Verfahrensinformation



Der Kläger wendet sich gegen eine Sanierungsanordnung, die auf der Grundlage des Bundes-Bodenschutzgesetzes erlassen wurde. Er ist Eigentümer eines gewerblich genutzten Grundstücks im Landkreis Fürth (Bayern), auf dem bis 1989 mehrere Chemische Reinigungen betrieben worden waren. In der Folge liegen schädliche Bodenveränderungen vor. In der Sanierungsanordnung wird eine Haftungsgrenze in Höhe des zuvor ermittelten Verkehrswerts des Grundstücks festgesetzt.


Die gegen die Sanierungsanordnung gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Die Berufung des beklagten Freistaats Bayern hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Es sei rechtswidrig, bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Sanierungsanordnung als Belastungsgrenze den Verkehrswert verbindlich zu beziffern. Wegen der Ungewissheit hinsichtlich Sanierungsdauer und Sanierungserfolg und damit zugleich der Höhe des Verkehrswerts nach der Sanierung hätte nur eine Haftungsgrundentscheidung ergehen dürfen.


Die von der Vorinstanz zugelassene Revision des Freistaats Bayern richtet sich gegen diese Entscheidung. Die betragsmäßige Festsetzung des Verkehrswerts als Belastungsgrenze in der Sanierungsanordnung sei rechtmäßig. Ziehe man die Kriterien des Verwaltungsgerichtshofs heran, liefen die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes leer.


Urteil vom 07.11.2024 -
BVerwG 10 C 12.23ECLI:DE:BVerwG:2024:071124U10C12.23.0

Betragsmäßige Festsetzung einer Haftungsobergrenze bei Erlass einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung

Leitsatz:

Die Festsetzung einer betragsmäßigen Haftungsobergrenze zugunsten des Adressaten einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung gilt nur für die angeordneten Maßnahmen. Ergeht mit Bezug auf ein Grundstück eine weitere Sanierungsanordnung, bedarf es der neuerlichen Festsetzung einer auf diese Anordnung bezogenen Haftungsobergrenze.

  • Rechtsquellen
    BBodSchG § 24 Abs. 1 Satz 1

  • VG Ansbach - 16.01.2019 - AZ: AN 9 K 18.00612
    VGH München - 26.09.2023 - AZ: 24 B 22.167

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 07.11.2024 - 10 C 12.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:071124U10C12.23.0]

Urteil

BVerwG 10 C 12.23

  • VG Ansbach - 16.01.2019 - AZ: AN 9 K 18.00612
  • VGH München - 26.09.2023 - AZ: 24 B 22.167

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2024
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther,
Dr. Löffelbein und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. September 2023 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen eine bodenschutzrechtliche Sanierungsanordnung mit einer betragsmäßig festgesetzten Haftungsobergrenze.

2 Er ist seit dem Jahr 2000 Eigentümer eines mit einer gewerblich genutzten Halle bebauten Grundstücks, das er 1989 erwarb und das zuvor jahrzehntelang von verschiedenen chemischen Reinigungsbetrieben genutzt wurde. Zulasten des Grundstücks sind Grundpfandrechte und ein Bodenschutzlastvermerk im Grundbuch eingetragen.

3 Das Grundstück ist erheblich mit Schadstoffen belastet. Mit Bescheid vom 21. Mai 2012 verpflichtete das zuständige Landratsamt den Kläger, näher bezeichnete Sanierungsmaßnahmen bis zu einer Haftungsobergrenze von 183 000 € durchzuführen. Dieser Betrag entspricht dem mit Gutachten vom 15. März 2012 ermittelten Verkehrswert des Grundstücks. Nach Angaben des Beklagten ist das mit der Anordnung verfolgte Sanierungsziel inzwischen erreicht worden.

4 Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid vom 21. Mai 2012 in der Gestalt eines Änderungsbescheids vom 17. März 2015 auf. Die Berufung des Beklagten wies der Verwaltungsgerichtshof zurück. Es sei rechtswidrig gewesen, den Verkehrswert, der zudem fehlerhaft ermittelt worden sei, bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Sanierungsbescheids als Haftungsobergrenze verbindlich zu beziffern. Es bestehe eine gesteigerte Ungewissheit über die Sanierungsdauer oder den Sanierungserfolg und damit zugleich über die Höhe des Verkehrswerts des Grundstücks nach der Sanierung. In einem solchen Fall müsse der Beklagte - ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - zwar im Sanierungsbescheid regelmäßig die (Haftungs-)Grundentscheidung treffen, ob er den Verkehrswert zur Belastungsobergrenze machen oder ob er ausnahmsweise eine Haftung hierüber hinaus begründen möchte. Verwehrt sei dem Beklagten aber zumindest im vorliegenden Fall, bereits eine betragsmäßige Haftungsobergrenze festzulegen. Dies sei erst zulässig, wenn die Zustandsverantwortlichkeit des Klägers ende, also insbesondere, wenn er sein Eigentum rechtmäßig und schutzwürdig veräußere, die Sanierung erfolgreich abgeschlossen sei oder der Beklagte den Kläger aus anderen Gründen nicht mehr weiter in Anspruch nehmen möchte.

5 Zur Begründung seiner Revision führt der Beklagte aus, dass der Festsetzung des Verkehrswerts eines zu sanierenden Grundstücks als Haftungsobergrenze im Zeitpunkt des Erlasses des Sanierungsbescheids Bundesrecht nicht entgegenstehe. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers sei im Falle des Klägers nicht einschlägig.

6 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. September 2023 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Januar 2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Er verteidigt das angefochtene Urteil.

II

9 Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht und stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Da weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen sein werden, ist es dem Senat verwehrt, selbst in der Sache zu entscheiden.

10 1. Das Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es die in der angefochtenen bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung vom 21. Mai 2012 (Ziff. 5) in Höhe des Verkehrswerts des Grundstücks betragsmäßig festgesetzte Haftungsobergrenze für dem Grunde nach rechtswidrig erachtet. Die erfolgte Festsetzung einer betragsmäßig bestimmten Haftungsobergrenze steht mit Bundesrecht in Einklang.

11 Der Adressat einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung hat nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG die Kosten der angeordneten Maßnahmen zu tragen. Eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung der Haftung besteht nicht. Jedoch beschränkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers - hier des Klägers - als Zustandsstörer. Zur Bestimmung der Grenzen der Zumutbarkeit kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Verhältnis des finanziellen Aufwands zu dem Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sanierung als Anhaltspunkt dienen. Eine hiervon abweichende Zumutbarkeitsgrenze kommt nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91 u. a. - BVerfGE 102, 1 <19 f.>). Zum Schutz des Betroffenen gibt das Bundesverfassungsgericht der Verwaltung in verfahrensmäßiger Hinsicht auf, im Zuge der Anordnung von Sanierungsmaßnahmen auch die im jeweiligen Einzelfall maßgebliche Begrenzung der Kostenbelastung des Zustandsverantwortlichen zu bestimmen. Die Entscheidung darüber, ob er eine Sanierungsanordnung hinnehmen oder anfechten will, kann der Grundstückseigentümer nämlich sinnvoll nur treffen, wenn er weiß, ob er unbegrenzt mit den Kosten belastet wird oder mit welcher Kostenbelastung er höchstens zu rechnen hat. Aus diesem Grund unterbleibt eine Entscheidung über die konkrete Höhe des Haftungsrisikos bei Erlass einer bodenschutzrechtlichen Sanierungsanordnung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur ausnahmsweise: Sind der Verwaltung die Gründe der Unzumutbarkeit einer Belastung in Höhe des Verkehrswerts im Zeitpunkt der Sanierungsanordnung nicht oder nicht vollständig bekannt, so dass über die Kostentragung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend entschieden werden kann, ist die Sanierungsverfügung mit dem Vorbehalt einer gesonderten Entscheidung über die Kostentragung zu verbinden (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91 u. a. -‌ BVerfGE 102, 1 <24>).

12 Diesen bundesrechtlichen Maßgaben wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs nicht gerecht.

13 Seine Bewertung, die betragsmäßige Festlegung einer Haftungsobergrenze im Bescheid vom 21. Mai 2012 sei unzulässig, weil eine gesteigerte Ungewissheit über Sanierungsdauer oder Sanierungserfolg bestehe, beruht auf der unzutreffenden Annahme, die Haftungsobergrenze sei auf die Zustandsverantwortlichkeit eines Eigentümers für sein Grundstück insgesamt - und damit auch auf gegebenenfalls zukünftig noch ergehende Sanierungsanordnungen - zu beziehen. Dies widerspricht § 24 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG und lässt sich aus der auf die einfachgesetzlich angeordnete Kostentragungspflicht bezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ableiten. Ergeht mit Bezug auf ein Grundstück eine weitere Sanierungsanordnung, bedarf es vielmehr der neuerlichen Festsetzung einer auf diese Anordnung bezogenen Haftungsobergrenze auf der Grundlage der dann gegebenen Sach- und Rechtslage.

14 2. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen tatsächlichen Feststellungen lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob sich der angefochtene Bescheid als im Ganzen rechtswidrig erweist. Allerdings sind Hinweise dafür, dass Ungewissheit darüber besteht, dass die Zumutbarkeitsgrenze sich beim Kläger nicht nach dem Verkehrswert des Grundstücks nach der Sanierung bestimmt, auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht ersichtlich. Hiernach war es rechtmäßig, mit Bescheiderlass die Haftungsobergrenze betragsmäßig in Höhe des Verkehrswerts des Maßnahmegrundstücks festzusetzen. Diese Haftungsobergrenze bezieht sich auf die in § 24 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG gesetzlich angeordnete Kostentragungspflicht hinsichtlich der im angefochtenen Bescheid angeordneten Sanierungsmaßnahmen. Konkrete Feststellungen zu der aufgeworfenen Frage, ob der Verkehrswert des Grundstücks des Klägers fehlerfrei ermittelt worden ist, hat der Verwaltungsgerichtshof in der Konsequenz seiner Rechtsauffassung nicht getroffen. Vielmehr hat er im Urteil lediglich vorsorglich auf aus seiner Sicht maßgebliche rechtliche Rahmenbedingungen der Verkehrswertermittlung hingewiesen.

15 3. Nach allem war das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an diesen zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

16 Soweit es für die Entscheidung der Ermittlung des Verkehrswerts des Grundstücks des Klägers bedarf, hat diese auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung zu erfolgen. Erforderlich ist eine prognostische Bestimmung des Verkehrswerts im Zeitpunkt des Abschlusses der angeordneten Sanierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91 u. a. - BVerfGE 102, 1 <20>). Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, hierbei seien die Maßgaben nach §§ 192 ff. BauGB und der Immobilienwertermittlungsverordnung heranzuziehen. Sowohl eine nach der angeordneten Sanierung gegebenenfalls fortbestehende (Rest-)Kontamination des Grundstücks als auch ein etwaiger merkantiler Minderwert im Sinne eines "Imageschadens" sind bei der Verkehrswertermittlung zu würdigen. Dabei ist eine doppelte Berücksichtigung wertbestimmender Faktoren zu vermeiden. Dingliche Belastungen insbesondere durch Grundpfandrechte und einen Bodenschutzlastvermerk (vgl. § 25 Abs. 6 BBodSchG) beeinflussen den Wert des Grundstücks nicht. Zu Recht weist der Verwaltungsgerichtshof schließlich darauf hin, dass mit Blick auf die persönliche Leistungsfähigkeit des Klägers auch eine etwaige Übersicherung des in seinem Eigentum stehenden Grundstücks zu würdigen sein wird.