Beschluss vom 09.12.2024 -
BVerwG 7 B 17.24ECLI:DE:BVerwG:2024:091224B7B17.24.0

Erlöschen einer immissionschutzrechtlichen Genehmigung; Anforderung an die Errichtung einer Anlage

Leitsatz:

Zu den Anforderungen an den fristgerechten Beginn der Errichtung einer immisionsschutzrechtlich genehmigten Anlage.

  • Rechtsquellen
    BImSchG § 18 Abs. 1 Nr. 1

  • VGH München - 29.02.2024 - AZ: 22 A 22.40018 u. a.

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.12.2024 - 7 B 17.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:091224B7B17.24.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 17.24

  • VGH München - 29.02.2024 - AZ: 22 A 22.40018 u. a.

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Dezember 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und Dr. Löffelbein
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger, eine Umweltvereinigung, gegen die Nichtzulassung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof, der seine Klage auf Stilllegung des Betriebs von zwei Windparks der Beigeladenen abgewiesen hat. Der Kläger ist der Auffassung, die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen seien zwischenzeitlich erloschen, da innerhalb ihrer Geltungsdauer für die Windparks nur ein Fundament je Windpark betoniert wurde.

II

2 Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Der Rechtssache kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, die ihr von dem Kläger beigemessen wird.

3 Die Frage,
"Darf für das Merkmal des Errichtungsbeginns im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auf eine (wirtschaftliche) Gesamtbewertung der Maßnahmen und Handlungen zurückgegriffen werden, in welche auch Vorbereitungshandlungen einzubeziehen sind, wie im Zusammenhang mit der Anlage abgeschlossene Verträge, Abbrucharbeiten, Infrastrukturmaßnahmen, Baufeldvorbereitung, Kranstellflächen, soweit diese nicht bereits Genehmigungsbestandteil sind?",
rechtfertigt nicht die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung.

4 Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfenen Rechtsfragen auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lassen. Davon ist vorliegend auszugehen.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Anfertigung der aus statischen Gründen unverzichtbaren Betonfundamente für jeweils eine Windenergieanlage je Windpark unmittelbare Maßnahmen zur Errichtung der Windparks gesehen und klargestellt, dass es daher für die Frage des Errichtungsbeginns im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht darauf ankomme, ob die von der Beschwerde in der Frage aufgezählten weiteren Maßnahmen und Bauarbeiten als Vorbereitungsmaßnahmen oder als den Errichtungsbeginn früher auslösende Errichtungsmaßnahmen zu werten seien. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 21. Februar 2017 - 8 A 2071/13 - UPR 2017, 357) und der Literatur (Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 18 BImSchG Rn. 21) angenommen, dass für das zusätzlich erforderliche Merkmal der Ernsthaftigkeit des Errichtungsbeginns eine (wirtschaftliche) Gesamtbewertung anzustellen ist, um festzustellen, ob der Betreiber Errichtungs- und Vorbereitungsmaßnahmen vorgenommen hat, die nicht oder nur mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten rückgängig gemacht werden können. Nur in diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass je nach Lage des Einzelfalls auch auf Maßnahmen und Handlungen zurückgegriffen werden könne, die lediglich Vorbereitungsmaßnahmen darstellten (UA S. 32 a. E.). Soweit die Beschwerde rügt, letzteres lasse sich weder dem Gesetzeswortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG entnehmen noch der Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2015 - 1 KO 369/14 - (juris), rechtfertigt dies die Zulassung der Revision nicht.

6 Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat in der angegebenen Entscheidung den Abriss baufälliger alter Bausubstanz deswegen nicht als Beginn der Errichtung im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, sondern als Vorbereitungsmaßnahme gewertet, weil durch den Abbruch noch vorhandener Bebauung der Genehmigungsinhaber keinerlei Bindung in Richtung auf eine baldige Realisierung des immissionsschutzrechtlich genehmigten Vorhabens geschaffen, sondern sich die Möglichkeit einer Nutzung oder Veräußerung offengehalten habe. Deshalb stelle der Abriss auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtung keine nutzlose Investition dar. Hiervon unterscheidet sich die Lage im vorliegenden Fall grundlegend, da mit den Fundamentarbeiten mit der Errichtung der genehmigten Anlagen selbst begonnen worden ist. Dass bei der sich daran anschließenden Betrachtung, ob diese Errichtungsarbeiten auf die Ernsthaftigkeit der Ausnutzung der Genehmigung schließen lassen, auch Vorbereitungshandlungen berücksichtig werden können, die für sich betrachtet keine Errichtungsmaßnahmen im engeren Sinne darstellen, hat der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bejaht: Die Auffassung des Klägers, auch für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Genehmigungsausnutzung könnten nur Maßnahmen berücksichtigt werden, die für sich betrachtet "Errichtungsmaßnahmen" im engeren Sinne darstellten, ließe sich § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht entnehmen. Eine solche Beschränkung sei von Sinn und Zweck der Regelung, Vorratsgenehmigungen zu verhindern, nicht mehr gedeckt. Der Verwaltungsgerichtshof führt zur näheren Erläuterung im Einzelnen auf, welche Vorbereitungsmaßnahmen mit Blick auf die Errichtung der Windenergieanlagen getätigt worden sind. Hieraus ergibt sich, dass die Vorbereitungsmaßnahmen sämtlich auf die Realisierung gerade der genehmigten Windenergieanlagen ausgerichtet sind und damit - im Unterschied zu unspezifischen "multifunktionalen" Abrissarbeiten wie im Fall des Thüringer Oberverwaltungsgerichts - anderweitige Nutzungsmöglichkeit ausschließen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, warum der Gesetzeszweck bei der Einbeziehung solcher Maßnahmen in die wirtschaftliche Gesamtbetrachtung gleichwohl unterlaufen würde.

7 Auch die Frage,
"Ist die Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG so zu verstehen, dass im Falle mehrerer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger (identischer) Anlagen, die mit einem Bescheid genehmigt wurden, der Errichtungsbeginn für eine Anlage gleichzeitig der Errichtungsbeginn aller genehmigter Anlagen darstellt?",
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Auch sie lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne der angegriffenen Entscheidung beantworten.

8 Der Verwaltungsgerichtshof ist im Wege der Auslegung der beiden Genehmigungsbescheide zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei diesen um Genehmigungen für den jeweiligen Windpark insgesamt und nicht um Einzelgenehmigungen pro Windenergieanlage handele. Maßgeblich und wesentlich prägend sei, dass die Beigeladene für jeden Windpark einen einheitlichen Antrag hinsichtlich der darin zusammengefassten Anlagen gestellt habe. Grundsätzlich sei es Sache des Betreibers, ob er ein Gesamtvorhaben oder mehrere Einzelvorhaben zur Genehmigung stelle. Den hiergegen gerichteten Einwand des Klägers, die Zusammenfassung mehrerer Anlagen in einem Genehmigungsbescheid erlaube es dem Genehmigungsinhaber, mit einer Anlage zu beginnen und damit die Geltungsdauer der Genehmigung für die anderen Anlagen "unendlich zu verlängern", ist der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2017 ‌- 4 C 7.16 - UPR 2018, 256 Rn. 19 a. E.) mit dem Hinweis entgegengetreten, im Fall einer längeren Bauunterbrechung komme eine nachträgliche Befristung nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und für den Fall eines endgültigen Bauabbruchs ein Widerruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG oder die Erteilung von Auflagen in Betracht. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, sondern wiederholt lediglich ihr Vorbringen, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs zur Folge hätte, dass bei zehn genehmigten Einzelanlagen nur eine betrieben werden müsste, um das Erlöschen der Genehmigung zu verhindern. Ein Bedarf für eine weitere grundsätzliche Klärung in einem Revisionsverfahren ist damit nicht dargelegt.

9 Auch die dritte Frage,
"Ist die Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG so zu verstehen, dass der Errichtungsbeginn einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen (Windenergie-)Anlage zugleich den Errichtungsbeginn des gesamten beantragten Vorhabens/aller Windenergieanlagen darstellt, unabhängig der Gesamtkosten des Vorhabens?",
lässt sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

10 Soweit diese Frage darauf gerichtet ist, dass bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eines aus mehreren Windenergieanlagen bestehenden Windparks lediglich mit der Errichtung einer Windenergieanlage begonnen werden müsse, um auch für die übrigen Anlagen das Erlöschen abzuwenden, ergibt sich die fehlende grundsätzliche Bedeutung bereits aus der Antwort zur Frage 2. Soweit die Frage darauf abzielt, ob für die Beurteilung der Erheblichkeit durch eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung die Kosten des Vorhabens insgesamt ins Verhältnis zu den Kosten der zu betrachtenden Errichtungsmaßnahme zu setzen sind, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass sich die Beigeladene ihre hohe finanzielle Leistungsfähigkeit bei der Bewertung der Erheblichkeit des wirtschaftlichen Verlustes im Fall der Rückgängigmachung oder der Nichtverwirklichung des Vorhabens nicht entgegenhalten lassen müsse. Ein absolut betrachtet hoher Verlust wandele sich deswegen nicht in einen unerheblichen Verlust, denn das würde im Ergebnis bedeuten, dass bei wirtschaftlich großen Vorhaben auch absolut hohe Verluste als unerheblich eingestuft werden müssten und von diesen Vorhaben ein Mehr an Baufortschritt (Investitionen) für die Fristeinhaltung verlangt werden müsste. Das stehe im Widerspruch dazu, dass die Forderung nach der Errichtung "wesentlicher Teile" der Anlage in der Rechtsprechung zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG aufgegeben worden sei. Soweit die Beschwerde demgegenüber darauf hinweist, das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen habe abweichend hiervon in seinem Beschluss vom 21. Februar 2017 - 8 A 2071/13 - (UPR 2017, 357 <359>) einen Vergleich der Kosten der einzelnen Errichtungsmaßnahme mit den Gesamterrichtungskosten der Anlage vorgenommen, übersieht sie, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die vorgenommenen Bauarbeiten von lediglich "marginaler" Bedeutung für das Vorhaben seien und lediglich zur Bestätigung dieser Feststellung den Vergleich der Kosten für die durchgeführten marginalen Arbeiten mit den Gesamtkosten angestellt hat. Zur Frage, ob auch bei in absoluten Zahlen hohen Investitionssummen eine Relation zu den Gesamtkosten anzustellen ist, verhält sich die Entscheidung nicht. Die für das angegriffene Urteil entscheidenden Folgen eines Kostenvergleichs bei hohen Investitionssummen hat es demgemäß und anders als das angegriffene Urteil von vornherein nicht in den Blick genommen.

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.