Beschluss vom 04.02.2025 -
BVerwG 10 PKH 2.24ECLI:DE:BVerwG:2025:040225B10PKH2.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 04.02.2025 - 10 PKH 2.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:040225B10PKH2.24.0]
Beschluss
BVerwG 10 PKH 2.24
- VG Potsdam - 21.06.2022 - AZ: 9 K 179/19
- OVG Berlin-Brandenburg - 11.04.2024 - AZ: 12 B 29/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Februar 2025
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. April 2024 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Herrn Rechtsanwalt Dr. W., ..., ... R., beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
1 Der Kläger begehrt Zugang zum Geschäftsverteilungsplan des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg für das Geschäftsjahr 2006.
2 Mit Bescheid vom 10. Oktober 2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos.
3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Für eine beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde beantragt der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II
4 Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dafür müsste ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO gegeben sein. Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, muss innerhalb der für die Begründung der Beschwerde geltenden Frist so weit dargelegt werden, wie dies ohne anwaltlichen Beistand möglich und zumutbar ist. Zwar kann von dem nicht anwaltlich Vertretenen, der einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellt, nicht verlangt werden, dass er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder den Verfahrensmangel in der Weise bezeichnet, wie dies für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde selbst nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich wäre. Notwendig ist aber, dass sich aus der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags das Vorliegen eines Zulassungsgrundes in groben Zügen erkennen lässt (BVerwG, Beschluss vom 20. März 2023 - 10 PKH 1.22 - juris Rn. 5 m. w. N.). Daran fehlt es hier. Dem zu berücksichtigenden Vorbringen des Klägers lassen sich keine in diesem Sinne zureichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes entnehmen.
5 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von dem Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2023 - 10 PKH 1.22 - juris Rn. 7). Dass der Kläger diesen Darlegungsanforderungen im Fall einer Nichtzulassungsbeschwerde genügen wird, lässt sich seinem Vorbringen zur Begründung seines Prozesskostenhilfeantrags nicht entnehmen.
6 Zu den unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung angeführten Normen des § 21e Abs. 9 und § 21g Abs. 7 GVG legt der Kläger schon im Ansatz keine ungeklärte Rechtsfrage dar, sondern stellt lediglich allgemein auf deren Bedeutung als bundesgesetzliche Regelungen ab.
7 2. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts hat der Kläger nicht bezeichnet. Der von ihm in Bezug genommene Bundesgerichtshof gehört bereits nicht zu den genannten Gerichten.
8 3. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich auch nicht das Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem der Beschluss des Berufungsgerichts beruhen kann.
9 a) Soweit der Kläger Rechtsprechung, Literatur und seine persönliche Sichtweise der materiellen Rechtslage zum Zugang zu gerichtlichen Geschäftsverteilungsplänen vorträgt, kommt ein Verfahrensfehler des Oberverwaltungsgerichts - oder ein sonstiger Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO - nicht in Betracht.
10 Die in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Beschlusses vom Kläger vorgetragenen Bedenken greifen ebenfalls nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO) verpflichtet das Gericht, entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, nicht aber, jedes Vorbringen der Beteiligten zu bescheiden. Das Gericht muss nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Nur bei Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es sind daher im Einzelfall besondere Umstände deutlich zu machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht. Die (wiederholte) Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe seine eigene Rechtsauffassung zu knapp begründet, führt auf keinen Mangel der Gewährung rechtlichen Gehörs.
11 b) Auch der Verzicht des Berufungsgerichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 130a VwGO führt nicht auf einen Verfahrensfehler in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie - im Hinblick auf die unterschiedliche Zusammensetzung des gerichtlichen Spruchkörpers bei Entscheidungen mit und ohne mündliche Verhandlung - seines Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO).
12 Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zuvor bedarf es einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO. Die anschließende Entscheidung darüber, ob ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. Sie kann nur daraufhin überprüft werden, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat, und ist seitens des Revisionsgerichts nur zu beanstanden, wenn sie auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2023 - 5 C 8.21 - BVerwGE 177, 386 Rn. 28 m. w. N.).
13 Vorliegend unterliegen weder die vom Berufungsgericht durchgeführte Anhörung noch die auf dieser Grundlage getroffene Entscheidung über die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
14 Eine ordnungsgemäße Anhörung zum Beschlussverfahren nach § 130a VwGO setzt voraus, dass die Anhörung unmissverständlich erkennen lässt, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt, und zwar sowohl hinsichtlich der Verfahrensweise - ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss - als auch hinsichtlich der beabsichtigten Sachentscheidung - Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung – (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2023 - 5 C 8.21 - BVerwGE 177, 386 Rn. 10 m. w. N.). Diesen Anforderungen wurde die mit gerichtlichem Schreiben vom 23. Januar 2024 durchgeführte Anhörung gerecht.
15 Die auf dieser Grundlage getroffene Ermessensentscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung beruht weder auf sachfremden Erwägungen noch einer groben Fehleinschätzung. Wie sowohl aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Beschlusses als auch unter Würdigung der ausschließlich auf das materielle Recht bezogenen Stellungnahme des Klägervertreters zum gerichtlichen Anhörungsschreiben vom 23. Januar 2024 deutlich wird, hatte das Berufungsgericht nur über Rechtsfragen zu entscheiden. Feststellungen über streitige Tatsachenfragen bedurfte es nicht. In einer solchen Konstellation, in der nach Aktenlage entschieden werden kann, kann in der Regel auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2019 - 7 B 25.18 - NVwZ 2019, 1854 Rn. 10 m. w. N.). Zugleich geht die Komplexität der aufgeworfenen Fragestellungen, zu denen die im angefochtenen Beschluss in Bezug genommene höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, jedenfalls nicht über durchschnittliche Fallgestaltungen hinaus.
16 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war in der Berufungsinstanz auch nicht deshalb geboten, weil der Kläger an der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht teilgenommen und erfolglos deren Wiedereröffnung beantragt hatte (vgl. hierzu Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. Juni 2022). Ein auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestütztes Begehren, aus diesem Grund vor dem Oberverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchzuführen, hat der Klägervertreter in der Berufungsinstanz nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er sich auf Darlegungen zum materiellen Recht beschränkt.
17 Etwas Anderes kann sich auch nicht daraus ergeben, dass bei der Entscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO über die Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat, vorrangig zu beachten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2023 - 5 C 8.21 - BVerwGE 177, 386 Rn. 28 m. w. N.). Abgesehen davon, dass es auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte grundsätzlich keiner mündlichen Verhandlung vor einem Berufungsgericht bedarf, wenn dieses - wie hier - ohne eigene Ermittlungen nach Aktenlage entscheiden kann (vgl. EGMR, Urteil vom 29. Oktober 1991 - Nr. 36/1990/227/291 - EuGRZ 1991, 420 <421>), ist vorliegend schon der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht eröffnet. Die Norm, die sich ausweislich ihres Wortlauts auf "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" bezieht, schließt zwar auch verwaltungsrechtliche Streitigkeiten ein, wenn die Klage ein vermögenswertes Ziel hat und sich auf eine angebliche Verletzung von Vermögensrechten stützt oder sofern der Ausgang des Verfahrens für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidend ist (BVerwG, Beschluss vom 5. April 2024 - 1 B 7.24 - juris Rn. 6 m. w. N.). Derartiges ist jedoch hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Zugang zu einem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan nicht ersichtlich.
18 c) Soweit der Kläger noch rügt, das Oberverwaltungsgericht habe es versäumt, über sein Begehren zu entscheiden, den Geschäftsverteilungsplan in das Landesarchiv Brandenburg zu geben, hat ein solches Petitum in der insoweit maßgeblichen Antragstellung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers (Schriftsatz vom 8. Dezember 2022) keinen Niederschlag gefunden.