Verfahrensinformation

Familiennachzug zum minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten


Die Kläger beider Verfahren sind syrische Staatsangehörige, deren Sohn bzw. Bruder in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt wurde. Ihre Anträge auf Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung mit dem Sohn bzw. Bruder wurden von den deutschen Auslandsvertretungen abgelehnt.


Die dagegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht mit der Begründung ab, die Stammberechtigten seien zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Klagen nicht mehr minderjährig gewesen, so dass kein Anspruch auf Elternnachzug bestehe. Dessen Beschränkung auf eine Einreise bis zum Zeitpunkt der Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) stehe im Einklang mit Unionsrecht und erweise sich wegen der im Hinblick auf den Schutzzweck abweichenden Behandlung des Elternnachzuges zum anerkannten minderjährigen Flüchtling (§ 36 Abs. 1 AufenthG) auch nicht als gleichheitswidrig. Wegen der Volljährigkeit griffen besondere Kinderschutzrechte (UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta) nicht, und der Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK begründe kein Recht auf Einreise und Aufenthalt. Dem Eintritt der Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten vor behördlicher oder gerichtlicher Entscheidung über den Visumsantrag könnten die Familienangehörigen durch die Einlegung geeigneter Rechtsmittel (Untätigkeitsklage, Eilrechtsschutz) entgegenwirken. Es lägen weder eine besondere Härte (§ 36 Abs. 2 AufenthG) noch dringende humanitäre Gründe (§ 22 AufenthG) für ein Aufenthaltsrecht der Eltern vor, so dass auch die klagenden Kinder keinen Anspruch auf Erteilung von Visa zum Familiennachzug hätten. Im Verfahren 1 C 59.20 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen.


Hiergegen wenden sich die Kläger mit den vom Verwaltungsgericht bzw. dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen (Sprung-)Revisionen, mit denen sie u.a. den von den Vorinstanzen als maßgeblich erachteten Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten in Frage stellen.


Verfahrensinformation

Familiennachzug zum minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten


Die Kläger beider Verfahren sind syrische Staatsangehörige, deren Sohn bzw. Bruder in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt wurde. Ihre Anträge auf Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung mit dem Sohn bzw. Bruder wurden von den deutschen Auslandsvertretungen abgelehnt.


Die dagegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht mit der Begründung ab, die Stammberechtigten seien zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Klagen nicht mehr minderjährig gewesen, so dass kein Anspruch auf Elternnachzug bestehe. Dessen Beschränkung auf eine Einreise bis zum Zeitpunkt der Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG) stehe im Einklang mit Unionsrecht und erweise sich wegen der im Hinblick auf den Schutzzweck abweichenden Behandlung des Elternnachzuges zum anerkannten minderjährigen Flüchtling (§ 36 Abs. 1 AufenthG) auch nicht als gleichheitswidrig. Wegen der Volljährigkeit griffen besondere Kinderschutzrechte (UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 EU-Grundrechtecharta) nicht, und der Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK begründe kein Recht auf Einreise und Aufenthalt. Dem Eintritt der Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten vor behördlicher oder gerichtlicher Entscheidung über den Visumsantrag könnten die Familienangehörigen durch die Einlegung geeigneter Rechtsmittel (Untätigkeitsklage, Eilrechtsschutz) entgegenwirken. Es lägen weder eine besondere Härte (§ 36 Abs. 2 AufenthG) noch dringende humanitäre Gründe (§ 22 AufenthG) für ein Aufenthaltsrecht der Eltern vor, so dass auch die klagenden Kinder keinen Anspruch auf Erteilung von Visa zum Familiennachzug hätten. Im Verfahren 1 C 59.20 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen.


Hiergegen wenden sich die Kläger mit den vom Verwaltungsgericht bzw. dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen (Sprung-)Revisionen, mit denen sie u.a. den von den Vorinstanzen als maßgeblich erachteten Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten in Frage stellen.


Verfahrensinformation

Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten


Die drittstaatsangehörigen Kläger begehren vom Ausland aus die Erteilung von Visa zur Zusammenführung mit ihren in Deutschland als subsidiär Schutzberechtigte anerkannten Familienangehörigen.


Ihre zwischen 2016 und 2019 gestellten Anträge wurden von den deutschen Auslandsvertretungen wegen der fehlenden Zustimmung der Ausländerbehörden abgelehnt. Klagen und Berufungen hatten keinen Erfolg. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Familiennachzug nach § 36a AufenthG, weil das nachziehende Kind (BVerwG 1 C 8.21, Kindernachzug) bzw. die als schutzberechtigt anerkannten Kinder (BVerwG 1 C 56.20, BVerwG 1 C 59.20 und BVerwG 1 C 31.21, Elternnachzug) zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr minderjährig gewesen seien. Die für den maßgeblichen Zeitpunkt der Minderjährigkeit beim Familiennachzug zum anerkannten Flüchtling entwickelten Grundsätze seien nicht übertragbar und es lägen weder außergewöhnliche Härten (§ 36 Abs. 2 AufenthG) noch humanitäre Aufnahmegründe (§ 22 AufenthG) vor.


Mit ihren (Sprung-)Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Visumserteilung weiter.


Pressemitteilung Nr. 78/2022 vom 08.12.2022

Voraussetzungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten

Für den Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen einerseits und zu subsidiär Schutzberechtigten andererseits bestehen unterschiedliche Voraussetzungen. Dies steht, wie das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden hat, mit höherrangigem Recht im Einklang.


Die von den Klägern zwischen 2016 und 2019 gestellten Visumanträge zum Nachzug von bzw. zu ihren zu diesen Zeitpunkten noch minderjährigen Familienangehörigen wurden von den deutschen Auslandsvertretungen abgelehnt. Die Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Familiennachzug nach § 36a AufenthG, weil das nachziehende Kind (BVerwG 1 C 8.21, Kindernachzug) bzw. die subsidiär schutzberechtigten Kinder (BVerwG 1 C 56.20, BVerwG 1 C 59.20 und BVerwG 1 C 31.21, Elternnachzug) zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr minderjährig gewesen seien. Zwischen dem 17. März 2016 und dem 31. Juli 2018 habe die Aussetzung des Familiennachzugs nach § 104 Abs. 13 AufenthG a.F. dem Anspruch entgegengestanden. Weder bestünden bei den klagenden Familien außergewöhnliche Härten (§ 36 Abs. 2 AufenthG) noch lägen dringende humanitäre Aufnahmegründe (§ 22 Satz 1 AufenthG) vor.


Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt und die Revisionen zurückgewiesen. Vom 17. März 2016 bis 31. Juli 2018 war der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgeschlossen (§ 104 Abs. 13 AufenthG a.F.), so dass während dieses Zeitraums für den Kläger im Verfahren BVerwG 1 C 8.21 kein Nachzugsanspruch nach § 32 AufenthG bestand. Die Nichtgewährung des Familiennachzugs steht im Einklang mit Verfassungsrecht. In Bezug auf die zum 1. August 2018 in Kraft getretene Nachzugsregelung des § 36a AufenthG gelten die zu § 32 AufenthG entwickelten Grundsätze, nach denen beim Nachzug von Kindern hinsichtlich der Einhaltung einer Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist und die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts als auch im Zeitpunkt des Erreichens der jeweiligen Altersgrenzen erfüllt sein müssen. Ein Visumantrag konnte indes erst nach Inkrafttreten des § 36a AufenthG nach dieser Norm geprüft werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger des Verfahrens BVerwG 1 C 8.21 bereits volljährig.  Zu dem beim Elternnachzug zum subsidiär schutzberechtigten Kind allein maßgeblichen Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz waren die in den übrigen Verfahren stammberechtigten Kinder nicht mehr minderjährig. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union für den Familiennachzug zum anerkannten Flüchtling entwickelten Grundsätze, nach denen das Kind nur im (früheren) Zeitpunkt der Asylantragstellung bzw. der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes an das stammberechtigte Familienmitglied minderjährig gewesen sein muss, sind auf den Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten nicht übertragbar, weil das Unionsrecht für den Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten keine entsprechenden Regelungen trifft und eine Gleichbehandlung auch sonst nicht geboten ist. Sowohl die zeitweilige Nichtgewährung des Familiennachzugs als auch die seit 1. August 2018 in Kraft getretene Rechtsgrundlage für den Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a AufenthG) sind verfassungsgemäß, solange die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG eröffnet bleibt. Die Voraussetzungen dieser Norm lagen nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen jedoch in den hier zu entscheidenden Fällen nicht vor.


BVerwG 1 C 56.20 - Urteil vom 08. Dezember 2022

Vorinstanz:

VG Berlin, VG 38 K 7.19 V - Urteil vom 07. Juli 2020 -

BVerwG 1 C 59.20 - Urteil vom 08. Dezember 2022

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 3 B 38.19 - Urteil vom 22. September 2020 -

VG Berlin, VG 38 K 41.19 V - Urteil vom 28. Juni 2019 -

BVerwG 1 C 8.21 - Urteil vom 08. Dezember 2022

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, OVG 6 B 6.19 - Urteil vom 23. November 2020 -

VG Berlin, VG 38 K 7.18 V - Urteil vom 26. August 2019 -

BVerwG 1 C 31.21 - Urteil vom 08. Dezember 2022

Vorinstanz:

VG Berlin, VG 38 K 315/20 V - Urteil vom 07. September 2021 -


Beschluss vom 26.04.2021 -
BVerwG 1 B 15.21ECLI:DE:BVerwG:2021:260421B1B15.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.04.2021 - 1 B 15.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:260421B1B15.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 15.21

  • VG Berlin - 26.08.2019 - AZ: VG 38 K 7.18 V
  • OVG Berlin-Brandenburg - 23.11.2020 - AZ: OVG 6 B 6.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. April 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... aus ... bewilligt.
  2. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 23. November 2020 wird aufgehoben.
  3. Die Revision wird zugelassen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und - insoweit vorläufig - für das Revisionsverfahren auf jeweils 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten bewilligt, weil er die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2 2. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur weiteren Klärung der Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Minderjährigkeit beim Familiennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a AufenthG) unter Berücksichtigung des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Regelung und deren Aussetzung (§ 104 Abs. 13 AufenthG a.F.) beitragen.

3 3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht für das Beschwerdeverfahren auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG, für das Revisionsverfahren auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 C 8.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 08.12.2022 -
BVerwG 1 C 31.21ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C31.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.12.2022 - 1 C 31.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C31.21.0]

Urteil

BVerwG 1 C 31.21

  • VG Berlin - 07.09.2021 - AZ: 38 K 315/20 V

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger, Böhmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. September 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

I

1 Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem im Bundesgebiet lebenden und als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Sohn (Stammberechtigter).

2 Im Mai 2015 floh der Kläger mit seiner Frau und den gemeinsamen acht Kindern in die Türkei. Von dort aus reiste der am 27. Mai 2002 geborene Stammberechtigte im Oktober 2015 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. November 2017 wurde er als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt, und ihm wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.

3 Am 4. Dezember 2019 beantragte der Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug beim Generalkonsulat in Istanbul. Der Antrag wurde mit Bescheid der Auslandsvertretung vom 15. Mai 2020 abgelehnt.

4 Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. September 2021 abgewiesen. Ein Anspruch aus § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG scheitere an der zwischenzeitlich eingetretenen Volljährigkeit des Sohnes. Maßgeblich für die Bestimmung der Minderjährigkeit sei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Aus der Richtlinie 2003/86/EG und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung könne der Kläger keine Ansprüche ableiten, weil diese nicht für den Nachzug zum subsidiär Schutzberechtigten gelte. Ein die Volljährigkeit überdauernder Anspruch ergebe sich nicht aus der UN-Kinderrechtskonvention, deren persönlicher Anwendungsbereich mit Erreichen der Volljährigkeit ende und der auch kein unbedingter Vorrang des Kindeswohls zu entnehmen sei. Der Zweck des Elternnachzuges zum Minderjährigen liege in der Ausübung des Sorgerechts, das nach Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne. Ein Anspruch folge nicht aus § 36a Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 22 AufenthG, da dieser Anspruch nur bestehe, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt seien, aber die Visumerteilung an der Überschreitung des Kontingents scheitere. Hier seien aber bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36a Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. Härtefallbegründende Umstände im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien nicht ersichtlich.

5 Zur Begründung der Revision rügt der Kläger (sinngemäß) eine Verletzung von § 36a AufenthG. Einem Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts für die Beurteilung der Minderjährigkeit des Stammberechtigten stehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 9. September 2021 - C-768/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​709] -) entgegen.

6 Die Beklagte und der Beigeladene verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.

II

7 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines nationalen Visums (§ 6 Abs. 3 AufenthG) zum Familiennachzug zu dem als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Stammberechtigten hat. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (1.) hatte er keinen Nachzugsanspruch nach § 36a AufenthG, weil der Stammberechtigte nicht mehr minderjährig war (2.). Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt weder eine durch die familiäre Situation begründete außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG vor (3.), noch hat der Kläger einen Anspruch auf Familiennachzug aus dringenden humanitären Gründen nach § 22 Satz 1 AufenthG (4.).

8 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie der vorliegenden - grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.). Der Entscheidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.  Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23. Mai 2022, zugrunde zu legen. Unionsrechtlich maßgeblich sind die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12 - RL 2003/86/EG) und die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9 - RL 2011/95/EU).

9 2. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Familiennachzug verneint.

10 a) Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 36 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2018 gültigen Fassung. Die Vorschrift findet nach § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG Anwendung auf den Familiennachzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt worden ist, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzuges zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Stammberechtigten wurde eine Aufenthaltserlaubnis am 3. Dezember 2018 erteilt. Der Kläger stellte seinen Visumantrag am 4. Dezember 2019.

11 b) Einen Anspruch des Klägers nach § 36a AufenthG hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint, weil der Stammberechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 7. September 2021 bereits volljährig war.

12 aa) Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigter) besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

13 bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

14 Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, und dies sowohl für ungleiche Belastungen als auch ungleiche Begünstigungen gilt (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. - BVerfGE 79, 1 <17>), kann offenbleiben, ob anerkannte Flüchtlinge einerseits und subsidiär Schutzberechtigte andererseits im Hinblick auf die nach dem sekundären Unionsrecht bestehenden Unterschiede im Schutzstatus überhaupt vergleichbar sind. Denn eine Ungleichbehandlung wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1959 - 1 BvL 10/55 - BVerfGE 10, 234 <246> und vom 3. Oktober 1989 - 1 BvL 78/86 u. a. - BVerfGE 81, 1 <8>; vgl. auch Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 14 ff.) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK (EGMR <GK>, Urteil vom 24. Mai 2016 - Nr. 38590/10, Biao v. Denmark - Rn. 90) kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgeblich auf die Gewichtung der durch die Ungleichbehandlung beeinträchtigten Freiheitsrechte an. Im Hinblick auf den Familiennachzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familienschutz nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie das Kindeswohl und Kinderrechte zu berücksichtigen.

15 Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <395>; EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse v. the Netherlands - Rn. 107). Bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte sind die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10 - Rn. 106; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45). Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493 Rn. 24).

16 Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzuges auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) genügt den dargestellten verfassungs-, konventions- und völkerrechtlichen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG, der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unberührt bleibt, ausreichend Rechnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG ist grundsätzlich auch in Fällen möglich, in denen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit einschränkender Familiennachzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berücksichtigen, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 1 B 26.19 - Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf BVerfG, Beschluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - Asylmagazin 2018, 179 und BT-Drs. 19/2438 S. 22).

17 Unionsrecht steht der Anwendung von § 36a AufenthG nicht entgegen. Die Richtlinie 2003/86/EG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht. Sie findet nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. c unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen genehmigt wurde. Dies erfasst auch Personen, denen der vom Unionsrecht vorgesehene subsidiäre Schutzstatus zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2018 - C-380/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​877] - Rn. 27 ff.).

18 Art. 23 RL 2011/95/EU trifft ebenfalls keine Regelung des Familiennachzuges aus dem Ausland zu subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Deutschland befinden. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist in diesen Fällen nicht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU). Der Richtlinie 2011/95/EU lässt sich auch kein Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen einerseits und von subsidiär Schutzberechtigten andererseits im Hinblick auf den Nachzug aus dem Ausland entnehmen. Daher finden die vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 9. September 2021 (C-768/19) aus den Vorschriften dieser Richtlinie entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts der Minderjährigkeit eines Stammberechtigten entgegen der Auffassung der Revision hier keine Anwendung.

19 3. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug an den Kläger nach § 36 Abs. 2 AufenthG verneint.

20 Die danach erforderliche außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.). Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei verneint.

21 4. Der Kläger hat auch keinen Aufnahmeanspruch nach § 22 Satz 1 AufenthG.

22 a) Gemäß dieser Norm soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen (BT-Drs. 19/2438 S. 22).

23 Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung nicht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgeblich davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat der Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist. Die Schwelle, bei deren Erreichen die Versagung einer Familienzusammenführung im Bundesgebiet mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG schlechthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein - vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG unabhängiger - Aufenthaltstitel nach § 22 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die durch Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlentscheidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eröffnet (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 49). Soweit die Berücksichtigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 36a AufenthG geboten ist, erfordert dies keine von den genannten Maßstäben abweichende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familiennachzug berücksichtigt werden.

24 b) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle des Klägers verneint. Eine von den Verhältnissen anderer syrischer Staatsangehöriger, deren Kinder das Herkunftsland verlassen haben, abweichende Notlage ist vom Verwaltungsgericht weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

25 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich der Beigeladene nicht mit einem Antrag am Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Urteil vom 08.12.2022 -
BVerwG 1 C 56.20ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C56.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.12.2022 - 1 C 56.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C56.20.0]

Urteil

BVerwG 1 C 56.20

  • VG Berlin - 07.07.2020 - AZ: 38 K 7.19 V

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger, Böhmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe

I

1 Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und begehren die Erteilung von Visa zum Familiennachzug zu ihrem im Bundesgebiet lebenden und als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Sohn beziehungsweise Bruder (Stammberechtigter).

2 Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern, die Kläger zu 3 - 6 die Geschwister des am 1. Januar 2001 in Syrien geborenen Stammberechtigten. Dieser reiste Mitte 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte im April 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte ihm mit Bescheid vom 31. Januar 2018 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Am 17. Dezember 2018 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt.

3 Am 26. November 2018 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa zum Familiennachzug beim Generalkonsulat in Istanbul. Die Anträge wurden mit Bescheiden der Auslandsvertretung vom 28. Dezember 2018 abgelehnt.

4 Die dagegen erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. Juli 2020 abgewiesen. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Visumanträge nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36 Abs. 1 AufenthG a. F. oder i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 oder § 22 Satz 1 AufenthG. Der Stammberechtigte sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr minderjährig gewesen. Dieser nach allgemeinem Prozessrecht maßgebliche Zeitpunkt führe auch nicht dazu, dass die Behörde ein auf § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG gestütztes Nachzugsbegehren durch Verfahrensverzögerung oder rechtswidrige Versagung des Visums vereiteln könnte, weil den Betroffenen dagegen hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes zur Verfügung stünden. Die Beschränkung des Elternnachzuges auf eine Einreise bis zum Zeitpunkt der Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten stehe auch im Einklang mit Unionsrecht. Mit der Volljährigkeit unterfalle der Schutzberechtigte nicht mehr der UN-Kinderrechtskonvention und Art. 24 GRC. Aus Art. 8 EMRK ergebe sich kein Recht auf Einreise und Aufenthalt und Art. 6 Abs. 1 und 2 GG begründeten keinen grundrechtlichen Anspruch von ausländischen Ehegatten oder Familienangehörigen auf Nachzug zu ihrem berechtigterweise in Deutschland lebenden Ehegatten oder Familienangehörigen. Die Ungleichbehandlung des Elternnachzuges zu ihren subsidiär schutzberechtigten Kindern vor und nach deren Volljährigkeit sei wegen der Unterschiede im Hinblick auf den Schutz des Kindes und der Familie gerechtfertigt und verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer besonderen Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lägen weder im Falle der Kläger noch des Stammberechtigten vor. Ebenso lägen keine dringenden humanitären Gründe im Sinne von § 22 AufenthG vor. Ein Anspruch der Geschwister des Stammberechtigten sei weder durch § 36a AufenthG noch durch einen Kindernachzugsanspruch nach § 32 Abs. 1 AufenthG eröffnet, weil es für Letzteren an einem Aufenthaltstitel der Eltern fehle.

5 Zur Begründung ihrer Sprungrevision machen die Kläger sinngemäß eine Verletzung von § 36a AufenthG geltend, weil das Verwaltungsgericht einen Familiennachzugsanspruch wegen Erreichens der Volljährigkeit des Stammberechtigten ablehne. Es könne auch kein effektiver Rechtsschutz über § 123 VwGO erreicht werden. Das Erreichen der Volljährigkeit des Stammberechtigten sei durch einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz verursacht und könne den Klägern nicht zugerechnet werden.

6 Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.

II

7 Die zulässige Revision der Kläger ist nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines nationalen Visums (§ 6 Abs. 3 AufenthG) zum Familiennachzug zu dem als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Stammberechtigten haben. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (1.) hatten sie keinen Nachzugsanspruch nach § 36a AufenthG, weil der Stammberechtigte nicht mehr minderjährig war (2.). Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt weder eine durch die familiäre Situation begründete außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG vor (3.), noch haben die Kläger einen Anspruch auf Familiennachzug aus dringenden humanitären Gründen nach § 22 Satz 1 AufenthG (4.).

8 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie der vorliegenden - grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.). Der Entscheidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23. Mai 2022, zugrunde zu legen. Unionsrechtlich maßgeblich sind die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12 - RL 2003/86/EG) und die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9 - RL 2011/95/EU).

9 2. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Kläger auf Familiennachzug verneint.

10 a) Ein solcher Anspruch der Kläger zu 1 und 2 auf Elternnachzug folgt nicht aus § 36 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2018 gültigen Fassung. Die Vorschrift findet nach § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG Anwendung auf den Familiennachzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt worden ist, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzuges zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Stammberechtigten wurde eine Aufenthaltserlaubnis am 17. Dezember 2018 erteilt. Die Kläger stellten ihren Visumantrag am 26. November 2018. Die Kläger zu 3 bis 6 haben keinen Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 Abs. 1 AufenthG, weil ihre Eltern nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels sind.

11 b) Einen Anspruch der Kläger zu 1 und 2 nach § 36a AufenthG hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint, weil der Stammberechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 7. Juli 2020 bereits volljährig war.

12 aa) Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigter) besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

13 bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

14 Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, und dies sowohl für ungleiche Belastungen als auch ungleiche Begünstigungen gilt (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. - BVerfGE 79, 1 <17>), kann offenbleiben, ob anerkannte Flüchtlinge einerseits und subsidiär Schutzberechtigte andererseits im Hinblick auf die nach dem sekundären Unionsrecht bestehenden Unterschiede im Schutzstatus überhaupt vergleichbar sind. Denn eine Ungleichbehandlung wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1959 - 1 BvL 10/55 - BVerfGE 10, 234 <246> und vom 3. Oktober 1989 - 1 BvL 78/86 u. a. - BVerfGE 81, 1 <8>; vgl. auch Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 14 ff.) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK (EGMR <GK>, Urteil vom 24. Mai 2016 - Nr. 38590/10, Biao v. Denmark - Rn. 90) kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgeblich auf die Gewichtung der durch die Ungleichbehandlung beeinträchtigten Freiheitsrechte an. Im Hinblick auf den Familiennachzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familienschutz nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie das Kindeswohl und Kinderrechte zu berücksichtigen.

15 Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <395>; EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse v. the Netherlands - Rn. 107). Bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte sind die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10 - Rn. 106; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45). Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493 Rn. 24).

16 Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzuges auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) genügt den dargestellten verfassungs-, konventions- und völkerrechtlichen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG, der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unberührt bleibt, ausreichend Rechnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG ist grundsätzlich auch in Fällen möglich, in denen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit einschränkender Familiennachzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berücksichtigen, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 1 B 26.19 - Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf BVerfG, Beschluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - Asylmagazin 2018, 179 und BT-Drs. 19/2438 S. 22).

17 Unionsrecht steht der Anwendung von § 36a AufenthG nicht entgegen. Die Richtlinie 2003/86/EG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht. Sie findet nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. c unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen genehmigt wurde. Dies erfasst auch Personen, denen der vom Unionsrecht vorgesehene subsidiäre Schutzstatus zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2018 - C-380/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​877] - Rn. 27 ff.).

18 Art. 23 RL 2011/95/EU trifft ebenfalls keine Regelung des Familiennachzuges aus dem Ausland zu subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Deutschland befinden. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist in diesen Fällen nicht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU). Der Richtlinie 2011/95/EU lässt sich auch kein Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen einerseits und von subsidiär Schutzberechtigten andererseits im Hinblick auf den Nachzug aus dem Ausland entnehmen.

19 c) Ein Anspruch der Kläger zu 3 bis 6 nach § 36a AufenthG besteht bereits deshalb nicht, weil die Vorschrift lediglich den Familiennachzug für Ehegatten oder minderjährige Kinder eines Ausländers, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist, oder für Eltern eines minderjährigen und im Besitz einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis befindlichen Ausländers, nicht aber für dessen Geschwister, eröffnet.

20 3. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Erteilung von Visa zum Familiennachzug an die Kläger nach § 36 Abs. 2 AufenthG verneint.

21 Die danach erforderliche außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.).

22 Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei verneint. Hinsichtlich der Kläger zu 3 bis 6 hat das Verwaltungsgericht insbesondere zutreffend darauf abgestellt, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern in der Türkei leben, dort regulär die Schule besuchen und auch ansonsten nicht vorgetragen wurde, dass sie dort kein eigenständiges Leben führen könnten, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe durch oder für ihren in Deutschland lebenden Bruder angewiesen wären.

23 4. Die Kläger haben auch keinen Aufnahmeanspruch nach § 22 Satz 1 AufenthG.

24 a) Gemäß dieser Norm soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen (BT-Drs. 19/2438 S. 22).

25 Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung nicht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgeblich davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat der Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist. Die Schwelle, bei deren Erreichen die Versagung einer Familienzusammenführung im Bundesgebiet mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG schlechthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein - vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG unabhängiger - Aufenthaltstitel nach § 22 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die durch Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlentscheidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eröffnet (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 49). Soweit die Berücksichtigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 36a AufenthG geboten ist, erfordert dies keine von den genannten Maßstäben abweichende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familiennachzug berücksichtigt werden.

26 b) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle der Kläger verneint, weil eine von den Verhältnissen anderer syrischer Staatsangehöriger, deren Kinder und Geschwister das Herkunftsland verlassen haben, abweichende Notlage nicht ersichtlich sei.

27 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht mit einem Antrag am Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Urteil vom 08.12.2022 -
BVerwG 1 C 59.20ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C59.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.12.2022 - 1 C 59.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C59.20.0]

Urteil

BVerwG 1 C 59.20

  • VG Berlin - 28.06.2019 - AZ: 38 K 41.19 V
  • OVG Berlin-Brandenburg - 22.09.2020 - AZ: 3 B 38.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger, Böhmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. September 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe

I

1 Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und begehren die Erteilung von Visa zum Familiennachzug zu ihrem im Bundesgebiet lebenden und als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Sohn beziehungsweise Bruder (Stammberechtigter).

2 Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern, der Kläger zu 3 ist der Bruder des am 1. Januar 2001 in Syrien geborenen Stammberechtigten. Dieser reiste im Oktober 2015 gemeinsam mit seinem später als Vormund bestellten Onkel in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. März 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte ihm mit Bescheid vom 14. September 2016 den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Im Mai 2017 wurde ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt, die jeweils verlängert wurde.

3 Am 7. November 2018 beantragten die Kläger die Erteilung von Visa zum Familiennachzug beim Generalkonsulat in Erbil/Irak. Die Anträge wurden mit Bescheiden der Auslandsvertretung vom 18. Dezember 2018 abgelehnt.

4 Die hiergegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat auch die Berufung der Kläger mit Urteil vom 22. September 2020 zurückgewiesen. Die Versagung der Erteilung von Visa zum Familiennachzug durch die Beklagte sei rechtmäßig. Der Stammberechtigte sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr minderjährig gewesen. Nach Sinn und Zweck und dem systematischen Zusammenhang von § 36a AufenthG gehe der im Ermessen der Beklagten stehende Anspruch der Eltern auf Nachzug zu ihre im Bundesgebiet lebenden subsidiär schutzberechtigten Kind unter, wenn das bei der Visumantragstellung noch minderjährige Kind im Laufe des Verwaltungsverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens volljährig werde. Sei das Kind bereits vor der Einreise der Eltern volljährig geworden, könnten diese nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet keine "reguläre" Aufenthaltserlaubnis (mehr) erlangen, weil weder § 36a AufenthG noch eine sonstige Vorschrift ein von dem Aufenthaltsrecht des Kindes unabhängiges Aufenthaltsrecht der Eltern normiere. Dies stehe mit höherrangigem Recht im Einklang. Die Kläger zu 1 und 2 könnten sich insbesondere nicht auf die zu Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86/EG ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berufen, die allein den Elternnachzug zu minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen betreffe. Diese Richtlinie sei auf den Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen zu einem subsidiär Schutzberechtigten nicht anwendbar. Auf den in Art. 23 RL 2011/95/EU geregelten Schutz des Familienverbandes könnten sich die Kläger nicht berufen, da sich diese nicht bereits im Mitgliedstaat befänden. Schließlich widerspräche es weder menschenrechtlichen noch verfassungsrechtlichen Vorgaben, den Elternnachzug im Sinne von § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu versagen, wenn das bereits im Bundesgebiet lebende Kind während des Verwaltungsverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens volljährig geworden sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die nachzugswilligen Eltern den Verlust ihres Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht steuern könnten, weil die Dauer des Visumverfahrens und eines sich gegebenenfalls daran anschließenden Verwaltungsstreitverfahrens in der Regel ihrem Einfluss entzogen sei. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz könne bei drohendem Zeitablauf wegen bevorstehender Volljährigkeit im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 123 VwGO erreicht werden. Die Voraussetzungen des § 22 Satz 1 und § 36 Abs. 2 AufenthG lägen offensichtlich nicht vor. Da den Klägern zu 1 und 2 kein Anspruch auf Familiennachzug zustehe, könne auch der Kläger zu 3 als ihr minderjähriger Sohn kein derartiges Visum beanspruchen.

5 Zur Begründung der Revision machen die Kläger geltend, dass die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. April 2018 - C-550/16 [ECLI:​EU:​C:​2018:​248] - auch für den Nachzug zum subsidiär Schutzberechtigten gelten müsse. Das Recht auf Familienzusammenführung aus der Richtlinie 2003/86/EG und damit die Bestimmung des für die Beurteilung der Minderjährigkeit maßgeblichen Zeitpunkts sei nicht in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Die Abhängigkeit des Rechts auf Familienzusammenführung vom Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung dürfe nicht dessen praktische Wirksamkeit infrage stellen. Dies laufe nicht nur den Zielen der Richtlinie entgegen, sondern auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit. Die Auffassung, dass die deutsche Rechtslage, nach der die nachgezogenen Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nur bis zu dessen Volljährigkeit haben, sei mit Art. 16 Abs. 1 RL 2003/86/EG und der zu Art. 10 Abs. 3 und Art. 2 Buchst. f der Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht vereinbar. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Differenzierung zwischen Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutzstatus verstoße gegen die Richtlinie und den Gleichheitsgrundsatz.

6 Die Beklagte verteidigt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

II

7 Die zulässige Revision der Kläger ist nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines nationalen Visums (§ 6 Abs. 3 AufenthG) zum Familiennachzug zu dem als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Stammberechtigten haben. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (1.) hatten sie keinen Nachzugsanspruch nach § 36a AufenthG, weil der Stammberechtigte nicht mehr minderjährig war (2.). Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts liegt weder eine durch die familiäre Situation begründete außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG vor (3.), noch haben die Kläger einen Anspruch auf Familiennachzug aus dringenden humanitären Gründen nach § 22 Satz 1 AufenthG (4.).

8 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie der vorliegenden - grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.). Der Entscheidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23. Mai 2022, zugrunde zu legen. Unionsrechtlich maßgeblich sind die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12 - RL 2003/86/EG) und die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9 - RL 2011/95/EU).

9 2. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht einen Anspruch der Kläger auf Familiennachzug verneint.

10 a) Ein solcher Anspruch der Kläger zu 1 und 2 auf Elternnachzug folgt nicht aus § 36 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2018 gültigen Fassung. Die Vorschrift findet nach § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG Anwendung auf den Familiennachzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt worden ist, wenn der Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzuges zu dem Ausländer bis zum 31. Juli 2018 gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Stammberechtigten wurde eine Aufenthaltserlaubnis im Mai 2017 erteilt. Die Kläger stellten ihren Visumantrag am 7. November 2018. Der Kläger zu 3 hat keinen Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 Abs. 1 AufenthG, weil seine Eltern nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels sind.

11 b) Einen Anspruch der Kläger zu 1 und 2 nach § 36a AufenthG hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend verneint, weil der Stammberechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts am 22. September 2020 bereits volljährig war.

12 aa) Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG kann den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigter) besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

13 bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

14 Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, und dies sowohl für ungleiche Belastungen als auch ungleiche Begünstigungen gilt (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. - BVerfGE 79, 1 <17>), kann offenbleiben, ob anerkannte Flüchtlinge einerseits und subsidiär Schutzberechtigte andererseits im Hinblick auf die nach dem sekundären Unionsrecht bestehenden Unterschiede im Schutzstatus überhaupt vergleichbar sind. Denn eine Ungleichbehandlung wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1959 - 1 BvL 10/55 - BVerfGE 10, 234 <246> und vom 3. Oktober 1989 - 1 BvL 78/86 u. a. - BVerfGE 81, 1 <8>; vgl. auch Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 14 ff.) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK (EGMR <GK>, Urteil vom 24. Mai 2016 - Nr. 38590/10, Biao v. Denmark - Rn. 90) kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgeblich auf die Gewichtung der durch die Ungleichbehandlung beeinträchtigten Freiheitsrechte an. Im Hinblick auf den Familiennachzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familienschutz nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie das Kindeswohl und Kinderrechte zu berücksichtigen.

15 Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <395>; EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse v. the Netherlands - Rn. 107). Bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte sind die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10 - Rn. 106; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45). Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493 Rn. 24).

16 Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzuges auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) genügt den dargestellten verfassungs-, konventions- und völkerrechtlichen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG, der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unberührt bleibt, ausreichend Rechnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG ist grundsätzlich auch in Fällen möglich, in denen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit einschränkender Familiennachzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berücksichtigen, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 1 B 26.19 - Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf BVerfG, Beschluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - Asylmagazin 2018, 179 und BT-Drs. 19/2438 S. 22).

17 Unionsrecht steht der Anwendung von § 36a AufenthG nicht entgegen. Die Richtlinie 2003/86/EG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht. Sie findet nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. c unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen genehmigt wurde. Dies erfasst auch Personen, denen der vom Unionsrecht vorgesehene subsidiäre Schutzstatus zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2018 - C-380/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​877] - Rn. 27 ff.).

18 Art. 23 RL 2011/95/EU trifft ebenfalls keine Regelung des Familiennachzuges aus dem Ausland zu subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Deutschland befinden. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist in diesen Fällen nicht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU). Der Richtlinie 2011/95/EU lässt sich auch kein Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen einerseits und von subsidiär Schutzberechtigten andererseits im Hinblick auf den Nachzug aus dem Ausland entnehmen.

19 c) Ein Anspruch des Klägers zu 3 nach § 36a AufenthG besteht bereits deshalb nicht, weil die Vorschrift lediglich den Familiennachzug für Ehegatten oder minderjährige Kinder eines Ausländers, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist, oder für Eltern eines minderjährigen und im Besitz einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis befindlichen Ausländers, nicht aber für dessen Geschwister, eröffnet.

20 3. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Erteilung von Visa zum Familiennachzug an die Kläger nach § 36 Abs. 2 AufenthG verneint.

21 Die danach erforderliche außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.). Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen hat das Oberverwaltungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei verneint.

22 4. Die Kläger haben auch keinen Aufnahmeanspruch nach § 22 Satz 1 AufenthG.

23 a) Gemäß dieser Norm soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen (BT-Drs. 19/2438 S. 22).

24 Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung nicht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgeblich davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat der Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist. Die Schwelle, bei deren Erreichen die Versagung einer Familienzusammenführung im Bundesgebiet mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG schlechthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein - vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG unabhängiger - Aufenthaltstitel nach § 22 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die durch Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlentscheidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eröffnet (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 49). Soweit die Berücksichtigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 36a AufenthG geboten ist, erfordert dies keine von den genannten Maßstäben abweichende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familiennachzug berücksichtigt werden.

25 b) Hiervon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle der Kläger zu 1 und 2 verneint, weil ihnen nach eigenen Angaben in Syrien keine Gefahr für Leib oder Leben drohe und die erwachsenen Söhne zur Fortsetzung des Studiums dort bleiben möchten. Der volljährige Stammberechtigte könne im Bundesgebiet ein eigenständiges Leben führen und sei nicht zwingend auf die Unterstützung durch seine Eltern angewiesen. Dringende humanitäre Gründe sind auch im Hinblick auf den Kläger zu 3 nicht erkennbar.

26 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht mit einem Antrag am Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Urteil vom 08.12.2022 -
BVerwG 1 C 8.21ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C8.21.0

Kindernachzug zum subsidiär Schutzberechtigten

Leitsätze:

1. Die zum Kindernachzug nach § 32 AufenthG entwickelten Grundsätze zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei einer gesetzlichen Altersgrenze (BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329) gelten auch für den Nachzug zum subsidiär schutzberechtigten Elternteil nach § 36a AufenthG.

2. Der Ausschluss des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG 2016 ist nicht verfassungswidrig, weil Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2017 - 2 BvR 1758/17 - juris).

3. Die Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 32 und § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Sie ist insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 6 Abs. 3, § 22 Satz 1, §§ 32, 36 Abs. 2, § 36a
    AufenthG 2016 § 104 Abs. 13
    GG Art. 3, 6
    EMRK Art. 8, 14
    GRC Art. 7, 24
    RL 2003/86/EG Art. 3 Abs. 2 Buchst. c
    RL 2011/95/EU Art. 2 Buchst. j, Art. 23, 24, 25, 29
    KRK Art. 3, 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1

  • VG Berlin - 26.08.2019 - AZ: 38 K 7.18 V
    OVG Berlin-Brandenburg - 23.11.2020 - AZ: 6 B 6.19

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.12.2022 - 1 C 8.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:081222U1C8.21.0]

Urteil

BVerwG 1 C 8.21

  • VG Berlin - 26.08.2019 - AZ: 38 K 7.18 V
  • OVG Berlin-Brandenburg - 23.11.2020 - AZ: 6 B 6.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger, Böhmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem im Bundesgebiet lebenden und als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Vater.

2 Der Kläger und seine Familienangehörigen sind afghanische Staatsangehörige. Dem im November 2015 in das Bundesgebiet eingereisten Vater des Klägers wurde auf seinen Asylantrag vom 16. Februar 2016 mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 3. Mai 2016 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Am 2. Juni 2016 wurde ihm erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.

3 Anfang August 2016 beantragten der am 9. Juni 1999 geborene Kläger und mehrere seiner Familienangehörigen die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug bei der Deutschen Botschaft Islamabad. Den Antrag des Klägers lehnte die Botschaft mit Bescheid vom 4. Juni 2019 ab.

4 Die hiergegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat auch die Berufung des Klägers mit Urteil vom 23. November 2020 zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Familiennachzug nach § 36a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, da der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht (mehr) minderjährig gewesen sei. Sofern Nachzugsansprüche an eine Altersgrenze knüpften, sei für die Einhaltung der Altersgrenze zwar ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der (Visum-)Antragstellung abzustellen mit der Folge, dass bei Überschreiten der Altersgrenze in einem Verfahren die übrigen Voraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssten. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung im September 2016 scheide aus, da die Neuregelung zum Familiennachzug erst zum 1. August 2018 in Kraft getreten sei und nicht rückwirkend auf den vor diesem Zeitpunkt volljährig gewordenen Kläger angewendet werden könne. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass der Gesetzgeber mit § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. den Familiennachzug nur auf Vollzugsebene habe aussetzen wollen, finde keine Stütze in den Gesetzesmaterialien. Selbst wenn für die Beurteilung der Zeitpunkt des Visumantrags im September 2016 zugrunde gelegt würde, bliebe der Antrag ohne Erfolg, da die Volljährigkeit des Klägers am 9. Juni 2017 und damit zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, als der Kindernachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. ausgeschlossen gewesen sei. Diese Aussetzung des Familiennachzuges verstoße nicht gegen die UN-Kinderrechtskonvention und sei mit Unionsrecht vereinbar. Die Aussetzung des Familiennachzuges stehe ferner im Einklang mit der Verfassung. Das Schutz- und Förderungsgebot des Art. 6 GG (i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 GRC) sei durch die Möglichkeit der Aufnahme von Familienmitgliedern gemäß §§ 22, 23 AufenthG ausreichend beachtet worden. Die unterschiedliche Behandlung des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten und zu Flüchtlingen verstoße nicht gegen Art. 3 GG. Mangels Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte bestehe auch kein Anspruch nach § 36 Abs. 2 AufenthG. Ein Anspruch folge des Weiteren nicht aus § 6 Abs. 3 i. V. m. § 22 Satz 1 AufenthG, da diese Norm für die Aufnahme aus dem Ausland dringende humanitäre Gründe und eine Sondersituation erfordere, die sich deutlich von der anderer Ausländer in vergleichbarer Lage unterscheide. Diese liege hier nicht vor.

5 Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG sei auf Tatbestände vor dessen Inkrafttreten und während der Aussetzung der Regelung nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. anwendbar. Die Nichtgewährung des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten verstoße gegen nationale und internationale Diskriminierungsverbote. Subsidiär Schutzberechtigte und Flüchtlinge seien vergleichbar schutzbedürftig. Die Nichtgewährung des Familiennachzuges gemäß § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. widerspreche auch Unionsrecht. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe zwar die Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/86/EG verneint, jedoch lasse sich der Richtlinie 2011/95/EU entnehmen, dass subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich die gleichen Rechte wie Flüchtlinge erhalten sollten. Diese Erwägungen dürften bei der Beurteilung, ob eine Ungleichbehandlung vorliege, nicht außer Acht gelassen werden. Das Berufungsgericht habe bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit wesentliche Punkte, insbesondere die Dauer der Trennung und das Kindeswohl, nicht ausreichend berücksichtigt. Jedenfalls sei § 22 Satz 1 AufenthG verfassungskonform auszulegen und den grundrechtlich geschützten familiären Belangen ein solches Gewicht beizumessen, dass sie in Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen Interessen grundsätzlich den Vorrang erhielten.

6 Die Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil.

II

7 Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines nationalen Visums (§ 6 Abs. 3 AufenthG) zum Familiennachzug zu seinem als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Vater hat. Während des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkts (1.) der Visumantragstellung und bis zur Volljährigkeit des Klägers geltenden Ausschlusses des Familiennachzuges zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. hatte er keinen Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 AufenthG. Unter Geltung von § 36a AufenthG war der Kläger nicht mehr minderjährig (2.). Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts liegt weder eine durch die familiäre Situation begründete außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG vor (3.), noch hat der Kläger einen Anspruch auf Familiennachzug aus dringenden humanitären Gründen nach § 22 Satz 1 AufenthG (4.).

8 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie der vorliegenden - grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31.14 - BVerwGE 153, 353 Rn. 9 und vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 - NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.). Der Entscheidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 <2502>), sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23. Mai 2022, zugrunde zu legen. Unionsrechtlich maßgeblich sind die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251 S. 12 - RL 2003/86/EG) und die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9 - RL 2011/95/EU).

9 Aus Gründen des materiellen Rechts gilt für den Fall, dass ein Anspruch an eine gesetzliche Altersgrenze knüpft, eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen. Setzt der Anspruch die Minderjährigkeit des Antragstellers voraus, so muss diese zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Die übrigen Voraussetzungen für den Kindernachzug müssen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze und zudem der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegeben sein, sodass alle Voraussetzungen wenigstens einmal zeitgleich erfüllt sein müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können nicht berücksichtigt werden. Bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, ist mithin eine auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogene Doppelprüfung erforderlich (BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 und Beschluss vom 23. April 2020 - 1 C 16.19 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 113 Rn. 9). Maßgeblich ist danach auch § 104 Abs. 13 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390 <a. F.>). Diese zum Kindernachzug nach § 32 AufenthG entwickelten Grundsätze gelten auch für den Kindernachzug zum subsidiär schutzberechtigten Elternteil nach § 36a AufenthG.

10 2. Der Kläger hat weder während der zum Zeitpunkt der Visumantragstellung und des Erreichens der Volljährigkeit geltenden Nichtgewährung des Familiennachzuges zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. einen Anspruch nach § 32 Abs. 1 AufenthG (a), noch einen Anspruch nach dem zum 1. August 2018 in Kraft getretenen § 36a AufenthG (b).

11 a) Durch § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. c AufenthG i. V. m. mit § 25 Abs. 2 AufenthG in der Fassung von Art. 2 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) wurde erstmals ein Anspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten eingeführt. Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten mit dem Nachzug zu Flüchtlingen gleichgestellt, weil auch bei subsidiär Schutzberechtigten und ihren Angehörigen eine Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsstaat nicht möglich ist (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 46). Gemäß dem am 17. März 2016 in Kraft getretenen § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG a. F. wurde dann ein Familiennachzug zu Personen, denen nach dem 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigten) erteilt worden ist, bis zum 16. März 2018 nicht gewährt. Der Ausschluss wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten vom 16. März 2018 (BGBl. I S. 342) bis zum 31. Juli 2018 verlängert. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Außervollzugsetzung des Familiennachzuges, sondern um eine Aussetzung der seit dem 1. August 2015 geltenden Rechtslage, die nach dem ursprünglichen Konzept des Gesetzgebers nach ihrem zeitlichen Ablauf automatisch wieder in Kraft treten sollte (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 12 und 20).

12 § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Norm ist nicht verfassungswidrig, weil Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen nach dem (gemäß § 104 Abs. 13 Satz 3 AufenthG a. F. unberührt bleibenden) § 22 AufenthG Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2017 - 2 BvR 1758/17 - NVwZ 2017, 1699 Rn. 12). Dies gilt insbesondere dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 23). Ein temporärer Ausschluss des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten nach nationalem Recht verstößt auch weder unmittelbar, noch in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK gegen den nach Art. 8 EMRK gebotenen Schutz der Familie. Den Mitgliedstaaten kommt bei vorübergehenden Einschränkungen der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten ein großer Gestaltungsspielraum zu. Dieser wird nicht überschritten, wenn ein Land zur Bewältigung der großen Herausforderungen, die mit dem starken Anstieg der Zahl von Asylbewerbern im Jahr 2015 verbunden waren, den Nachzug für die Dauer von drei Jahren nicht gewährt. Hierin liegt auch keine gegen Art. 14 EMRK verstoßende Diskriminierung. Die Frage, ob sich subsidiär Schutzberechtigte und Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, in einer vergleichbaren Situation befinden, kann nicht abstrakt oder generell beantwortet werden. Sie ist vielmehr anhand der spezifischen Umstände und insbesondere in Bezug auf das geltend gemachte Recht (auf Familienzusammenführung) zu beurteilen (EGMR, Urteil vom 20. Oktober 2022 - Nr. 22105/18, M. T. and others v. Sweden - Rn. 95 ff.; zum Erfordernis der Möglichkeit einer Einzelfallprüfung vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 9. Juli 2021 - Nr. 6697/18, M. A. v. Denmark - Rn. 192).

13 Unionsrecht steht der Anwendung von § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. nicht entgegen. Die Richtlinie 2003/86/EG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht. Sie findet nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. c unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen genehmigt wurde. Dies erfasst auch Personen, denen der vom Unionsrecht vorgesehene subsidiäre Schutzstatus zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2018 - C-380/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​877] - Rn. 27 ff.).

14 Art. 23 RL 2011/95/EU trifft ebenfalls keine Regelung des Familiennachzuges aus dem Ausland zu subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Deutschland befinden. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist in diesen Fällen nicht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU). Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich der Richtlinie 2011/95/EU auch kein Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen einerseits und von subsidiär Schutzberechtigten andererseits im Hinblick auf den Nachzug aus dem Ausland entnehmen.

15 Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums nach § 32 Abs. 1 AufenthG bestand daher weder bei der Antragstellung im August 2016 noch beim Erreichen der Altersgrenze am 9. Juni 2017, weil der begehrte Familiennachzug nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. zu beiden genannten Zeitpunkten nicht gewährt wurde.

16 b) Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht auch einen Anspruch des Klägers auf Familiennachzug nach § 36a AufenthG verneint, weil er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 1. August 2018 bereits volljährig war.

17 aa) Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, der als subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden. Die beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

18 bb) Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 32 und § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

19 Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, und dies sowohl für ungleiche Belastungen als auch ungleiche Begünstigungen gilt (BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777/85 u. a. - BVerfGE 79, 1 <17>), kann offenbleiben, ob anerkannte Flüchtlinge einerseits und subsidiär Schutzberechtigte andererseits im Hinblick auf die nach dem sekundären Unionsrecht bestehenden Unterschiede im Schutzstatus überhaupt vergleichbar sind. Denn eine Ungleichbehandlung wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Dezember 1959 - 1 BvL 10/55 - BVerfGE 10, 234 <246> und vom 3. Oktober 1989 - 1 BvL 78/86 u. a. - BVerfGE 81, 1 <8>; vgl. auch Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 14 ff.) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK (EGMR <GK>, Urteil vom 24. Mai 2016 - Nr. 38590/10, Biao v. Denmark - Rn. 90) kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgeblich auf die Gewichtung der durch die Ungleichbehandlung beeinträchtigten Freiheitsrechte an. Im Hinblick auf den Familiennachzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familienschutz nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie das Kindeswohl und Kinderrechte zu berücksichtigen.

20 Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <395>; EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10, Jeunesse v. the Netherlands - Rn. 107). Bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte sind die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 3. Oktober 2014 - Nr. 12738/10 - Rn. 106; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 <348>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1333/21 - NVwZ 2022, 406 Rn. 45). Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493 Rn. 24).

21 Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzuges auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) genügt den dargestellten verfassungs-, konventions- und völkerrechtlichen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG, der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unberührt bleibt, ausreichend Rechnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG ist grundsätzlich auch in Fällen möglich, in denen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit einschränkender Familiennachzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berücksichtigen, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 1 B 26.19 - Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf BVerfG, Beschluss vom 20. März 2018 - 2 BvR 1266/17 - Asylmagazin 2018, 179 und BT-Drs. 19/2438 S. 22).

22 3. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug an den Kläger nach § 36 Abs. 2 AufenthG verneint.

23 Die danach erforderliche außergewöhnliche Härte liegt nicht vor. Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.). Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen hat das Berufungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei verneint.

24 4. Der Kläger hat auch keinen Aufnahmeanspruch nach § 22 Satz 1 AufenthG.

25 a) Gemäß dieser Norm soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen (BT-Drs. 19/2438 S. 22).

26 Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung nicht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgeblich davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat der Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist. Die Schwelle, bei deren Erreichen die Versagung einer Familienzusammenführung im Bundesgebiet mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG schlechthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein - vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG unabhängiger - Aufenthaltstitel nach § 22 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die durch Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlentscheidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eröffnet (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - BVerwGE 171, 103 Rn. 49). Soweit die Berücksichtigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. und § 36a AufenthG geboten ist, erfordert dies entgegen der Auffassung der Revision keine von den genannten Maßstäben abweichende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familiennachzug berücksichtigt werden.

27 b) Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen eines dringenden humanitären Grundes im Falle des Klägers verneint, weil eine von den Verhältnissen anderer afghanischer Staatsangehöriger, deren Eltern und Geschwister das Herkunftsland verlassen haben, abweichende Notlage durch eine ernsthafte Gefahr der politischen Verfolgung nicht ersichtlich sei. Dabei hat es auch die Situation des Vaters des Klägers berücksichtigt, der sich durch die Trennung von seinen volljährigen Söhnen nicht in einer Sondersituation befinde, die sich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheide. Der Einwand des Klägers, das Berufungsgericht habe die lange Trennungsdauer von über fünf Jahren nicht berücksichtigt, verkennt, dass zwischen der insoweit maßgeblichen Asylantragstellung durch den im Bundesgebiet lebenden subsidiär schutzberechtigten Vater (vgl. BT-Drs. 19/2438 S. 22) im Februar 2016 und der Volljährigkeit des Klägers am 9. Juni 2017, mit der die elterliche Personensorge entfällt, nur etwa eineinhalb Jahre liegen. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass sich hieraus dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 AufenthG ergäben.

28 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht mit einem Antrag am Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.