Beschluss vom 05.06.2009 -
BVerwG 5 B 80.08ECLI:DE:BVerwG:2009:050609B5B80.08.0

Beschluss

BVerwG 5 B 80.08

  • Hessischer VGH - 10.06.2008 - AZ: VGH 10 UE 1992/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Juni 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist, soweit die Rügen überhaupt den Darlegungsanforderungen in § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügen, jedenfalls unbegründet. Das Beschwerdevorbringen führt auf keinen Revisionszulassungsgrund.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Die Grundsatzrüge wird schon nicht dem Begründungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Eine solche Darlegung setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Die Beschwerde wirft weder ausdrücklich noch sinngemäß eine klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage mit einzelfallübergreifender Bedeutung auf. Sie beschränkt sich stattdessen auf die nicht näher begründete Behauptung, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen (vgl. Beschwerdebegründung Seite 1 und 4) und verhält sich mit ihrem weiteren Vorbringen ausschließlich zu den darüber hinaus geltend gemachten (vermeintlichen) Revisionszulassungsgründen der Divergenz und des Verfahrensmangels.

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4 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

5 Divergenz liegt vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr; z.B. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Die Darlegungserfordernisse erfüllt die Beschwerde nicht, soweit sie lediglich § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zitiert (Beschwerdebegründung Seite 2 und 8) oder pauschal behauptet, mit der Entscheidung des Berufungsgerichts werde „gegen höchstrichterliche Rechtsprechung verstoßen“ (Beschwerdebegründung Seite 6), ohne allerdings eine bestimmte Entscheidung eines übergeordneten Gerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu erwähnen und die angeblich zueinander in Widerspruch stehenden abstrakten Rechtssätze herauszuarbeiten.

6 Soweit die Beschwerde ausdrücklich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2006 - BVerwG 1 C 20.05 - (Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 115) verweist und behauptet, das Berufungsgericht weiche von dieser Entscheidung durch seine Rechtsansicht ab, es sei zulässig, dass der Beklagte den angefochtenen Widerruf im Berufungsverfahren auf eine neue, die richtige Rechtsgrundlage gestützt und sein Ermessen hierzu ausgeübt habe (Beschwerdebegründung Seite 2), steht dem Erfolg dieser Rüge entgegen, dass die angeführte Entscheidung eine andere gesetzliche Bestimmung betraf als die vom Berufungsgericht herangezogene Vorschrift. Gegenstand des vorgenannten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts war die Rücknahme einer rechtswidrigen unbefristeten Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG für die Zeit bis zur Ausweisungsverfügung. In diesem Zusammenhang stellte das Bundesverwaltungsgericht den Rechtssatz auf, dass § 114 Satz 2 VwGO die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür schafft, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt. Einen dem entgegenstehenden Rechtssatz hat das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht aufgestellt. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die nach § 35 Abs. 1 SGB X erforderliche Begründung gemäß § 41 Abs. 2 SGB X nach materiellem Recht bis zur letzten Tatsacheninstanz des gerichtlichen Verfahrens, also noch im Berufungsverfahren nachgeholt werden kann. Im Übrigen unterscheiden sich die beiden Entscheidungen auch dadurch, dass dem angefochtenen Bescheid der Ausländerbehörde in dem vorgenannten Klageverfahren nicht zu entnehmen gewesen ist, dass sich die Ausländerbehörde des Erfordernisses einer Ermessentscheidung bei Erlass des Rücknahmebescheides überhaupt bewusst gewesen ist, wogegen dem vorliegend angefochtenen Widerspruchsbescheid nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zu entnehmen ist, dass sich der Beklagte eines Ermessens bewusst war. Es ging also gerade nicht um den Fall, dass Ermessen erstmals nachträglich ausgeübt worden ist. Die entgegenstehende Bewertung der Klägerin, es habe tatsächlich keine Ermessenserwägung vorgelegen, ist im Rahmen der Divergenzrüge unerheblich.

7 3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

8 a) Der grundrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und der Grundsatz des fairen Verfahrens verlangen von den Gerichten, das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Dementsprechend erfordert eine entsprechende Rüge die substantiierte Angabe, welches tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens verpflichten die Gerichte indessen nicht, dem zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Vorbringen oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch in der Sache zu folgen (vgl. bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör etwa BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - 2 BvR 894/94 - NJW 1995, 2839). Ebenso wenig gewährleisten sie, dass die angegriffene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern ergeht. Sie stellen vielmehr grundsätzlich nur sicher, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (Beschluss vom 3. Januar 2006 - BVerwG 7 B 103.05 - ZOV 2006, 40). Gemessen an diesen Anforderungen legt die Beschwerde die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein faires rechtsstaatliches Verfahren schon nicht entsprechend den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar. Jedenfalls liegen die behaupteten Verfahrensfehler in der Sache nicht vor.

9 Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin, sie habe sich mit dem Geld Möbel gekauft und alles verbraucht (Beschwerdebegründung Seite 6), nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Die Beschwerde nimmt in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Berufungsbegründung vom 23. Oktober 2007 sowie den Schriftsatz der Klägerin vom 9. Juni 2008 Bezug. In der Berufungsbegründung vom 23. Oktober 2007 werden die Kosten für die Anschaffung einer Wohnwand und die Reparatur des Fernsehgerätes konkret beziffert und geltend gemacht, dass diese Beträge von dem Rückforderungsbetrag abzuziehen seien. In dem Schriftsatz vom 9. Juni 2008 wird unter Bezugnahme auf die Klagebegründung vom 18. Februar 2004 pauschal ausgeführt, dass für Hausrat, Mobiliar und Einrichtungsgegenstände Kosten in Höhe von insgesamt 1 184,76 € aufgewandt worden seien. Nach der Klagebegründung handelt es sich dabei um die Summe der Kosten für die Anschaffung von zwei Schränken, einer Spüle mit Armatur, einem Küchenschrank sowie für die Anschaffung einer Waschmaschine und einer Wohnwand sowie für einen Herdanschluss, eine TV-Reparatur und eine Rechnung der Fa. S. Mit den vorstehend aufgelisteten Ausgaben hat sich bereits das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. September 2006 befasst und festgestellt, welche Ausgaben nach Maßgabe des angefochtenen Bescheides zweckentsprechend verwandt wurden und welche nicht (UA S. 8, 9 und 11). Das Berufungsgericht nimmt in dem angefochtenen Beschluss auf dieses Urteil ausdrücklich Bezug und macht sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen (BA S. 6 und 7). Die Beschwerde legt nicht dar, dass über die vorstehend aufgeführten und vom Berufungsgericht berücksichtigten Ausgaben hinaus substantiierte Angaben zu weiteren entscheidungserheblichen Ausgaben gemacht und belegt worden wären, die das Berufungsgericht nicht zur Kenntnis genommen hätte. Dies ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.

10 b) Mit ihren sonstigen zur Begründung der behaupteten Verfahrensmängel gemachten Ausführungen wendet sich die Beschwerde der Sache nach gegen die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im Einzelfall. Sie legt in der Art einer Revisionsbegründung dar, inwiefern sie die Auslegung und Anwendung insbesondere der §§ 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 47 Abs. 2 Satz 2 und 3, 47 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X durch das Berufungsgericht für sachwidrig und fehlerhaft hält und setzt der rechtlichen Bewertung des Berufungsgerichts eine eigene Würdigung entgegen. Damit lassen sich indessen die behaupteten Verfahrensmängel um so weniger darlegen, als hier aufgeworfene Rechtsfragen sich erst stellen, wenn entgegen der vom Berufungsgericht bereits in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung (Beschluss vom 18. September 2007) vorgenommenen Bewertung von einem Ermessensausfall ausgegangen wird.

11 c) Soweit die Beschwerde schließlich einen Verfahrensfehler daraus herleiten will, dass der Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt wurden, obwohl das Berufungsgericht „auf S. 5 des Beschlusses feststellt, dass der Beklagte erst am 22. Januar 2008 im Berufungsverfahren die Ermessensbegründung sowie die richtige Rechtsgrundlage für die Vergangenheit nachgeholt habe“ (Beschwerdebegründung S. 1), ist damit ein Verstoß „gegen den Grundsatz des § 155 Abs. 4 VwGO“ nicht dargetan. Das folgt schon daraus, dass die Auferlegung von Kosten, die durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, im richterlichen Ermessen des Instanzrichters liegt und die Beschwerde weder hierzu noch zu einem Verschulden des Beklagten Ausführungen enthält.

12 4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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13 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf der entsprechenden Anwendung des § 188 Satz 2 VwGO.