Beschluss vom 07.01.2025 -
BVerwG 7 B 16.24ECLI:DE:BVerwG:2025:070125B7B16.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 07.01.2025 - 7 B 16.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:070125B7B16.24.0]
Beschluss
BVerwG 7 B 16.24
- VGH Kassel - 23.02.2024 - AZ: 11 C 2414/21.T
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Januar 2025
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
- Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 45 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger, eine u. a. im Bundesland Hessen nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen. Er macht unter anderem geltend, die von der Genehmigungsbehörde herangezogene Verwaltungsvorschrift "Naturschutz/Windenergie" 2020 unterfiele der Pflicht zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung im Sinne der SUP-Richtlinie.
2 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Die Verwaltungsvorschrift sei bereits nicht als Plan oder Programm einzuordnen. Hierfür fehle es jedenfalls an der erforderlichen Gebietsbezogenheit. Unabhängig davon beruhe sie auch nicht auf einer landes- oder bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage. Die Revision gegen sein Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
3 Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
4
Die Frage,
"ob die VwV 2020 'Naturschutz/Windenergie' in [den] Anwendungsbereich der SUP-Richtlinie [fällt] und damit der Pflicht zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung i. S. d. SUP-Richtlinie unterfällt, insbesondere, ob diese Verwaltungsvorschrift unter den Begriff 'Pläne und Programme' im Sinne von Art. 2 Buchst. a RL 2001/42/EG fällt und ob sie auf einer nach Art. 2 Buchst. a 2. Spiegelstrich der SUP-Richtlinie erforderlichen landes- oder bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruht",
mit den Präzisierungen,
"ob Art. 2 Buchst. a RL 2001/42/EG dahin auszulegen ist, dass eine von der Regierung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats angenommene Verwaltungsvorschrift, die Bestimmungen über die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen in Form von Kriterien u. a. zur Ermittlung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote und für die Erteilung von Ausnahmen von diesen Verboten enthalten, unter den Begriff 'Pläne und Programme' fällt, und
Art. 2 Buchst. a RL 2001/42/EG dahin auszulegen ist, dass ein Rechtsakt nicht nur dann unter den Begriff 'Pläne und Programme' fällt, wenn er raumbezogene Abstandsregelungen oder sonstige die Raumordnung von Gebieten und Zonen betreffende Vorgaben enthält, und
Art. 2 Buchst. a RL 2001/42/EG dahin auszulegen ist, dass ein Rechtsakt nicht nur dann unter den Begriff 'Pläne und Programme' fällt, wenn er die Möglichkeit zur Bewilligung von Abweichungen von geltenden Bestimmungen eröffnet",
rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht.
5 Die von der Beschwerde hierdurch aufgeworfene Rechtsfrage nach den Voraussetzungen der "Pläne und Programme" im Sinne des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 S. 30) – SUP-Richtlinie - ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt. In einem künftigen Revisionsverfahren würde sich daher nicht die Notwendigkeit ergeben, deswegen eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV einzuholen.
6 Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie definiert die "Pläne und Programme" anhand zweier kumulativer Voraussetzungen. Sie müssen zum einen von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen oder von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regierung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet worden sein. Zum anderen sind als "Pläne und Programme" nur solche anzusehen, die aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-300/20 [ECLI:EU:C:2022:102], Bund Naturschutz in Bayern - Rn. 35 unter Hinweis auf Urteil vom 25. Juni 2020 - C-24/19 [ECLI:EU:C:2020:503], Windkraftanlagen in Aalter und Nevele - Rn. 33). Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Sinne der SUP-Richtlinie als Pläne und Programme, die "erstellt werden müssen", jene Pläne und Programme anzusehen sind, deren Erlass in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen. Da diese Bestimmung das Ziel verfolgt, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen, und um ihre praktische Wirksamkeit zu wahren, ist ein Plan oder ein Programm als ein Plan oder ein Programm, der bzw. das "erstellt werden muss", anzusehen, wenn es im nationalen Recht eine besondere Rechtsgrundlage gibt, die die zuständigen Behörden zu seinem Erlass ermächtigt, auch wenn dieser nicht verpflichtend ist (EuGH, Urteile vom 22. Februar 2022 - C-300/20 - Rn. 37 m. w. N. und 9. März 2023 - C-9/22 [ECLI:EU:C:2023:176] - Rn. 30). Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 erfasst grundsätzlich auch Pläne, die auf einer Rechtsgrundlage beruhen, die in einem anderen Plan - wie etwa einem Bebauungsplan - vorgesehen sind (EuGH, Urteil vom 9. März 2023 - C-9/22 - Rn. 31). Der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) lässt sich nach allem nicht entnehmen, dass das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage aufgegeben wurde (vgl. auch EuGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - C-24/19 - Rn. 35).
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur zweiten Voraussetzung des Art. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie im Ergebnis zutreffend als Maßstab zugrunde gelegt. Auf dieser Grundlage hat er im konkreten Einzelfall erkannt, dass jedenfalls die zweite Voraussetzung hinsichtlich des Gemeinsamen Runderlasses des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen; Verwaltungsvorschrift (VwV) "Naturschutz/Windenergie" i. d. F. vom 17. Dezember 2020 (StAnz. 2021, 13), – VwV-HE 2000 "Naturschutz/Windenergie" – nicht erfüllt ist. Es handele sich vielmehr um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, für die sich weder im Bundes- noch im hessischen Landesrecht eine den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entsprechende Ermächtigungsgrundlage finde, die nähere Vorgaben betreffend die zuständige Behörde und das Ausarbeitungsverfahren formuliere. Der Erlass der genannten Verwaltungsvorschrift beruhe vielmehr allein auf der allgemeinen Richtlinien- bzw. Weisungsbefugnis der obersten Behörden gegenüber ihrem nachgeordneten Geschäftsbereich (UA S. 99 f.). Die Prüfung der Rechtsnatur der streitgegenständlichen Verwaltungsvorschrift anhand der unionsrechtlichen Maßstäbe ist Sache der nationalen Gerichte (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. März 2023 - C-9/22 - Rn. 35) und erfordert keinen Vorlagebeschluss.
8 Das gilt auch soweit die Beschwerde meint, aus der Entscheidung des Gerichtshofs vom 25. Juni 2020 - C-24/19 - folge, dass es bei Verwaltungsvorschriften keiner expliziten Ermächtigungsgrundlage zu deren Erlass bedürfte, um unter den Begriff der "Pläne und Programme" zu fallen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ergibt sich aus dem Kontext der Entscheidung des Gerichtshofs zum belgischen Rundschreiben Vlarem II von 2006, dass dieses einen "in Durchführung von höherrangigen Vorschriften der Legislative" ergangenen Erlass änderte (Rn. 53), der seinerseits einer UVP-Pflicht unterlag. Dieser Umstand war ausschlaggebend für den Gerichtshof, das Rundschreiben unter den Begriff der "Pläne und Programme" zu fassen (Rn. 53 ff., 58 ff., 62). Eine darüber hinaus gehende Aussage, dass Verwaltungsvorschriften generell unter diesen Begriff fallen, ist der Entscheidung dagegen nicht zu entnehmen.
9 Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs angenommen, es fehle schon deshalb an einem Plan, weil dieser das "Ergebnis eines Planungsprozesses" sein müsse und daher das vorausschauende Setzen von Zielen und das gedankliche Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweisen umfasse. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Entscheidung hierauf nicht tragend gestützt, sondern auf den fehlenden Gebietsbezug, an dem es "jedenfalls" fehle. Auch insoweit legt die Beschwerde einen grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
10 Der Verwaltungsgerichtshof stellt hinsichtlich des Gebietsbezugs auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs ab. Nach dem Wortlaut des Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie müssten die Pläne und Programme zwar nicht die Raumordnung eines ganz bestimmten Gebiets zum Gegenstand haben. Gleichwohl setzten diese Bestimmungen voraus, dass die betreffenden Pläne und Programme "in einem weiteren Sinne auf die Raumordnung von Gebieten oder Zonen im Allgemeinen abzielen" (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2016 - C-290/15 [ECLI:EU:C:2016:816] - Rn. 45). Einen solchen Raumbezug hat die Vorinstanz verneint, weil die Verwaltungsvorschrift weder raumbezogene Abstandsregelungen noch sonstige die Raumordnung von Gebieten und Zonen betreffende Vorgaben beinhalte. Vielmehr ziele sie im Wesentlichen darauf ab, als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift die Kriterien unter anderem zur Ermittlung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG i. V. m. § 44 Abs. 5 BNatSchG sowie die Voraussetzungen für die Erteilung von Ausnahmen von diesen Verboten zu erläutern. Soweit in diesem Kontext an Abstandsempfehlungen bzw. Abstandsbetrachtungen angeknüpft werde, komme diesen ebenfalls keine raumordnende Funktion zu (UA S. 98).
11 Mit ihrer hiergegen gerichteten Rüge, die vom Verwaltungsgerichtshof zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs enthielten nicht das, was der Verwaltungsgerichtshof daraus ableite, beschränkt sich die Beschwerde erneut darauf, die Rechtsanwendung der Vorinstanz zu kritisieren, ohne einen weiteren Klärungsbedarf aufzuzeigen. Insbesondere ist von ihr nicht dargelegt, inwiefern die vom Verwaltungsgerichtshof geforderte "raumordnende Funktion" im Widerspruch zu dem vom Gerichtshof geforderten "Abzielen auf die Raumordnung" stehen soll.
12 Die Beschwerde zeigt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit der Rüge auf, der Verwaltungsgerichtshof habe sich mit der Frage einer Rahmensetzung der Verwaltungsvorschrift nicht auseinandergesetzt. Hierzu bestand nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs kein Anlass, da es bereits an einem Raumbezug und einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage fehlte. Im Übrigen sind auch insoweit die rechtlichen Maßstäbe durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt. Der Begriff "Pläne und Programme" bezieht sich auf jeden Rechtsakt, der dadurch, dass er die in dem betreffenden Bereich anwendbaren Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlegt, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstellt, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-300/22 - Rn. 60). Das Erfordernis der Rahmensetzung bedeutet, dass eine nationale Maßnahme, die keine hinreichend detaillierten Regelungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Durchführung dieser Projekte, insbesondere hinsichtlich des Standorts, der Art, der Größe und der Betriebsbedingungen, vorsieht, nicht in den Geltungsbereich des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie fällt (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - C-300/22 - Rn. 62, 70).
13 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.