Beschluss vom 09.06.2023 -
BVerwG 10 B 13.22ECLI:DE:BVerwG:2023:090623B10B13.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 09.06.2023 - 10 B 13.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:090623B10B13.22.0]
Beschluss
BVerwG 10 B 13.22
- VGH München - 01.06.2022 - AZ: 5 N 20.1331
In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juni 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:
- Die Beschwerden der Kläger zu 3, 11, 22 bis 24, 26 und 27 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 2022 werden zurückgewiesen.
- Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je 1/7.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 35 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Kläger zu 3, 11, 22 bis 24, 26 und 27 (im Folgenden: die Kläger) sind natürliche Personen und wenden sich gegen den sog. Kreuzerlass der Bayerischen Staatsregierung vom 1. Juni 2018.
2 Im April 2018 beschloss die Staatsregierung unter Änderung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung (AGO) für die Behörden des beklagten Freistaats Bayern, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns ein Kreuz gut sichtbar anzubringen ist. Ferner empfiehlt § 36 AGO Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Hiergegen erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht. Den Klageantrag, § 28 der AGO aufzuheben, verwies das Verwaltungsgericht an den Verwaltungsgerichtshof. Statthaft sei ein Normenkontrollverfahren; § 28 AGO sei eine Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat die allgemeine Leistungsklage und nicht das Normenkontrollverfahren als statthaft angesehen. Die Kläger hätten beim Verwaltungsgericht ausdrücklich eine allgemeine Leistungsklage erhoben. Ein Normenkontrollantrag gegen § 28 AGO sei auch nicht statthaft, weil § 28 AGO keine Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO sei. Gleichwohl sei der Verwaltungsgerichtshof an den Verweisungsbeschluss gebunden. Die Leistungsklage hat er wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen.
3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.
II
4 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
5 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das ist in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise darzulegen und setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. Oktober 2022 - 7 B 6.22 - juris Rn. 5 und vom 29. Dezember 2022 - 3 B 2.22 - juris Rn. 5). Diesen Anforderungen wird die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht.
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1. Der von den Klägern aufgeworfenen Frage,
ob § 28 AGO selbst Außenwirkung entfaltet, also die hiervon betroffenen Menschen in ihrer Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG unmittelbar beeinträchtigt sind oder jedenfalls beeinträchtigt sein können und mithin schon gegen die Norm - und nicht erst deren Vollzug - Rechtsschutz erlangen können,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
7 Die Beschwerde hat bereits keine fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts formuliert, sondern eine einzelfallbezogene Frage. Versteht man zugunsten der Beschwerde die aufgeworfene Frage dahin, ob eine Verwaltungsvorschrift mit Bezug zur Religions- und Glaubensfreiheit ausnahmsweise Außenwirkung haben könne, bleibt die Beschwerde gleichwohl ohne Erfolg.
8 a) Die Beschwerde macht geltend, das Bundesverfassungsgericht habe im Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - (BVerfGE 93, 1 - Kruzifix-Beschluss) eine Klagebefugnis wegen eines möglichen Eingriffs in die Religionsfreiheit bejaht. Die Entscheidung lässt sich aber gerade nicht als Beleg der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der hier aufgeworfenen Frage anführen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dem Kruzifix-Beschluss die Verfassungsgemäßheit von § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (Volksschulordnung) vom 21. Juni 1983 (GVBl S. 597) zu überprüfen, wonach in den öffentlichen Volksschulen in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen war. Im Unterschied zu der hier streitigen Allgemeinen Geschäftsordnung war die damalige Volksschulordnung eine Rechtsverordnung aufgrund einer Ermächtigung im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen mit Verbindlichkeit nach außen und kein Binnenrecht der Verwaltung, das verwaltungsintern das Handeln nachgeordneter Stellen steuert.
9 b) Auch im Hinblick auf die Zulässigkeit einer allgemeinen Leistungsklage gegen Verwaltungsvorschriften, wenn diese subjektiv-rechtliche Relevanz besitzen, ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Sie kann anhand höchstrichterlicher Rechtsprechung und des allgemein anerkannten Meinungsstands im Schrifttum beantwortet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. November 2007 - 9 B 36.07 - Buchholz 316 § 62 VwVfG Nr. 17 Rn. 10), und zwar im Sinne des Verwaltungsgerichtshofs.
10 Verwaltungsvorschriften kann subjektiv-rechtliche Relevanz zwar zukommen (zu einem Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch Richtlinien zur Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen in der Landwirtschaft vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 1986 - 3 C 72.84 - BVerwGE 75, 109 <115>). Die Annahme der Beeinträchtigung eines Grundrechts hängt nicht davon ab, ob sie auf einer unmittelbar bindenden Rechtsvorschrift oder auf einem sonstigen an den Betroffenen gerichteten Rechtsakt beruht. Zur Auslösung einer grundrechtlichen Schutzwirkung können je nach Art und Ausmaß auch tatsächliche Auswirkungen staatlicher Maßnahmen genügen, soweit schon dadurch der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts berührt wird (so BVerwG, Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <191>). Über diese Grundsätze hinausgehenden rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf lässt das Vorbringen in der Beschwerdebegründung nicht erkennen.
11 c) Die Beschwerde macht zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage auch geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe in dem Parallelverfahren (Beschluss vom 23. August 2022 - 5 ZB 20.22 43 -) zutreffend ausgeführt, dass die Klagebefugnis gegen eine Verwaltungsvorschrift im Regelfall verneint werde. Die Frage sei entscheidungserheblich, weil der Normenkontrollantrag bei einer Grundrechtsrelevanz der Allgemeinen Geschäftsordnung statthaft gewesen wäre. Aber auch insoweit fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage.
12 Der Begriff der Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist in der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Hierzu gehören neben landesrechtlichen Satzungen und Rechtsverordnungen nach der Zweckrichtung der Normenkontrolle und dem danach gebotenen weiten Begriffsverständnis auch solche abstrakt-generellen Regelungen der Exekutive, die rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren. Denn der Zweck der Normenkontrolle liegt darin, durch eine einzige Entscheidung eine Reihe von Einzelklagen zu vermeiden und dadurch die Verwaltungsgerichte zu entlasten sowie einer Vielzahl von Prozessen vorzubeugen, in denen die Gültigkeit einer bestimmten Rechtsvorschrift als Vorfrage zu prüfen wäre. Überdies ist sie geeignet, den individuellen Rechtsschutz zu verbessern (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 20. November 2003 - 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <220 ff.> und vom 25. November 2004 - 5 CN 1.03 - BVerwGE 122, 264 <265 f.>; Beschluss vom 25. September 2012 - 3 BN 1.12 - juris Rn. 4 jeweils m. w. N.). Dabei ist für jede Regelung gesondert zu prüfen, ob sie den Kriterien genügt, die für eine Rechtsvorschrift unabdingbar sind (BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 - 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <221 f.>). Einer Regelung kommt unmittelbare Außenwirkung zu, wenn sie nicht nur binnenrechtlich wirkt, sondern Bindungswirkung auch gegenüber den Bürgern oder anderen Rechtssubjekten entfaltet und durch sie gleichsam als "Schlussstein" die gesetzlichen Vorgaben konkretisiert werden (BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 - 5 CN 1.03 - BVerwGE 122, 264 <267>; Beschlüsse vom 25. November 1993 - 5 N 1.92 - BVerwGE 94, 335 <337, 340> und vom 30. November 2017 - 6 BN 1.17 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 212 Rn. 6 ff.). An der Verbindlichkeit einer Regelung kann es demgegenüber fehlen, wenn sie von der tatsächlichen Entwicklung abhängig ist, sich also das Gewicht ihrer Aussage bis hin zum Verlust der Aussagekraft abschwächen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 2017 - 6 BN 1.17 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 212 Rn. 7).
13 Einen hierüber hinausgehenden Bedarf einer weiteren Klärung des bundesrechtlichen Begriffs ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.
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2. Auch die Frage,
ob gegen eine im Gesetzblatt veröffentlichte Verwaltungsvorschrift, die einen Grundrechtseingriff darstellt, der hierdurch betroffene Mensch Recht[s]schutz durch einen Normenkontrollantrag oder durch eine allgemeine Leistungsklage oder durch beides oder gar nicht erlangen kann,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Nach der für das Revisionsgericht bindenden Auslegung von Landesrecht durch den Verwaltungsgerichtshof (§ 173 VwGO i. V. m. § 560 ZPO) folgt allein aus der Veröffentlichung der Allgemeinen Geschäftsordnung im Gesetz- und Verordnungsblatt keine Außenwirkung und somit kein Grundrechtseingriff, so dass sich die Frage ausreichenden Rechtsschutzes durch einen Normenkontrollantrag oder durch eine allgemeine Leistungsklage nicht stellt.
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3. Die Frage,
ob eine Umdeutung einer allgemeinen Leistungsklage in eine Feststellungsklage mit Verweisung an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, wenn die Beschwerdeführer dem zustimmen (weil sie beide Klageformen für möglich halten) oder nur dann, wenn die Beschwerdeführer ausdrücklich einen Normenkontrollantrag stellen,
bedarf gleichfalls keiner grundsätzlichen Klärung. Aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 27. Mai 2020 - M 30 K 18.4955 - ist die Frage nicht entscheidungserheblich. Gründe dafür, dass ausnahmsweise die Bindung des Verweisungsbeschlusses gemäß § 83 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG nicht besteht, macht die Beschwerde nicht geltend.
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4. Die weitere Frage,
ob eine die Verwaltung bindende, förmliche Anordnung, konkret die des § 28 AGO, die gezielt, jedenfalls aber gebilligt, zu einer Verletzung der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG führt (jedenfalls aber führen kann), und unter Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Art. 140 GG (i. V. m. § 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV) erlassen wurde, eine unmittelbare Beeinträchtigung der subjektiven Rechte der Betroffenen herbeiführt,
führt auch nicht zur Zulassung der Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat mangels Außenwirkung von § 28 AGO eine unmittelbare Beeinträchtigung von subjektiven Rechten der Beschwerdeführer verneint. Dagegen sind - wie dargelegt - keine durchgreifenden Zulassungsgründe geltend gemacht worden. Die Frage wäre ausgehend hiervon im angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Das gilt ebenso für die weiteren Fragen,
ob die Anordnung, das religiöse Symbol einer Religionsgemeinschaft gut sichtbar im Eingangsbereich der staatlichen Behörden anzubringen, trotz einer im Einzelfall nur flüchtigen Begegnung der Besucher mit diesem Anblick, eine Verletzung deren Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstellt, weil darin, vergleichbar der Beflaggung eines Gebäudes, eine demonstrative, werbende Identifikation mit dieser Religionsgemeinschaft, liegt,
und
ob eine durch eine staatliche Anordnung erfolgte Verletzung einer Grundrechtsposition, hier der Glaubensfreiheit eines Beschwerdeführers, dann als unbeachtlich hinzunehmen ist, wenn der Mensch dem ausweichen kann, selbst wenn die Verletzung nicht aufgrund konkurrierender Grundrechtspositionen oder öffentlicher Belange erfolgte,
und
ob das Neutralitätsgebot des Art. 140 GG i. V. m. Art. 136, 137 WRV i. V. m. Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 33 Abs. 1 und 3 GG schon deshalb zur Bejahung einer erheblichen Grundrechtsverletzung durch den Kreuzerlass führt, weil der Symbolgehalt des Kreuzes und die Kollision mit Glaubensinhalten bei Erlass der Anordnung bekannt waren und die Anordnung deshalb eine bewusste Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit einzelner Bürger darstellt,
und
ob bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot eine relativ geringfügige Beeinträchtigung von Grundrechtspositionen genügt, um dem Einzelnen ein einklagbares, subjektives Recht zu verleihen, jedenfalls dann, wenn hierdurch Personen sich in ihrer Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG beeinträchtigt sehen.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.