Beschluss vom 08.01.2025 -
BVerwG 1 B 20.24ECLI:DE:BVerwG:2025:080125B1B20.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 08.01.2025 - 1 B 20.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:080125B1B20.24.0]
Beschluss
BVerwG 1 B 20.24
- VG Berlin - 28.09.2021 - AZ: 10 K 383.19
- OVG Berlin-Brandenburg - 27.02.2024 - AZ: 3 B 17/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Januar 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
beschlossen:
- Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
II
2 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
3 1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom 25. Juli 2017 - 1 B 117.17 - juris Rn. 3). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
4 1.1 Das Vorbringen, eine Verletzung des Art. 13 Abs. 2 GG ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht rechtsirrig annehme, für die Abgrenzung einer dem Richtervorbehalt unterliegenden Durchsuchung von einem bloßen Betreten einer Wohnung sei unerheblich, ob von einem ex-ante-Standpunkt damit zu rechnen sei, dass Suchhandlungen innerhalb der Wohnung erforderlich seien, zudem rechtsirrig in der gewaltsamen Öffnung einer Wohnungstür lediglich die Durchsetzung eines Betretensrechts durch Anwendung unmittelbaren Zwangs sehe und in der durchgeführten Identitätsfeststellung keine die Annahme einer Durchsuchung begründenden Suchhandlung erkenne, lässt bereits die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts vermissen.
5 Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO reicht es nicht aus, im Stil der Begründung eines zugelassenen oder zulassungsfreien Rechtsmittels vermeintliche Rechtsverletzungen oder materiell-rechtliche Mängel des angegriffenen Urteils geltend zu machen (BVerwG, Beschluss vom 20. März 2023 - 1 B 7.23 - juris Rn. 7).
6 Im Übrigen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass eine Durchsuchung das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts ist, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung nicht von sich aus offenlegen oder herausgeben will (BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 2020 - 2 BvE 2/19 - BVerfGE 154, 354 Rn. 33 m. w. N.; zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 17 f.). Die Durchsuchung erschöpft sich nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen (BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1987 - 1 BvR 1202/84 - BVerfGE 76, 83 <89>). Die gesetzlich zulässigen Durchsuchungen dienen als Mittel zum Auffinden und Ergreifen einer Person, zum Auffinden, Sicherstellen oder zur Beschlagnahme einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren. Begriffsmerkmal der Durchsuchung ist somit die Suche nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines Sachverhalts in der Wohnung. Eine solche Maßnahme ist mit dem Betreten einer Wohnung durch Träger hoheitlicher Gewalt nicht notwendigerweise verbunden. Eine Wohnung kann auch zur Vornahme anderer Amtshandlungen betreten werden. So ist beispielsweise die Besichtigung einer Wohnung zur Feststellung, ob der Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt, keine Durchsuchung der Wohnung. Kennzeichnend für die Durchsuchung ist demgegenüber die Absicht, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann. Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung. Auch die bloße Aufforderung an die sich in einer Wohnung aufhaltenden Personen, den Raum zu verlassen, stellt keine Durchsuchung der Wohnung dar, weil damit die öffentliche Gewalt nicht in der für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Bürgers und in die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eindringt (BVerwG, Urteile vom 6. September 1974 - 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <35 ff.> und vom 25. August 2004 - 6 C 26.03 - BVerwGE 121, 345 <349>, zum Ganzen Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 17 f.). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht berücksichtigt.
7 Nicht zu folgen ist damit der Auffassung der Beschwerde, von einem insoweit einzunehmenden ex-ante-Standpunkt aus sei stets allein auf den Zweck des Auffindens einer Person abzustellen, unabhängig davon, ob auch nur die geringste Suchhandlung stattgefunden hat (vgl. hierzu bereits BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 18). Ein derartiges Verständnis ebnete die vom Verfassungsgeber mit Blick auf die unterschiedliche Eingriffsintensität nach Art. 13 Abs. 2 und 7 GG vorgenommene Unterscheidung zwischen Betreten und Durchsuchen ein. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass es im Rahmen der Wahrnehmung von Aufgaben der Verwaltungsvollstreckung jeweils von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängen kann, ob eine Behörde eine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG durchführen muss. Wenn die Behörde mit der Durchführung der Abschiebung oder einer anderen Vollstreckungsmaßnahme beginnt, ohne zuvor eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt zu haben, geht sie das Risiko ein, die Maßnahme vor Ort abbrechen zu müssen, weil es sich als erforderlich erweist, eine Durchsuchung durchführen zu müssen (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 19).
8 Auch bei der Entgegennahme der Identitätspapiere, die der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf Aufforderung selbst ausgehändigt hat (UA S. 13), mangelt es an einer behördlichen Suchhandlung (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 20).
9 Soweit die Beschwerde zur Begründung einer Suchhandlung des Weiteren darauf abstellt, der Kläger hätte sich in seinem Zimmer unter seiner Decke verborgen gehalten, hat das Berufungsgericht dies dahingehend berücksichtigt, dass auch dies nicht darauf schließen lasse, dass der Kläger und sein Mitbewohner nicht von der Tür aus erkennbar gewesen wären, zumal hierfür auch die örtlichen Gegebenheiten in der Unterkunft sprächen (vgl. im Einzelnen UA S. 13 f.). Dass das Berufungsgericht in seiner Würdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt als von der Beschwerde vertreten, rechtfertigt nicht die Annahme, das Berufungsgericht habe den rechtlichen Maßstab verkannt. Die Beschwerde greift insofern nur die anderslautende Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht an, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ergibt sich hieraus nicht. Weitergehenden rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
10 1.2 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ist auch nicht insoweit dargelegt, als die Beschwerde geltend macht, das angegriffene Urteil verkenne die hohen Anforderungen des Art. 13 Abs. 7 GG, indem das Berufungsgericht die ergriffenen Maßnahmen als zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geeignet, erforderlich und angemessen angesehen habe. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich auch insoweit vielmehr in einer allgemeinen Urteilskritik und wendet sich der Sache nach gegen eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall, auf die eine Revisionszulassung aber nicht gestützt werden kann.
11 1.3 Gleiches gilt schließlich hinsichtlich der Ausführungen der Beschwerde zur Sicherstellung des Mobiltelefons, der Kopfhörer sowie des Portemonnaies des Klägers durch die Polizei. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird auch insoweit nicht aufgeworfen. Allein der Hinweis, dass es zu der streitgegenständlichen Regelung des § 38 Nr. 3 ASOG kaum gerichtliche Entscheidungen gebe und deren Auslegung bislang nicht obergerichtlich geklärt sei, vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen, zumal es sich - wie die Beschwerde selbst einräumt - bei der Vorschrift um nichtrevisibles Landesrecht handelt. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das - seitens des Klägers als korrigierender Maßstab angeführte - Verfassungsrecht ist der Beschwerde insoweit nicht zu entnehmen. Schließlich zeigt die Beschwerde auch nicht das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihr für erforderlich gehaltenen Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG auf.
12 2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die Rüge, die Berufungsentscheidung weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der - wohl künftigen - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, bleibt ohne Erfolg.
13 Die Beschwerde hat einen solchen Zulassungsgrund bereits nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dargelegt.
14 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
15 Einen divergierenden Rechtssatz zu den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zeigt die Beschwerde nicht auf. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr stützt sich das Berufungsgericht sowohl für die Abgrenzung des Betretens von der Durchsuchung als auch mit Blick auf die Anforderungen des Art. 13 Abs. 7 GG ausdrücklich insbesondere auf die vorstehend zitierte Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 - 1 C 10.22 - BVerwGE 179, 135 Rn. 17 ff. m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Soweit sich die Divergenzrüge auch auf die Sicherstellung des Mobiltelefons, der Kopfhörer sowie des Portemonnaies beziehen sollte, worauf die Ausführungen auf Seite 14 oben des Schriftsatzes der Beschwerde vom 11. Juli 2024 hindeuten könnten, ist eine Abweichung bereits nicht dargetan.
16 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
17 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 i. V. m. § 39 Abs. 1 GKG.