Beschluss vom 06.02.2025 -
BVerwG 2 WDB 3.24ECLI:DE:BVerwG:2025:060225B2WDB3.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.02.2025 - 2 WDB 3.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:060225B2WDB3.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 3.24

  • TDG Süd 5. Kammer - 15.02.2024 - AZ: S 5 VL 38/18

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 6. Februar 2025 beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 15. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Bund trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I

1 Das Verfahren betrifft die Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.

2 1. Der frühere Soldat war Soldat auf Zeit und nahm zuletzt im Jahr 2011 als Oberstleutnant der Reserve an einer Wehrübung teil. In der Folgezeit wurde er angeschuldigt, den Bund im Zeitraum Januar 2009 bis September 2011 mehrfach über Reisekosten und das Innehaben eines Doktorgrades getäuscht sowie Urkundenfälschungen begangen zu haben. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts S. vom 18. Juni 2014 wurde er deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.

3 2. Nach Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens im Februar 2018 wurde er wegen dieser Taten unter dem 23. Mai 2018 beim Truppendienstgericht Süd disziplinarrechtlich angeschuldigt. Während des disziplinargerichtlichen Verfahrens stellte der 58-jährige frühere Soldat am 3. Januar 2024 einen Antrag auf "Rückgabe" seines Dienstgrades. Das Karrierecenter der Bundeswehr ... entzog ihm mit Bescheid vom 29. Januar 2024 antragsgemäß den Dienstgrad und stellte fest, dass er nicht mehr zur Reserve gehöre.

4 3. Daraufhin stellte die Vorsitzende Richterin der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd mit Beschluss vom 15. Februar 2024 das gerichtliche Disziplinarverfahren ein. Da der Angeschuldigte den Soldatenstatus verloren habe, bestehe ein unheilbares Verfahrenshindernis. Die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen sei nicht mehr zulässig. Eine Ruhegehaltskürzung komme nicht in Betracht, da dem früheren Soldaten keine Ruhegehalts- oder Versorgungsansprüche mehr zustünden. Eine Aberkennung des Dienstgrades sei nicht mehr möglich, da der frühere Soldat aufgrund seines freiwilligen Verzichts und des Bescheids des Karrierecenters ... seinen Dienstgrad bereits verloren habe und kein Reservist mehr sei.

5 4. Dagegen richtet sich die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit ihrer Beschwerde. Ein Verfahrenshindernis liege nicht vor. Es sei ungeklärt, ob der frühere Soldat seinen Dienstgrad durch Verwaltungsentscheidung unwiderruflich verloren habe. Zwar habe das Karrierecenter der Bundeswehr ... dem Antrag des früheren Soldaten stattgegeben. Es sei jedoch davon auszugehen, dass dies nicht aufgrund der dafür notwendigen umfassenden Prüfung erfolgt sei. Es fehle an der gesetzlichen Grundlage für eine Verzichtsmöglichkeit.

6 5. Die Vorsitzende hat der Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II

7 Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Truppendienstgericht hat das gerichtliche Disziplinarverfahren zu Recht wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO eingestellt.

8 1. Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. Dazu zählen fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen (z. B. die Verfolgbarkeit von Täter und Tat) sowie schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2004 - 2 WDB 4.03 - NVwZ-RR 2005, 47, vom 4. September 2013 - 2 WDB 4.12 - juris Rn. 14 und vom 30. September 2013 - 2 WDB 5.12 - juris Rn. 11). Die Fortsetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens verbietet sich ebenfalls, wenn ein früherer Soldat bereits auf andere Weise alle Rechte aus seinem Dienstverhältnis verloren hat (BDH, Beschlüsse vom 6. Juli 1960 - WDB 6/60 - BDHE 5, 212 <214 f.> und vom 20. Dezember 1962 - WD 111/62 - BA S. 3 f.; BVerwG, Beschlüsse vom 18. Februar 1982 - 2 WD 1.81 - WKRS 1982, 16231, WoltersKluwer Online und vom 23. Februar 1988 - 2 WD 48.86 - BVerwGE 83, 379 <382>). Auch § 127 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 WDO geht davon aus, dass bei Verlust des Dienstgrades und der sonstigen Rechte aus dem Dienstverhältnis das gerichtliche Disziplinarverfahren eingestellt wird (vgl. Dau/​Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022 § 127 Rn. 6).

9 2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

10 a) Das Reservewehrdienstverhältnis des früheren Soldaten endete bereits mit Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts S. vom 18. Juni 2014. Da der Soldat zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten wegen vorsätzlich begangener Tat verurteilt wurde, verlor er diese Rechtsstellung gemäß § 12 Nr. 4 ResG i. V. m. § 48 Satz 1 Nr. 2 SG kraft Gesetzes. Versorgungsansprüche gegen den Dienstherrn hatte der Soldat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die Übergangsbeihilfe nach § 12 SVG wurde ihm bereits ausbezahlt, Übergangsgebührnisse standen ihm aufgrund der Kürze der Dienstzeit nicht zu.

11 b) Der Soldat hat mit Zugang des Bescheides des Karrierecenters ... vom 29. Januar 2024 seinen Dienstgrad verloren. Dieser Bescheid galt gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG a. F. am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen und ist mit der Bekanntgabe an den früheren Soldaten nach § 43 Abs. 1 VwVfG wirksam geworden. Der Entzug des Dienstgrads durch Verwaltungsakt ist auch von dem Soldaten nicht angefochten worden, so dass der Bescheid des Karrierecenters bestandskräftig ist.

12 c) Soweit die Wehrdisziplinaranwaltschaft ausführt, dass der Entzug des Dienstgrads nicht aufgrund der dafür notwendigen umfassenden Prüfung erfolgt sei, ist dies rechtlich irrelevant. Denn selbst wenn die antragsgemäße Entlassung rechtswidrig wäre, würde dies an der Wirksamkeit des Entlassungsbescheids nichts ändern. Nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nur nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt oder auch nur dargetan. Der dem Verwaltungsakt anhaftende Fehler müsste zum einen schlechterdings unerträglich, das heißt mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar sein. Zum anderen müsste er für einen verständigen Bürger offensichtlich sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 2000 - 11 B 26.00 - NVwZ 2000, 1039 <1040> und Urteil vom 27. April 2023 - 10 C 1.23 - BVerwGE 178, 259 Rn. 24). Im vorliegenden Fall bewegt sich jedoch der vom Karrierecenter ... ausgesprochene Verlust des Dienstgrads in dem von der Rechtsprechung anerkannten rechtlichen Rahmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Mai 2023 - 2 WD 14.22 - NVwZ 2023, 1502 Rn. 21 f.), so dass für einen schweren und offensichtlichen Rechtsmangel nichts ersichtlich ist.

13 3. Die Einstellung des Verfahrens durch die Vorsitzende außerhalb der Hauptverhandlung nach § 108 Abs. 4 WDO war auch nicht ermessensfehlerhaft, da die Frage, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, wenn der Soldat seinen Dienstgrad und seine sonstigen Rechte aus dem Soldatenverhältnis auf andere Weise verloren hat, bereits geklärt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 ‌- 2 WDB 1.18 - NVwZ-RR 2019, 604 Rn. 16 f.).

14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 1 WDO.