Beschluss vom 02.05.2007 -
BVerwG 4 A 2002.07ECLI:DE:BVerwG:2007:020507B4A2002.07.0
Beschluss
BVerwG 4 A 2002.07
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
- Der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut darüber zu entscheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um Frachtflüge zum Transport von Expressgut geht, über die unter A II. 4.7.1. des Planfeststellungsbeschlusses vom 4. November 2004 in der Gestalt des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 9. Dezember 2005 getroffenen flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird. Soweit der Planfeststellungsbeschluss dieser Verpflichtung entgegensteht, wird er aufgehoben.
- Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
- Von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen tragen die Kläger zu 1 und 2 (als Gesamtschuldner), die Kläger zu 3 und 4 (als Gesamtschuldner), der Kläger zu 5, der Kläger zu 6 und die Kläger zu 7 und 8 (als Gesamtschuldner) je 1/6.
- Der Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils 1/12 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Kläger. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 75 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Kläger wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Leipzig (im Folgenden: Beklagter) für das Vorhaben „Ausbau des Verkehrsflughafens Leipzig/Halle Start-/Landebahn Süd mit Vorfeld“ vom 4. November 2004. Die Kläger zu 3 bis 6 sind Eigentümer von Wohngrundstücken, die innerhalb des festgesetzten Nachtschutzgebiets liegen. Die Wohngrundstücke der übrigen Kläger werden von der Kontur des Nachtschutzgebietes nicht umfasst. Die Kläger üben insbesondere Kritik an der Zulassung eines nahezu unbeschränkten Nachtflugbetriebs und am Konzept des passiven Lärmschutzes, das sie in mehrfacher Hinsicht für verbesserungsbedürftig halten.
2 Mit ihren Klagen beantragen die Kläger in erster Linie, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben; weiter stellen sie verschiedene Hilfsanträge.
3 Der Beklagte und die Beigeladene beantragen Abweisung der Klage.
4 Gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 haben mehr als 20 Einzelpersonen und Rechtsgemeinschaften Klagen erhoben. Der beschließende Senat hat von der ihm durch § 93a Abs. 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, vorab ein Musterverfahren durchzuführen und die übrigen Verfahren auszusetzen. Die Beteiligten aller Verfahren, auch die Kläger, sind dazu gemäß § 93a Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört worden. Die Kläger, deren Klagen nicht als Musterverfahren vorgesehen waren, haben sich ebenso wie der Beklagte und die Beigeladene mit dem beabsichtigten Vorgehen einverstanden erklärt. Ihre Verfahren wurden gemäß § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgesetzt.
5 Über die ausgewählten Musterklagen ist auf die mündliche Verhandlung vom 24. und 25. Oktober 2006 durch Urteile vom 9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 - (NVwZ 2007, 445) entschieden worden. Die Anfechtungsklagen wurden abgewiesen, die hilfsweise erhobenen Anträge auf Planergänzung hatten teilweise Erfolg, soweit es um die Einschränkung des Nachtflugbetriebs ging.
6 Mit Schreiben vom 16. Januar 2007 hat das Gericht die Kläger darauf hingewiesen, dass ihre Verfahren nach dem rechtskräftigen Abschluss der Musterverfahren fortzuführen seien, gegebenenfalls auch nach Maßgabe des § 93a Abs. 2 VwGO. Dem Schreiben war ein Abdruck des Musterurteils vom 9. November 2007 und des Protokolls über die mündliche Verhandlung beigefügt. Die Kläger haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt, als der Planfeststellungsbeschluss im Musterurteil als rechtmäßig bestätigt worden ist. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen.
7 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf das Urteil vom 9. November 2006 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung in den Musterverfahren verwiesen.
II
8 1. Der Senat macht von der ihm durch § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden.
9 Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO sind gegeben. Über die Musterklage ist durch Urteil vom 9. November 2006 rechtskräftig entschieden worden. Der hier zu entscheidende Streitfall weist gegenüber dem Musterurteil keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Dies räumen die Kläger und der Beklagte ein. Die Beteiligten sind zu der gewählten Entscheidungsform gehört worden (§ 93a Abs. 1 Satz 2 VwGO).
10 2. Wie die Klagen im Musterurteil haben die vorliegenden Klagen in dem sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet und deshalb abzuweisen. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe im Musterurteil, die auch für die Kläger gelten und denen nichts hinzuzufügen ist. Von der Inbezugnahme ausgenommen sind die Ausführungen unter den Randnummern 138 bis 144, weil die von den Klägern zu 5 und 6 schriftsätzlich angekündigten Anträge auf Entschädigung in einer mündlichen Verhandlung voraussichtlich nicht gestellt worden wären.
11 Eine teilweise Einstellung des Verfahrens (im Umfang der Klageabweisung im Musterverfahren) kommt nicht in Betracht, weil der Beklagte der darauf zielenden Erledigungserklärung der Kläger widersprochen hat. Insoweit ist die Sachlage anders als in zahlreichen Verfahren gegen die Planfeststellung für den Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld, in denen der dortige Beklagte Erledigungserklärungen akzeptiert hat. Es kann in der Entscheidungsformel auch nicht ausgesprochen werden, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit der Klage nicht stattgegeben werden kann; denn eine Erledigung ist nicht eingetreten. Das Musterurteil des Senats vom 9. November 2006, mit dem die Tat- und Rechtsfragen, die auch im vorliegenden Verfahren eine Rolle spielen, geklärt worden sind, stellt kein erledigendes Ereignis dar. Die höchstrichterliche Klärung einer Tat- oder Rechtsfrage ist nicht einer nachträglichen, zur Erledigung führenden Änderung der Tat- oder Rechtslage gleichzusetzen. Geändert haben sich nur die Erfolgsaussichten der Klage und damit das subjektive Interesse der Kläger, den Rechtsstreit fortzusetzen (vgl. Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 161, Rn. 134).
12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 159 Satz 2, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 GKG. Bei dem Streitwert handelt es sich um einen Gesamtstreitwert, der sich aus Einzelstreitwerten von 15 000 € je Kläger bzw. klagender Rechtsgemeinschaft zusammensetzt.