Urteil vom 01.03.2007 -
BVerwG 2 A 9.04ECLI:DE:BVerwG:2007:010307U2A9.04.0
Urteil
BVerwG 2 A 9.04
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper und Dr. Heitz
für Recht erkannt:
- Die Bescheide der Beklagten vom 14. September 2004 und 28. Oktober 2004 werden aufgehoben.
- Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Unfallruhegehalt zu bewilligen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Gründe
I
1 Die Klägerin ist Bundesbeamtin des mittleren Dienstes im Ruhestand. Am 30. November 1990 erlitt sie während der Dienstzeit auf dem Gelände ihrer Dienststelle ein Distorsionstrauma im Bereich der Lendenwirbelsäule, als sie durch eine spontane Rumpfdrehung einen Sturz auf dem schneeglatten Boden zu vermeiden suchte. In nachfolgenden ärztlichen Untersuchungen wurde ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Diesen erkannte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. September 1992 als Dienstunfall an. 1998 wurde die Klägerin Opfer eines Auffahrunfalls, der eine Distorsion der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule zur Folge hatte. Auch diese Verletzung wurde als Dienstunfall anerkannt.
2
Zum 1. Oktober 2004 versetzte die Beklagte die Klägerin, die ständig an Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule litt, wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Da der Amtsarzt zu der Auffassung gelangt war, die Dienstunfähigkeit der Klägerin beruhe überwiegend auf nicht unfallbedingten degenerativen Veränderungen ihrer Wirbelsäule, bewilligte ihr die Beklagte kein Unfallruhegehalt. Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage beantragt die Klägerin,
den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2004 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Versorgungsbezüge für den Ruhestand als Unfallruhegehalt festzusetzen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
4 Der Senat hat über die Frage, ob der als Dienstunfall anerkannte Bandscheibenvorfall und die ebenfalls als Dienstunfall anerkannte Distorsion der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule gemeinsam oder jede für sich allein wesentlich mitwirkende Teilursache der Dienstunfähigkeit der Klägerin und keine sogenannte Gelegenheitsursache gewesen sind, Beweis durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erhoben. Der mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie, Dr. B., ist in seinem Gutachten vom 4. Oktober 2006 zu dem Ergebnis gelangt, dass der 1990 diagnostizierte Bandscheibenvorfall eine wesentliche Teilursache für die Dienstunfähigkeit der Klägerin ist, das 1998 zugezogene Halswirbelsäulenleiden hingegen nicht. Allerdings, so führt der Gutachter weiter aus, sei aus medizinischer Sicht zu bezweifeln, dass die plötzliche Verrenkung der Wirbelsäule am 30. November 1990 und nicht ein damals schon vorhandenes Leiden Ursache des Bandscheibenvorfalls gewesen ist.
5 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf das Sachverständigengutachten vom 4. Oktober 2006 verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird gleichfalls Bezug genommen.
II
6 Die Klage, über die der Senat in erster und letzter Instanz entscheidet (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO), ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Unfallruhegehalt.
7 Nach § 36 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG -) i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, ber. S. 847 und 2033), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1818), erhält Unfallruhegehalt ein Beamter, der infolge des Dienstunfalls dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist. Die Klägerin, die zum 1. Oktober 2004 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, ist infolge des Bandscheibenvorfalls, den sie am 30. November 1990 erlitten hat, dienstunfähig geworden. Für die Ursächlichkeit des als Dienstunfall anerkannten Bandscheibenvorfalls genügt es, dass er die wesentlich mitwirkende Teilursache für die Dienstunfähigkeit war; es ist nicht erforderlich, dass der Prolaps der alleinige, unter Ausschluss jeglicher sonstiger Faktoren kausal gewordene Umstand gewesen ist.
8 Die im Dienstunfallrecht herrschende Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache hat die Funktion, im Sinne einer sachgerechten Risikoverteilung dem Dienstherrn die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder die nach der Lebenserfahrung auf sie zurückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken aufzubürden, hingegen diejenigen Risiken, die sich aus persönlichen, von der Norm abweichenden Anlagen oder aus anderen als dienstlich gesetzten Gründen ergeben, bei dem Beamten zu belassen. Nach der danach maßgebenden Kausalitätstheorie besteht ein Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden nicht mehr, wenn für diesen eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind deshalb (mit)ursächlich nur solche für den eingetretenen Schaden kausalen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Keine die Anerkennung als Dienstunfall rechtfertigende Ursache sind sogenannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also etwa die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkung bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zu demselben Erfolg geführt hätte (vgl. statt vieler, Beschluss vom 8. März 2004 - BVerwG 2 B 54.03 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 m.w.N.).
9 Der Bandscheibenvorfall ist für die Dienstunfähigkeit der Klägerin im vorausgesetzten Sinne wesentlich teilursächlich. Der Gutachter hat in seinem Gutachten ausdrücklich festgestellt, dass „wesentliche Teilursache der im Jahr 2004 anerkannten Dienstunfähigkeit das seit 1990 erstmals aufgetretene und später trotz Operation weiter bestehende Bandscheibenleiden“ ist. Abschließend führt Oberarzt Dr. B. in seinem Gutachten aus, dass „der Zusammenhang zwischen dem erlittenen Bandscheibenvorfall und der anerkannten Wirbelsäulenproblematik mit folgender Dienstunfähigkeit als gesichert gilt und hier die Beweisfrage eindeutig zu beantworten ist“. Diese Feststellungen des Gutachters stehen zwar in Widerspruch zu den Erkenntnissen des Amtsarztes vom 13. Oktober 2004, wonach die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, an denen die Klägerin schon vor dem 30. November 1990 gelitten habe, wesentliche Ursache für ihre Dienstunfähigkeit seien. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass Dr. B. die Kausalitätsfrage zutreffend beantwortet hat. Dem Gutachter ist, wie in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat deutlich geworden ist, die Theorie der wesentlichen Teilursache bekannt, so dass er die Beweisfrage zutreffend verstanden hat. Im Vergleich zu dem Amtsarzt, der zudem keinen Facharzt für Orthopädie zu Rate gezogen hat, verfügt Dr. B. über spezifische Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Orthopädie. Dieses medizinische Teilgebiet ist sein Fachgebiet. Durch seine Tätigkeit an einer Universitätsklinik hat Dr. B. auch leichter als ein Amtsarzt Zugang zu neuen wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und Erkenntnissen auf diesem Gebiet der Medizin. Das Gutachten selbst überzeugt. Es fußt auf einer gründlichen Untersuchung und Anamnese der Klägerin, die Schlussfolgerungen sind in sich stimmig und in allen Punkten nachvollziehbar. Die Sachkunde des Gutachters wird u.a. auch daraus deutlich, dass er das Krankheitsbild der Klägerin im Übrigen, etwa das Vorhandensein einer Lendenwirbelsäulenerkrankung bereits vor dem 30. November 1990 und die Geringfügigkeit der Folgen des Auffahrunfalls, ebenso wie fast alle vorher tätig gewesenen Ärzte bewertet.
10 Dass der Gutachter in diesem Zusammenhang auch zu der Erkenntnis gelangt ist, die schmerzhafte Verrenkung der Wirbelsäule infolge der spontanen Bewegung sei eher das „letzte auslösende Moment“, also eine Gelegenheitsursache, für den Bandscheibenvorfall gewesen, ist für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich. Die Ursächlichkeit dieser Bewegung für den Bandscheibenvorfall ist auf Grund der Bestandskraft des Bescheides vom 28. September 1992, mit dem der Bandscheibenvorfall als Dienstunfall anerkannt worden ist, nicht mehr in Zweifel zu ziehen. Es kommt allein noch auf dessen Ursächlichkeit für die weitere „Wirbelsäulenproblematik mit folgender Dienstunfähigkeit“ an.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.