Beschluss vom 04.02.2008 -
BVerwG 1 B 63.07ECLI:DE:BVerwG:2008:040208B1B63.07.0
Beschluss
BVerwG 1 B 63.07
- OVG Berlin-Brandenburg - 28.06.2007 - AZ: OVG 12 B 32.06
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Februar 2008
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der am 14. Februar 1987 geborene Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, lebt bei seiner Großmutter in Serbien. Er beantragte im Dezember 2002 ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem im Bundesgebiet lebenden Vater. Dieser ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet; die Mutter des Klägers hält sich ebenfalls im Bundesgebiet auf und wird geduldet.
2 Der Antrag wurde mit Bescheid vom 9. Juli 2003 abgelehnt; Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung vom 28. Juni 2007 darauf gestützt, dass der Kläger zwar die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG erfülle, aber sein Lebensunterhalt weder im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres (§ 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG) noch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung gesichert gewesen sei (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG). Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
II
3 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
4 1. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei von dem Urteil des Senats vom 18. November 1997 - BVerwG 1 C 22.96 - (Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4 = InfAuslR 1998, 161) in zweifacher Hinsicht abgewichen: Der Senat habe entschieden, dass für die Altersgrenze des § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (Vollendung des 16. Lebensjahres) der Zeitpunkt maßgeblich sei, in dem das ausländische Kind die Aufenthaltserlaubnis beantrage. Demgegenüber stelle das Berufungsgericht zwar auch auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres ab, zusätzlich jedoch auch auf den Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung.
5 Ob die Beschwerde mit diesem Vorbringen eine Abweichung von Rechtssätzen in Anwendung derselben Vorschrift gemäß § 133 Abs. 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ordnungsgemäß bezeichnet hat, kann offen bleiben. Jedenfalls beruht das Berufungsurteil nicht auf der gerügten Abweichung.
6 In der genannten Entscheidung hat der Senat dem Regelungsgehalt des § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sowie anderer vergleichbarer Vorschriften des Ausländergesetzes entnommen, dass für das Lebensalter nicht auf die Berufungsverhandlung, sondern auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen ist. Der Zweck der Vorschrift, Kindern unter 16 Jahren die Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet zu ermöglichen, würde andernfalls weitgehend verfehlt, weil - trotz rechtzeitig gestellten Antrags - der dem Minderjährigen zukommende Schutz vielfach aufgrund des Zeitablaufs entfiele. Insbesondere könne das Kind, das wegen einer rechtswidrigen Ablehnung seines Antrags den Rechtsweg beschreiten müsse, dadurch seinen Anspruch verlieren. Deshalb sei im Interesse der Wirksamkeit der gesetzlichen Schutzfunktion vom Zeitpunkt der Antragstellung auszugehen. Darüber hinaus hat der Senat klargestellt, dass nach Sinn und Zweck der Vorschrift aber auch die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erforderlichen weiteren Voraussetzungen (noch) vor Überschreiten der gesetzlichen Altersgrenze gegeben sein müssen; danach eintretende Sachverhaltsänderungen sind unbeachtlich (ebenso Urteil vom 30. April 1998 - BVerwG 1 C 12.96 - Buchholz 402.240 § 23 AuslG 1990 Nr. 7 = InfAuslR 1998, 382).
7 Das Berufungsgericht hat trotz mittlerweile eingetretener Volljährigkeit des Klägers § 32 Abs. 3 AufenthG angewendet. Es ist der Rechtsprechung des Senats auch insoweit gefolgt, als es für die Sicherung des Lebensunterhalts auf die Situation bei Vollendung des 16. Lebensjahres im Februar 2003 abgestellt hat. Nachdem es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG bereits zu diesem Zeitpunkt als nicht gegeben angesehen hat, beruht seine Entscheidung nicht auf der von ihm darüber hinaus für erforderlich erachteten Prüfung im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung. Soweit der Kläger auf den Zeitpunkt der Beantragung des Visums im Dezember 2002 abstellt, legt er nicht dar, dass die wirtschaftliche Lage seines Vaters anders war als im Februar 2003.
8 Eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2007 (2 BvR 2483/06, InfAuslR 2007, 336) ist schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Soweit die Beschwerde der genannten Entscheidung entnimmt, dass die Ausländerbehörde gemäß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG verpflichtet sei, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen, legt sie nicht dar, mit welchem Rechtssatz sich das Berufungsgericht dazu in Gegensatz stellt. Dies ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr geht es der genannten Entscheidung um das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Diskriminierungsverbot, welches verbietet, ein Aufenthaltsrecht allein deswegen zu versagen, weil eine geschützte eheliche Lebensgemeinschaft besteht, also Ehegatten im Vergleich zu Ledigen allein deshalb schlechter zu stellen, weil sie verheiratet sind. Fragen der Begründung eines Aufenthaltsrechts für Minderjährige, die im Wege des Kindernachzuges einreisen wollen, behandelt die Entscheidung erkennbar nicht. Vielmehr führt die Entscheidung (Rn. 19) aus, dass der Gesetzgeber und die vollziehbare Gewalt trotz Bestehens einer von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Beziehung unter Beachtung der familiären Bindungen im Einzelfall nicht von Verfassungs wegen zur Gewährung eines Aufenthaltsrechts gezwungen seien.
9
2. Die aufgeworfene Grundsatzfrage,
„ob Personen, die während ihrer Minderjährigkeit einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach altem Recht gestellt haben und die im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. im Zeitpunkt der Erfüllung des 16. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung erfüllten, bei Entscheidung in einem gerichtlichen Verfahren nach Vollendung des 16. Lebensjahres bzw. nach Eintritt der Volljährigkeit neben dem Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung/eines Aufenthaltstitels im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung spätestens bis zum 16. Lebensjahr auch den Nachweis des gesicherten nachhaltigen Unterhalts im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag in der letzten Tatsacheninstanz“ (erbringen müssen),
führt nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese Frage erweist sich als nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat - entgegen der Auffassung der Beschwerde - entschieden, dass der Kläger im Zeitpunkt der Erfüllung des 16. Lebensjahres die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG nicht erfüllt.
10 3. Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) sowie der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers zur Sicherung des Lebensunterhalts zwar zur Kenntnis genommen, aber bei der Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt. Zudem habe der Kläger nicht damit rechnen können, dass das Berufungsgericht von dem im Gesetz nicht vorgesehenen Erfordernis einer „nachhaltigen Erwerbssicherung“ ausgehe.
11 Damit und mit dem weiteren Vorbringen der Beschwerde sind die behaupteten Verfahrensverstöße nicht hinreichend bezeichnet. Im Gewande der Gehörs- und Aufklärungsrüge wendet sich die Beschwerde in Wahrheit gegen die ihrer Auffassung nach unzutreffende sachliche Würdigung des Berufungsgerichts; damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.
12 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.