Verfahrensinformation

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entziehung des Sicherheitsbescheids.


Der Bundesnachrichtendienst (BND) berief den 1997 geborenen Kläger zur Ableistung des Vorbereitungsdienstes für den gehobenen Dienst zum 1. Oktober 2019 in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf. In diesem Zusammenhang erteilte der BND dem Kläger den für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Sicherheitsbescheid.


In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Vorfällen, die aus Sicht des BND Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers begründeten und nicht ausgeräumt werden konnten. Im März 2022 entzog der BND dem Kläger daher mit sofortiger Wirkung den Sicherheitsbescheid. Ungeachtet dessen ermöglichte der BND dem Kläger die Fortsetzung seines Studiums unter strikter Einhaltung sicherheitlicher Vorgaben, stellte hierbei jedoch klar, dass eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe aufgrund der fehlenden sicherheitlichen Eignung nicht in Betracht komme.


Im September 2022 teilte der BND dem Kläger mit, die schriftliche Abschlussprüfung und damit auch die Laufbahnprüfung nicht bestanden zu haben. Mit Bescheid vom September 2022 entließ der BND den Kläger zum 30. September 2022 unter Verweis auf den Entzug des Sicherheitsbescheids aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.


Der Kläger hat im März 2023 Klage erhoben. Er macht insbesondere geltend, Zweifel an seiner Zuverlässigkeit seien nicht berechtigt. Die Beklagte habe nicht dargelegt, worin konkret das sicherheitliche Risiko bestehen solle.


Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klage sei nicht nur unzulässig, sondern auch unbegründet. Der Kläger biete nicht die Gewähr dafür, bei Erledigung der Dienstgeschäfte die notwendigen sicherheitsbezogenen Einschätzungen zu treffen und sein Handeln danach auszurichten. Im Zweifel sei dem Sicherheitsinteresse Vorrang einzuräumen.


Beschluss vom 02.05.2024 -
BVerwG 2 A 2.23ECLI:DE:BVerwG:2024:020524B2A2.23.0

Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Vorverfahrens

Leitsatz:

Die Klage eines Beamten gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids betrifft einen Vorgang aus dem Beamtenverhältnis i. S. v. § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG. Sie bedarf daher der Durchführung eines Vorverfahrens.

  • Rechtsquellen
    BBG § 126 Abs. 2 Satz 1
    SÜG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
    VwGO § 43 Abs. 1, § 68 Abs. 1 Satz 1, § 75 Satz 3

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.05.2024 - 2 A 2.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:020524B2A2.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 A 2.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Mai 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
beschlossen:

Das Verfahren wird zur Nachholung des Vorverfahrens bis zum 31. Juli 2024 ausgesetzt.

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Entziehung des Sicherheitsbescheids.

2 Der Kläger stand seit 1. Oktober 2019 als Beamter auf Widerruf im Vorbereitungsdienst für den gehobenen Dienst im Bundesnachrichtendienst (BND), unter dem 2. Oktober 2019 erhielt er den sog. Sicherheitsbescheid und damit Zugang zu Verschlusssachen. Ab September 2021 wandte er sich in immer kürzeren Zeitabständen mit einer Vielzahl sicherheitsbezogener Anfragen und Eingaben an den Sicherheitsbeauftragten des Zentrums für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung sowie das Referat Personelle Sicherheit des BND. Anlass hierzu waren Unsicherheiten des Klägers im Umgang mit "fordernden" Familienangehörigen und von ihm selbst gemeldetes "Fehlverhalten" im Umgang mit sicherheitsrechtlichen Anforderungen. Im Dezember 2021 entzog der BND dem Kläger vorläufig den Sicherheitsbescheid und sprach ein Zutrittsverbot für sämtliche BND-Liegenschaften aus.

3 Mit Verfügung vom 4. März 2022 entzog der Geheimschutzbeauftragte des BND dem Kläger den Sicherheitsbescheid. Aus Umfang, Art und Inhalt der vom Kläger gemeldeten Sicherheitsvorfälle sowie den hierzu geführten Gesprächen ergäben sich tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit und Eignung des Klägers für den Umgang mit Verschlusssachen. Er habe eine Überforderung im Umgang mit Verschlusssachen gezeigt und eine fehlende Fähigkeit zur eigenständigen Erfassung und Bewertung sicherheitsrechtlicher Angelegenheiten offenbart.

4 Um dem Kläger gleichwohl einen Abschluss seiner Ausbildung zu ermöglichen, vereinbarten die Beteiligten nachfolgend Modalitäten zur Fortführung seines Studiums. Die schriftliche Abschlussprüfung bestand der Kläger nicht. Mit Verfügung vom 30. September 2022 entließ der BND den Kläger daraufhin aus dem Beamtenverhältnis. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entscheiden.

5 Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die vom Geheimschutzbeauftragten des Bundesnachrichtendienstes am 4. März 2022 verfügte Entziehung des Sicherheitsbescheids den Kläger in seinen Rechten verletzt.

6 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

7 Sie macht geltend, die Klage sei bereits unzulässig. Es fehle an der Durchführung eines Vorverfahrens, die Feststellungsklage sei im Hinblick auf die Möglichkeit der Anfechtung der bereits verfügten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis subsidiär und dem Kläger fehle ein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung. Darüber hinaus erweise sich die Klage auch als unbegründet, weil die Entziehung des Sicherheitsbescheids rechtmäßig sei.

8 Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger mitgeteilt, er sei seit September 2023 als Beamter auf Widerruf bei der Bundeswehr beschäftigt und habe dort eine positive Sicherheitsüberprüfung der 2. Stufe erhalten.

II

9 Die Klage ist derzeit unzulässig, weil es an der Durchführung des gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG erforderlichen Vorverfahrens fehlt (1.). Diese für den Erlass der begehrten Sachentscheidung erforderliche Voraussetzung kann aber nachgeholt werden, sodass das gerichtliche Verfahren auszusetzen ist (2.).

10 1. Die von einem Beamten gegen den Entzug des Sicherheitsbescheids gerichtete Klage bedarf der Durchführung eines Vorverfahrens.

11 a) Die Erforderlichkeit der Durchführung eines Vorverfahrens ergibt sich zwar nicht bereits aus § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Entzug des Sicherheitsbescheids ist kein Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Satz 1 VwVfG.

12 Anders als die bloße Mitteilung über das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens und die darin enthaltende Feststellung eines Sicherheitsrisikos (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2018 - 6 A 6.18 - juris Rn. 3 m. w. N.; OVG Münster, Beschluss vom 10. September 2020 - 1 B 1716/19 - juris Rn. 17 ff.) wird die hieran anknüpfende Entziehung des Sicherheitsbescheids zwar dem Beamten gegenüber ausgesprochen und kann daher nicht als rein interner Vorgang qualifiziert werden.

13 Auch der Entzug des Sicherheitsbescheids betrifft den betroffenen Beamten indes nicht in seiner persönlichen Rechtsstellung (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1989 - 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <261 f.> und vom 24. November 1994 ‌- 2 A 5.93 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 122 Rn. 11; Eicholt, ZBR 2012, 154 <155>). Denn der Sicherheitsbescheid regelt den Zugang zu Verschlusssachen, den ein Beamter − wie hier der Kläger − nur in dienstlicher Eigenschaft haben darf und kann. Der Regelungsgehalt der Maßnahme betrifft die persönliche Rechtsstellung des Beamten daher nicht.

14 Aus dem Umstand, dass sich aus der Verfügung ggf. weitere nachteilige Wirkungen ergeben können − etwa im Fall des Wechsels in die Privatwirtschaft und einer angestrebten Tätigkeit im Rüstungsbereich o. ä. − und die Maßnahme daher zu einer Einschränkung der beruflichen Einsatzmöglichkeit führen kann (vgl. hierzu etwa Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, Vor § 1 Rn. 21 oder Däubler, SÜG, 2019, § 14 Rn. 31 ff.), folgt nichts anderes. Derartig mittelbare Folgen können ggf. zwar ein Feststellungsinteresse für die Klage gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids begründen. Sie ändern aber nichts daran, dass die Maßnahme selbst nicht auf die persönliche Rechtsstellung des Klägers bezogen ist und − anders als etwa beim Verbot des Tragens einer Tätowierung − auch nicht zwangsläufig in seine persönlichen Rechte eingreifen muss.

15 b) Die Notwendigkeit eines Vorverfahrens folgt aber aus § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG. Denn das Verfahren betrifft einen Vorgang aus dem Beamtenverhältnis.

16 Das Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 413), betrifft nicht nur Beamte und stellt für sich genommen auch keine beamtenrechtliche Regelung dar. Hieraus folgt indes nicht, dass die entsprechende Klage eines Beamten keine Streitigkeit aus dem Beamtenverhältnis ist; an der entgegenstehenden Auffassung im Urteil vom 31. März 2011 - 2 A 3.09 - (Rn. 16 ff. zu § 126 Abs. 1 und 3 BRRG) hält der Senat nicht fest.

17 Soweit ein Beamter betroffen ist, handelt es sich beim Entzug des Sicherheitsbescheids um eine innerdienstliche Maßnahme, mit der die Eignung eines Beamten für bestimmte Verwendungen und Dienstposten (vorab) geklärt wird. Die Klage betrifft damit unmittelbar die dienstliche Verwendbarkeit des Beamten und folglich sein Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - 2 A 5.93 - Rn. 11). Mit der Sicherheitsüberprüfung wird über die Möglichkeiten der künftigen dienstlichen Verwendung entschieden − im Fall des BND sogar über die Einsatz- und Verwendungsmöglichkeit an sich. Auch materiell betrachtet ist die Sicherheitsüberprüfung Bestandteil der Eignungsprüfung des Beamten und unterliegt daher der Beurteilungsbefugnis des Dienstherrn (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 30). Damit handelt es sich bei der gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids gerichteten Klage um eine solche aus dem Beamtenverhältnis, für die es nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG eines Vorverfahrens bedarf.

18 2. Die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens stellt indes eine Sachurteilsvoraussetzung dar, die erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erfüllt sein muss. Das gerichtliche Verfahren kann daher zur Nachholung des Vorverfahrens ausgesetzt werden.

19 a) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Durchführung eines vorgeschriebenen Vorverfahrens nicht eine notwendige Voraussetzung für das gerichtliche Tätigwerden schlechthin darstellt, sondern als "Sachentscheidungsvoraussetzung" (erst) im Zeitpunkt der für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung erfüllt sein muss (vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1956 - 1 C 36.56 - BVerwGE 4, 203 <204> und vom 20. Januar 1966 - 1 C 24.63 - BVerwGE 23, 135 <136>). Das Vorverfahren kann daher auch noch während des bereits anhängigen Klageverfahrens nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1983 ‌- 7 C 97.81 - NVwZ 1984, 507 Rn. 10).

20 Hierfür kann das Klageverfahren in entsprechender Anwendung des § 75 Satz 3 VwGO ausgesetzt werden (vgl. etwa Porsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 68 Rn. 35 sowie W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 68 Rn. 5).

21 b) Von dieser Möglichkeit macht der Senat vorliegend Gebrauch, weil die Klage im Übrigen zulässig ist.

22 Gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids ist die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1989 - 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <262 f.> und vom 31. März 2011 - 2 A 3.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 24 Rn. 13 ff.). Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Rechtsverhältnis. Die streitige Frage, ob dem Kläger die sicherheitsrechtliche Eignung für den Zugang zu Verschlusssachen abgesprochen werden kann, ist auch feststellungsfähig.

23 Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Klage auch nicht als subsidiär im Hinblick auf die bereits verfügte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis angesehen werden. Beide Maßnahmen weisen unterschiedliche Regelungsgegenstände mit eigenständigen Wirkungen auf. Ob die Entlassung bereits aus anderen Rechtsgründen gerechtfertigt ist − insbesondere wegen des Nichtbestehens der Laufbahnprüfung −, steht im Übrigen (noch) nicht fest. Denn über den insoweit erhobenen Widerspruch des Klägers ist noch nicht entschieden worden.

24 Auch das Feststellungsinteresse für die streitgegenständliche Klage besteht. Zum einen schränkt die Feststellung eines in seiner Person liegenden Sicherheitsrisikos die künftige Verwendungsmöglichkeit des Klägers − und damit ggf. auch seine Rechtsstellung aus Art. 33 Abs. 2 GG − ein. Zum anderen ist die streitgegenständliche Frage jedenfalls zum Teil vorgreiflich für das noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Entlassungsverfahren.