Verfahrensinformation

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 des Straßenverkehrsgesetzes zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auffordern und ihm nach nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens seine Fahrerlaubnis auf Probe entziehen durfte.


§ 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG betrifft den Fall einer Fahrerlaubnis auf Probe, die nach einer vorherigen Entziehung neu erteilt wurde. Begeht der Fahrerlaubnisinhaber in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende Zuwiderhandlung, so hat die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. In vorliegendem Fall war die erste Fahrerlaubnis dem Kläger nicht entzogen worden. Vielmehr hatte er nach einem negativen Gutachten auf die Fahrerlaubnis verzichtet.


Das Verwaltungsgericht hat eine Anwendung der Vorschrift für ausgeschlossen erachtet, weil der Wortlaut nur von einer Entziehung spricht. Das Oberverwaltungsgericht hat das anders gesehen und hält die Vorschrift für entsprechend anwendbar.


Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger eine Klärung der Frage und damit die Wiederherstellung des seiner Klage stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts.


Pressemitteilung Nr. 47/2024 vom 10.10.2024

Fahrerlaubnis auf Probe - medizinisch-psychologisches Gutachten nach erneutem Verkehrsverstoß in neuer Probezeit

Gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der nach der Begehung von mindestens einer schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) auf die Fahrerlaubnis verzichtet und der nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung(en) begeht, hat die zuständige Fahrerlaubnisbehörde wie im Falle einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung in entsprechender Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Regel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Dem Kläger wurde erstmals im Juli 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle und einer weiteren Kontrolle aus Anlass von Verkehrsverstößen wurde der Konsum von Cannabis festgestellt. Darauf verlangte die Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten führte zu einer negativen Beurteilung seiner Fahreignung, worauf er auf seine Fahrerlaubnis verzichtete.


Auf der Grundlage eines nunmehr positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens wurde dem Kläger im Juli 2020 die Fahrerlaubnis der Klasse B neu erteilt. Zwei Monate später überfuhr er eine bereits länger als eine Sekunde rote Ampel. Die Fahrerlaubnisbehörde ordnete erneut die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und stützte sich hierfür auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG. Nachdem der Kläger das Gutachten nicht fristgerecht vorlegt hatte, wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Das Verwaltungsgericht hat die Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben, weil die Anordnung der Beibringung eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG habe gestützt werden können. Die Vorschrift gelte nach ihrem Wortlaut nur, wenn die erste Fahrerlaubnis entzogen worden sei und nicht, wenn der Betroffene - wie hier - auf die Fahrerlaubnis verzichtet habe. Das Oberverwaltungsgericht hat hingegen die Vorschrift auf den Verzicht für entsprechend anwendbar gehalten und die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis abgewiesen.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt. Die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens konnte auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in entsprechender Anwendung gestützt werden.


Die Fahrerlaubnis auf Probe wurde im Jahr 1986 eingeführt. Sie soll allen Fahranfängern deutlich machen, dass sie sich in einer Probezeit bewähren müssen. Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 24. April 1998 reagierte der Gesetzgeber auf den Versuch, die Regelungen der Fahrerlaubnis auf Probe durch Verzicht und anschließenden Neuerwerb zu umgehen. Es hatte zum Ziel, dass die Regelungen für den Fall der Entziehung auch beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis Anwendung finden. Für die hier in Rede stehenden Regelungen über die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und Zuwiderhandlung in der neuen Probezeit (§ 2a Abs. 5 StVG) sollte ebenfalls eine Gleichstellung erfolgen. Ausdrücklich geregelt wurde sie nur für das Erfordernis der Teilnahme an einem Aufbauseminar vor Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis, nicht für die Anforderung eines Gutachtens nach erneuter Nichtbewährung in der neuen Probezeit. Das Ziel, einer Umgehung der Probezeit mit ihren besonderen Maßnahmen zu begegnen, sowie Sinn und Zweck der Vorschriften, im Interesse der Verkehrssicherheit auf alle Fahranfänger gleiche Regeln anzuwenden, rechtfertigen die Annahme einer nicht beabsichtigten Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu schließen ist.


Fußnote:

Maßgebliche Rechtsnorm


§ 2a Abs. 5 StVG


1 Ist eine Fahrerlaubnis entzogen worden


1. nach § 3 oder nach § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 3 dieses Gesetzes, weil innerhalb der Probezeit Zuwiderhandlungen begangen wurden, oder nach § 69 oder § 69b des Strafgesetzbuches,


2. nach Absatz 3, weil einer Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht nachgekommen wurde, oder wurde die Fahrerlaubnis nach § 6e Absatz 2 widerrufen, so darf eine neue Fahrerlaubnis unbeschadet der übrigen Voraussetzungen nur erteilt werden, wenn der Antragsteller nachweist, dass er an einem Aufbauseminar teilgenommen hat.2 Das Gleiche gilt, wenn der Antragsteller nur deshalb nicht an einem angeordneten Aufbauseminar teilgenommen hat oder die Anordnung nur deshalb nicht erfolgt ist, weil die Fahrerlaubnis aus anderen Gründen entzogen worden ist oder er zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet hat.3 Ist die Fahrerlaubnis nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 entzogen worden, darf eine neue Fahrerlaubnis frühestens drei Monate nach Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden; die Frist beginnt mit der Ablieferung des Führerscheins.4 Auf eine mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gemäß Absatz 1 Satz 7 beginnende neue Probezeit ist Absatz 2 nicht anzuwenden.5 Die zuständige Behörde hat in diesem Fall in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat.


BVerwG 3 C 3.23 - Urteil vom 10. Oktober 2024

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, OVG 10 A 10412/22.OVG - Urteil vom 24. Januar 2023 -

VG Koblenz, VG 4 K 119/22.KO - Urteil vom 07. April 2022 -