Urteil vom 06.05.2003 -
BVerwG 2 WD 29.02ECLI:DE:BVerwG:2003:060503U2WD29.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 06.05.2003 - 2 WD 29.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:060503U2WD29.02.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 29.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 6. Mai 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Weißenbach,
Hauptfeldwebel Bader
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Mühlbächer
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt Rohde, Kiel,
als Verteidiger,
Justizangestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 7. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.

Gründe

I

Der 49 Jahre alte Soldat erwarb im Jahr 1968 den Hauptschulabschluss und absolvierte anschließend von 1968 bis 1973 eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, die er im Juni 1973 mit der Note „ausreichend” abschloss. Anschließend war er zwei Monate in seinem erlernten Beruf bei seinem Ausbildungsbetrieb tätig.

Zum 1. Oktober 1973 wurde er zur Ableistung des Grundwehrdienstes zur .../Jägerbataillon ... in F.-W. eingezogen. Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wurde er am 22. Januar 1974 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde gemäß den von ihm abgegebenen Verpflich-tungserklärungen stufenweise auf zuletzt zwölf Jahre festgesetzt. Am 23. Februar 1982 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.

Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 10. August 1995 zum Stabsfeldwebel.

Im Anschluss an die Grundausbildung wurde er zunächst als Jäger und Panzerfaustschütze, nach Bestehen des Unteroffiziergrundlehrgangs am 20. Juni 1974 als Jägerunteroffizier, eingesetzt. Nach erfolgreichem Abschluss des Unteroffizieraufbaulehrgangs Militärfachlicher Teil - Rechnungsführer - am 20. Oktober 1977 und Allgemeinmilitärischer Teil am 11. April 1978 wurde er ab 1. April 1978 als Rechnungsführerfeldwebel in der .../Jägerbataillon ... verwendet. Zum 1. April 1981 wurde er in dieser Funktion zur .../Panzerbataillon ... in F.-W. versetzt. Am 1. Oktober 1984 wechselte er zur .../Panzerbataillon ..., wo er als Panzerfeldwebel Leopard und Gruppenführer eingesetzt werden sollte. Da jedoch aus gesundheitlichen Gründen seine Verwendung als Panzerfeldwebel nicht mehr in Betracht kam, absolvierte er den Verwendungslehrgang Stabsdienst für S 1-Unteroffiziere mit Portepee, den er Ende Juni 1985 mit „gut“ bestand. Anschließend wurde er mit Wirkung vom 1. August 1985 in die .../Panzerbataillon ... versetzt und leistete Dienst als S 1-Feldwebel im Stab des Panzerbataillons .... Zum 1. Oktober 1989 wurde er als Kompaniefeldwebel (KpFw) in die .../Panzerbataillon ...; am 1. April 1992 zur .../Jägerbataillon ... als Zahlstellenfeldwebel versetzt. Diese Funktion übte er auch in der Folgezeit aus, und zwar ab 1. November 1994 bei der Truppenverwaltung F., ab 1. Oktober 1996 bei der Truppenverwaltung L. und schließlich ab 1. Dezember 1997 im Gerätehauptdepot L. Seit dem 1. März 2000 ist er dort als Leiter Annahme und Versand (Nachschubtruppenfeldwebel) tätig.

Seit Beginn seiner Verwendung als Zahlstellenfeldwebel wurde er viermal planmäßig beurteilt, und zwar am 7. April 1992, 5. Juli 1994, 12. August 1996 und 28. Juli 1998. Ausweislich dieser Beurteilungen vermochte er seine dienstlichen Leistungen ständig zu steigern. In der letzten planmäßigen Beurteilung vom 28. Juli 1998 erhielt er nach den damals geltenden Beurteilungsbestimmungen neunmal die Wertung „1” und fünfmal die Wertung „2”. In der freien Beschreibung wurde ihm fünfmal der Ausprägungsgrad „B” zuerkannt. Unter „Verantwortungsbewusstsein” wird über ihn ausgeführt:

„Ganz außergewöhnlich pflichtbewußter und gewissenhafter Soldat, voller Energie und äußerstem Gestaltungsdrang. Über seine eigene Aufgabe hinaus sucht er die Verantwortung und Herausforderung, bietet sich vorbildlich an und besticht durch seinen hohen persönlichen Einsatz, häufig unter Zurückstellung seiner eigenen Person und Freizeit. ... wehrt sich vehement gegen Schubladendenken und sucht bewußt herausfordernde Aufgaben und meistert sie mit hervorragenden Leistungen - immer bedacht auf den Nutzen für das Depot, obwohl er eigentlich ‚nur’ der Truppenverwaltung organisch zuzuordnen ist.”.

Unter „Fähigkeit zur Einsatzführung/Betriebsführung” heißt es:

„In seiner Aufgabe als Zahlstellen-Verwalter ist er eine Autorität. Hier ist ihm nichts mehr vorzumachen - nachgewiesen bei Überprüfungen. ... hat einen hohen Geldumsatz zu bewältigen, Verantwortungsbewußtsein und Zuverlässigkeit - erforderlich für diese Aufgabe - zeigt er in beeindruckender Weise. Trotz des hierfür auch erforderlich hohen Zeitansatzes drängt er darauf, im Depot auch andere Aufgaben zu übernehmen. Bei seinem Einsatz als Leiter des Innendienstes bei einer Truppenwehrübung hat er seine enorme Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt, er hat weit mehr geleistet als gefordert. Dieses ‚weit mehr leisten als gefordert’ hat er mehrfach bewiesen. ... ist Garant für reibungslose und effektive Auftragsdurchführung, das Umsetzen von außergewöhnlichen und neuen Aufgaben entsprechen seinem Naturell.”.

Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, berufliches Selbstverständnis und ergänzende Aussagen” ist durch den Beurteilenden, Oberstleutnant C., über ihn ausgeführt:

„Sympathischer, offener, grundehrlicher Soldat. Besonders charakterfest, lebt den Soldaten guten alten Schlages im positiven Sinne vorbildlich vor. Seine äußerste Loyalität ist besonders hervorzuheben, seine Freude an seinem Beruf strahlt er geradezu aus. Die Ausbildung von Rechnungsführern ist für ihn keine Pflicht, sondern eher Berufung. Der Erfolg hat sich in ausgezeichneten Leistungsergebnissen seiner Auszubildenden niedergeschlagen.

Er sucht ständig nach neuen Herausforderungen und hat gezeigt, dass er diese auch mit Auszeichnung meistert.

N. bestätigt mit seinen hervorragenden Leistungen seinen Anspruch auf eine Spitzenverwendung.”.

In der Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten wird ergänzend ausgeführt, dass der Soldat „der Typ des gewachsenen, Autorität ausstrahlenden einstigen KpFw” sei. Er sei „fachlich mustergültig” und gehöre weiterhin in die Spitzengruppe der Portepeeunteroffiziere. Er sei „charakterlich integer, vertrauenerweckend, ein informeller Führer höchster Qualifikation”, der für Oberstabsfeldwebel-Verwendungen, insbesondere zum KpFw in herausgehobener Funktion, „gut geeignet” sei und Aufmerksamkeit und Förderung verdiene.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht am 7. März 2002 hat Oberstleutnant C., der Kommandant des Gerätehauptdepots L., als Disziplinarvorgesetzter des Soldaten diese positiven Einschätzungen bestätigt und ausgeführt, dass der Soldat zur Spitzengruppe der Unteroffiziere mit Portepee gehöre. Er zeige stets gute und bravouröse Leistungen und bewältige einen enormen Leistungsumfang. Der Soldat sei stets freundlich und hilfsbereit und von allen anerkannt. Er könne sich die im vorliegenden Verfahren angeschuldigte Verfehlung des Soldaten nicht erklären. Dieser müsse in eine Scheinwelt abgetaucht sein und sein Verstand müsse ausgesetzt haben. Auch die anderen Mitarbeiter der Truppenverwaltung fragten sich, wie dies habe passieren können. Trotzdem mache ihm keiner einen Vorwurf. Im Gegenteil rechneten ihm alle sehr hoch an, dass er sich offenbart und alles eingestanden habe. Der Soldat habe sich auch nach den Vorfällen „nicht hängen lassen”. Vielmehr habe er sich noch mehr „ins Zeug gelegt” und seine Leistungen weiter gesteigert. Er sei mit Leib und Seele Soldat und genieße nach wie vor das Vertrauen aller Mitarbeiter. Die seit dem 1. März 2000 erfolgte Verwendung als Nachschubtruppenfeldwebel sei keine durch das Fehlverhalten bedingte Ablösung vom bisherigen Dienstposten gewesen.

In der gemäß ZDv 20/6 Nr. 406 b erstellten Sonderbeurteilung vom 26. März 2003 hat der Disziplinarvorgesetzte, Oberstleutnant C., die Leistungen des Soldaten dreimal mit der Höchststufe „7” („Einsatzbereitschaft”, „praktisches Können”, „organisatorisches Können”), zwölfmal mit der Stufe „6” und einmal („Ausdruck”) mit der Stufe „5” bewertet. In der Eignungs- und Befähigungsbeurteilung vergab er für „Verantwortungsbewusstsein”, „geistige Befähigung”, „Eignung zur Menschführung/Teambefähigung” sowie „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung” jeweils die Wertung „D” („Eignung und Befähigung sind besonders vorhanden”). Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” führte er aus:

„Sympathischer Soldat, offen, grundehrlich, besonders charakterfest und äußerst loyal.

Alle Soldaten und zivilen Mitarbeiter/innen des Depots suchen seine Mitarbeit und seinen Rat, sind sie doch bei seinen verschiedenen Aufgabenstellungen mit ihm zusammen von Erfolg zu Erfolg geschwommen. Sie akzeptieren seine Führungsrolle uneingeschränkt und bewundern seine vorbildliche Schaffenskraft. Sie sehen ihn als den Leistungsträger in Person. ... Trotz erheblicher Probleme im persönlichen Bereich zeigt er eine deutliche Leistungssteigerung gegenüber dem vorhergehenden Beurteilungszeitraum, was ihm in hohem Maße anzurechnen ist. Er bestätigt mit seinen hervorragenden Leistungen seinen Anspruch auf eine Spitzenverwendung.”

Für „Stabsverwendungen” sowie „allgemeine Führungsverwendungen” stufte er ihn als „besonders geeignet”, für „Fachverwendungen”, „Führungsverwendungen in der Truppe” und „Verwendungen mit besonderer Außenwirkung” stufte er ihn als „gut geeignet”, für Lehrverwendungen als „geeignet” ein.

Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte stimmte dieser Beurteilung zu. Die Förderungswürdigkeit des Soldaten bewertete er mit „C” („Eignung und Leistungen des Beurteilten liegen über den Anforderungen. Eine Förderung wird mit Nachdruck empfohlen.”).

Der Soldat wurde mehrfach ausgezeichnet. In den Jahren 1979, 1980, 1986, 1992, 1994 und 1996 erhielt er insgesamt sechs förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Er ist seit 1978 Träger des Abzeichens für Leistungen im Truppendienst in Bronze, seit 1987 des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Silber sowie seit 1998 des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold.

Ausweislich der Auskunft aus dem Zentralregister vom 25. März 2003 ist der Soldat - abgesehen von der Verurteilung in dem sachgleichen Strafverfahren - strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 1. April 2003 enthält neben den sechs förmlichen Anerkennungen und der sachgleichen Verurteilung keine Eintragungen.

Der Soldat ist seit 1993 in zweiter Ehe verheiratet. Für seinen heute 22-jährigen Sohn aus erster Ehe leistet er einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 200 €. Seine zwölf und sieben Jahre alten Söhne aus zweiter Ehe leben in seiner häuslichen Gemeinschaft. Ausweislich der Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung ... vom 28. Mai 2002 erhält er Dienstbezüge aus der 10. Dienstaltersstufe der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von 2.846,18 € brutto bzw. incl. Kindergeld 2.820,20 € netto. Nach Abzug vermögenswirksamer Leistungen sowie einer monatlichen Rate von 255,65 € für die Rückzahlung des veruntreuten Geldes werden ihm 2.524,67 € ausgezahlt. Nach seinen Angaben hat er monatlich laufende finanzielle Verpflichtungen in Höhe von ca. 1.500 €. Seine Ehefrau erhält ca. 300 € Arbeitslosenhilfe. Der Soldat pendelt täglich zwischen seinem Wohnort und der 44 km entfernten Dienststelle. Er erhält Trennungsgeld in Form von Wegstreckenentschädigung in Höhe von rund 150 € monatlich. Seine Vermögensverhältnisse sind nach seinen Angaben geordnet.

II

III