Beschluss vom 07.02.2025 -
BVerwG 20 F 4.24ECLI:DE:BVerwG:2025:070225B20F4.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 07.02.2025 - 20 F 4.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:070225B20F4.24.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 4.24
- VG Köln - 23.11.2023 - AZ: 13 K 5873/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 7. Februar 2025
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe
I
1 Im Hauptsacheverfahren begehrt der als Journalist bei einer Tageszeitung tätige Kläger die Nutzung von Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
2 1. 2018 hatte der Kläger erfolglos Einsicht in Unterlagen zum Themenkomplex "Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz über Struktur und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und zu geschäftlichen Aktivitäten der DDR im westlichen Ausland am Beispiel der Person ..." beantragt. Daraufhin erhob er gestützt auf das Bundesarchivgesetz, das Landespressegesetz sowie Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG und Art. 10 Abs. 1 EMRK Klage zum Verwaltungsgericht. Dieser trat die Beklagte zunächst vollumfänglich entgegen.
3 Im gerichtlichen Verfahren teilte die Beklagte unter dem 28. Januar 2020 mit, dass sie im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2019 - 6 C 21.18 - die Akte prüfen und die Aktennutzung mit gegebenenfalls erforderlichen Entnahmen und Schwärzungen ermöglichen werde. In der Folge legte die Beklagte in mehreren Teillieferungen Kopien aus vier Akten zum streitgegenständlichen Themenkomplex vor. Dabei waren Teile der Akteninhalte unter Berufung auf jeweils in den Vorlageschreiben im Einzelnen erläuterte, archivrechtliche Einschränkungs- und Versagungsgründe nach § 6 Abs. 1 Satz 2, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG geschwärzt oder entnommen. Der Kläger erklärte im Anschluss an die Teillieferungen wiederholt jeweils teilweise Erledigung des Rechtsstreits und erklärte sich mit einzelnen Schwärzungen in den übersandten Unterlagen einverstanden. Den bis dahin erklärten Teilerledigungserklärungen schloss sich die Beklagte unter dem 18. Januar 2021 an.
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2. Mit Beschluss vom 23. November 2023 gab das Verwaltungsgericht der Beklagten auf,
"dem Gericht die bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz vorhandenen Akten zum Themenkomplex "Erkenntnisse des BfV über die Struktur und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR sowie zu geschäftlichen Aktivitäten des der DDR im westlichen Ausland am Beispiel der Person ..., geb. ..., gestorben im Jahr ...", insbesondere die bislang nur geschwärzt ungeschwärzt bzw. die nicht vorgelegten Unterlagen vorzulegen".
5 Das Gericht müsse diese Unterlagen unter unterschiedlichen rechtlichen Gesichtspunkten prüfen, um über das archivrechtliche Aktennutzungsbegehren des Klägers entscheiden zu können. Entscheidungserheblich sei, ob bzw. in welchem Umfang der Offenlegung der Unterlagen fachgesetzliche Geheimhaltungsgründe entgegenstünden, was sich ohne Einsichtnahme in die Unterlagen nicht abschließend klären lasse.
6 3. Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2024 wiederholte der Kläger die auf einen Teil des ursprünglichen Rechtsstreits bezogene Erledigungserklärung bezüglich der zur Verfügung gestellten Unterlagen mit Ausnahme der Schwärzungen, soweit sie nicht Informationen zu noch lebenden Mitarbeitern und Quellen des Verfassungsschutzes betreffen und formulierte den ursprünglichen Klageantrag entsprechend neu. Auch dieser Erledigungserklärung schloss sich die Beklagte unter dem 22. März 2024 an.
7 4. Unter dem 27. Mai 2024 gab der Beigeladene eine Sperrerklärung ab und entschied, dass aus den Akten "... - Az.: IVA3-111-P-45352" und "... - Az.: IVA3-111-P-82579" einzelne konkret bezifferte Seiten der Unterlagen nicht vorgelegt würden. Einzelne konkret bezifferte Seiten der Akten "... - Az.: IVA3-111-P-45352", "... - Az.: IVA3-111-P-82579", "..., Wahrnehmung von Interessen für Industrie und Handel - Az.: IVB5-250-A-000855" und "Ehemalige MfS/HVA-Firmen, Firmen ... Berlin - Az.: IVB4-183-S-330192" würden nur mit Schwärzungen vorgelegt.
8 Geheimhaltungsbedarf ergebe sich aus Nachteilen für das Wohl des Bundes oder eines Landes und aus ihrem Wesen nach geheim zu haltenden personenbezogenen Daten. Die oberste Aufsichtsbehörde habe im konkreten Fall das jeweilige öffentliche Geheimhaltungsinteresse gegen das öffentliche Interesse an der Sachverhaltsaufklärung und das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Nutzungsanspruches abgewogen.
9 Hiernach seien Schwärzungen von Aktenzeichen, Verfügungen und Informationen zur Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden hinzunehmen. Sie beträfen nicht die Inhalte der Dokumente und beschnitten die Sachverhaltsaufklärung nicht relevant. Solche Schwärzungen seien mit der Ziffer 1 gekennzeichnet. Dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter sei nach einer Einzelfallbetrachtung nach Maßgabe verschiedener Kriterien Rechnung getragen. Differenziert werde danach, ob die fragliche Person noch lebe (Kennzeichnung mit Ziffer 2), nach bekanntem Geburtsdatum vermutlich noch lebe (Kennzeichnung mit Ziffer 3) oder trotz unbekanntem Geburtsdatum vermutlich noch lebe (Kennzeichnung mit Ziffer 4). Nicht geschwärzt würden regelmäßig die persönlichen Daten, wenn die betroffene Person recherchierbar oder mutmaßlich verstorben sei, es sich um eine Person der Zeitgeschichte in bereits bekannten Zusammenhängen handele oder wenn die fraglichen persönlichen Daten allgemein zugänglich seien. Nach diesen Kriterien sei auch bei Daten von Beschäftigten deutscher Nachrichtendienste (Kennzeichnung mit Ziffer 5) und Behördenmitarbeitende (Kennzeichnung mit Ziffer 6) verfahren worden. Geschwärzt seien zum Schutz des überwiegenden Interesses am Erhalt von Informationswegen Hinweise auf ausländische Nachrichtendienste, die einer Weitergabe ihrer Dokumente im Rahmen der Konsultationsverfahren nicht zugestimmt hätten (Kennzeichnung mit Ziffer 7a). Modalitäten der Kommunikation mit ausländischen Nachrichtengebern und Aliasbezeichnungen (Kennzeichnung mit Ziffer 7b) und Namen von Mitarbeitenden ausländischer Nachrichtendienste (Kennzeichnung mit Ziffer 7c). Mit Ziffer 8 gekennzeichnete Schwärzungen beträfen aus demselben Grund die Zusammenarbeit mit inländischen Nachrichtendiensten und resultierten aus Vorgaben des BND, der dabei die vertrauliche Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten schütze. Mit Ziffer 9 seien Schwärzungen wegen Vorgaben ausländischer Nachrichtengeber gekennzeichnet.
10 Darüber hinaus würden einzelne Seiten nicht vorgelegt, bei denen es sich um Informationen ausländischer Nachrichtendienste handele, die eine Einwilligung in die Weitergabe verweigert hätten. Es fehle damit an der Verfügungsberechtigung über die Informationen. Die Erfüllung der Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz würde zudem wesentlich erschwert, wenn es ohne oder gegen den Willen ausländischer Nachrichtendienste von diesen vertraulich übermittelte Informationen an Dritte weitergebe. Einzelne Seiten einer weiteren Akte würden nur geschwärzt vorgelegt. Hierbei handele es sich um eine dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Anlage einem anderen Aktenstück übersandte Aktenvormerkung. Die Schwärzungen beträfen den Schutz von Rechten noch lebender oder mutmaßlich noch lebender Dritter (Kennzeichnung mit Ziffern 3 und 4) sowie einer mutmaßlich verstorbenen Person (Kennzeichnung mit Ziffer 10). Letztere Schwärzung sei erforderlich, weil der geschwärzte Text Rückschlüsse auf eine zu schützende lebende Person ermögliche. Nur mit Schwärzungen würden außerdem weitere Seiten dieser Akte vorgelegt, bei denen es sich um einen Strafbefehlsantrag handele. Schwärzungen beträfen Aktenzeichen und Arbeitshinweise (Kennzeichnung mit Ziffer 1) sowie den Schutz Dritter (Kennzeichnung mit den Ziffern 3, 4 und 6). Mit Ziffer 10 gekennzeichnet sei die Schwärzung einer Information zu einer verstorbenen Person, die Rückschlüsse auf eine mit Ziffer 3 gekennzeichnete und wie ausgeführt zum Schutz der dort genannten Person berechtigte Schwärzung erlaube.
11 5. Unter dem 6. Juni 2024 beantragte der Kläger die Einleitung eines In-Camera-Verfahrens gemäß § 99 Abs. 2 VwGO. Mit Schreiben vom 12. Juni 2024 legte das Verwaltungsgericht die Akten dem Fachsenat vor.
II
12 Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beigeladenen vom 27. Mai 2024 festzustellen, ist mangels ordnungsgemäßer Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit durch das Verwaltungsgericht unzulässig.
13 1. Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akteninhalte ordnungsgemäß bejaht hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2021 - 20 F 13.20 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dafür ist grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss durch den Spruchkörper geboten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - NVwZ 2023, 1435 Rn. 14).
14 Hat das Gericht der Hauptsache - wie hier - die Entscheidungserheblichkeit in einem Beweisbeschluss bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist oder wenn es seiner Verpflichtung nicht genügt hat, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - juris Rn. 16 m. w. N. und vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - juris Rn. 12).
15 Selbst wenn das Gericht der Hauptsache zunächst in einem Beweisbeschluss in ausreichender Weise die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten verlautbart hat, kann es verpflichtet sein, die Entscheidungserheblichkeit nach der daraufhin erfolgten Abgabe der Sperrerklärung erneut zu überprüfen. Ist erst in der Sperrerklärung der Inhalt der angeforderten Unterlagen jedenfalls stichwortartig näher beschrieben worden, hat zunächst das zur Sachentscheidung berufene Gericht der Hauptsache förmlich darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang es die im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen ohne Einsicht in die angeforderten Unterlagen auf der Grundlage der abstrakten Umschreibung ihres Inhalts beantworten kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. März 2019 - 20 F 8.17 - juris Rn. 5 m. w. N. und vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - juris Rn. 13). Ob es zur Beurteilung des Geheimhaltungsbedarfs als Erkenntnishilfe der streitigen Akten bedarf, kann neben dem Zuschnitt der Geheimhaltungsgründe davon abhängen, ob die betreffenden Akteninhalte ihrem Gegenstand nach unstreitig sind und auf dieser Grundlage über die fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründe entschieden werden kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 5 m. w. N. und vom 9. Januar 2024 - 20 F 2.21 - juris Rn. 11).
16 2. Diesen Anforderungen wird der Beweisbeschluss vom 23. November 2023 in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
17 Zum einen erfasst er auch solche Akteninhalte, auf deren ungeschwärzte Vorlage der Kläger bereits vor dem Beweisbeschluss in seinen Schriftsätzen vom 22. April 2020, vom 1. April 2021 und vom 26. Mai 2021 durch das ausdrückliche Einverständnis mit einzelnen Schwärzungen verzichtet hatte. Damit bereits geht der Beweisbeschluss über das Klagebegehren nach § 88 VwGO hinaus und erstreckt sich auf nicht mehr entscheidungserhebliche Aktenteile.
18 Zum anderen hatte das Verwaltungsgericht vor und nach der Vorlage an den Fachsenat im Hinblick auf die Prozessentwicklung mehrfach Anlass, die Reichweite und die Begründung des Beweisbeschlusses erneut zu prüfen und förmlich darüber zu befinden. Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 28. Februar 2024 seinen Klageantrag neu formuliert und damit an sein bereits zuvor mehrfach erklärtes Einverständnis mit einer Reihe von Schwärzungen angepasst.
19 Eine Pflicht zur erneuten Prüfung resultiert außerdem aus den Erläuterungen der Sperrerklärung vom 27. Mai 2024. Diese umschreibt zur Begründung der Weigerungsgründe aus § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO unter Nennung von Seitenzahlen, Aktenzeichen und Zifferkennzeichnung einzelner Schwärzungen, welche Daten jeweils geschwärzt oder nicht vorgelegt wurden. Dem Verwaltungsgericht wurden als Anlage zum Schriftsatz vom 27. Mai 2024 geschwärzte Ausdrucke der streitgegenständlichen Archivalien übermittelt, in denen die Schwärzungen die in der Sperrerklärung angeführten Ziffernkennzeichnungen aufweisen. Nach den inhaltlichen Umschreibungen der Sperrerklärung und unter Nutzung der nach ihrer Maßgabe überarbeiteten geschwärzten Teilaktenausdrucke oblag es dem Verwaltungsgericht, für jede einzelne Schwärzung und Entnahme zu prüfen, ob über das Eingreifen der archivrechtlichen Einschränkungs- und Versagungsgründe nach § 6 Abs. 1 Satz 2, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BArchG auch ohne Kenntnis der gesperrten Inhalte entschieden werden konnte. Insbesondere war durch Auswertung des Parteivortrages zu untersuchen, welche Angaben zum Inhalt der geschwärzten oder entnommenen Aktenbestandteile unstreitig waren und einer Prüfung von fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründen in tatsächlicher Hinsicht zugrunde gelegt werden konnten.
20 3. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht, weil es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit handelt (BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 u. a. - juris Rn. 48 m. w. N.).