Beschluss vom 06.08.2024 -
BVerwG 4 BN 2.24ECLI:DE:BVerwG:2024:060824B4BN2.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.08.2024 - 4 BN 2.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:060824B4BN2.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 2.24

  • OVG Koblenz - 17.10.2023 - AZ: 1 C 10397/22.OVG

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. August 2024
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Prof. Dr. Decker und Dr. Seidel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2023 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin beimisst.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2024 - 4 BN 20.23 - juris Rn. 5). Das leistet die Beschwerde nicht.

3 Die Fragen,
ob der Verzicht auf eine Wendeanlage im Rahmen eines qualifizierten Bebauungsplanverfahrens die planerische Gestaltungsfreiheit verletzt, wenn die Gemeinde bei der Planung einer engen Sackgasse als Erschließungsanlage für acht Wohngrundstücke von vorneherein mit einkalkuliert, zur Bedingung macht und davon ausgeht, dass der Anlieger-, Besucher-, Fremd- und Lieferverkehr nur unter Mitbenutzung von Gehwegüberfahrten, privaten Garageneinfahrten oder sonstiger privater Flächen von Anliegergrundstücken wenden kann und muss,
und
ob es von der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde gedeckt ist, wenn sie in einem qualifizierten Bebauungsplan eine Erschließungsanlage als Sackgasse so plant, dass ein Wenden durch den Anlieger- und Lieferverkehr nur durch die Mitbenutzung von Gehwegüberfahrten, privaten Garageneinfahrten oder sonstiger Flächen von Anliegergrundstücken möglich ist,

4 die sich inhaltlich nicht unterscheiden und auch in der Beschwerdebegründung gemeinsam erläutert werden, sind nicht klärungsbedürftig. Soweit einer über den konkreten Einzelfall hinausgehenden Beantwortung zugänglich, sind sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.

5 Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BauGB). Die mit der Befugnis zur Planung einhergehende Gestaltungsfreiheit wird durch das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot begrenzt, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Zu den im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden Belangen gehören auch die des Verkehrs, wie sie in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB bezeichnet sind. Diese umfassen insbesondere eine ordnungsgemäße Erschließung des Plangebiets durch die Festsetzung ausreichender Zufahrtsmöglichkeiten und den Anschluss an die Verkehrsflächen (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Januar 2024, § 1 Rn. 167; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 1 Rn. 75).

6 Zum Verzicht auf eine Wendeanlage bei der Herstellung einer befahrbaren Sackgasse hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 77.88 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 28), dass ein solcher in Ausnahmesituationen nicht von der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde gedeckt und damit einen Mangel im Abwägungsergebnis begründen kann. Davon wäre etwa auszugehen, wenn die Straße eine nicht völlig unbedeutende Anzahl von Grundstücken erschließt und der regelmäßig von diesen Grundstücken ausgehende Kraftwagenverkehr mangels hinreichender Breite der Straße und einer Möglichkeit, Gehwegüberfahrten, Garagenflächen oder sonstige Flächen auf Anliegergrundstücken mitzubenutzen, faktisch gezwungen ist, entweder rückwärts in die Sackgasse ein- oder rückwärts aus ihr auszufahren, sofern nicht der übrige Verkehr auf der Sackgasse und der Straße, in die diese einmündet, von lediglich unbeachtlichem Umfang ist. Die konkreten Umstände des Einzelfalles müssen folglich derart sein, dass sich die Annahme aufdrängt, bei dem gemeindlichen Verzicht auf eine Wendeanlage kämen die Belange des Verkehrs in unvertretbarer Weise zu kurz, diese Lösung sei im Hinblick auf die Anforderungen des Verkehrs schlechthin nicht akzeptabel (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 a. a. O. S. 25; siehe auch BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1992 - 8 C 34.90 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 30 S. 34 ff.).

7 Ein weiterer Klärungsbedarf folgt - entgegen der Annahme der Beschwerde - nicht daraus, dass die genannte Rechtsprechung zu älteren Fassungen der erschließungsrechtlichen Bestimmung des § 125 Abs. 2 Satz 3 BBauG/BauGB ergangen ist. Denn aufgrund des darin u. a. in Bezug genommenen § 1 Abs. 7 BBauG/§ 1 Abs. 6 BauGB a. F. muss die Herstellung von Erschließungsanlagen, wenn ein Bebauungsplan nicht vorliegt, den sich aus dem Abwägungsgebot ergebenden Anforderungen genügen. Entscheidend ist, ob ein Bebauungsplan, setzte er die in Rede stehende Erschließungsanlage fest, nicht wegen Überschreitung der planerischen Gestaltungsfreiheit unwirksam wäre. Die materiell-rechtliche Prüfung entspricht danach derjenigen bei der - wie hier - Aufstellung eines Bebauungsplans, beschränkt auf die Erschließungsanlage (BVerwG, Urteile vom 27. April 1990 - 8 C 77.88 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 28 S. 23 und vom 3. Juli 1992 - 8 C 34.90 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 30 S. 34 f.). Daran hat sich durch die Neufassung des § 125 Abs. 2 BauGB durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) vom 18. August 1997 (BGBl. I S. 2081) nichts geändert (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 - 9 C 2.03 - Buchholz 406.11 § 125 BauGB Nr. 38 S. 6 f.).

8 Ob bei einem gemeindlichen Verzicht auf eine Wendeanlage die Belange des Verkehrs entsprechend den vorstehenden Ausführungen in unvertretbarer Weise zu kurz kämen, beurteilt sich nach den konkreten Umständen in der jeweiligen Planungssituation und ist einer verallgemeinerungsfähigen Klärung nicht zugänglich. Das gilt insbesondere für die der Fragestellung unterlegte Konstellation "der Planung einer engen Sackgasse als Erschließungsanlage für acht Wohngrundstücke". Insofern ist zu berücksichtigen, dass kein Abwägungsfehler vorliegt, wenn etwa in einem Wohngebiet der Begegnungsverkehr von Personenkraftwagen aufgrund einer geringeren Anzahl betroffener Wohngrundstücke überschaubar ist, Personenkraftwagen im Bedarfsfall auf der privaten Fläche, die sie aufsuchen wollen, wenden können und die Benutzung der Sackgasse durch schwere Lastwagen, die entweder auf dem Hin- oder dem Rückweg rückwärtsfahren müssten, seltene Ausnahme bleibt (BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 77.88 - Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 28 S. 26 f.). Mehr ist verallgemeinernd nicht auszuführen. Dass vorstehende Rechtssätze einer Überprüfung oder Fortentwicklung bedürften, legt die Beschwerde nicht dar.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.