Gerichtsbescheid vom 03.04.2003 -
BVerwG 6 A 5.02ECLI:DE:BVerwG:2003:030403G6A5.02.0
Gerichtsbescheid
BVerwG 6 A 5.02
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-verwaltungsgericht Dr. H a h n , Dr. G e r h a r d t , Dr. G r a u l i c h und V o r m e i e r
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
I
Das Bundesministerium des Innern stellte durch Verfügung vom 8. Dezember 2001 fest, dass sich der "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti), der unter der Bezeichnung "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" ("Islami Cemaatleri ve Cemiyetleri Birligi" - ICCB) im Vereinsregister eingetragen sei, einschließlich bestimmter Teilorganisationen, sowie die "Stichting Dienaar aan Islam" gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten und die innere Sicherheit sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Die genannten Organisationen wurden verboten und aufgelöst. Ferner wurden die Verwendung von Kennzeichen des "Kalifatsstaats" und die Bildung von Ersatzorganisationen verboten und das Vermögen der verbotenen Organisationen beschlagnahmt und eingezogen.
Der Bescheid vom 8. Dezember 2001 erstreckt sich auf den Kläger zu 1. Die Beklagte führte aus, der Kläger zu 1 sei eine Teilorganisation des "Kalifatsstaats". Es handele sich bei ihm um die Verbandsgebietszentrale des "Kalifatsstaats" für Bayern. Metin Kaplan habe den Verein seit 1998 mindestens zweimal besucht. Mieter des Vereinsgebäudes sei die "Stichting Dienaar aan Islam". Der Kläger zu 1 sei regelmäßiger Adressat von Weisungen des "Kalifatsstaats", denen er offenbar zur Zufriedenheit der Zentrale nachkomme.
Der Kläger zu 1 tritt mit seiner Klage der Einbeziehung in die Verbotsverfügung entgegen und stellt in Abrede, eine Teilorganisation des "Kalifatsstaats" zu sein. Die Kläger zu 2 bis 7 sind Mitglieder des Klägers zu 1.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2001 insoweit aufzuheben, als die Ziffern 1, 2, 6, 7, 8, 9 der Verfügung auf den Verein "Islamisches Zentrum e.V.", Ingolstadt, Bezug nehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Klagevortrag entgegen und trägt ergänzende Erkenntnisse vor.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge, die dem Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Einsicht übersandt worden sind, Bezug genommen.
II
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die vorliegende erstinstanzliche Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO).
1. Die Klagen der Kläger zu 2 bis 7 sind unzulässig und bereits deshalb abzuweisen. Die Kläger zu 2 bis 7 können nicht geltend machen, durch die Einbeziehung des Klägers zu 1 in die Verbotsverfügung in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung ist nur die verbotene Vereinigung befugt, nicht hingegen ein
Mitglied (vgl. Urteil vom 13. August 1984 - BVerwG 1 A 26.83 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 7 = DÖV 1984, 940; Beschluss vom 2. März 2001 - BVerwG 6 VR 1.01 - Buchholz a.a.O. Nr. 34). Eine Verbotsverfügung betrifft nicht die individuelle Rechtsstellung natürlicher Personen, sondern die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen, die zur Verteidigung ihrer Rechte ungeachtet ihrer Rechtsform beteiligungsfähig ist (§ 61 Nr. 2 VwGO) und im Rechtsstreit durch ihren Vorstand vertreten wird (§ 62 Abs. 3 VwGO). Gleiches gilt für die Klage einer Vereinigung, mit der sie sich gegen die Erstreckung einer Verbotsverfügung auf sich wendet.
Soweit sich die Kläger zu 2 bis 7 gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, die angeblich gegen sie im Zusammenhang mit dem Vorgehen der Beklagten gegen den Kläger zu 1 erhoben worden sind, machen sie eine Beschwer geltend, die nicht im Rahmen einer Klage gegen die Erstreckung einer Verbotsverfügung auf eine Vereinigung als Teilorganisation des verbotenen Vereins geltend gemacht werden kann. Wie noch darzulegen ist, prüft das Gericht auf eine derartige Klage hin lediglich, ob eine Teilorganisation vorliegt.
2. Die Klage des Klägers zu 1 - im Folgenden: Kläger - ist zulässig, aber unbegründet. Die Erstreckung der gegen den "Kalifatsstaat" ergangenen Verbotsverfügung auf den Kläger findet in § 3 Abs. 3, § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG ihre rechtliche
Grundlage und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Gemäß § 3 Abs. 3 VereinsG, der auch für Ausländervereine gilt, erstreckt sich das Verbot eines Vereins grundsätzlich auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Auf nichtgebietliche Teilorganisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit erstreckt sich das Verbot nur, wenn sie in der Verbotsverfügung ausdrücklich benannt sind.
aa) Voraussetzung für das Vorliegen einer Teilorganisation ist eine Identität zwischen dem Verein als Ganzem und seiner Gliederung. Die Gliederung muss tatsächlich in die Gesamtorganisation eingebunden sein und im Wesentlichen von ihr beherrscht werden, auch wenn eine totale organisatorische Eingliederung nicht notwendig ist. Indizien dafür können sich etwa aus der personellen Zusammensetzung, den Zielen, der Tätigkeit, der Finanzierung, aus Verflechtungen bei der Willensbildung und aus Weisungsgegebenheiten ergeben (vgl. zusammenfassend Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 A 13.93 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 26 S. 98 f. = NVwZ 1998, 174).
Auch Religionsgemeinschaften, die seit In-Kraft-Treten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 4. Dezember 2001 (BGBl I S. 3319) am 8. Dezember 2001 dem Vereinsgesetz unterfallen, können Teilorganisationen aufweisen. Der Zweck eines Vereins und seine geistigen Grundlagen - die gemeinsamen Überzeugungen seiner Mitglieder - sind für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG nicht unmittelbar von Bedeutung. Allerdings können sich Menschen gemeinsamen Glaubens oder religiösen Bekenntnisses - eher als etwa Vereinigungen mit vergleichbar umfassender Zielsetzung wie etwa politische Parteien - in Gemeinden zusammenfinden, die gegenüber einer gemeinsamen übergemeindlichen Organisation ein gewisses Maß an Autonomie aufweisen. Daher wird bei Religionsgemeinschaften der tatsächlichen Frage besonderes Augenmerk zu widmen sein, ob die Gesamtorganisation als bloßer Dachverband anzusehen ist, dem die Mitgliedsorganisationen mehr oder weniger locker angeschlossen sind (vgl. näher dazu Beschluss vom 6. Juli 1994 - BVerwG 1 VR 20.93 - Buchholz 402.45 Nr. 18, S. 17), oder ob ein Gesamtverband vorliegt, dem die Gemeinden als Teilorganisationen eingegliedert sind. Letzteres setzt voraus, dass über die geistliche Führung durch eine übergemeindliche Institution hinaus eine hierarchische Verbandsstruktur mit einer Organisation vorliegt, die der Umsetzung der Entscheidungen des Zentralverbandes auf der Ebene der Gemeinden dient.
bb) Teilorganisationen werden auf Grund ihrer Identität mit dem Gesamtverein ohne weiteres von dessen Verbot erfasst. Sie müssen nicht selbst einen Verbotsgrund erfüllen und können die Verbotsverfügung auch nur mit der Begründung anfechten, keine Teilorganisation zu sein (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 6. Juli 1994, a.a.O., S. 14, 17, sowie Urteil vom 28. Januar 1997, a.a.O.). Dies ist auch in dem Fall verfassungsrechtlich unbedenklich, in dem es sich bei der Teilorganisation um eine Religionsgemeinschaft handelt, die die religiöse Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV für sich beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 83, 341, 354 f.). Erweist sich das Verbot des Gesamtvereins, bei dem es sich um eine Religionsgemeinschaft handelt, wie hier auch mit Blick auf die religiöse Vereinigungsfreiheit als gerechtfertigt, gilt für die entsprechende Teilorganisation nichts anderes.
Der Erwägung, die Beklagte hätte den Muslimgemeinden, die sie als Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" ansieht, die Möglichkeit geben müssen, sich von diesem zu distanzieren, ist
nicht zu folgen. Weder war der Gesetzgeber gehalten, insoweit Übergangsregelungen zu schaffen, noch bestand Anlass zu einer entsprechenden Gestaltung des Verwaltungsverfahrens. Hat nämlich eine Muslimgemeinde die Möglichkeit, sich jederzeit von der Zentrale des "Kalifatsstaats" abzukoppeln und ohne Verlust ihrer Identität selbständig fortzubestehen, ist sie keine Teilorganisation im dargestellten Sinn. Ist hingegen die Muslimgemeinde in der Weise in den "Kalifatsstaat" eingegliedert, wie es für eine Teilorganisation zu fordern ist, fehlt es an einer solchen Möglichkeit. Die so genannte Distanzierung wäre in diesem Fall in Wahrheit die (verdeckte) Neugründung einer anderen Vereinigung unter Aufgabe der bisherigen Identität.
Entsprechendes gilt für das Vorbringen, die Aktivitäten des "Kalifatsstaats" seien in der Vergangenheit nicht verboten gewesen und deshalb könnten Muslimgemeinden, die sich ihm in gutem Glauben angeschlossen oder Vorteile aus dem Kontakt mit ihm gezogen hätten, nicht abrupt in dessen Verbot einbezogen werden. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 27. November 2002 - BVerwG 6 A 4.02 - ausgeführt hat, konnte der "Kalifatsstaat" verfassungsrechtlich keine "Anpassungsfrist" beanspruchen. Gleiches gilt für seine Teilorganisationen. Denn diese teilen ohne weiteres das Schicksal des Gesamtvereins, dem sie angehören.
b) Der Kläger ist eine Teilorganisation des mit der angefochtenen Verfügung verbotenen "Kalifatsstaats". Darauf weisen zur Überzeugung des erkennenden Senats die vorliegenden Tatsachen hin. Die schriftsätzlichen Äußerungen des Klägers haben sie nicht entkräftet.
aa) Der "Kalifatsstaat" versteht sich als Staat mit eigenem Rechtssystem (Scharia) und eigener Staatsgewalt unter der Leitung des Kalifen. Die Organisationsstrukturen sind denen eines Staates vergleichbar. Neben einer Stabsorganisation, die der Zentrale zugeordnet ist, besteht eine Gliederung nach Gebieten ("Bölge"), denen die Gemeinden angehören und die von "Gebietsemiren" geleitet werden. Die Gesamtorganisation ist hierarchisch aufgebaut und darauf ausgerichtet, den - allein maßgeblichen - Willen des Kalifen durchzusetzen. Auf die unbestrittene Darstellung der Verbandsstrukturen in der Verfügung vom 8. Dezember 2001 (S. 8 ff.) wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Das Selbstverständnis des "Kalifatsstaats" als eines real existierenden Staatswesens und der Absolutheitsanspruch der von ihm propagierten Lehren schließen es konsequenterweise praktisch aus, dass eine Muslimgemeinde, die in den Verband des "Kalifatsstaats" aufgenommen ist, eine andere Stellung als die einer Teilorganisation innehat.
bb) Der "Kalifatsstaat" hat den Kläger als ihm zugehörig angesehen. Er hat im Rahmen der Anfechtung der Verfügung vom 8. Dezember 2001 die Einordnung des Klägers als seine Teilorganisation nicht nur unwidersprochen gelassen, sondern ihn vielmehr in seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einbezogen. Der Kläger ist in einer Adressenliste aufgeführt, die in einem PC der Zentrale gefunden wurde und die dem "Kalifatsstaat" angehörende Vereine enthält. Der Kläger ist ferner in Organisationsübersichten des "Kalifatsstaats" enthalten.
cc) Der Kläger hat sich nach außen als Niederlassung des "Kalifatsstaats" dargestellt. Am Haupteingang war die grüne Vereinstafel (Preisung Allahs und Mohammeds mit der Aufschrift "Hilafet Devleti") angebracht, am Dach die entsprechende Vereinsfahne gehisst. Der Kläger trägt dazu vor, einzelne Aktionen wie das Anbringen von Plakaten, insbesondere das Aufstecken der Kalifatsstaatsflagge auf das Dach der Moschee in Ingolstadt seien von unbekannten Einzelnen ausgeführt worden und ihm nicht zuzurechnen; ferner sei der Schriftzug "Kalifatsstaat" kaum erkennbar gewesen und nicht in Zusammenhang mit einer unzulässigen Tätigkeit in Verbindung gebracht worden; die verwendeten Gegenstände seien Geschenke gewesen, und ihr Gebrauch sei nicht Ausdruck einer politischen Gesinnung. Der Vortrag überzeugt nicht. Es ist unglaubhaft, dass die zur Selbstdarstellung einer Vereinigung in der Öffentlichkeit verwendeten Symbole und ihre Anbringung von dem Vorstand dieser Vereinigung nicht gebilligt worden sind.
In die gleiche Richtung deuten Exemplare der Ramadan-Kalender 1997 und 2001 des "Kalifatsstaats" für Ingolstadt mit der Adresse der Moschee des Klägers.
dd) Auf die organisatorische Einbindung des Klägers in den "Kalifatsstaat" weisen der Umstand, dass seine Moschee als Tagungsort für Veranstaltungen des "Kalifatsstaats" diente und ihm in diesem Rahmen auch sonst Funktionen zukamen, sowie eine Reihe von Asservaten hin.
Das Programm über eine Gebietstagung des "Kalifatsstaats" in Augsburg schließt mit der Festlegung, dass Ort der nächsten Tagung Ingolstadt ist. Der Kläger findet sich im Verteiler mehrerer Schreiben der Zentrale des "Kalifatsstaats". Nach einem Rundschreiben des Kalifen Metin Kaplan vom 6. August 1996 fand am 21. Juli 1996 in Ingolstadt eine Bezirksversammlung statt, bei der dem Kläger zu 2 - von der Identität des A. b. M. mit diesem ist nach der überzeugenden Auswertung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz des bei Metin Kaplan sichergestellten Telefonverzeichnisses vom 7. April 1998 auszugehen, auch wenn der Kläger dies bestreitet - das Amt des Bezirksjugendemirs übertragen wurde. Als Mitglieder des Gebietsrats von Bayern des "Kalifatsstaats" sind die Kläger zu 2, 5 und 6 für Ingolstadt bestellt worden; in der dabei vorgenommenen "Aufteilung der Städte in Vereine für Benachrichtigungen" ist Ingolstadt enthalten. Nach Erkenntnissen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, denen der Kläger nicht entgegengetreten ist, wurden in der Moschee des Klägers in den Jahren 2000 und 2001 mehrere Veranstaltungen des "Kalifatsstaats" durchgeführt (Koranschule, Koranlesung, Kermes-Veranstaltung, Frauenveranstaltung).
Das beim Kläger und seinen Mitgliedern asservierte Schriftgut, darunter Blanko-Treueerklärungen für Metin Kaplan und Erklärungen und Vorschriften des "Kalifatsstaats" (vgl. im Einzelnen die Auswertung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 22. März 2002 S. 4 f.), deutet ebenfalls auf die Einordnung des Klägers in die Hierarchie des "Kalifatsstaats" hin. Entgegen dem Vortrag des Klägers kommt es nicht darauf an, ob ein Vereinsmitglied nachweislich eine Treueerklärung auf Metin Kaplan oder seine Vereinigung geleistet hat. Vielmehr hat der Umstand, dass entsprechende Vordrucke vorgehalten wurden, als solcher die Bedeutung eines Indizes für die Abhängigkeit des Klägers von dem "Kalifatsstaat", dessen Wirken durch die Person des Kalifen geprägt war. Individuell an den Kläger gerichtete Befehle der Zentrale sind zwar nicht gefunden worden, doch lässt sich damit die Aussagekraft der vorliegenden Hinweistatsachen nicht in Frage stellen. Bereits das Vorhandensein von Rundschreiben und ähnlichen allgemein gehaltenen Weisungen stellt ein gewichtiges Indiz für die Steuerung des Klägers als einer nachgeordneten Organisationseinheit durch die Zentrale dar.
ee) Der Kläger weist ferner personelle Verflechtungen mit dem "Kalifatsstaat" auf. Wie erwähnt, nahm der Kläger zu 2, der zunächst erster, später zweiter Vorsitzender des Vorstands des Klägers war, die Aufgabe des Jugendemirs des "Kalifatsstaats" für Bayern wahr und an einer Versammlung der Sura (Ratsversamlung) am 28. März 1998 teil. Eine Repräsentantenliste des "Kalifatsstaats" für den Bezirk Bayern aus dem Jahr 1993 enthält auch für das Emirat Ingolstadt einen Eintrag. In einer im September 1997 beim Augsburger "Kalifatsstaats"-Funktionär P. gefundene Mitgliederliste des "Kalifatsstaats" sind auch Namen von Klägern und weiteren Vereinsmitgliedern aufgeführt.
ff) Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenhänge des Klägers mit dem "Kalifatsstaat" sind zunächst darin zu sehen, dass die "Stichting Dinaar aan Islam" die Vereinsräumlichkeiten des Klägers gemietet hat. Der Vortrag des Klägers, er habe die Miete gezahlt und - anders als andere Vereine - niemals Zahlungen von der "Stichting Dinaar aan Islam" erhalten sowie von der für ihn von dieser gegebenen Bürgschaft keinen Gebrauch gemacht, mag, auch wenn er nicht belegt ist, zutreffen. Auch dann liegt aber in gewissem Umfang eine Abhängigkeit des Klägers von der "Stichting Dinaar aan Islam" vor, die als Vermögensverwalterin des "Kalifatsstaats" anzusehen ist.
Die Asservate umfassen eine Reihe von Quittungen über Zahlungen des Klägers an den "Kalifatsstaat" für Publikationen (Bücher, Zeitschriften, Videokassetten, CD, HAKK-TV), Ramadan-Kalender und eine Fahne aus den Jahren 1997 bis 2001. Spenden an die "Stichting Dinaar aan Islam" sowie Belege über Einkäufe bei KAR-BIR, dem Lebensmittelvertrieb des "Kalifatsstaats", bestätigen, dass der Kläger zu diesem finanzielle und wirtschaftliche Beziehungen unterhielt. Auf den Einwand, von Privatpersonen geleistete Zahlungen seien ihm ebenso wenig zurechenbar wie deren Einkäufe bei dem "Kalifatsstaat" nahestehenden Einrichtungen und im Übrigen würden Spenden in Erfüllung einer moralischen Pflicht des Islam geleistet, ist zu entgegnen, dass die genannten Umstände jeweils für sich ohne entscheidende Aussagekraft sein mögen, aber den Eindruck unterstreichen, der sich in Würdigung der erwähnten anderen Tatsachen ergibt. Insofern ist auch das Verhalten der Mitglieder des Klägers von gewisser Bedeutung, so dass die Frage offen bleiben kann, ob es dem Kläger nicht deshalb zuzurechnen ist, weil der Ausschließlichkeitsanspruch des "Kalifatsstaats" eine gewissermaßen beiläufige Benutzung seiner Einrichtungen kaum zugelassen haben dürfte.
gg) Besuche des Kalifen Metin Kaplan im Juli 1996, Mai und November 1998 unterstreichen die Bedeutung des Klägers für den "Kalifatsstaat" und lassen sich nur so verstehen, dass er eine wichtige Stellung in dessen Gesamtgefüge eingenommen hat. Die Zahl der Mitglieder des Klägers, die sich zu einer ICCB-Demonstration am 4. November 2000 begaben, deutet auf eine Verbundenheit mit dem "Kalifatsstaat" hin, die nicht, wie der Kläger meint, als Ausdruck (allgemeiner) religiöser Solidarität erklärt werden kann.
hh) Die genannten Tatsachen belegen bei der Gesamtwürdigung aller Umstände, dass es sich beim Kläger um eine Teilorganisation des "Kalifatsstaats" handelt. Es liegen nicht nur geringe Berührungspunkte Einzelner - so der Vortrag des Klägers - vor. Vielmehr hat der "Kalifatsstaat" den Kläger als Teilorganisation angesehen. Der Kläger hat sich nach außen ebenso dargestellt. Die Fülle des asservierten Materials, das auf enge organisatorische, wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen zwischen Zentrale und Kläger hindeutet, und die personellen Verknüpfungen bestätigen die Abhängigkeit des Klägers vom "Kalifatsstaat". Mit dem Selbstverständnis des Kalifen Metin Kaplan wären die Besuche beim Kläger unvereinbar. Umgekehrt bestand erkennbar ein Zugehörigkeitsgefühl zum "Kalifatsstaat", wie sich aus der erwähnten Demonstrationsteilnahme ergibt.
c) Die angefochtene Verfügung weist in Bezug auf den Kläger auch sonst keine rechtlichen Mängel auf. Der Kläger macht insoweit geltend, dass ein Totalverbot unverhältnismäßig sei; vorrangig sei ein Betätigungsverbot; auch sei der Kläger bereit, sich Auflagen zu unterwerfen.
Entgegen der Ansicht des Klägers hatte die Beklagte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gesondert mit Blick auf den Kläger zu beachten. Wie dargelegt, teilen Teilorganisationen ohne weiteres das rechtliche Schicksal des Gesamtvereins. Auf Grund der Feststellung, dass der Kläger eine Teilorganisation des "Kalifatsstaats" ist, erübrigen sich daher die geltend gemachten Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Vereinsverbots gerade gegenüber dem Kläger.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 VWGO.
Rechtsbehelfsbelehrung
Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragen. Der Antrag ist beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Hierfür besteht Vertretungszwang. Jeder Beteiligte muss sich, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Bardenhewer Hahn Gerhardt