2022 ausreichend begründet (§§ 39, 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG).
23 b) Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 126 Abs. 3 WDO kann die Einleitungsbehörde bei einem früheren Soldaten gleichzeitig mit der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder - wie hier - später anordnen, dass ein Teil, höchstens 30 vom Hundert des Ruhegehalts einbehalten wird. Die Anordnung setzt neben einer wirksamen Einleitungsverfügung die Prognose voraus, dass im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird. Zudem muss das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 WDB 9.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 13 Rn. 17).
24 aa) An der Rechtswirksamkeit der Einleitungsverfügung bestehen keine Zweifel.
25 bb) Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wird dem früheren Soldaten voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO).
26 (1) Er hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Dienstvergehen begangen.
27 (a) Es liegen zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vorwürfe in der Einleitungsverfügung in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen zutreffen.
28 Die Vorwürfe 1. und 2. werden in objektiver Hinsicht durch Screenshots belegt. Dazu hat der frühere Soldat ausweislich des in der Anordnungsverfügung vom 2. Dezember 2021 in Bezug genommenen Protokolls über seine Vernehmung vom 14. September 2020 erklärt, er habe festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreibe. Er habe den Oberstabsgefreiten ... mit den Kommunikationen warnen wollen, dass hier die Politik bald auf den Prüfstand gestellt werde. Er sei nach intensiver Recherche davon überzeugt, dass die Bundesregierung keine Legitimation besitze. Er stehe zu seinen Ansichten, von denen er überzeugt sei, habe sich geistig von seinem Soldateneid gelöst und über einen Arzt Bestrebungen aufgezeigt, von seinen Pflichten als Soldat entbunden zu werden.
29 Hinsichtlich des Vorwurfs 3. bestehen nach dem im Schriftsatz der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 21. Februar 2022 in Bezug genommenen rechtskräftigen Strafurteil vom 11. August 2021 zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der frühere Soldat an dem in der Einleitungsverfügung genannten Tag – wenngleich nicht in seiner, sondern in der Wohnung seiner Mutter - die tatsächliche Gewalt über eine Kriegswaffe (1 Patrone, Kaliber 5,56 x 45 mm Doppelkern), einen verbotenen Gegenstand (1 Kurvenmagazin für Sturmgewehr Heckler & Koch, Modell G 36, Kaliber 5,56 x 45 mm) und Munition (290 Manöverpatronen, Kaliber 7,62 x 51 mm; 130 Manöverpatronen, Kaliber 5,56 x 45 mm; 3 Signalpatronen, Kaliber 4) ausübte, obwohl er wusste, dass er nicht über die erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis für die Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Patronen verfügte und es sich bei dem Magazin um eine verbotene Waffe handelte.
30 (b) Der frühere Soldat hätte im Fall der Erweislichkeit der Vorwürfe ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hätte.
31 Mit den Taten gemäß der Vorwürfe 1. und 2. hat er voraussichtlich vorsätzlich die politische Treuepflicht nach § 8 Alt. 1 und 2 SG verletzt, über die er ausweislich der von ihm am 25. Januar 2011 unterzeichneten Erklärung belehrt worden war. Danach muss ein Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten. Die Angaben des früheren Soldaten in seiner Vernehmung vom 14. September 2020 lassen es hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass die betreffenden Taten Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung sind und er damit beiden Anforderungen nicht gerecht geworden ist. Dieser Eindruck wird nicht schon dadurch entkräftet, dass der frühere Soldat in seiner Anhörung vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens erklärt hat, er habe in der Vernehmung gelogen, das versandte Dokument sei nur eine Provokation gewesen und seine Erklärung, er werde nicht mehr zum Dienst kommen, solange die Bundesrepublik Deutschland am Werke sei, sei eine Lüge gewesen. Entsprechendes gilt für den Vortrag seines Verteidigers, dass sich der frühere Soldat deutlich von den Äußerungen gemäß den Vorwürfen 1. und 2. distanziere und hinter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der Bundesrepublik und ihren Staats- und Verfassungsorganen stehe. Insoweit wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die nachträgliche Distanzierung von der in der Aussage vom 14. September 2020 zum Ausdruck gebrachten verfassungsfeindlichen Gesinnung glaubhaft ist.
32 Darüber hinaus hat der frühere Soldat voraussichtlich mit den Taten gemäß aller drei Vorwürfe vorsätzlich gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG verstoßen.
33 Der frühere Soldat dürfte nach derzeitigem Erkenntnisstand auch schuldhaft gehandelt haben. Greifbare Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit zu den Tatzeitpunkten entsprechend § 20 StGB in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322) liegen bislang nicht vor. Zwar hatte der frühere Soldat gut ein Jahr vor den ihm vorgeworfenen Taten einen - wenig später zurückgenommenen - Antrag auf Dienstzeitverkürzung wegen seit Dezember 2018 bestehender psychischer Probleme gestellt. Sein Verteidiger hat darauf verwiesen, dass der frühere Soldat unter einer einsatzbedingten psychischen Störung leide und sich seit 2018 in psychiatrischer Behandlung befinde, und hat dazu medizinische Unterlagen vorgelegt. Ferner war der frühere Soldat laut ärztlichen Mitteilungen für die Personalakte seit Januar 2019 bis über den Tatzeitraum hinaus vorübergehend nicht verwendungsfähig. Den Unterlagen ist aber nicht zu entnehmen, dass zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung solchen Ausmaßes vorlag, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB a. F. zu subsumieren ist, und infolgedessen die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des früheren Soldaten bei Begehung der Taten erheblich vermindert war. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist im vorläufigen Verfahren nach § 126 WDO kein Raum. Zum Vorwurf 3. steht ohnedies aufgrund der nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil vom 15. Juli 2021 fest, dass die Schuldfähigkeit des früheren Soldaten nicht entsprechend § 20 StGB a. F. ausgeschlossen war.
34 (2) Für das Dienstvergehen ist nach derzeitigem Kenntnisstand eine Aberkennung des Ruhegehalts zu erwarten.
35 Der Schwerpunkt der nach § 18 Abs. 2 WDO einheitlich zu ahndenden Pflichtverletzungen läge in den Verletzungen der politischen Treuepflicht. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, die Höchstmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44).
36 Auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen wäre erschwerend zu berücksichtigen, dass zu den Verletzungen der politischen Treuepflicht noch die zum Vorwurf 3. im Strafurteil aufgezeigten Taten hinzuträten. Zudem war der frühere Soldat durch einen strengen Verweis vom 27. Februar 2018 disziplinarisch vorbelastet. Dem stehen nach derzeitigem Stand keine gewichtigen Milderungsgründe gegenüber. Die vorgelegten Unterlagen zum Gesundheitszustand des früheren Soldaten lassen für sich genommen aus den bereits aufgezeigten Gründen nicht auf ein Handeln im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit entsprechend § 21 StGB schließen. Zwar hat der frühere Soldat laut einer Stellungnahme seines Disziplinarvorgesetzten vom 21. Februar 2017 jahrelang sehr gute Leistungen erbracht und wurde im vorderen Drittel seiner Dienstgradgruppe eingestuft. Auch hat er sich 2013 in einem Auslandseinsatz in ... bewährt. Jedoch können die im Dienstvergehen zu Tage getretenen gravierenden Defizite der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen würden, nicht durch fachliche Kompetenz ausgeglichen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Februar 2021 - 2 WD 9.20 - BVerwGE 171, 280 Rn. 46 m. w. N.). Ist wegen einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann auch eine etwaige verfassungs- und konventionswidrige Überlänge des Disziplinarverfahrens nicht maßnahmemildernd wirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2021 - 2 WD 3.21 - juris Rn. 27 m. w. N.).
37 cc) Die Einbehaltensanordnung weist schließlich keine Ermessensfehler auf. Die Entschließung zur Anordnung einer teilweisen Einbehaltung der Versorgungsbezüge ist angesichts der Schwere der in Rede stehenden Pflichtverletzungen, auf die sich die Einleitungsbehörde insoweit berufen hat, nicht ermessensfehlerhaft. Der Einbehaltenssatz von 25 % hält sich in dem durch § 126 Abs. 3 WDO vorgegebenen Rahmen. Er ist in Anbetracht der vom früheren Soldaten der zur Akte gereichten Bilanz nicht unverhältnismäßig.
38 Sollten weitere Ermittlungen die Prognose zu Gunsten des früheren Soldaten verändern, sich seine finanzielle Situation massiv verschlechtern oder sich das Verfahren unangemessen verzögern, ist die Einleitungsbehörde gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO von Amts wegen gehalten, die Einbehaltensanordnung auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
39 Sollte sich die Prognose bezüglich eines zur Aberkennung des Ruhegehalts führenden Dienstvergehens nicht bestätigen, würden die mit der vorliegenden Entscheidung verbundenen Folgen besoldungsrechtlicher Art kompensiert werden (§ 127 Abs. 2 Satz 1 WDO, § 27 Abs. 9 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 BBesG).
40 3. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedarf es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens miterfasst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. September 2022 - 2 WDB 3.22 - juris Rn. 47 m. w. N.).