Beschluss vom 10.02.2005 -
BVerwG 7 B 146.04ECLI:DE:BVerwG:2005:100205B7B146.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 146.04

  • VG Leipzig - 19.07.2004 - AZ: VG 1 K 1270/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 19. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Der Kläger beansprucht die Feststellung seiner Berechtigung an einem kriegsbedingt zerstörten Bürohausgrundstück, das im Zuge seiner 1946 von der Landesverwaltung Sachsen angeordneten Auflösung einem in staatlichem Auftrag von der Industrie- und Handelskammer eingesetzten Liquidator unterstellt und 1962 im Grundbuch in Eigentum des Volkes umgeschrieben wurde. Der Beklagte lehnte die beantragte Feststellung ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger oder sein Rechtsvorgänger durch die Vereinsauflösung vollständig und endgültig aus dem Eigentum verdrängt und damit auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG). Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).
Die Beschwerde sieht einen verfahrensfehlerhaften Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) darin, dass sich das Verwaltungsgericht keine Überzeugung über die wirkliche Grundlage der Vereinsauflösung gebildet habe, weil es die Rundverfügung Nr. 216 der Landesverwaltung Sachsen vom 23. Mai 1946, hilfsweise den SMAD-Befehl Nr. 136 vom 3. Juni 1947 als "mögliche" Grundlage angesehen habe, obwohl sich die deutschen Stellen bei der Auflösung des Vereins und dem Zugriff auf sein Vermögen auf keine dieser Ermächtigungsgrundlagen berufen hätten. Auf diesem Verfahrensfehler - sein Vorliegen unterstellt - kann das angegriffene Urteil nicht beruhen. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts konnte der Kläger mit seinem Feststellungsbegehren nur dann Erfolg haben, wenn das Grundstück nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet wurde. Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage setzen weder eine Klarheit über die ihnen konkret zugrunde liegende Rechtsvorschrift noch eine Berufung der enteignenden deutschen Stellen auf eine bestimmte Grundlage voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für Enteignungen in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 7. Oktober 1949 eine besatzungshoheitliche Grundlage anzunehmen, wenn sie auf Wünsche oder Anregungen der sowjetischen Besatzungsmacht zurückgingen oder sonst ihrem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen entsprachen. Da die Besatzungsmacht aufgrund ihrer obersten Hoheitsgewalt jederzeit eingreifen konnte, sind ihr objektiv auch solche Enteignungen zuzurechnen, die von deutschen Stellen in exzessiver Auslegung oder willkürlicher Anwendung der Enteignungsgrundlagen vorgenommen wurden. Nicht der Besatzungsmacht zuzurechnen sind demgegenüber solche Enteignungen, die einem generell oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungsmacht zuwiderliefen (Urteil vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - BVerwGE 104, 84 <85 f.> m.w.N.).
Der von der Beschwerde herangezogene Beschluss des Senats vom 9. März 1998 - BVerwG 7 B 48.98 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 144) besagt nichts anderes. Der Senat hat in diesem Beschluss bemerkt, dass eine Enteignung der Besatzungsmacht schon wegen ihrer Oberhoheit zuzurechnen ist, wenn sie sich auf die Anwendung besatzungsrechtlicher Vorschriften "gründet" und kein Enteignungsverbot vorliegt. Diese Bemerkung ist, anders als die Beschwerde meint, nicht so zu verstehen, dass eine von deutschen Stellen vorgenommene Enteignung nur dann besatzungshoheitlicher Natur ist, wenn die Maßnahme konkret auf eine Willensbekundung oder Vorschrift der Besatzungsmacht zurückzuführen ist. Der Senat ist mit seinem Kausalitätshinweis der Behauptung entgegengetreten, dass eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage nur angenommen werden könne, wenn die Besatzungsmacht den Eigentumszugriff im Einzelfall geprüft und gebilligt habe. Zugleich hat er damit zum Ausdruck gebracht, dass die besatzungshoheitliche Natur einer Enteignung nicht angenommen werden kann, wenn sich der erforderliche objektive Zurechnungszusammenhang zur Besatzungsmacht nicht herstellen lässt.
Angesichts dessen durfte das Verwaltungsgericht die besatzungshoheitliche Natur der Anordnung des Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen vom 24. August 1946, durch die der Kläger oder sein Rechtsvorgänger als Verein aufgelöst und für das Vereinsvermögen ein Liquidator eingesetzt wurde, aus einer generellen Übereinstimmung der Maßnahme mit dem Willen der Besatzungsmacht ableiten, ohne im Einzelnen klären zu müssen, auf welcher Rechtsgrundlage sie beruhte. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur möglichen Rechtsgrundlage sollten ersichtlich dem Zweck dienen, den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang in dem Sinne zu klären, ob die Maßnahme einem allgemeinen Willen der Besatzungsmacht entsprach oder - über eine exzessive Auslegung oder willkürliche Anwendung der Enteignungsgrundlage hinausgehend - jeden möglichen Bezug zur Besatzungsmacht vermissen ließ, wie es etwa bei privaten Willkürakten unter dem Deckmantel eines besatzungshoheitlichen Mandats der Fall sein kann. Zur Klärung dieser Frage war es nicht erforderlich, die konkrete Rechtsgrundlage zu ermitteln. Vielmehr reichte die Überzeugung aus, dass die Auflösung und Enteignung des Vereins in der Bandbreite besatzungshoheitlicher Anordnungen eingeordnet werden konnte, die einen gleichartigen Lebenssachverhalt betrafen und, weil sie als amtliche Verlautbarung der sowjetischen Besatzungsmacht nicht verborgen bleiben konnten oder von dieser selbst in ähnlicher Weise getroffen worden waren, deren allgemeinem Willen entsprachen. Dies hat das Verwaltungsgericht mit der alternativen Gegenüberstellung der Rundverfügung Nr. 216 und des Befehls Nr. 136 als "möglichen" Grundlagen der in Rede stehenden Maßnahmen angenommen, ohne damit seine Entscheidung auf einen unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt zu stützen. Aus entsprechenden Gründen war das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet aufzuklären, auf welcher Rechtsgrundlage die Vereinsauflösung tatsächlich beruhte (§ 86 Abs. 1 VwGO); denn auf die Klärung dieser Frage kam es nach dem von ihm vertretenen Rechtsstandpunkt nicht an.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
a) Nach Ansicht der Beschwerde liegt dem angegriffenen Urteil ein Rechtssatz des Inhalts zugrunde, dass ein Eigentumszugriff deutscher Stellen in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 7. Oktober 1949 dann auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruht, wenn er auf Wünsche oder Anregungen der Besatzungsmacht oder von dieser generell oder im Einzelfall geäußerte Willensbekundungen zurückgeführt werden kann. Dieser Rechtssatz stimmt, wie sich bereits aus den Ausführungen zum vermeintlichen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz ergibt, mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein (Urteil vom 13. Februar 1997 a.a.O.). Aus entsprechenden Gründen stellt sich in diesem Zusammenhang nicht die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob es "für die Zurechnung von Schädigungsmaßnahmen deutscher Stellen im Zeitraum zwischen dem 08.05.1945 und dem 07.10.1949 zur Besatzungsmacht ausreichend (ist), dass die schädigende Maßnahme abstrakt auf Willensäußerungen, Wünsche oder Anregungen der SMA gestützt werden könnte, oder ... erforderlich (ist), dass sich die deutsche Stelle darauf gestützt hat". Wie dargelegt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass für Maßnahmen auf besatzungshoheitlicher Grundlage der objektive Zurechnungszusammenhang zum Willen der Besatzungsmacht genügt; einer ausdrücklichen Berufung der deutschen Stellen auf den Willen oder Anordnungen der Besatzungsmacht bedarf es schon deshalb nicht, weil sie aufgrund deren Oberhoheit ohnedies nur von der Besatzungsmacht abgeleitete Befugnisse ausüben durften.
b) Zu Unrecht nimmt die Beschwerde eine Abweichung des angegriffenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum "faktischen" Enteignungsbegriff an. In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass eine Enteignung in diesem Sinne immer dann anzunehmen ist, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen faktisch vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist, was sich danach entscheidet, ob der enteignende Zugriff in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck gekommen ist (Urteil vom 13. Februar 1997 a.a.O. S. 87; Urteil vom 24. September 2003 - BVerwG 8 C 27.02 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 25 S. 84 <91>; jeweils m.w.N.). Anders als die Beschwerde meint, weicht die angegriffene Entscheidung auch hinsichtlich der abstrakten Kriterien für einen derartigen Zugriff nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Das Verwaltungsgericht hat aus der Niederschrift über die Vertreterversammlung vom 12./13. Juni 1948 in Hameln und aus dem Unterlassen weiterer Zahlungen hinsichtlich der auf dem Grundstück lastenden Hypothekenforderung gefolgert, dass auch der Kläger von einer Enteignung ausgegangen sei und das Land Sachsen als Eigentümer angesehen habe; laut Niederschrift stellte der Geschäftsführer des Klägers fest, dass dieser aufgelöst und liquidiert worden sei und der sächsische Staat aufgrund der Liquidation auch das Grundstück übernommen habe. Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts liegt damit die Auffassung zugrunde, dass die staatlichen Stellen auf das Grundstück tatsächlich zugegriffen hätten und der Kläger sich als endgültig aus dem Eigentum verdrängt angesehen habe. Abstrakte Rechtssätze des Inhalts, wie sie die Beschwerde formuliert (S. 16 und 18 der Beschwerdebegründung), hat das Verwaltungsgericht nicht aufgestellt. Angesichts dessen kann von der behaupteten Abweichung keine Rede sein.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 GKG.